Autor Thema: Spannungsbogen?  (Gelesen 7369 mal)

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oliof

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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #25 am: 7.07.2009 | 18:29 »
Leute, atmet mal durch. Ich hab weiter oben was von Transferleistung geschrieben, wendet das doch bitte auch auf die 3000 Jahre Theaterkunst an und nicht nur auf 50 Jahre TV-Geschichte.

Ein Spannungsbogen hat mit Railroading nicht unbedingt, mit Katharsis aber moeglicherweise schon.

Offline Elwin

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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #26 am: 7.07.2009 | 19:16 »
Die Kategorisierung in fünf Akte und die Charakterisierung ihrer Funktion kommt in der Tat von Gustav Freytag. Er bezieht sich zwar u.a. auf antike Dramen, aber explizit so formuliert wie es Freytag tut, wurde es damals noch nicht. Aristoteles' Poetik geht IIRC nicht darauf ein.

Ich finde dieses Pyramidenschema ziemlich brauchbar, sofern man die Transferleistung erbringt, vom Drama zum Rollenspiel zu schwenken. Dies ist insbesondere für den Akt III notwendig. Ich betrachte daher den Akt III - Höhepunkt, Vorentscheidung, wie man ihn nennen mag - nur als Basis für das Plot-Design, nicht als konkrete Anleitung. Dort mag zwar eine wichtige Vorentscheidung getroffen werden, aber sie ist nicht bindend für den Akt V. Sondern es ist vielmehr ein Werkzeug, mit dem man den darauf folgenden Weg zum Finale ausgestalten kann.
In Akt III sollte es meiner Meinung nach zu einer vorweggenommenen ernsten Konfrontation mit der Gegenseite kommen. Und prinzipiell sind zwei daraus folgende Entwicklungen möglich:
1. Die Spieler haben Erfolg (können bsp. das okkulte Buch rauben, dass die Bösewichte fürs Ritual benötigen). Die Gegenseite sieht ihr Vorhaben scheitern und erhöht die Bemühungen. Im Finale ist die Position der Spieler komfortabler als die der Gegenseite, die vermutlich ziemlich verzweifelt um den Sieg kämpfen muss.
2. Die Spieler haben keinen Erfolg (die Gegenseite bringt das okkulte Buch in Sicherheit). Nun müssen die Spieler die Bemühungen erhöhen, trotz der verlorenen Zwischenentscheidung noch siegreich zu sein und dann sind sie es, die im Finale aus einer verzweifelten Situation heraus noch versuchen müssen, den Sieg zu erringen.

Gruß
Chris
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Offline Joerg.D

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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #27 am: 7.07.2009 | 19:34 »
Jörg

Der Fehler ist, die Entwicklung im III. Akt als "Entscheidung" zu sehen. Eine große Wende ist da, aber sie ist keine prädeterminierende Entscheidung. Sie setzt - wie übrigens vieles andere in kleinerem Maßstab auch - die Helden "nur" gewaltig in Vor- oder Nachteil in Bezug auf das Finale. Aber "gewinnbar" oder "lösbar" muß es bis zum Schluss bleiben. Ich bevorzuge auch den Terminus "Wendepunkt" statt "Höhepunkt", da eine vorübergehende Verflachung (quasi eine Sammlung) danach zwar eintritt, aber das Finale in Akt V dann doch höher liegen sollte als die Wende in Akt III. Für mich ist das Finale Entscheidung und Höhepunkt (und wird am 25. Juli erfolgen  :D)

OK, ich persönlich mag die Akt Struktur nicht, weil sie mich und meine Spieler in ein Story Korsett einengt, dass mir persönlich zu wenig Möglichkeiten lässt. Ich neige zur Weltensimmulation und lasse die Spieler innerhalb der Welt so agieren, wie sie es möchten. Die Charaktere sollten im Mittelpunkt des Spieles stehen , nicht mein ausgedachter Plot. Deshalb setze ich Sachen wie die Akte nur ein, um eine gewisse Struktur in die Geschichte zu bekommen, die mir später beim Improvisieren hilft. Wenn ich jedoch einen Punkt wie den III Akt habe, in dem es um Sieg oder Neiderlage geht, dann wissen die Spieler, was auf sie zukommt, dann gibt es ein ganz großes Drama, wenn die Spieler beim Besorgen des Buches versagen. Das ist aber in der Regel nur eine Möglichkeit von vielen.

Aber selbst wenn die Spieler beim Buch versagen, können sie auf dem Weg zum Showdown noch etwas bewegen und es ist meine Aufgabe als SL den Weg interessant zu gestalten. Vielleicht legen die Spieler ja den Grundstein für eine Legende, die es der nächsten Gruppe ermöglicht zu siegen.

Sicher, es ist eine absolute Geschmackssache, ob man mit so fixen Punkten arbeitet. Ich persönlich mag eigentlich keine Geschafft oder Tod Szenarien. Doch in einigen Situationen, ja gerade bei Höhepunkten von epischen Kampagnen kann man da mal ganz gut mit arbeiten. In solchen Kampagnen würde der dramatische Moment entwertet, wenn man immer alles bis zum Ende lösbar macht. Manchmal muss es die grobe Kelle sein um epische Dramen zu erschaffen.

Die Spieler sollten dazu in der Lage sein auch mal offenen Auges in das Unvermeidliche zu laufen, wenn sie an einer entscheidenden Stelle gepatzt haben. Es muss nicht immer das Unbekannte sein, welches einen mit Angst erfüllt. Es kann auch die Gewissheit des nahenden Endes sein. Dazu braucht man aber Spieler die auch in der Lage sind aus Niederlagen ihren Spaß zu ziehen.

Die Möglichkeiten die Chris Gosse und Lorom den III Akt zuweisen sind meiner Meinung nach in der Regel besser, als eine Sieg oder Niederlage Situation, doch gerade wenn die Gruppe Drama will, dann sollte man sich an den Aufbau des Klassikers und den damit verbundenen Spannungsbogen halten.
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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #28 am: 7.07.2009 | 20:09 »
Ich neige zur Weltensimmulation und lasse die Spieler innerhalb der Welt so agieren, wie sie es möchten. Die Charaktere sollten im Mittelpunkt des Spieles stehen, nicht mein ausgedachter Plot.

Agree to disagree. Ein rappelvolles, gut geplantes Epos, in das die Spieler plausibel, frei und entscheidend eingreifen können setzt mMn SC deutlich besser in den Mittelpunkt. Aber das sollten wir hier nicht diskutieren, das geht OT.

Aber selbst wenn die Spieler beim Buch versagen, können sie auf dem Weg zum Showdown noch etwas bewegen und es ist meine Aufgabe als SL den Weg interessant zu gestalten. Vielleicht legen die Spieler ja den Grundstein für eine Legende, die es der nächsten Gruppe ermöglicht zu siegen.

Drei Sessions lang SC - ob die Spieler es nun wissen oder nicht - sehenden Auges ins Unglück rennen zu lassen, das finde ich als SL genauso langweilig für mich wie diese Kaufkampagnen, wo immer alles gelingen muß. Die Spannung steht und fällt auch entscheidend mit der Möglichkeit Sieg oder Niederlage. Mit wehenden Bannern in den sicheren Tod ist ein nettes Motiv, aber mehrmals, gar über einen längeren Zeitraum? So lang wehen die Banner nicht.
« Letzte Änderung: 7.07.2009 | 20:11 von Lorom »
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Rollenspiele sollen bei Dir im besten Fall eine gewisse Schwermut, Resignation und Melancholie hervorrufen.

Zitat von: Dolge
Auf Diskussionen, was im Rollenspiel realistisch ist und was nicht, sollte man sich nie unter gar keinen Umständen absolut gar überhaupt vollständig nicht einlassen.

Offline Joerg.D

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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #29 am: 7.07.2009 | 20:20 »
Ein Spannungsbogen geht für mich immer nur über einen Spielabend, also sind es noch maximal 2 Szenen bis zum epischen Ende, wenn die Spieler beim Buch versagen.

Um die Kampagne zu planen, benutze ich die Heldenreise für die Charaktere und meine 3 Timelines.
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Pyromancer

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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #30 am: 7.07.2009 | 20:21 »
Drei Sessions lang SC - ob die Spieler es nun wissen oder nicht - sehenden Auges ins Unglück rennen zu lassen, das finde ich als SL genauso langweilig für mich wie diese Kaufkampagnen, wo immer alles gelingen muß.

Du weißt aber als SL nie, ob nicht einer der Spieler im letzten Moment eine wahnwitzige Idee hat, an die du nicht gedacht hast. Und dann überlegst du und drehst und wendest die Fakten, aber es stimmt: So müsste es auch klappen.
Und das sind die Momente, die ich als SL besonders genieße.

Offline Joerg.D

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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #31 am: 7.07.2009 | 20:30 »
Ja, das sind die Momente, wo man als SL vor Freude strahlt und die Spieler ihren Plan durchziehen lässt, genau wie in den Momenten, wo sie das absolut Falsche machen und die komplette Kampagne über den Haufen werfen, weil sie etwas komplett anders machen, als es logisch wäre oder ihrem bisherigen Verhalten entspricht.
« Letzte Änderung: 7.07.2009 | 20:32 von Joerg.D »
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Offline Hróđvitnir (Carcharoths Ausbilder)

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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #32 am: 7.07.2009 | 20:32 »
Du weißt aber als SL nie, ob nicht einer der Spieler im letzten Moment eine wahnwitzige Idee hat, an die du nicht gedacht hast.

Dann ist die Situation aber nicht mehr "unvermeidlich", sondern fast hoffnungslos. Somit war Akt III eine Wende zum Schlechteren, aber eine "Entscheidung" ist nicht gefallen.  

EDIT: Und das ist genau der Unterschied zwischen Jörgs Äußerungen und meinen. Aber schön, daß Jörg es im Endeffekt auch so sieht.  ;)
« Letzte Änderung: 8.07.2009 | 01:31 von Lorom »
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Offline SeelenJägerTee

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Re: Spannungsbogen?
« Antwort #33 am: 13.07.2009 | 22:44 »
Lorom.
Genau was du sagst, genau so...