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[HeroQuest Glorantha] Die elf Lichter
Chiarina:
Endlich kommt unsere HeroQuest Kampagne in Gang. Wir spielen die "The Eleven Lights" Kampagne mit Figuren aus dem Clan der roten Kuh, wie es in der Settingbeschreibung "The Coming Storm" vorgeschlagen ist.
Hintergrund
Unsere Kampagne beginnt mit einem Prequel Ende 1617. Sartar ist vom lunaren Imperium besetzt. Der Clan der roten Kuh gehört dem Stamm der Cinsina an, dieser wiederum ist Teil des Königreichs Sartar. In der größten Siedlung des Clans, dem Fort der roten Kuh, geht das Leben weiter, so gut es unter den fremden Herren eben möglich ist. Im Zentrum der Siedlung steht eine Festung, von der aus die lunaren Besatzer ihre Kontrolle über den Clan ausüben. Die Verehrung des wichtigsten Gottes in Sartar, Orlanth, ist den Bewohnern untersagt. Außerdem bemüht sich das lunare Imperium Konvertiten für ihren Kult der Sieben Mütter zu gewinnen. Die Clans ächzen unter den Tributen, die sie an das lunare Imperium entrichten müssen.
Der Clan der roten Kuh ist gegenwärtig in eine Blutfehde verstrickt. Einer der üblichen Überfälle des nördlich ihrer Ländereien beheimateten Clans der Smaragdschwerter, bei denen das Vieh der Nachbarclans gestohlen wird, ist vor zwei Jahren außer Kontrolle geraten. Die Smaragdschwerter zündeten Tormakts Farm, das Gut von Kangharl Schwarzstirn, an, in dem einige Frauen und Kinder verbrannten. Obwohl sich Broddi Sippenstark, der Häuptling des Clans der roten Kuh, mit Duruvan dem Fetten, dem Häuptling der Smaragdschwerter, auf eine Wergeldzahlung einigte und den Streit beilegte, hat Kangharl Schwarzstirn, der bei dem Massakker auch seine Frau verlor, das Abkommen nie akzeptiert. Er besteht darauf, seine Ehre mit Blut wiederherzustellen. Anfang des Jahres 1617 führte er einen Vergeltungsüberfall auf die Ländereien der Smaragdschwerter an. Vordergründig ging es auch dabei zunächst einmal um die Viehbestände des Feindes. Der an dem Raubzug teilnehmende Jarstak Bürstenbart, ein Leibwächter des Häuptlings Broddi Sippenstark, tötete dabei allerdings Torath Seidenhose, einen Mann der Smaragdschwerter. Nach diesem Ereignis waren alle Abkommen null und nichtig. Rostakus Doppelbandit, der Waffenmeister der Smaragdschwerter, verabredete sich mit Jordarn, dem Rassler, Waffenmeister des Clans der roten Kuh, im nahegelegenen Hasardfurt um die Fehde dort in Form eines Duells beizulegen. Vor einer guten Woche tötete Rostakus Doppelbandit bei diesem Duell Jordarn, den Rassler. Die Auseinandersetzung ist inzwischen unter dem Namen Seidenhosenfehde bekannt und in vollem Gange.
Spielerfiguren
Die Kampagne startet mit sechs Angehörige des Clans der roten Kuh, die sich in diesen turbulenten Zeiten im Fort des Clans oder in nahegelegenen Siedlungen befinden und in die folgenden Ereignisse hineingezogen werden.
Engerim (Runen: Luft, Leben, Glück), ein wissbegieriger Tischlerlehrling. Er wohnt im Fort der roten Kuh bei seinem Meister Derik Holzschnitzer. Seine Eltern sind verstorben, daher muss er auf seine jüngere Schwester Kjelvor aufpassen.
Finfin Ohnebart (Runen: Luft, Harmonie, Sartar), ein tierlieber Viehhirte. Er wohnt im Örtchen Grünweide bei dem Gutsherrn, für den er arbeitet. Seine Eltern wohnen im Fort der roten Kuh. Finfin ist gutgläubig und wenig kriegerisch und steht daher etwas im Schatten seiner starken Schwester Ida, die die Kriegergöttin Vinga verehrt und sich bereits einen Platz unter den Kriegern des Clans sichern konnte. An Finfins Seite findet sich oft sein Aluchs Mikyra, der ihn beim Viehhüten unterstützt.
Orldes (Runen: Luft, Stasis, Wahrheit), ein neugieriger Schreiber. Er wohnt beim Geistermagier Barmast etwa eine Stunde südlich vom Fort der roten Kuh. Orldes ist Sohn eines Händlers und die einzige Spielerfigur, die ursprünglich nicht aus dem Clan der roten Kuh stammt. Sein Vater hat ihn auf lange Handelsreisen mitgenommen bis Orldes größter Nachteil sichtbar wurde. Als der Junge etwa 1 Meter groß war hörte er zu wachsen auf. Die Kunden von Orldes Vater lachten über ihn, manchen war er auch nicht ganz geheuer, in jedem Fall wirkte sich seine Anwesenheit nicht unbedingt vorteilhaft für die Geschäfte seines Vaters aus. Daher wurde Orldes bei einem Besuch im Clan der roten Kuh vorläufig im Haus des Geistermagiers Barmast untergebracht. Der unheimliche Mann fasste Zuneigung zu dem Zwergenwüchsigen und fertigte für ihn einen Talisman an, mit dem Orldes Illusionen heraufbeschwören konnte. Später verschlug es Orldes nach Jonstadt, wo er längere Zeit in der bekannten Bibliothek verbrachte und die Mythen und Sagen der Völker von Sartar studierte. Schließlich kehrte Orldes zum Clan der roten Kuh zurück, wo es ihm gelang, dem Häuptling Broddi Sippenstark zumindest hin und wieder mit guten Ratschlagen zur Seite zu stehen. Orldes ist der erste Schriftkundige des Clans und dabei, die Überlieferungen, Verträge und wichtige Abkommen des Clans schriftlich festzuhalten.
Barmast (Runen: Luft, Tod, Geist), ein unheimlicher Geistermagier aus der Sippe der Sarostiping. Er wohnt etwa eine Stunde südlich vom Fort der roten Kuh. Barmast hat schon kurz nach seiner Initiation seine Veranlagung für die Geisterwelt erkannt. Im Clan gab es allerdings niemanden, der ihn in diesem Bereich ausbilden konnte. Barmast verließ daher den Clan der roten Kuh, um einen Lehrmeister zu finden. Auf seinem Weg begegnete er in einem Wald einem Angehörigen der Telmori Wolfsmenschen, der von einer großen Schlange angefallen wurde. Instinktiv attackierte Barmast diese Schlange mit seiner ungezügelten Geisterkraft, worauf sie zurückwich. Der gerettete Schamane erkannte die Kraft in Barmast, nahm ihn mit zu seinen Schwestern und Brüdern und bildete ihn zum Geistermagier aus... dabei erfuhr er, dass es sich bei dem Geretteten um Kostajor Wolfsstreiter, den berühmtesten Krieger und Schamanen der Telmori Wolfsmenschen, handelte. Kostajor ist für sein Rudel auch als Schamane tätig und erkannte Barmasts Potential. Er nahm ihn mit zu seinen Brüdern und Schwestern und bildete ihn zum Geistermagier aus. Einige Telmori beäugten Barmast allerdings misstrauisch und lehnten sich gegen seine Anwesenheit in ihrem Rudel auf. Irgendwann war die Lage nicht mehr haltbar und Kostajor bat Barmast, die Telmori zu verlassen. Barmast glaubte genug gelernt zu haben und kehrte zum Clan der roten Kuh zurück, wo er seinen Unterhalt damit verdient, dass er Kontakt zu den Verstorbenen und Ahnengeistern aufnimmt. Zu ihm kommen opferbereite Hinterbliebene, die mit ihren verstorbenen Lieben sprechen wollen, und Clanmitglieder, die sich von Geistern heimgesucht fühlen.
Mersyn (Runen: Erde, Bewegung, Bär). Mersyn ist die Gehilfin von Frekor Tiefwald, dem Geweihten des Gottes der Jäger Odayla. Sie wohnt im Fort der roten Kuh auf der Ostseite im Haus ihrer Eltern. Mersyn ist für die rituellen Schlachtungen des Clans zuständig und deshalb auf allen Zeremonien ein gern gesehener Gast. Mersin besitzt einige Schwestern und ist öfter unterwegs, um ihre verstreute Verwandtschaft zu besuchen. Manchmal begibt sie sich auch auf Handelsreisen. In Wahrheit sind diese Reisen aber nur vorgeschoben. Mersyn ist ein junges Mitglied der Rebellen gegen die lunare Besatzung und sieht es als Schmach an, dass ihr Clan unter der lunaren Besatzung Orlanth nicht mehr verehren kann. Weil sie sich nach einem freien Sartar und der Möglichkeit einer freien Religionsausübung sehnt, unternimmt sie im Auftrag der Rebellen Botengänge und andere Reisen zu Mitgliedern und Sympathisanten.
Jhorn (Runen: Luft, Bewegung, Ewiger Kampf). Jhorn ist 24 Jahre alter freiheitsliebender Jäger und Waldläufer aus der Sippe der Osmanning. Er lebt im Örtchen Weißwasser. Er musste miterleben, wie sein Vater und sein Bruder bei einem Überfall der Telmori Wolfsmenschen ermordet wurden und leidet unter diesem Erlebnis noch heute. Seine Familie wurde seitdem von seiner Mutter und seiner Schwester geführt. Er hat sich währenddessen als Jäger spezialisiert, führt aber auch noch das Runenschwert "Wolfstöter", ein Erbstück seines Vaters. Nach dem Tod seines Vaters zeigte sich Jhorn zunächst kaum, hatte einen düsteren Blick und sprach nicht. Inzwischen hat sich seine zurückgezogene Art allmählich etwas gelegt. Jhorn schätzt den in der Nähe lebenden lunaren Landbesitzer Jomes Hostralos, weil er mit seinen Männern ein Bollwerk gegen die Telmori bildet, er betrachtet die lunaren Besatzer aber gleichzeitig mit einem gewissen Argwohn, weil er die mit ihnen verbundenen Nachteile für seinen Clan auch erkennt. Auch Jhorn besitzt einen jungen Aluchs namens Yinks als Tiervertrauten.
Nach zwei Abenteuern verlassen uns die Spieler von Engerim und Finfin, deren Figuren nun ein geruhsameres Dasein als Nichtspielerfiguren führen werden. Dafür gesellt sich eine neue Figur zu den Spielerfiguren dazu:
Broakhar Sonnenschild (Runen: Luft, Bewegung, Meisterschaft). Broakhar ist ein 25 Jahre alter Leibwächter des Gutsherrn Rostaval der Unartige. Neben seinen guten Kampffertigkeiten betätigt er sich außerdem noch gern in der Herstellung von Schilden, die üblicherweise aus Holz sind und mit Leder bespannt werden. Hin und wieder stellt er auch ein Schild mit Bronzefassung her. Zu diesem Zweck arbeitet er dann mit Willandring, dem Riesen zusammen, der im Fort der roten Kuh aufgrund seiner durchtrennten Fußsehnen ein armseliges Dasein fristet und sich nur hin und wieder auf einem großen Rollwagen durch die Gegend schiebt. Das außergewöhnlichste Schild des Clans besitzt aber Broakhar selbst. Es ist ein reines Bronzeschild, in das Runen eingraviert sind. Broakhar stammt aus der Tormakting Sippe und ist mit der Heilerin Ustarna Tatenreich verheiratet.
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Wie sich leicht erkennen lässt, sind die Spielerfiguren sehr unterschiedlich detailliert ausgearbeitet. Das System macht das möglich. Letztlich sind die Spieler ähnlich unterschiedlich. Einige sind schon mitten drin im Setting, andere blinzeln noch etwas verdutzt mit den Augen. Macht nichts.
Ein paar Angaben fehlen noch, ein paar Dinge sind auch noch nicht festgelegt. Ich werde sie beizeiten hier nachtragen.
Chiarina:
Es ist der Frosttag der Harmoniewoche in der Dunkelzeit 1617. Wie immer in der Dunkelzeit verbringt die Königin des Stammes der Cinsina, Ivartha Wolfshäuterin, mit ihrem Gefolge ihre Zeit bei ihrem Heimatclan, dem Clan der roten Kuh.
Eine Woche lang war der Leichnam von Jordarn, dem Rassler, in seinem Haus aufgebahrt. Solange dauert es, bis die Seele eines Verstorbenen den Stillen Hof erreicht. Jeder, der wollte, konnte hingehen und dem Toten die letzte Ehre erweisen. Der Herd in Jordarns Haus blieb in dieser Zeit kalt. So ist es üblich.
Nun ist der Tag der Beerdigung gekommen. Vor Jordarns Haus an der Ostseite des Forts der roten Kuh versammeln sich viele Mitglieder des Clans. Engerim, Finfin, Orldes, Barmast, Mersin und Johrn sind auch dabei. Weil der Verstorbene ein wichtiger und bekannter Mann war, haben sich aber auch noch einige illustre Persönlichkeiten eingefunden. Zu sehen sind unter anderem Häuptling Broddi Sippenstark, der Gutsherr Kangharl Schwarzstirn, Jaranil der Donnerer, der Anführer der Leibgarde Broddi Sippenstarks, und sogar Königin Ivartha Wolfshäuterin. Schweigend wird der Leichnam aus seinem Haus geholt und auf eine hölzerne Bahre gelegt.
In dieser Dunkelzeit ist zwar ist noch kein Schnee gefallen, aber es ist bereits empfindlich kalt. In Mäntel und Felle gehüllt bewegen sich die Menschen vom Clan der roten Kuh durchs Dorf. Auf dem Marktplatz werden bereits Vorbereitungen für das Fest getroffen, das nach Jordarns Beerdigung stattfinden soll. Die vier Männer, die den Toten tragen, bringen ihn dort vorbei, aus der Siedlung hinaus und zum Urnenfeld, wo er mitsamt seiner Bahre auf einem Scheiterhaufen abgestellt wird. Unter der Leitung des Gutsherrn Orkarl Eisenbart entzündet Barmast mit ein paar weiteren jungen Männern das Holz. Noch immer schweigend und frierend stehen die Menschen um Jordarns Scheiterhaufen und sehen mit an, wie die Flammen bis zu seinem Körper hinauf züngeln.
Nach und nach wird das Feuer größer und den Menschen vom Fort der roten Kuh wird wärmer. Ein paar Gesichter wirken in Gedanken versunken und erinnern sich möglicherweise an den Verstorbenen und gemeinsame Erlebnisse.
Da tritt die vierjährige Natalsin Farstesdottir an Johrn heran und spricht zu ihm: „Jetzt kommt doch der Moment mit den Grabbeigaben! Schau, was ich für den Toten habe“, worauf sie ihm ein abgebrochenes Jagdmesser in die Hand drückt. „Kannst du nicht dafür sorgen, dass das hier mit in sein Grab kommt?“ Doch Johrn reagiert abweisend. Er antwortet: „Das ist Sache der Angehörigen. Stecke dein Messer wieder ein!“ Geknickt läuft das Mädchen durch die Trauergemeinde und versucht es bei Engerim. Hier zeigt sie eine bunte Tonscherbe vor. Sie bittet Engerim, sich dafür einzusetzen, dass sie diese Grabbeigabe mit in die Urne legen darf. Engerim wendet sich an den Sohn des Verstorbenen, erntet aber nur Unverständnis. „Was soll diese Tonscherbe?“ Jordarns Sohn wirft die Scherbe in den Staub. Dann spricht Natalsin Mersin an. Sie soll dafür sorgen, dass Natalsin dem Verstorbenen eine zerbeulte kleine Kupferflasche auf seinem Weg ins Jenseits mitgeben darf. Mersin wendet sich an die Ehefrau des Verstorbenen. Es ist nicht leicht, die Aufmerksamkeit der trauernden Frau zu gewinnen, schließlich aber murmelt die Frau: „Ich werde sehen, was ich tun kann“, nimmt die Kupferflasche entgegen und steckt sie sich in die Tasche. Am Tag von Jordarns Beerdigung bleibt es für Natalsin bei diesem einen Erfolg. Sie versucht hinterher noch Finfin von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass der Tote einen zerrissenen, wenn auch hübsch verzierten, Gürtel mit ins Jenseits nehmen muss und probiert es bei Orldes mit einem Axtkopf ohne Stiel. Die Verwandten des Verstorbenen reagieren aber abweisend und möchten in Ruhe trauern. Zuletzt setzt sich Natalsin ans Feuer neben den unheimlichen Barmast. Sie zeigt ihm eine Knochennadel mit einer kleinen Öse und fragt ihn, ob er glaube, dass Tote im Jenseits hin und wieder nähen müssen. Barmast sagt dem Kind: „Wirf die Nadel ins Feuer. So wie der Leichnam verbrennt und sein Geist ins Jenseits übergeht, so kannst du auch die Nadel verbrennen“. Natalsin schaut Barmast überrascht an und wirft die Nadel ins Feuer.
Allmählich erlischt das Feuer. Jordarns Angehörige holen Schaufeln herbei und stoßen sie in die Asche. Die Asche wird Orlanth übergeben indem sie im Wind verstreut wird. Jordarns Sohn sammelt seine Knochen und andere unverbrennbare Überreste ein und legt sie in eine Urne, die dann zusammen mit einigen Grabbeigaben auf dem Urnenfeld vergraben wird. Natalsin und Mersin beobachten zufrieden, wie eine zerbeulte Kupferflasche mit in die Urne gelegt wird.
Nach der Beerdigung kehren die Menschen zurück ins Dorf und damit in die Gegenwart. Sie beginnen wieder miteinander zu sprechen. Auf dem Marktplatz brennen bereits Feuer. In Kesseln wird eine kräftige Gemüsebrühe und Wein gewärmt. Jordarns Angehörige richten ein Fest aus um zu feiern, dass der Verstorbene zu den Ahnen eingegangen ist, sie selbst aber noch am Leben sind. Die Feiernden preisen das Leben des Verstorbenen und berichten von seinen großen und kleinen Taten.
Schon bald erhebt sich als erste Rednerin Königin Ivartha Wolfshäuterin und spricht: „Werte Brüder und Schwestern vom Clan der roten Kuh. Ein großer Mann hat uns verlassen und ich will den Anlass nutzen, von einem Ereignis zu erzählen, das ich mit ihm gemeinsam erlebt habe. Es war zur Zeit der Wolfsjagd. Ich stand Seite an Seite mit Jordarn, dem Rassler im Wolfsland. Unsere kleine Truppe hatte einen Unterstand errichtet, in dem wir die Nacht verbringen wollten. Ich hatte zusammen mit Jordarn die erste Wache. Es dauerte nicht lange, da begann vielleicht ein paar hundert Meter entfernt ein Wolf zu heulen. Ein zweiter antwortete. Weitere folgten. Wir bemerkten, dass ihre Rufe von allen Richtungen erklangen. Ich stand unter höchster Anspannung, sah aber im dunklen Wald sehr schlecht. Außer dem Heulen der Wölfe ereignete sich nichts. Obwohl ich völlig untätig war, stand mir der Schweiß auf der Stirn. Da erklang plötzlich Jordarns Stimme, vielleicht einen Meter neben mir. Er erzählte mir eine Geschichte aus seiner Kindheit. Damals hatten es zwei oder drei ältere Knaben auf ihn abgesehen. Sie lauerten ihm auf und wollten ihn verprügeln. Die Schläger waren groß und stark und Jordarn hatte Angst vor ihnen. Er rannte davon. Jordarn erzählte mir, dass er als Kind voller Ängste war. Er wurde öfter „Feigling!“ gerufen. Das änderte sich, als Jordarn zum ersten Mal an einem Viehdiebstahl teilnahm. Die Sache ist nicht gut gelaufen. Die Viehdiebe vom Clan der roten Kuh sind erwischt worden. Unter normalen Umständen hätten sie wohl die Flucht ergriffen. Ein Mann hatte allerdings auf dem Weg in ein Kaninchenloch getreten und humpelte, ein anderer war am Rande seiner Kräfte. Jordarn erkannte, dass den beiden die Flucht nicht glücken würde. Das war der Moment, in dem er seine Furcht überwand. Er begriff, dass es hier gar nicht um ihn ging, sondern um den Clan. Da nahm er seinen Speer, trat den Angreifern entgegen und rief seinen Männern zu, dass sie die Stellung um die beiden Angeschlagenen halten sollten. Als mir Jordarn in unserem Unterstand diese Geschichte erzählte, wurde auch ich ruhiger. Mir wurde bewusst, dass jeder von uns das Zeug zum Helden hatte.“ Hier richtet sie ihren Blick auf Broddi Sippenstark, der unruhig auf seiner Bank hin und her rutscht. „Da wusste ich auch, dass wir die Telmori schlagen konnten. Ich leere meinen Krug auf Jordarn, den Rassler, und gedenke dem Mann, der sich selbst zum Helden machte.“ Nach ihrer Rede fällt ihr Blick auf Johrn, dem sie ein aufmunterndes Lächeln schenkt. Die Anwesenden heben ihre Weinhumpen und prosten einander zu.
Emalr, die etwa 11 Jahre alte Enkelin Jordarns, tritt auf Engerim zu und meint bitter, dass ihr Großvater gestorben sei, offensichtlich aber niemand trauere und alle nur darauf aus seien, möglichst viel Wein in sich hinein zu kippen und dumme Witze zu reißen. Emalr ärgert sich und würde am liebsten das Fest verlassen. Engerim erklärt ihr aber in aller Ruhe, dass es ein Fest zu Ehren ihres Großvaters sei. Es sei wichtig, dass sich der Clan an einen so wichtigen Mann erinnere. Genau dies geschehe hier. Emalr betrachtet nachdenklich das weitere Treiben auf dem Marktplatz.
Dann ergreift Häuptling Broddi Sippenstark das Wort: „Männer und Frauen vom Clan der roten Kuh! Jordarn, der Rassler hat uns für immer verlassen. Sein Tod ist für uns alle ein herber Verlust, vielleicht bietet er aber auch eine Chance. Jordarn war sein gesamtes Leben über ein Krieger. Wenn sein Kettenhemd rasselte, wussten seine Gegner, dass sie es mit einem hervorragenden Gegner zu tun bekommen. Unser Clan befand sich aber nicht sein ganzes Leben über im Krieg. Jordarn hat das nicht gestört. Er wusste, dass er dem Clan trotzdem nützlich war, trainierte mit seinen Waffen und arbeitete an seiner körperlichen Verfassung. Obwohl er sich nie zu unüberlegten Handlungen hinreißen ließ hörte sein Kettenhemd auch in Friedenszeiten nicht auf zu rasseln. Die Sicherheit, in der unser Clan in den letzten Jahren wachsen und gedeihen konnte, haben wir zu einem großen Teil ihm zu verdanken, denn unsere Feinde überlegen es sich nicht zweimal, sondern dreimal, unser Land zu überfallen, wenn Männer wie Jordarn zu Verteidigung bereit stehen. Unser Clan braucht Männer wie ihn, die auch in Friedenszeiten für den Krieg trainieren. Unser Clan braucht aber auch Männer, die sich in Kriegszeiten um den Frieden bemühen. Und wir können uns glücklich schätzen, dass unser Clan Männer und Frauen in beiden Bereichen besitzt. Lasst uns versuchen, jedem von uns die Gelegenheit zu geben, seine Stärken in den Dienst des Clans einzubringen. Lasst uns Jordarns Tod zum Anlass nehmen an einem Strang zu ziehen. Und lasst uns als Zeichen dafür unserem Nachbarn an diesem Fest die Hand geben!“ Broddi reicht daraufhin Königin Ivartha Wolfshäuterin die Hand, die diese mit leichtem Zögern ergreift und schüttelt.
Auch Barmast, Engerim, Mersin, Johrn und Finfin schütteln die Hände ihrer Nachbarn. Orldes allerdings steht neben einer weiteren bekannten Persönlichkeit des Clans. Gringle Erntekönig ist das Sippenoberhaupt der Osmanning und bekannt dafür, den Weiler Siebeneichen wieder auf Vordermann gebracht zu haben. Von keinem Ort auf dem Clangebiet ist so viel Pfusch und Schluderei ausgegangen wie von dort, aber seit Gringle Erntekönig und seine Frau Orsa Trollkrämerin dort das Regiment übernommen haben, scheint die Siedlung wieder im Aufwind begriffen zu sein. Orldes weiß außerdem, dass Gringle mit Häuptling Broddi befreundet ist. Man munkelt auch, dass der vom lunaren Imperium gesuchte Orlanthpriester Ashart Abendschlucker hin und wieder bei Gringle und Orsta Unterschlupf findet. Nach Broddis Rede wirft Gringle Erntekönig Orldes ein herzliches Lächeln zu und hebt den kleinen Mann ein wenig in die Höhe: „Der kluge Kopf ist die beste Waffe! Ich bin froh, dein Clanbruder zu sein, Orldes!“ Orldes räuspert sich ein wenig und nickt Gringle freundlich zu.
Dann ergreift Kangharl Schwarzstirn das Wort und spricht: „Männer und Frauen des Clans der roten Kuh! Wir haben einen großen Krieger verloren! Wir sollten ihn in guter Erinnerung behalten. Und wenn wir an ihn denken, sollte uns das auch noch an andere Dinge erinnern. Erstens hinterlässt Jordarn, der Rassler, eine Lücke in unseren Reihen. Wir sollten uns bemühen sie zu schließen. Zweitens brauchen junge Krieger Gelegenheiten ihre Fähigkeiten im Kampf zu trainieren. Der Clan der roten Kuh ist faul und träge geworden. Drittens ist Jordarn keinen natürlichen Tod gestorben. Er wurde provoziert und ermordet. Sein Tod sollte gerächt werden. Viertens befinden wir uns in einer Fehde mit den Smaragdschwertern. Wir sitzen schon zu lange untätig in unseren Häusern. Der Tod des Rasslers sollte nicht umsonst gewesen sein. Er sollte uns aufrütteln. Wer sich wie er für den Clan und die Gerechtigkeit einsetzt, der finde sich mit anderen Gleichgesinnten an den Wildtagen in meiner Halle ein. Hier planen wir unser Vorgehen zur Seezeit im nächsten Jahr.“
Eifrige Hochrufe sind zu hören und Weinhumpen schlagen aneinander. Viele Anwesende zollen Kangharl ihren Respekt. Der fünfjährige Korstar allerdings steht direkt neben Barmast und beklagt sich: „Ich habe einmal in der Nähe von Jordans Kuhweide gespielt. Jordarn hat geglaubt, dass ich das Gatter aufgelassen habe und hat mir eine Ohrfeige gegeben. Dabei war ich es gar nicht. Ich hatte keine Schuld. Kangharl sagt, Jordarn habe sich für Gerechtigkeit eingesetzt. Das kann ich nicht glauben. Er war ungerecht!“ Barmast erklärt dem Jungen ruhig, dass sich Jordarn bei dieser Angelegenheit offensichtlich geirrt habe. Er habe aber auch sehr viele Verdienste. Weil diese Verdienste schwerer wiegen, als Jordarns Fehler, wird er heute geehrt. Korstar hört Barmast zu, nickt unsicher und beginnt nachzudenken.
Schließlich bittet Jaranil, der Donnerer mit erhobener Hand die Versammelten um Ruhe und beginnt zu sprechen: „Liebe Trauergäste. Seht mich an. Ich war stets ein Bewunderer von Jordarn, dem Rassler. Er war für mich Vorbild und Wegweiser. Ich erinnere mich an die das Massaker von Tormakts Farm. Als das Thema in aller Munde war, konnte jedermann leicht das Feuer der Rache in Jordarns Augen lodern sehen. Broddi aber hat damals mit den Smaragdschwertern verhandelt und Frieden geschlossen. Damit war für Jordarn eine Entscheidung gefallen. Seine Loyalität dem Clan und unserem Häuptling gegenüber war so groß, dass er ganz selbstverständlich seine eigene Meinung hinten anstellte. Dann aber wollten Kangharl und ein paar junge Männer zum Viehdiebstahl bei den Smaragdschwertern aufbrechen. Auch Jordarn wurde gefragt, ob er daran teilhaben will. Ich bekam mit, wie Jordarn ablehnte. Er befragte dann aber einen jungen Mann nach dem anderen, ob er sich der Folgen seines Tuns bewusst sei. Immerhin handelten sie gegen den Willen unseres Häuptlings. Ein paar der jungen Krieger überlegten es sich anders und blieben zuhause. Die aber, die entschlossen waren, versammelte Jordarn ein paar Tage vor dem Raubzug um ihnen ein paar Tipps auf den Weg zu geben. Er erzählte ihnen von den Smaragdschwertern, ihrem Gegner, und den strategischen Gegebenheiten ihrer Ländereien. Er zeigte ihnen noch ein paar Tricks im Kampf und bildete sie aus, soweit es die kurze Zeit noch erlaubte. Jordarn hat Broddis Anordnungen nicht gebrochen. Als er aber die Entschlossenheit der jungen Männer sah, unterstützte er wie selbstverständlich auch sie. Wenn wir an den Verstorbenen denken, dann sollten wir auch versuchen verschiedene Mitglieder unseres Clans zu verstehen. Wir sollten begreifen, was wir dem von Broddi herbeigeführten Frieden zu verdanken haben. Wir sollten aber auch verstehen, dass junge Männer Gelegenheiten brauchen um sich zu beweisen. Es muss nicht immer gleich eine Blutfehde sein, aber ein gelegentlicher Viehdiebstahl verhindert, dass die jungen Männer des Clans am Nichtstun verzweifeln und einrosten.“
Die jungen Männer des Clans brechen in Hochrufe aus und das Fest steuert seinem Höhepunkt entgegen. Einige Zeit später läuft eine aufgeregte Mutter durch die Reihen der Feiernden. Es ist Senrella Treublick, die Mutter von Natalsin Farstesdottir. Sie sucht ihre Tochter und findet sie nicht. Daher fragt sie die Feiernden, ob sie sie gesehen haben. Nach und nach kommen auf diese Weise die Clanangehörigen, die mit Natalsin Kontakt hatten, zusammen. Orldes überlegt, ob Natalsin nicht eventuell noch einmal zum Urnenfeld zurückgekommen sein könnte, um ihre übrigen Grabbeigaben auch noch in der Urne zu verstauen. Er sieht mit Finfin, Mersin und Natalsins Mutter nach. Das Mädchen ist dort aber nicht zu finden. Nachdenklich kehren die Suchenden zum Fest zurück. Da bemerkt Finfin, dass es ja letztlich Müll war, den Natalsin dem Toten auf seinem Weg ins Jenseits mitgeben wollte. Woher kann sie den Müll haben?
Schnell fällt den Anwesenden das Kliff am Nordrand des Forts der roten Kuh ein. An diesem Felssporn besitzt die Siedlung keine Mauer. Das steile Kliff, das hier zum Heortbach abfällt, lässt sich vom Gegner im Falle eines organisierten Angriffs kaum erklimmen. Es bietet auch eine gute Aussicht auf die jenseits des Baches gelegenen Ebenen von Donalf. Vor allem aber ist das Kliff der Ort, an dem die Bewohner des Forts der roten Kuh ihren Müll in den Heortbach entleeren. Schnell eilen die Clanmitglieder, die mit Natalsin Kontakt hatten, dorthin. Ihnen bietet sich ein beängstigender Anblick. Natalsin klettert auf halber Höhe halsbrecherisch in den Felsen herum und untersucht die aus dem Gestein gewachsenen Büsche auf hängengebliebenen Müll, der irgendwie interessant aussieht. Senrella Treublick beißt sich vor Angst in die Hand, Finfin aber ruft das Mädchen, das nach oben blickt und sich dabei plötzlich der Gefahr bewusst wird, in der sie schwebt. Die Anwesenden können erkennen, wie es unsicher wird und angstvoll nach einem aus dem Kliff wachsenden Busch greift um sich festzuhalten. Besonders vertrauenserweckend sieht der Busch allerdings nicht aus.
Nun werden die Clanmitglieder aktiv. Johrn beginnt zu dem Mädchen hinabzuklettern. Mersin richtet ein kurzes Gebet an Odayla. Johrn spürt daraufhin, wie sich seine Hände an den Fels anpassen und in seinem Körper ein guter Gleichgewichtssinn entsteht. Es erscheint ihm, als klettere er wie ein Bär und schnell hat er das Kind erreicht. Mit dem angsterfüllten Kind auf den Schultern zurück zu klettern ist allerdings extrem gefährlich. Mersin ruft Johrn zu er möge auf ein Seil warten.
Barmast lässt seinen Geist nach immateriellen Wesen suchen. Er will versuchen den Geist des Busches zu kontaktieren und ihn dazu überreden, ein wenig Widerstand zu zeigen. Stattdessen begegnet er aber dem Geist eines Angreifers, der vor vielen Jahren einmal bei einem Sturz vom Kliff im Heortbach den Tod fand. Der Verstorbene weist Barmast darauf hin, dass sein Leichnam immer noch im Flussbett liege und auf seine Bestattung warte. Barmast verspricht sich darum zu kümmern, verlangt im Gegenzug aber, dass der Geist ein Ausreißen des Busches verhindert. Der Geist verspricht das... aber ob er wirklich tätig wird bleibt ungewiss. Immerhin hält der Busch noch einen Moment.
Am oberen Ende des Kliffs schlägt Engerim einen Nagel in den Fels. Finfin läuft ins Dorf um dort ein Seil aufzutreiben. Quälend lange Minuten ist er unterwegs und kehrt schließlich noch rechtzeitig zurück. Johrn setzt sich mit dem Kind in eine Seilschlaufe und unter größten Anstrengungen ziehen Finfin, Engerim und Orldes die beiden nach oben. Dankbar schließt die Mutter ihr Mädchen in die Arme. Dann erteilt sie ihm eine schallende Ohrfeige.
Grinsend kehren die Retter zum Fest zurück. „Nochmal gut gegangen“, sagt Finfin. „Kommt, wir trinken noch einen Humpen Wein!“
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In diesem kleinen Prequel wollte ich:
- alle Spielerfiguren wenigsten ein oder zweimal direkt anspielen
- schon mal ein paar zentrale Figuren in Aktion zeigen
- einen kleinen Einblick in das Fort der roten Kuh geben
- im Spiel Hintergrundinformationen über die Seidenhosenfehde geben
- eine Möglichkeit geben, die doch recht unterschiedlichen Spielerfiguren zu gemeinsamem Handeln zu veranlassen.
Da vorher noch Figuren gemacht wurden, durfte das Ganze nicht zu lang dauern. Letztlich haben wir fast zwei Stunden gespielt. Anfangs habe ich viel erzählt, später dann immer mehr die Spieler. Wir haben nur wenig gewürfelt und wenn, dann waren es nur einfache Proben. Ich habe noch keine Hero Points ausgeteilt und auch noch keine Charaktersteigerung zugelassen. Es ist eben wirklich nur ein kleines, atmosphärisches Prequel.
Fünf von sechs Spielern waren im Geschehen. Beim letzten bin ich mir nicht ganz sicher. In zwei Wochen sehen wir uns schon wieder. Schöne Sache!
Hotzenplot:
Schön geschrieben.
Beim Lesen wirkt es, als gäbe es ein Gefälle im Powerniveau der SC (Handwerker vs. Geistermagier etc.).
Chiarina:
Das ist auch so, aber vielleicht auch nicht so schlimm. Bei dem System kommt es vor allem erstmal darauf an, ob eine Figur überhaupt in Situationen gerät, in denen die eigenen Fähigkeiten hilfreich sein können. Wenn ich etwas erreichen will, muss ich wahrscheinlich irgendeine Fertigkeit anwenden und in der Lage sein darüber eine Geschichte zu erzählen. Solange dem Spieler des Handwerkers genügend Anwendungsbereiche für seine Fertigkeiten einfallen, ist er genauso im Spiel wie der Geistermagier.
Nun ist das Potential der Figuren aber möglicherweise durchaus unterschiedlich leicht abrufbar, das sehe ich auch so. Auch die konkreten Anlagen für Dramatik sind ja sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zum Teil liegt das wahrscheinlich an einer unterschiedlichen Spielermentalität, zum Teil liegt es aber auch daran, dass sich die Spieler von Finfin, Orldes und Barmast schon intensiv in die Welt und das System eingelesen haben, die anderen aber eher weniger. HeroQuest Glorantha kennt nur ein paar ganz rudimentäre Mechanismen um für Balance zu sorgen. Den Rest muss eine Gruppe selbst hinbekommen.
Daher sehe ich das, was uns da vorliegt, auch eher als Work in Progress und hoffe darauf, dass die blasseren Figuren noch etwas an Farbe gewinnen. Und dann müssen wir einfach mal schauen, ob es nicht auch ein paar große Momente für Tischler und Viehhirten geben kann!
Chiarina:
Es ist der Lehmtag der Harmoniewoche in der Dunkelzeit 1617. Zwei Tage nach der Beerdigung von Jordan, dem Rassler finden sich die Retter der kleinen Natalsin in deren Haus ein. Sie sind von der glücklichen Mutter zum Abendessen eingeladen. Bei Tisch werden die neuesten Ereignisse diskutiert. Insbesondere die Begräbnisrede von Kangharl Schwarzstirn erhitzt die Gemüter. Der Gutsherr hat Jordans Beerdigung dafür genutzt, die Clanmitglieder zu Tormakts Farm, seinem Hof, zu rufen. Offensichtlich will er dort Krieger um sich versammeln um gegen den Clan der Smaragdschwerter loszuschlagen. Damit aber würde er sich offen gegen Häuptling Broddi Sippenstarks Bemühungen um Frieden stellen... und einer langen, blutigen Auseinandersetzung Vorschub leisten.
Nach dem Essen ist die Stimmung freundschaftlich. Im Herd brennt ein wärmendes Feuer. Ein paar Becher Met haben die Zungen gelockert und einzelne Mitglieder der zusammen gekommenen Gesellschaft sprechen offen über ihre Sicht der Dinge. Mersyn, die Gehilfin des Odaylapriesters Frekor Tiefwald, zeigt sich besorgt. Sie befürchtet, dass eine Auseinandersetzung einzelner Clans untereinander das Königreich Sartar schwächt. Wenn es nach ihr ginge sollten eher Kräfte gesammelt werden, um endlich das Joch des lunaren Imperiums abzuschütteln. Der Viehhirte Finfin Ohnebart reagiert erschrocken. Gegen das lunare Imperium aufbegehren? Das ist doch Rebellion! Die Konfrontation mit den Smaragdschwertern macht ihm aber auch Sorgen. Der Tischlerlehrling Engerim pflichtet ihm bei. Er ist der aktionsfreudigste Anwesende und denkt laut darüber nach, wie sich Kangharls kriegerische Ambitionen sabotieren lassen könnten. Der Jäger Jhorl sieht die Sache etwas anders. Er betont, dass die Smaragdschwerter sich ja bereits sehr eng mit dem lunaren Imperium verbündet haben. Ein Schlag gegen die Smaragdschwerter sei daher auch ein Schlag gegen das Imperium. Mersyn äußert den Wunsch, zu wissen wie Häuptling Broddi Sippenstark das eigenmächtige Vorgehen Kangharls beurteilt. Sie schlägt vor, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Um nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, wird ein Plan geschmiedet, der zwei Tage später in die Tat umgesetzt wird.
Es ist der Feuertag der Harmoniewoche in der Dunkelzeit 1617. Die Verbündeten stehen vor dem Herrenhaus Broddi Sippenstarks. Es ist ein besonders großes Gebäude, weil es häufig neben Broddis Familie auch noch Königin Ivartha Wolfshäuterin und ihr Gefolge aufnehmen muss. Ungehindert betritt Engerim durch eine reich verzierte Türöffnung die Halle. Ein wenig Licht fällt hier durch einen Rauchabzug im Dach und ein paar enge Fensterschlitze hoch oben in der Ostwand, das meiste Licht erzeugen aber Fackeln an den Wänden und die zentrale Feuerstelle. Diese Feuerstelle ist von Mahomes Feueraluchs, einem bronzenen Gitter mit stilisierten schlafenden Schattenkatzen an den Ecken, abgeschirmt. Dieses Gitter ist eines der Clanschätze. Es sorgt dafür, dass das Feuer unabhängig von den herrschenden Windbedingungen und Temperaturen Wärme und Licht gibt und wenig Brennmaterial verbraucht. Das Feuer brennt quasi permanent und das Brennholz wird nie knapp.
Engerim läuft zielstrebig zwischen den Liegestätten der Leibwächter, leeren Bänken und Biertischen auf den zentralen Tisch der Halle zu, wo sich Häuptling Broddi Sippenstark in einer ernsten Unterhaltung mit Königin Ivartha Wolfshäuterin befindet. Als sich die Neuankömmlinge vor seinem Tisch versammelt haben begrüßt Broddi zuerst das Mitglied der Gruppe, das er am besten kennt: „Orldes, sei gegrüßt! Wen hast du mitgebracht? Sind das nicht die Leute, die sich bei Jordans Beerdigung so rührend um das kleine Mädchen gekümmert haben? Was kann ich für euch tun?“
Engerim räuspert sich und ergreift das Wort: „Broddi, wir sind hier, um dir zu sagen, dass das Kliff im Norden des Forts der roten Kuh gefährlich ist. Wo kleine Mädchen herumklettern, können auch Feinde herumklettern. Wo kleine Mädchen herumklettern, können auch kleine Mädchen abstürzen. Wir meinen, dass die Stelle gesichert werden sollte.“ Broddi versucht abzuwiegeln: „Ja, da kann jemand hochklettern, aber doch sicherlich keine feindselige Armee!“ Engerim meint: „Ein einzelner Feind kann schon zu viel sein.“ Broddi schweigt und schaut den Tischler neugierig an. Dann sagt er: „Was schlägst du vor, Tischlerslehrling?“ Das ist Engerims großer Moment. Er erzählt Broddi von einer gesicherten Plattform, die sich aus Holzbalken auf dem Kliff montieren ließe. Er plant auch eine Luke, durch die die Bewohner des Forts weiterhin ihren Müll entsorgen können – dann aber dort, wo er nicht in irgendwelchen Büschen hängen bleibt, sondern vom Heortbach weggespült wird. Broddi nickt vorsichtig und fragt: „Hast du Zeit für diese Arbeit, Tischlerslehrling?“ Engerim bejaht und erklärt, dass er dabei auch auf die Mithilfe seiner Freunde hoffe. Broddi ist von dem tatkräftigen jungen Mann beeindruckt und erteilt ihm den Auftrag.
Während der nächsten Tage sucht Orldes passendes Holz aus, das Engerim dann in der Werkstatt seines Meisters zurechtschneidet. Manchmal hilft ihm Mersyn dabei. Engerim stellt fest, dass sie bei Broddi ja nicht allzuviel erfahren hätten, aber immerhin einen guten Eindruck machen konnten. Orldes beschließt bei der nächsten Gelegenheit zu versuchen etwas mehr herauszubekommen.
Es ist der Wassertag der Todeswoche in der Dunkelzeit 1617. Orldes sitzt in Broddis Halle und schreibt an der Chronik des Clans. Broddi ist mit den meisten seiner Leibwächtern im Fort der roten Kuh unterwegs. Nur Aethelric das Mädchen ist als Wache zurückgeblieben – eine schillernde Figur im Gefolge des Häuptlings, die hervorragend in der Lage ist einen Speer zu führen und außerdem gern Frauenkleider trägt. Die Clanmitglieder sind über Aethelric geteilter Meinung. Einige finden ihn schräg und unangenehm, andere glauben, dass in ihm etwas Heiliges steckt. Zwischen dem Mann in Frauenkleidern und dem zwergenwüchsigen Schreiber kommt es zu einem Gespräch. „Orldes, haben alle diese Zeichen eine Bedeutung?“ „Ja, Aethelric.“ „Wenn man alle diese Bedeutungen kennt, platzt einem dann nicht der Schädel?“ „Nein, Aethelric, deshalb schreibt man sie auf.“ „Und dieses Schreiben... hat es irgendwann ein Ende?“ „Ja, Aethelric, irgendwann ist das Buch voll.“ „Und wenn das Buch voll ist, enden dann auch die Bedeutungen?“ „Sie verlieren sich, Aethelric. Wenn man das nicht will, muss man ein neues Buch anfangen.“ Verunsichert schaut Aethelric nach, wie viele freie Seiten Orldes´ Buch noch hat. Orldes nutzt die Gelegenheit selbst ein paar Fragen zu stellen. „Wie stehst du eigentlich zu den anderen Leibwächtern, Aethelric?“ „Ich habe nicht viel mit ihnen zu tun. Nur mit Kernalda Umgekehrt unterhalte ich mich hin und wieder.“ „Ich verstehe. Hast du eine Erklärung dafür, wie eine Frau zu einer Leibwächterin des Häuptlings wird?“ „Kernaldas Mutter hat ihr als Säugling Orlanths Rassel in die Wiege gelegt.“ – Orlanths Rassel ist ein weiterer Schatz des Clans. Wird sie geschüttelt, ruft sie ein dumpfes Donnern hervor und setzt ein unnatürlich schnelles Wachstum des Säuglings in Gang. Hin und wieder bekommen Jungen die Rassel in die Hand, um dem Clan möglichst schnell als Krieger zur Verfügung zu stehen. Ein Problem besteht allerdings darin, dass derart schnell großgezogenen Clanmitgliedern oft die sittliche Reife eines Erwachsenen fehlt. Daher wird Orlanths Rassel nur in Notzeiten eingesetzt. – „Offenbar ist Kernalda durch Orlanths Rassel nicht nur schnell gewachsen, sondern hat auch eine männliche Ader entwickelt.“ „In gewisser Weise ist sie ein Außenseiter wie ich.“ „Ich denke, ich weiß, was das bedeutet, Aethelric!“ „Ja, Orldes. Ich will aber betonen, dass Orlanths Rassel kein Garant für eine originelle Persönlichkeit ist. Schau dir Jarstak Bürstenbart an – ein grauenhafter Mann!“ – Jarstak Bürstenbart ist ein weiterer Leibwächter Broddis und damit Aethelrics Kollege. – „Ja, Aethelric, mir scheint, Jarstak ist ein Mann, der eher mit dem Bauch denkt.“ „Und dabei hat er ununterbrochen Magenschmerzen!“ „Aethelrik, hat eigentlich auch Jarstak irgendwelche Freunde?“ „Ich weiß es nicht. Er trifft sich hin und wieder mit Darna Mantel, unserer höchsten Ernaldapriesterin. Auch mit Kangharl Schwarzstirn führt er hin und wieder Gespräche. Worum es dabei geht weiß ich aber nicht.“ „Interessant, Aethelric! Danke für dieses Gespräch.“
Es ist der Lehmtag der Zwietrachtwoche in der Seezeit 1618. Ein strenger Winter geht langsam zuende und es hat bereits Tauwetter eingesetzt. Es ist der erste Tag des Jahres, an dem von der Sonne ein Hauch von Wärme ausgeht. Frekor Tiefwald ist mit ein paar Männern in der Nähe der Siedlung Siebeneichen auf die Jagd gegangen, aber es ist etwas schief gelaufen. Der Jäger Jhorn hatte einen Jagdunfall, er ist an einem vereisten Hang abgerutscht und mit dem Kopf gegen einen Felsen geschmettert. Frekor hat den Ohnmächtigen mühsam zu dem nahen Odayla Schrein zurückgebracht, wo seine Gehilfin Mersyn bereits ein rituelles Schlachten vorbereitet. Nun aber gibt es Dringlicheres. Frekor bittet Mersyn, die Heilerin Ustarna Tatenreich zu Hilfe zu holen. Mersyn nickt knapp, sattelt ihr Pferd und macht sich auf den Weg. 20 Kilometer weit reitet sie durch knirschenden Schnee und spritzenden Matsch, dann erreicht sie das Fort der roten Kuh. Am Tor wird sie von einer der Wachen gefragt, wo sie herkommt. Mersyn erzählt von Jhorls Unfall und fragt nach der Heilerin Ustarna Tatenreich. Die Wache erzählt Mersyn, dass sie sich wahrscheinlich wie zu dieser Jahreszeit üblich mit den anderen Frauen im Webhaus befindet.
Im Fort der roten Kuh wendet sich Mersyn zunächst ihrem Elternhaus zu. Sie trifft dort ihren Bruder, erzählt ihm was geschehen ist und bittet ihn darum, ein neues Pferd für sie zu besorgen. Dann macht sie sich auf den Weg zu dem würfelförmigen Holzhaus, in dem die Frauen oft gemeinsam Handarbeiten machen. Als Mersyn den zentralen Raum betritt, befinden sich vier Frauen hier. In einer Ecke des Raumes bereitet eine großgewachsene Frau mit Tätowierungen, die bis über beide Arme reichen einen Kräutertee vor. Es ist Griselda Graulocke, die Älteste des Dorfes, die ihr graues Haar zu Zöpfen geflochten hat und goldene Ohrringe trägt. An einem kleinen Tisch sitzt eine Frau, die Mersyn mit fröhlichen, blauen Augen ansieht und ihr ein leichtes Lächeln schenkt. Sie hat ihr langes, schwarzes Haar zu zwei Graten geflochten und trägt einen kunstvoll verzierten S-förmigen Kopfschmuck aus Kupfer. Ustarna Tatenreich stopft ein paar löchrige Männerhosen. An einem der drei Webstühle des Hauses sitzt eine schöne Frau, die dunkles Haar, üppige Augenbrauen, eine enge Weste und einen hellen Rock trägt. Es ist Salissa Dreigatten, eine Ernaldapriesterin, die im Rat des Clans die Position Uraldas, der Göttin der Kühe, innehat. Salissa ist in ein Gespräch mit einer anderen Frau vertieft, deren Schönheit bereits etwas verblasst ist. Diese Frau ist Darna Mantel, die oberste Ernaldapriesterin des Clans, die die Erdmutter auch im Rat des Clans vertritt. Darna besitzt langes, graues Haar und trägt einen seidengefütterten Mantel und ein goldenes Halsband. Die beiden Frauen unterhalten sich angespannt, aber leise, fast so, als müsse nicht jede mitbekommen, worum es geht. Mersyns Erscheinen scheint Darna Mantel allerdings aus dem Konzept gebracht zu haben. Mit dem etwas vehementer geäußerten Satz „Denk mal dran, wem du deinen Platz im Rat zu verdanken hast!“ verlässt sie energischen Schrittes das Haus.
Mersyn fragt Griselda Graulocke, ob es Ärger gegeben habe, erntet aber nur ein Schulterzucken. Dann erzählt sie Ustarna Tatenreich von Jhorns Unfall. Ohne zu zögern bricht Ustarna auf, besorgt sich einen warmen Mantel und folgt Mersyn zu ihrem Elternhaus. Mersyns Bruder hat nicht nur ein frisches Pferd, sondern auch einen kleinen Schlitten besorgt, auf dem normalerweise Holz transportiert wird. Mersyn gibt ihrem Bruder einen Kuss auf die Wange und bricht mit Ustarna auf. Auf ihrem Weg fragt sie Ustarna nach dem Vorfall im Webhaus. Bevor Ustarna erzählt, was dort geschehen ist, fühlt sie Mersyn aber noch ein wenig auf den Zahn und will wissen, wie sie über die Fehde mit den Smaragdschwertern denkt. Mersyn spricht offenherzig über ihre Abneigung gegenüber dem lunaren Imperium und der Schwächung des Clans, die bei einer offenen Auseinandersetzung mit den Smaragdschwertern zu erwarten ist. Ustarna zögert, sagt dann aber: Menschen sterben in jedem Fall, ob du dich gegen die Smaragdschwerter oder das Imperium wendest. Beide Frauen schweigen, dann aber erzählt Ustarna, dass die oberste Ernaldapriesterin Darna Mantel Salissa Dregatten vorgeschlagen hat, ihren Einfluss im Rat zu nutzen. Darna möchte, dass Salissa die Ratsmitglieder und Broddi Sippenstarks Leibwächter dazu bringt, die Fehde mit den Smaragdschwertern auszuweiten. Mersyn will wissen, wie Ustarna darüber denkt und erfährt, dass Darna Mantel eigentlich eine hilfsbereite Frau sei. Manchmal verhalte sie sich allerdings etwas eigensinnig. Salissa strotze vor Lebensfreude. Manchmal allerdings wirke sie gehemmt und grüblerisch. Die Fehde mit den Smaragdschwertern hält Ustarna für einen großen Fehler, soweit ist sie mit Mersyn einig.
Bei Jhorn angekommen hält Ustarna ihm ein Lavendelsäckchen unter die Nase und cremt seinen Schädel mit einer scharf riechenden Salbe ein, die etwas brennt. Jhorn erwacht mit brummendem Schädel. Er wird in warme Decken gehüllt und auf dem Pferdeschlitten zum Fort der roten Kuh gebracht. Als er mit Mersyn und Ustarna den Ort erreicht, ist es Nacht.
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