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[Formless] Ein Sciene Fiction Versuch

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Purzel:
Zurück aus der Winterpause

Die Rollenspieltestrunde spielt wieder. Nach einer langen Pause im Dezember bedingt durch die Feiertage hatten wir uns nicht mehr regulär getroffen. Jetzt geht es aber wieder, vor allem mit meinen Spielberichten weiter.

Inaktiv in Sachen Non-Mainstream Rollenspiele waren wir derweil trotzdem nicht: so spielten wir an Sylvester ein kleines Live Rollenspiel ("Krimi Total: Jenseits der Schönheit") und letzte Woche probierten wir "Persona" (wir versuchten hier eine Herde Mammuts in der Eiszeit zu spielen) aus.
Bei beiden Spielen habe ich keine oder nur knappe Notizen, so dass es schwer wird, daraus einen Spielbericht zu machen. Wer weiss, vielleicht wird ja eine Rezension draus, oder ich mache eine Diskussion im Indie-RPG Forum auf.


Doch gestern wagten wir uns auf das Terrain der formlosen Spielen. Wir hatten uns Formless vorgenommen. Formless Collaborative Roleplaying ist eins von diesen sogenannten "Universalspielen" und zudem free-form. Geschrieben wurde es von James Drake Hargrove, wurde 2004 von Politically Incorrect Games herausgebracht. Das kostenlose PDF ist 13 Seiten dick, auf Englisch geschrieben. Minus Deckblatt und Beispielen bleibt am Ende nicht viel an Regeln, die man sich merken muss.

Diesmal hat unser Rollenspiel-Neuling Anne sich das Regelwerk geschnappt und uns vorgestellt. Anne ist zwar erst seit ein paar Monaten Rollenspielerin, hat uns aber problemlos anleiten können.

Systemkurzbeschreibung

Das Konfliktsystem ist natürlich ohne Würfel und kommt quasi ohne Werte oder irgendwelche Währungen aus. Entschieden wird nach der grössten Wahrscheinlichkeit (sprich: wer die grösseren Gewinnchancen hat, gewinnt halt) und nach dem grössten Unterhaltungswert.
Alle Konflikte müssen gelöst werden. Zunächst sollte man drüber diskutieren. Bei Uneinigkeit entscheiden die Eigenschaften der Charaktere, der Stärkere gewinnt. Sollte trotzdem noch Uneinigkeit bestehen schreibt das System vor, dass ein Richter entscheiden soll. Ob der Richter nun eine Einzelperson ist, je nach Situation wechselt, oder einfach alle abstimmen, sei der Gruppe überlassen.

Nach der Auflösung eines Konfliktes sei die Höhe des Triumphes oder des Verlustes zu bestimmen. Klingt zwar hochtrabend und formal, ist aber eigentlich simpel. Hauptaugenmerk setzt Formless dabei aber darauf, dass der Unterhaltungsfaktor eines Konfliktausgangs optimiert werden sollte.

Setting

Zunächst mal hatten wir uns auf ein Setting (wie dieses System sagt: Social Contract  :P) einigen sollen. Dafür gibt das Regelwerk noch die meisten Hinweise und Anleitungen.

Irgendjemand posaunte was von "Perry Rhodan", und so hatten wir uns innerhalb von Sekundenbruchteilen auf ein Sci-Fi Setting geeinigt. Was folgte war eine Stunde sehr spannende, detailierte Settingerschaffung:


* Wir wollten auf einer Raumstation spielen, einer Handelsstation zwischen 2 verfeindeten Völkern. Auf der einen Seiten waren die Menschen, und auch wir wollten mehr die Seite der Menschen spielen. Die Feinde waren die geheimnisvollen "Pnak von Ekwon 3", von denen keiner wusste, wie sie eigentlich aussahen, denn man kannte nur ihre Raumschiffe, sie kamen nie an Bord und trieben Handel nur durch ihre Roboter.


* Die Raumstation gehörte der "Zentralhandels AG" und wurde vom Administrator betrieben, der sowohl Richter als auch oberster Befehlsinhaber sein sollte. Etwa 1000 registrierte Leute wohnten auf der Station, inklusive einer Menge illegaler Bewohner.


* Da die Station ein grosser Umschlag und Handelsplatz ist, ist ein zentraler Ort das weitläufige Lager.


* Die Zentralhandels AG hat nun ein paar Leute direkt eingestellt (z.B. die Brückencrew und Wachmannschaften), andere sind auf Lizenz angestellt (z.B. Leute die Werkstätten betreiben) und entrichten einen Teil ihres Lohns an die AG. Und es gibt freischaffendes Volk (z.B. übrige Dienstleister wie Frisöre, Wirte etc.) die nur Miete an die Zentralhandels AG abführen.


* Wir machten uns Gedanken darüber, welche Regeln, Gesetze und Strafen es geben sollte. So kamen wir überein, dass es verboten war Schwarzhandel und Schmuggel zu betreiben, ohne Lizenz einen Dienst anzubieten, der der Zentralhandels AG vorbehalten ist, oder keine reguläre Arbeit zu haben. Waffenbesitz war eingeschränkt auf das Wachpersonal.
   Der Strafenkatalog war hingegen wesentlich exotischer. Angefangen von der Verbannung von der Station auf eigene Kosten, über Gehirn- und Emotionsmanipulation bis zum Destabilisieren.


* Dabei ist das Destabilisieren echt gemein: der Destabilisator ist eine Technologie, die von den Pnak stammte. Damit konnte man organische Materie komplett entwässern und zu einem Würfel pressen (physikalische Dichte: 16), der dann praktisch und sparsam aufbewahrt werden kann. Das passierte Verbrechern, die ihre Verbannung nicht bezahlen können, bis jemand sie auslöste.


* Schliesslich machten wir uns Gedanken über eine Art Währung. Nachdem wir alle wertvollen Metalle und seltenen Kristralle verworfen hatten, und auch rein virtuelles Geld verworfen hatten, kamen wir darauf, Energiespeicherkristalle als Zahlungsmittel zu verwenden, die extrem schwer herzustellen sind (eine Solarenergieanlage auf einem merkur-ähnlichen Planeten braucht eine Woche für die Herstellung von 100 Gramm). Man kann damit zahlen oder sie in einen Raumschiff Reaktor packen und damit fliegen.

Purzel:
Die Charaktere

Wir einigten uns darauf Formless spielleiterlos zu spielen, so dass wir vier Charaktere gemacht haben. Das System schrieb es zwar nicht vor, aber wir beliessen es bei der klassischen Aufteilung "1 Spieler, 1 Charakter".


* Der Wirt Duncan, mit vielen Kontakten zum Untergrund und seltsamen Geschäften. Er ist der grosse Verbindungsmann und kennt alle anderen SCs irgendwie (Anne)


* Jonny Brightsun, ein begnadeter Techniker, allerdings ohne Lizenz, und er hasst die Zentralshandels AG. Über Duncan bekam er illegale Arbeit. (Dom)


* George Miller ist ein Pnak-Roboter, der seit es Spannungen zwischen dem ausserirdischen Volk und den Menschen gibt, auf der Raumstation vergessen wurde. Er hat ein menschliches Aussehen. (Eva)


* Mike ist zwar ein Mensch, aber da er ein Schmuggler war wurde er destabilisiert und sein Geist treibt sich aufgrund eines technischen Defekts in den Computer Subsystemen herum. Er ist auf der Suche nach seinem Würfel (Purzel)


Formless geht davon aus, dass das Spiel einen oder mehrere Hauptcharaktere hat, ein paar Nebendarsteller und dann noch etliche Statisten. Wir kamen überein, dass wir eine Geschichte spielen wollten mit "Mike dem Würfel" als Hauptcharakter, und wie er versuchte seinen Würfel wiederzubekommen.

Das Spiel beginnt

Tja, und damit fingen unsere Probleme an. Nur sehr stockend versuchten wir mit der Abwesenheit von mechanischen Regeln als Richtlinie voranzukommen. Das System sagte zwar, dass man jetzt Geschichten erzählen sollte, aber es verriet uns nicht, wie man spannende Geschichten machen kann. Und auch der mehrfach erwähnte "Unterhaltungswert" gab uns auch keine Anleitung, da ein subjektiver Wert.

Duncan meldete sich bei Mike dem Würfel, der sich gerade im Kommunikationssystem herumtrieb, und wollte von ihm einen Gefallen haben. Mike sollte eine Tür zu einem Lager aufmachen, um Punkt Mitternacht, weil Duncan dort ein paar seiner Geschäfte betreiben wollte.

Mike stellte sich zunächst quer, da er keinen Bock hatte sich von Duncan weiter ausnutzen zu lassen. Schliesslich suchte er ja eigentlich seinen Würfel. Aber mit dem Versprechen, dass Duncan über diesen nächtlichen Kontakt zumindestens an einen Stabilisator kommen würde, brachte Mike dazu zuzusagen.

Da Mike ihm nicht traute telefonierte er mit Jonny, dem Techniker, und wollte, dass dieser das Treffen beobachten sollte. Denn Mike kann, solange er in der Tür ist, nichts sehen oder hören. Jonny sagte zu und baute eine eigene Kamera bei dem Lager auf.

Wir kamen mehrfach von der Geschichte ab, erzählten über dies und das aus unserem Leben und so. Irgendwie konnten wir unsere Gedanken nicht bei der Stange halten.

Das Treffen fand statt, ein paar gemeine Zeichen wurden ausgemacht. Jonny beobachtete Duncan mit seinen Kontakten, wie Waren ausgetauscht wurden. Dann erzählte jemand, dass ein paar Wachen vorbei kamen, denen man einen Tipp gegeben hatten. Sie versuchten die Tür aufzubrechen.

Mike wehrte sich gegen die Umprogrammierung der Tür, warnte durch lautes Klappern Duncan und seine Kollegen, und verwand dann aus der Tür. Duncan versteckte sich zwar im Lagerraum, aber er konnte nicht entkommen (übrigends der einzige Konflikt bisher). Wieder sprang Mike zur Hilfe und versuchte als Ablenkungsmanöver den Schleusentür-Alarm auszulösen und Dekompressionsgefahr vorzutäuschen.

Es läuft nicht rund

Immer wieder und wieder kamen wir vom Plot ab und sprachen über völlig andere Dinge. Wir unterbrachen also das Spiel und versuchten unsere Selbstbeobachtungen und Eindrücke über dieses Spiel und das System zu sortieren.

Scheinbar sind wir als Gruppe nicht geeignet ad-hoc freeform zu spielen. Was uns dieses System als kinderleicht und intuitiv verkaufen will, bringt uns nicht zum Denken. Formfree weckte grosse Erwartungen, hielt aber das Geheimrezept zum Erfolg zurück.

Wir wünschten uns, dass wir ein paar mehr Regeln für den Ablauf gehabt hätten, ein ganz, ganz, ganz bisschen Mechanik, die die Story vorantreibt. Ein Anhalt, damit wir wissen, worum es bei dem Spiel überhaupt geht, was wichtig ist und was nicht.

Das was das System uns gab, konnten wir ja alles schon: Setting erschaffen, Konflikte lösen, für die es keine mechanischen Regeln gibt, ein wenig Geschichte erzählen. Nur dass sich in Formless mal jemand hingesetzt hatte und aufgeschrieben hatte, wie sowas ablaufen könnte.

In anderen Rollenspielen, wie z.B. D&D machen wir das, was wir bei Formless tun sollten, auch ständig: für nicht-geregelte Bereiche eine Einigung zu finden. Nur wird diese Technik in anderen Rollenspielen nur auf die unwichtigen Teile des Spiels angewendet, so mehr der GruppenKonsens entscheiden soll statt eines Würfelwurfs.

Aber alle Konflikte nur mit Reden zu bewältigen schien uns zu verwirren.

Die zweite Chance

Ein bisschen Zeit hatten wir noch, wir hatten über das System diskutiert und wussten, was wir mochten (unser Setting), was wir nicht mochten (die völlige Abwesenheit von mechanischen Einigungsmethoden) und womit wir nicht umgehen konnten (durch Erzählen auf sowas wie eine spannende Geschichte zu kommen).

Also überlegten wir, wie man die Story besser vorantreiben konnte. Wir dachten, es wäre besser, wenn mehr Konflikte passieren würden, wenn die Spieler sich gegenseitig Opposition gaben und nicht alles unkommentiert und gleichmütig geschehen lassen würden, wie das im ersten Teil des Spiels geschah. Wir gaben dem Spiel eine zweite Chance

Es geht weiter

Eva, deren Charakter bisher überhaupt nicht in der Geschichte aufgetaucht war, atmete tief durch und warf den drei aktiven SCs Probleme an den Kopf: Duncan entkam aus dem Lager, wurde aber draussen von ein paar anderen Wachen gefangengenommen, verprügelt und abgeführt. Mike der Würfel kam nicht mehr aus dem Lagerschott raus, weil man ein fieses Gerät an das Tor angeschlossen hatte, das Gefühl schien ihn geistig zu zerreissen. Jonnys mit Fingerabdrücken übersääte Kamera wurde von Wachmännern entdeckt, abmontiert und zur Beweissicherung gebracht.

Na also!

Der Pnak-Roboter George Miller wurde in die Geschichte hineinerzählt. Er marschierte ins Lager zu den Leute, die die Tür reparieren wollten, in der Würfel-Mike fest steckte. Er schloss die Tür und schlug die Wachen alle zu Brei. Zwischenzeitlich machte Mike in einem Versuch der Selbstverteidigung das Schott kurz auf und liess die Athmosphäre des Lagerraums ins Vakuum.

George holte Mike aus dem Schott schliesslich heraus, in das nächstbeste Gerät, das da herumlag: ein Etikettiergerät. Über Etikettenausdrucke miteinander redend ging Roboter George mit Würfel Mike zum Gefängnis, um dort Duncan rauszuhauen.

Jonny war auch auf den Weg dorthin. Inzwischen war Duncan im Knast. Da der Administrator die Faxen dick hatte, befahl er den Wirt einfach zu destabilisieren. Duncan wurde in den Destabilisationsraum gebracht.

Mike übernahm einen Putzroboter und kam so in das Gefängnis. Er wechselte in einen anderen Putzroboter, um eine Karte des Sektors zu bekommen. Währenddessen erzählten wir, dass Duncan den Bediener des Destabilisationsgerätes kannte. Ruckzuck wurde eine Wache destabilisiert, mit Duncans Namen versehen und ins Regal gepackt. Für diesen Gefallen sollte der Henker .. äääh, Destabilisator-Techniker allerdings einen Gefallen haben, denn dieser war drogensüchtig...

Purzel:
Na bitte, geht doch

Wir haben zum Schluss ziemlich gehetzt und kaum was ausgespielt. Wir wollte ja auch nur probieren, ob sich unsere selbstausgedachte Taktik bewährt und den Plot treibt. Ja, tut es, ziemlich gut eigentlich. Leider hatte uns Formless nicht mit diesem Tipp versorgt. Da hiess es nur "macht mal, denkt euch selbst was aus, erzählt gemeinsam, wie ihr euch genau einigt ist euer Bier".

Fazit

Dieser Ausflug in die Free-Form Welt war sehr erhellend, auch wenn er fast komplett in die Hose gegangen wäre. Formless sagte uns nur Dinge, die wir alle sowieso schon konnten. Wir hätten genauso gespielt, wenn wir uns vorgenommen hätte mal komplett ohne Regeln zu spielen. Von daher war das Regelwerk überflüssig.

Lobend ist sicher, dass sich mal einer die Mühe gemacht hat, unformelle Einigungsprozesse, wie er in allen Spielen stattfinden, mal aufzuschreiben. Doch das hilft einen nicht wirklich weiter.

Mir scheint, dass diese Spielform extrem von der Tagesform der Spieler abhängt, mehr noch als bei anderen Spielen.

Leute, die besonders eloquent sind, können in diesem System wesentlich mehr erreichen als Spieler, die vielleicht nicht so mit Ideen übersprudeln.

Und wie genau missbräuchliches Verhalten der Spieler geregelt wird, steht wohl auch nicht im "Regel"-Text.

Das System lässt sich drüber aus, wie Konflikte in der Spielwelt gehandhabt werden, lässt aber völlig aus, wie echte Konflikte zwischen den real-existierenden Spielern geregelt werden (Beispiel: "Der Putzroboter hat eine Karte vom Gefängnis" .. "Ne, hat er nicht!" ... ???)

Frei zur Diskussion!

wjassula:
Ja, diese Probleme mit Freeform, die du beschreibst, sind auch meine. Ich glaube schon, dass Freeform funktionieren kann - mit einer eingespielten Gruppe ist es bestimmt sogar lustig. Aber mir sind mechanisch unterstützte Konflikte lieber, die das Spiel auch mal in eine Richtung zwingen, die nur ausdenken und verhandeln nicht ergeben hätte.

Deine Kritik trifft den Nagel auf den Kopf: Dass man zwischen allen Spielenden eine Einigung erzielen muss, ist irgendwie klar, aber wie man das macht - und vor allem so, dass es auch spannend und unterhaltsam wird - das muss man sich dann selbst zurechtlegen.

Purzel:
Ich denke aber schon, dass es Methoden auch für Freeform gibt, die rechtlos formlos sind, die mit grosser Wahrscheinlichkeit die Story vorantreiben, Spass bringen und etwas sinnvolle Struktur hineinbringen.

Wischi-Waschi-Gerede, dass man halt irgendwie seinen Spass hat, irgendwie geheimnisvoll, unerforschbar, unerklärbar und nur darauf abzuwälzen und davon abhängig zu machen, dass das von selbst kommen muss, dass die Spieler miteinander können, halte ich schlicht für falsch.
   Ich glaube, dass es auch bei Freeform Spielen ein paar konkrete Dinge zu tun gibt, die den Spass am Spiel für jede Gruppe wahrscheinlicher machen. Man kann immer für den Spass etwas tun und gezielt dafür arbeiten.

Leider ist Formless bar solcher Hinweise und Ideen und lässt hier eine grosse Lücke bei wirklich nützlichen, praktikablen, konkreten Tipps.

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