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Ist das Fokusregel-System gescheitert?

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aikar:
Ich habe mir kürzlich das Aventurische Bestiarium II und das Aventurische Pandämonium II zugelegt.

Eingang als Teil des Vorwortes findet sich sofort eine ausführliche Erklärung, wie das stufenweise Regelsystem von DSA5 gedacht ist. Dabei habe ich mich wieder erinnert, wie oft Markus Plötz bei gefühlt jedem Bühnenvortrag erklärt hat, wie die Fokusregeln gedacht sind.

Dadurch drängt sich mir jetzt ein Gedanke auf: Das Fokusregelsystem ist im Kern eine gute Idee gewesen, aber letztendlich gescheitert.

Die grundlegende Idee ist ja, dass jede Gruppe sich selbst aussucht, bis zu welcher Komplexitätstiefe sie die Regeln von DSA5 verwenden will und so ein System für jeden Geschmack zu schaffen.

Aber was ich subjektiv mitbekomme:

* Es wird nicht intuitiv verstanden (Sonst wären nicht wieder und wieder Erklärungen nötig)
* Es schafft zusätzliche Komplexität auf einer Metaebenen, da man sich mit den Regeln beschäftigen muss um festzustellen, welche man verwenden will. Das schreckt diejenigen ab, die nicht die volle Komplexität, aber auch nicht nur die Basisregeln haben wollen.
* Da immer wieder neue Fokusregeln in verschiedenen Büchern kommen, geht die Übersicht für die, die sich eigentlich gerne mit den Regeln beschäftigen wollen, völlig verloren. Die Regeln werden über viele Bücher zersplittert (Das ist ein Hauptkritikpunkt einiger 4.1-Spieler in meinem Freundeskreis, die deswegen nicht auf 5 umsteigen wollen)
* Dadurch fällt auch das Gefühl eines "vollständigen" Regelwerks weg (Das ist auch ein Punkt, den ich von 4.1-Spielern immer wieder höre. "Ich überlege mir umzusteigen, wenn die Regeln endlich komplett sind").
Ich habe, außerhalb von Ulisses-Ansprachen, noch niemanden getroffen, der die Fokus-Regeln für eine gut funktionierende Lösung hält. Ich bin aber natürlich auch in meiner Blase gefangen, die sich größtenteils in DSA4.1-Fans und Anhänger leichtgewichtiger Regelsysteme unterteilt. Daher würde mich interessieren: Was ist eure Meinung dazu?

Ist das Fokusregelsystem eine praktikable Lösung oder nur eine gutgemeinte Idee, die leider in der Umsetzung scheitert?
Würdet ihr es bei einem (sicherlich lange rein hypothetischen) DSA6 beibehalten?
Was hätte man tun können, um die Probleme zu vermeiden? Was könnte man jetzt noch tun, um sie in den Griff zu bekommen?

Eine Idee, die mir mal kommt und die ich hier auch zur Diskussion stellen möchte: Bei der Charaktererschaffung gibt es ja Kulturpakete und Professionspakete um eine schnellere Nutzung des eigentlich freien Charakterbausystems zu schaffen.
Würde es Sinn machen, DSA5-Regeln als "Pakete" einer gewissen Regeltiefe zu bündeln?
Also z.B. DSA5 Reduced, DSA5 Standard (~jetziges Basissystem), DSA5 Advanced, DSA5 Hardcore
Nicht als eigene Regelysteme, sondern einfach als Vorauswahl, damit die Meta-Komplexität der Regelauswahl reduziert wird?

YY:
Vorweg: Ich schreibe das aus der Außenperspektive, aber die Fokusregeln und deren Umsetzung sind ein Grund, warum ich mich mit DSA5 nicht näher befasst habe.

Bei den gelisteten Kritikpunkten gehe ich auch als Nicht-DSA4ler mit.



--- Zitat von: aikar am 26.04.2020 | 08:35 ---Ist das Fokusregelsystem eine praktikable Lösung oder nur eine gutgemeinte Idee, die leider in der Umsetzung scheitert?

--- Ende Zitat ---

Ich betrachte den Versuch als gescheitert.
Spätestens bei dem Gedanken, dass die Nutzung oder Nichtnutzung von Fokusregeln keine großen Unterschiede in den Ergebnissen produziert (und IIRC sogar verschiedene Charaktere innerhalb der Gruppe je nach Gusto die Fokusregeln für den gleichen Bereich nutzen können oder nicht), muss einem doch schon klar sein, dass da viel Aufwand ohne nennenswerten Effekt betrieben wird oder man an dieser Prämisse scheitert. 

Und wenn man sich die Formulierung einiger zufällig ausgewählter Fokusregeln anschaut, bestätigt sich das auch - auf dieses Kleingefuddel hätte ich ja selbst dann keinen Bock, wenn das Regeln für ein Thema sind, das mir aus irgendwelchen Gründen total am Herzen liegt.


--- Zitat von: aikar am 26.04.2020 | 08:35 ---Würdet ihr es bei einem (sicherlich lange rein hypothetischen) DSA6 beibehalten?

--- Ende Zitat ---

Auf keinen Fall, erst recht nicht mit diesem Veröffentlichungsmodus.

Den Spagat, es allen möglichst recht machen zu wollen, sollte man mMn nicht versuchen - wie man an D&D5 sieht, reicht es schon, wenn sich alle irgendwie auf die aktuelle Edition einigen können*.
Hieße für mich: Weniger Spielmechanik, auch wenn die sich traditionell am Besten verkauft.
Stattdessen ein von Anfang an rundes System und viel Material, das man zwar nicht (gefühlt) "braucht", aber will. Regionalbände, gut aufbereitete Kampagnen, schicker Nippes/"Merch"...gibts ja teils schon.


*Ich bin ja noch nicht so ganz los davon, eine "moderne" Linie zu haben und eine Classic-/Retro-Linie, aber das ist wohl nicht auf Augenhöhe machbar.
Letztlich bleibt da nur ein mittel crunchiges Basisspiel und recht komplexe Erweiterungen. Im Idealfall hat man dann auch im Basispiel ein bisschen märchenhafte Hotzenplotzigkeit und der Pseudo-Fäntelalterrealismus sitzt in den Erweiterungen - das ist wohl das Höchstmaß an "Für jeden etwas", was da zu machen ist.



--- Zitat von: aikar am 26.04.2020 | 08:35 ---Was hätte man tun können, um die Probleme zu vermeiden? Was könnte man jetzt noch tun, um sie in den Griff zu bekommen?

--- Ende Zitat ---

Das Konzept ist in sich widersprüchlich. Es sei denn, man betrachtet "wir produzieren unheimlich viel Regeltext mit extrem geringen Auswirkungen" als erstrebenswertes Designziel.

Man hätte im Vorfeld zumindest abstrakt einteilen müssen, welche verschiedenen Komplexitätsgrade man bedienen will - klassischerweise den niedrigsten mit dem GRW und die höheren dann mit verschiedenen Erweiterungen.
Und man hätte eine grobe Vorstellung haben müssen, was in welcher Erweiterung stehen wird. Die sortiert man traditionell nach Themen, weil das sinnvoll ist, anstatt duchnummerierte Regelsammlungen aus den verschiedensten Bereichen rauszuhauen wie mit den Kompendien.

Und die einzelnen Bereiche sollten dann spielmechanisch auch irgendwann mal erkennbar abgeschlossen sein. Es gibt ja gefühlt gar keinen Regelbereich mehr, der nicht wenigstens Erweiterung I und II hat.


Generell hätte man mal bei GURPS schauen können:
Da werden in den Erweiterungen hauptsächlich andere Perspektiven auf und Interpretationen von bestehende(n) Regeln inklusive beispielhaften Anwendungen angeboten und nur sehr moderat Optionalregeln beschrieben, die deutlich weiter ins Detail gehen. Trotzdem beziehen sich diese Optionalregeln dann auf die Regelanwendung und modifizieren nicht die Charaktererschaffung und -steigerung durch Talentwildwuchs o.Ä., wie das DSA3 auch mal gemacht hat (!), weil es da schlicht keine Vor- und Nachteile oder Sonderfertigkeiten gab, mit denen man da hätte fälschlicherweise arbeiten können.
Da hat man sich letztlich mit den großen spielmechanischen Änderungen von DSA3 auf 4 in eine (vermeidbare) Sackgasse manövriert.


Ich sehe da aktuell auch keine Möglichkeit, das irgendwie ohne radikalste Maßnahmen in die Spur zu kriegen. Man müsste ja den Wildwuchs an Fokusregeln durch verschiedene Stufen jeweils in sich geschlossener Regelkomplexe ersetzen.
Da kann man auch gleich eine neue Edition machen statt DSA5.8 ;)



--- Zitat von: aikar am 26.04.2020 | 08:35 ---Würde es Sinn machen, DSA5-Regeln als "Pakete" einer gewissen Regeltiefe zu bündeln?
Also z.B. DSA5 Reduced, DSA5 Standard (~jetziges Basissystem), DSA5 Advanced, DSA5 Hardcore
Nicht als eigene Regelysteme, sondern einfach als Vorauswahl, damit die Meta-Komplexität der Regelauswahl reduziert wird?

--- Ende Zitat ---

Bedingt.
Wenn die spielmechanische Veröffentlichung abgeschlossen ist, kann man sich sicher einen Gesamtüberblick verschaffen und das noch mal neu sortieren.
Das hat dann das gleiche Problem wie immer: Zum Ende einer Edition kann man zwar sehr gut neu sortieren und das strukturieren, was im Editionsverlauf organisch gewachsen ist und hier und da vielleicht nicht ganz so glücklich war.
Aber das kauft dann keine Sau mehr, weil ja die neue Edition ansteht...

Und wenn man das für DSA5 mit seinen Fokusregeln machen würde, würde mMn nur noch deutlicher, für wie wenig Effekt man da eine enorme Materialschlacht in Sachen Regelumfang führt.

Just_Flo:
Überraschung, nicht DSA5 Spieler, die das Fokus-Regelsystem noch nie ausprobiert haben haben eine schlechte Meinung davon und erklären es für gescheitert.

Rofl.

GTStar:

--- Zitat von: YY am 26.04.2020 | 14:16 ---Ich betrachte den Versuch als gescheitert.
Spätestens bei dem Gedanken, dass die Nutzung oder Nichtnutzung von Fokusregeln keine großen Unterschiede in den Ergebnissen produziert (und IIRC sogar verschiedene Charaktere innerhalb der Gruppe je nach Gusto die Fokusregeln für den gleichen Bereich nutzen können oder nicht), muss einem doch schon klar sein, dass da viel Aufwand ohne nennenswerten Effekt betrieben wird oder man an dieser Prämisse scheitert. 
--- Ende Zitat ---
Mal abgesehen davon, dass ich bei einem DSA 6 auch vieles anders machen und aufteilen würde, wundert mich die Kritik dann doch:

Es ist doch gerade das Designziel, dass interessierte Spieler gewisse Bereiche detaillierter abbilden und ausspielen können, ohne, dass das Ergebnis dabei grundsätzlich abweicht. Da das Beispiel immer gerne gewählt wird: Wer eine Jagd schnell abhandeln möchte, der hat dazu die Möglichkeit. Quasi auf Metaebene. Wer sie detailliert ausspielen will, hat ebenso die Möglichkeit. Er wird im Ergebnis im Schnitt(!) keinen "Vorteil" erzielen, aber er kann sich ausgiebiger mit dem Thema beschäftigen, mehr würfeln und wird mehr Streuung im Ergebnis haben. Wohlgemerkt, wer will. Keiner muss. Und schönerweise ist es kompatibel, wenn ein Spieler Fokusregeln anwendet und der andere nicht. Es gibt nur einige, wenige optionale Regeln, für oder gegen die sich die Gruppe als Gesamtes entscheiden muss.

Das Grundverständnis vieler DSA 4.1-Spieler von DSA 5 ist meines Erachtens das Falsche: Es gibt bereits alle* Regeln. Man kann alles* spielen. Die Fokusregeln, die nach und nach dazu kommen, die Sonderfertigkeiten die dazu kommen erweitern (größtenteils - ich halte auch nicht alles für sinnvoll), dienen nur dazu, Spielern in ihrem Spezialgebiet noch mehr Variation zu bieten. Von daher kann ich dieses "Warten bis alle Regeln vorliegen" nicht so wirklich verstehen. Spätestens auf dem aktuellen Regelstand wird sich kaum ein DSA 4.1-Charakterkonzept nicht in DSA 5 abbilden lassen. Und falls sich doch mal etwas findet, dann hausregelt man das so, wie man vermutlich auch in DSA 4.1 vieles gehausregelt hat.


* Ja, irgendwas ganz exotisches oder andere Spezies noch nicht, wenn man dafür unbedingt offizielle Regeln braucht. Aber zu 95% liegt alles vor.

YY:

--- Zitat von: GTStar am 26.04.2020 | 17:24 ---Es ist doch gerade das Designziel, dass interessierte Spieler gewisse Bereiche detaillierter abbilden und ausspielen können, ohne, dass das Ergebnis dabei grundsätzlich abweicht.

--- Ende Zitat ---

Klar. Und dieses Designziel ->finde ich<- kein bisschen nachvollziehbar.

Warum macht man das?
Wenn mich ein Bereich interessiert, dann arbeite ich mich da ein und baue mehr Erzählung drum herum. Oder ich erstelle Regeln dafür, die auch handfeste Auswirkungen haben (dann ist das natürlich nicht mehr innerhalb der Gruppe frei kombinierbar).

Aber Regeln, die letztlich nichts ausmachen, sind für mich sinnloser Füllstoff und Beschäftigungstherapie. Die legen keinen Fokus auf irgendwas, die verschwenden nur meine Zeit.

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