Autor Thema: Neue, alte und "alt gebliebene" Systeme/Editionen  (Gelesen 1265 mal)

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Offline YY

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Ich werfe das hier einfach mal als Gedankenfragment rein - mal gucken, was daraus wird.

Gefühlt gehöre ich in Sachen Spielmechanikdiskussion deutlich zur "Früher war alles besser"- bzw. "Das hat XYZ doch vor 30 Jahren schon (besser) gemacht!"-Fraktion.
Wenn ich aber so in mein Regal schaue, dann ist da ein einziges System aus den späten 80ern, zwei aus den 90ern und der ganze Rest ist von Anfang der 2000er oder teils deutlich jünger (mal jene ausgenommen, die ich aus nostalgischen Gründen oder der Vollständigkeit halber behalte - mir geht es um die, die ich mit Plan und Absicht spielen würde).
Also mit Masse zumindest halbwegs neue Systeme oder wenigstens solche mit deutlich modernen Einflüssen.

Und nachdem ich auf diesem scheinbaren Widerspruch mal ein bisschen rumgedacht habe, ist mir aufgefallen:
Die neueren sind so gut wie alle Systeme, die auf eine recht lange Geschichte zurückblicken und bei denen man die Herkunft weit in die Vergangenheit zurückverfolgen kann - entweder als lineare Entwicklung eines konkreten Systems oder wenigstens deutlich in der Tradition eines oder einiger weniger Vorbildsysteme stehend.

Als Beispiele:
- MongoTraveller 2nd: 2016 erschienen (also quasi gestern), aber fast schon ein Retro-Klon*.
- Warhammer 4: Muss man wohl nicht viel zu sagen...krachneue, sinnvoll und behutsam umstrukturierte Edition, die immer mit einem Auge auf die Atmosphäre und Spielmechanik der Vorgänger schielt*.
- Dark Heresy 2nd: 2014 erschienen, geht aber spielmechanisch über WHFRP 2nd letztlich zurück auf WHFRP 1st.
- GURPS 4: 2004 erschienen, aber ist im Grunde nur eine Zusammenfassung und Neusortierung der 3. Edition - die ist von 1988.


*Dem Ganzen tut es keinen Abbruch, wenn da zwischendrin mal Umwege oder Abzweigungen vorhanden sind. Warhammer 3rd fällt spielmechanisch total aus der Reihe und damit auch aus dieser Betrachtung.
Noch mehr gilt das für die gefühlt 89 Traveller-Editionen in den verschiedensten Regelwerken - MongoTraveller 2nd (und die fast identische 1st) hat eine große inhaltliche Nähe zu Classic Traveller, das ist der Knackpunkt.

Andersrum sind es gerade die Systeme mit den fortbestehenden großen Brüchen in der mittleren Vergangenheit, mit denen ich nicht mehr so warm werde.
Allen voran Shadowrun und DSA, die beide (mindestens) einen totalen spielmechanischen Neustart hingelegt und mMn beide das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben.
Für beide kann ich mit einigen Jahren Abstand sagen: Da wäre es mir wesentlich lieber gewesen, wenn man sich weiter an seine Wurzeln gehalten und sich von da ausgehend schrittweise verbessert hätte, statt sich komplett neu zu erfinden. 
 

In dem Kontext bin ich zur Zeit recht gespannt auf Cyberpunk Red - CP hatte nämlich mit Cybergeneration und CP V3 seinen Bruch schon längst (wenn auch mehr in Sachen Setting als bei der Spielmechanik) und da wird kräftig die Retcon-Keule geschwungen: CP Red wird diese beiden Ableger ignorieren und in einer Linie mit CP2013 und CP2020 stehen.


Nachvollziehbar oder erzählt der YY wieder Unsinn? :)
"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
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Achamanian

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Re: Neue, alte und "alt gebliebene" Systeme/Editionen
« Antwort #1 am: 2.08.2019 | 21:23 »

Nachvollziehbar oder erzählt der YY wieder Unsinn? :)

Ja und ja!

Nee, eigentlich njur ja. Leuchtet mir ein. Passenderweise lese ich gerade MongooseTraveller2 und bin sehr angetan davon. Und spielen tue ich das neue RuneQuest, das auch genau in das von dir dargestellte Schema Fast-schon-ein-Retroklon passt.

Moderne Systeme mag ich oft auch eher in der Theorie als in der Praxis, wobei das auch Zufall sein kann, weil ich so wenig zur Praxis komme ...  nur Ashen Stars und Numenera haben bei mir in den letzten Jahren länger Anwendung gefunden, fühlen sich jetzt aber auch leergespielt an. Ich bin gespannt, ob im Gegensatz dazu RQ seinen Reiz behält.

Offline KhornedBeef

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Re: Neue, alte und "alt gebliebene" Systeme/Editionen
« Antwort #2 am: 2.08.2019 | 21:39 »
Du hast doch jetzt nur beschrieben, was in deinem Regal steht? Da sehe ich kein Potential für Uneinigkeit :)

Ich bin noch nicht lange genug dabei, um mir eine Meinung zu erlauben. Was an Barbarians of Lemuria (das ja 2w6 wirft) ist schon mal dagewesen? Interessiert mich das? Nein. Warum sollte das relevant sein, dass das schon mal jemand gemacht hat? Keine Ahnung.
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Offline AlucartDante

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Re: Neue, alte und "alt gebliebene" Systeme/Editionen
« Antwort #3 am: 2.08.2019 | 21:57 »
Bei mir war es so, dass in den 2000ern ich mich schnell in viele Überarbeitungen verliebt habe. Ich finde neuere Systeme meist besser, man merkt dass sie aus zwei Standartfehlern gelernt haben:

- alles so kompliziert, dass es niemand versteht.
- alles so simpel gleich, dass keine verschiedene interessante Charaktere durch Crunch abgebildet werden.

Ich glaube, ich fände immer noch neue Systeme grundsätzlich besser, wenn nur nicht die Bennysysteme und das Playerempowerment wäre. Ansonsten steckt der Teufel oft im Detail, aber das ist bei alt wie bei neu so. Ich hoffe, dass in den 2020ern der Fateanteil wieder zurück geht und ich wie in 2000ern von den Neuausgaben begeistert sein werde.

Achamanian

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Re: Neue, alte und "alt gebliebene" Systeme/Editionen
« Antwort #4 am: 2.08.2019 | 21:59 »
Was an Barbarians of Lemuria (das ja 2w6 wirft) ist schon mal dagewesen? Interessiert mich das? Nein. Warum sollte das relevant sein, dass das schon mal jemand gemacht hat? Keine Ahnung.

Ich glaube, das "schon mal dagewesen" ist an sich gar kein Kritikpunkt von YY, er findet nur die Sachen besonders gut, die bewusst anknüpfen und weiterentwickeln, ohne dabei alles unbedingt total neu machen zu wollen, z.B. indem sie neue Würfelmechanismen einführen.

Ist ja auch erst einmal einleuchtend: Ein Spiel, bei dem unbewusst Sachen halb erinnertes aus anderen Systemn wiederholt oder ungekannt reproduziert wird, lernt nicht direkt aus den Erfahrungen des Vorgängers, sondern bestenfalls indirekt.

Andersherum: Die Spiele, die sehr direkt anknüpfen, schleppen ja auch gerne mal aus Nostalgie blödsinnige Altlasten weiter. Da kann ein "wir machen jetzt einfach ein ganz neues System" vielleicht schon die bessere Alternative sein.

Ich denke mal, letztendlich geht es dann doch vor allem um zweckmäßiges, reflektiertes und durchdachtes Regeldesign vs. "ich will jetzt ein neues System erfinden, um das ich großen Wirbel machen kann, deshalb muss zumindest äußerlich irgendwie alles ganz anders und natürlich viel besser sein als alles, was vorher kam."

Online schneeland

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Re: Neue, alte und "alt gebliebene" Systeme/Editionen
« Antwort #5 am: 2.08.2019 | 22:14 »
Überlegung dazu: ich glaube, ein Rollenspiel etabliert bei Erstkontakt ein bestimmtes Spielgefühl, dass sich - je nach Gruppe zu unterschiedlichen Teilen - aufgrund von Spielmechanik, Weltbeschreibung und erlebten/typischen Abenteuern/Kampagnen konstituiert. Wenn ein Spiel mal den Durchbruch mit einer Edition schafft, hat man also eine ordentliche Spielerbasis, die ein bestimmtes Gefühl erwartet. Solange sich nun die Systeme evolutionär weiterentwickeln, werden neue Spieler mit einem ähnlichen Spielgefühl sozialisiert und virtuell in die "große Gemeinschaft" der Durchschnittsspieler von X integriert. Der Vorteil dabei ist, dass - so lange die Edition nicht komplett disfunktional ist, was aber wegen des zuvor vorausgesetzten Erfolgs vergleichsweise unwahrscheinlich ist - fallen vielleicht hinten ein paar Leute raus, aber dafür kommen vorn ein paar neue dazu. Der Nachteil ist: gerade bei ansteigender Komplexität gewinnst Du vielleicht irgendwann nicht mehr ausreichend Neuspieler. Der Vorteil ist: Deine Spielerschaft wird nicht fragmentiert.
Meine Behauptung wäre: für große Systeme ist evolutionäre Weiterentwicklung trotzdem die erfolgversprechendere Strategie, insbesondere wenn Nostalgie im Zeitgeist nicht allzu negativ besetzt ist.

Die Herausforderung ist aber natürlich:
a) Du willst neues Zeug verkaufen, also musst Du Dein System regelmäßig so erneuern, dass die Leute einen Anreiz sehen zu wechseln
b) Dein System hat möglicherweise Schwachpunkte, die Du gern ausmerzen möchtest - und nur weil Aspekt X in einem anderen Spiel besser gelöst ist, heißt das noch nicht, das sich das leicht in Dein Design integrieren ließe
c) Du musst Dein System einfach genug halten, dass neue Leute damit anfangen, aber komplex genug, dass den "Altspielern" nicht langweilig wird
d) Du musst gleichzeitig versuchen, Deinen "Markenkern" zu erhalten

Die von Dir genannten Beispiele sowie das von Rumpel genannte Runequest Glorantha bekommen das, soweit ich das sagen kann, recht ordentlich hin. Auch D&D5 hat es halbwegs geschafft, Spieler verschiedener Editionen auf eine gemeinsame Basis zu bringen - selbst bei Nörglern wie mir ist es so, dass sich die meisten Kritikpunkte mit einer moderaten Revision und einer leicht veränderten Produktpolitik schon adressieren ließen.
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Bei den angesprochenen Problembären DSA und Shadowrun, die den Bruch gewagt haben, ist mein Eindruck, dass die Verzweiflung über die Probleme des eigenen Systems so groß war, dass man sich dachte, man ritte ein totes Pferd und stiege lieber ab bzw. wagte besser den Reboot. Das illustriert meiner Meinung nach ganz gut die Schwierigkeit, die oben genannten vier Dimensionen vernünftig auszubalancieren. Zumindest im Falle von Shadowrun bin ich der Meinung, dass das auch an einem fragwürdigen Verständnis der eigenen Stärken und Schwächen bzw. dem Festhalten an einigen untauglichen Setzungen geschuldet ist.

Abschließend sei allerdings angemerkt: während ich für große Systeme eine konservative, evolutionäre Strategie für nützlich halte, bedeutet das nicht unbedingt, dass neue Systeme das ebenso halten müssen. Die haben dann allerdings, selbst wenn sie sauber designt sind, natürlich das Problem, dass sie sich erstmal in einem Markt, der von zahlreichen alten Marken dominiert wird, etablieren müssen.
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Offline Crimson King

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Re: Neue, alte und "alt gebliebene" Systeme/Editionen
« Antwort #6 am: 2.08.2019 | 22:21 »
Abschließend sei allerdings angemerkt: während ich für große Systeme eine konservative, evolutionäre Strategie für nützlich halte, bedeutet das nicht unbedingt, dass neue Systeme das ebenso halten müssen. Die haben dann allerdings, selbst wenn sie sauber designt sind, natürlich das Problem, dass sie sich erstmal in einem Markt, der von zahlreichen alten Marken dominiert wird, etablieren müssen.

Nicht nur das. Sie vermitteln auch ein anderes Spielgefühl als das dem Mainstream-Anhänger gewohnte. Neuartige Spiele werden also immer eher die Minderheit ansprechen, die zwar gerne Rollenspiele spielt, sich vom Mainstream aufgrund besonderer Spielweisen aber nicht bedient sieht.
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Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
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J.W. von Goethe

Offline YY

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Re: Neue, alte und "alt gebliebene" Systeme/Editionen
« Antwort #7 am: 3.08.2019 | 01:51 »
Du hast doch jetzt nur beschrieben, was in deinem Regal steht? Da sehe ich kein Potential für Uneinigkeit :)

Joah, war erst mal nur Nabelschau - das musste einfach raus ;D
Aber jenseits von "Kann ich das nachvollziehen/sehe ich das ähnlich oder ganz anders" hat sich jetzt schon ein etwas abstrakteres Thema draus ergeben, an dem ich auch Interesse habe.

Ich bin noch nicht lange genug dabei, um mir eine Meinung zu erlauben. Was an Barbarians of Lemuria (das ja 2w6 wirft) ist schon mal dagewesen? Interessiert mich das? Nein. Warum sollte das relevant sein, dass das schon mal jemand gemacht hat? Keine Ahnung.

Lange genug dabei ist relativ:
Manches habe ich auch erst quasi auf dem zweiten Bildungsweg kennengelernt, also weit nachdem es in der Versenkung verschwunden ist.
Und auf andere Sachen habe ich Jahre später zurückgeblickt und mir sind Aspekte aufgefallen, die früher völlig an mir vorbei gegangen sind, obwohl ich die betreffenden Systeme aktiv gespielt bzw. geleitet habe.

Für manches ist es egal, ob das schon mal jemand gemacht hat - nämlich dann, wenn es übersichtlich ist und keine Fallstricke hat.
Aber wenn eine Spielmechanik etwas mehr Fleisch auf den Rippen hat, ergeben sich ganz schnell kleine Feinheiten und versteckte Problemchen, die man z.B. vermeiden kann, wenn man schaut, wer das schon mal ähnlich versucht hat und wie da die Erfahrungen waren.

Das ist letztlich eine Frage der Informationsverteilung: Irgendwo hat einer eine gute Idee bzw. eine Lösung für ein bestimmtes Problem, was aber nicht heißt, dass das dann alle wissen und so machen.

Banales Beispiel:
In Deadlands Classic konnte man die Gummipunkte in XP umwandeln oder nutzen, um dem eigenen SC den Arsch zu retten.
Folge: Die Übervorsichtigen haben XP abgesahnt und wer Action gemacht hat, wurde oft noch dafür bestraft.
Lösung: Man bekommt umgekehrt nur für ausgegebene Gummipunkte XP. So denken sich die Spieler "Wenn ich eh schon einen von den richtig guten Gummipunkten ausgeben muss (es gibt drei bzw. vier verschiedene Sorten), kann ich auch was riskieren" und es ist viel mehr Bewegung im Spiel.

Die gleichen Autoren haben den Fehler in Savage Worlds quasi halb wiederholt und später endlich offiziell korrigiert - da dachten sich viele Deadlands-Veteranen schon beim Erscheinen von SaWo: Warum machen die das noch mal so unzweckmäßig? Ist doch ein alter Hut, dass das nicht rund läuft.

Heute ist die angesprochene Lösung best practice, aber in zehn Jahren kommt wieder einer, der das Ganze nicht mitbekommen hat und macht den Fehler erneut. Es sei denn, er hat gute Spieltester oder gehört zu den seltenen Entwicklern, die eine Spielmechanik auch ohne Spieltest komplett erfassen und ihre praktischen Auswirkungen am Tisch durchdringen können, wenn sie sie nur niedergeschrieben vor sich haben.


Ich denke mal, letztendlich geht es dann doch vor allem um zweckmäßiges, reflektiertes und durchdachtes Regeldesign vs. "ich will jetzt ein neues System erfinden, um das ich großen Wirbel machen kann, deshalb muss zumindest äußerlich irgendwie alles ganz anders und natürlich viel besser sein als alles, was vorher kam."

Genau.
Natürlich gibt es auch althergebrachte Systeme, die sich in meinen Augen nicht in die richtige Richtung weiterentwickelt haben oder die einfach auf der Stelle treten.

Generell ist es aber sinnvoll, sich mit der Lupe anzuschauen, wo die Probleme sind und in Ruhe zu überlegen, wie man sie lösen kann.
Dazu gehört auch, erst mal genau zu erfassen, was man warum gemacht hat, sprich was mit einer bestimmten Spielmechanik beabsichtigt war und warum man keine der denkbaren Alternativen gewählt hat.
Das ist je nach System- und Verlagsgeschichte nicht immer einfach; entweder, weil man betriebsblind ist und der "rettende" Input von außen fehlt, oder umgekehrt, weil das System lange brach lag oder "nur" auf der Stelle trat und die ursprünglichen Autoren nicht mehr ohne Weiteres greifbar sind (und auch nicht umfassend dokumentiert haben, was die Gedanken hinter bestimmten Entscheidungen waren).

Ein richtiger Glücksfall und ein Positivbeispiel ist Warhammer Fantasy.
Da gibt es für alle Editionen eine ausreichend lebendige Fanbasis und es gibt immer noch aktive Autoren, die langjährige Veteranen sind und sich noch gut erinnern, was warum wie gelaufen ist. Andere sind zumindest noch erreichbar und fungieren als Berater und Ideengeber. Die Kommunikation untereinander ist gut und das Ganze ist schon so lange in der Welt, dass alles Denkbare gedacht und alles Versuchbare versucht worden ist.
Das führt dazu, dass die wahrgenommenen Probleme der ersten und zweiten Edition zu 100% bekannt sind und es für viele längst informelle Lösungen gab, bevor an die vierte Edition überhaupt gedacht wurde.

In Sachen Dokumentation gibt es z.B. einen Blog, wo sich damals und teils bis heute Beteiligte noch mal mit unterschiedlichsten Aspekten der ersten und zweiten Edition befassen - für die hier angesprochenen Zwecke eine wahre Goldgrube.
https://awesomeliesblog.wordpress.com/


Ansonsten ist Spieldesign als kreativer Prozess schlecht planbar. Manches muss sich erst setzen, bisweilen muss man einfach mal Abstand gewinnen und wenn man sich mit einem Thema eine Weile gar nicht befasst, kommt auf einmal die richtige Idee, die in dem Moment völlig offensichtlich erscheint und bei der man sich sofort fragt, warum man nicht gleich drauf gekommen ist.

Da ist es manchmal sogar besser, wenn man sich nur hobbymäßig damit befasst und nicht "auf Kommando" eine neue, innovative und rundum bessere Edition zuwege bringen muss - dass das recht leicht daneben gehen kann, ist ja eigentlich klar.


Dazu auch:
Bei den angesprochenen Problembären DSA und Shadowrun, die den Bruch gewagt haben, ist mein Eindruck, dass die Verzweiflung über die Probleme des eigenen Systems so groß war, dass man sich dachte, man ritte ein totes Pferd und stiege lieber ab bzw. wagte besser den Reboot. Das illustriert meiner Meinung nach ganz gut die Schwierigkeit, die oben genannten vier Dimensionen vernünftig auszubalancieren. Zumindest im Falle von Shadowrun bin ich der Meinung, dass das auch an einem fragwürdigen Verständnis der eigenen Stärken und Schwächen bzw. dem Festhalten an einigen untauglichen Setzungen geschuldet ist.

Das sehe ich genauso.
Bei Shadowrun hat man Probleme mMn überbewertet, die mit dem angesprochenen Abstand und etwas Ruhe gut hätten gelöst werden können, ohne das System radikal umzustellen.
So hat man zwar einige der erkannten Probleme aus der Welt geschafft (anderen hat man nur einen neuen Mantel angezogen), aber zugleich völlig neue aufgeworfen - wie das eben passieren kann, wenn man etwas völlig Neues schafft.

DSA3 zu DSA4 ist mMn in Sachen Spieldesign ein geradezu perfektes Beispiel, wie so was komplett schiefgehen kann.
In der Spielerschaft längst bestehende, durchaus "verträgliche" Lösungen wurden verworfen. Stattdessen hat man darauf gesetzt, den damaligen Designtrends nachzurennen. Das ist erst mal nichts Schlechtes und ich erinnere mich noch gut, dass ich im Vorfeld vieles davon als positiven Schritt wahrgenommen habe.
Aber die Umsetzung ist dann schwer gescheitert - wenn man z.B. ein Punktekaufsystem einführt, müssen dort auch gleichwertige Optionen angeboten werden. Das ist ja gerade der Witz an einem Kaufsystem. Stattdessen gab es Kombinationen, die rechnerisch komplett sinnbefreit, weil klar schlechter, waren.

Abschließend sei allerdings angemerkt: während ich für große Systeme eine konservative, evolutionäre Strategie für nützlich halte, bedeutet das nicht unbedingt, dass neue Systeme das ebenso halten müssen. Die haben dann allerdings, selbst wenn sie sauber designt sind, natürlich das Problem, dass sie sich erstmal in einem Markt, der von zahlreichen alten Marken dominiert wird, etablieren müssen.

Da kommt ja der klassische Heartbreaker her: "So wie XYZ, nur mathematisch sauber/ohne Problem A/mit den offensichtlich fehlenden Optionen B und C".
Die tun mir manchmal richtig leid, wenn ich der Meinung bin, dass zeigbar bestehende Probleme wirklich sauber gelöst worden sind, aber der Markterfolg dann aus völlig anderen Gründen ausbleibt.

Im Rollenspiel kann ich immerhin dafür sorgen, dass so was dann in meiner Runde genutzt wird - in anderen Bereichen gibt es das ja genau so, aber da geht die gute Idee gegen den erdrückenden Marktanteil derer, die vorher da waren, sang- und klanglos unter.
Da muss man sich dann sogar noch mit einem lachenden und einem weinenden Auge drüber freuen, wenn die "Großen" die gute Idee klauen, weil sie dann wenigstens nicht verloren geht.


Zusammenfassend:
Spieldesign ist - leider und zum Glück - kein linearer Prozess hin zum immer Besseren.
Da gibt es z.B. Trends und Moden, um sich greifende Fehlinterpretationen und vieles mehr.
Genau so gibt es aber auch die eine zündende Idee, die mit einem Schlag lang bestehende Probleme wegwischt; aber dann ist immer noch nicht gesagt, ob sie sich auch in der Fläche durchsetzt.

Unterm Strich ist das Ganze ein steter Kampf darum, dass gemachte Erfahrungen ebenso wenig verloren gehen wie das Wissen um frühere Designentscheidungen.
Wo das gelingt, kann man auf Bestehendes aufbauen und tatsächlich einen Schritt hin zum rundum Besseren gehen.
Wo es nicht gelingt (eventuell, weil es gar nicht mehr möglich ist), wird auf gut Glück gebastelt und in bestimmten Situationen ist man tatsächlich besser dran, wenn man alles Alte verwirft und komplett von vorne beginnt - das birgt aber große Risiken und ist i.d.R. nicht weniger Aufwand, als den Versuch einer Exegese und eines Nachvollziehens der alten Konstruktion zu unternehmen.

Wer einen der angesprochenen großen Brüche wagt, dem muss klar sein, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit bestenfalls die Voraussetzungen schafft, um die übernächste Edition zu einer gelungenen Konstruktion zu machen.
"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
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