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[Changeling: The Dreaming | Ironsworn] Dunkelblaue Teestunde der Seele
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Til und Atréju lassen rennend das Zeltlager der Fir-Bholg hinter sich, und hören voller Schrecken noch ihr kehliges Gelächter und ihre Trinksprüche in der Zunge des alten Ériu, die anderorts vergessen ist. In den Felsenhügeln erreichen sie Fuchur, und schwingen sich schleunigst auf seinen Rücken.
Das war ein weiterer Milestone auf Tils
Queste (Formidabel): Die Vorhut der Horde gewaltlos dahin zurück schicken, wo sie hergekommen ist
und damit der sechste Punkt Fortschritt. Halten die schändlichen Barbaren auch Wort? Ich mache den Move Fulfill Your Vow, und die Challenge Dice zeigen einen Weak Hit. Der passt natürlich haargenau zu der vorangegangenen Szene, denn das bedeutet, dass die Handlung trotz erfolgreich beendeter Queste noch weitergehen wird. Ich darf optional als Folge-Move Swear an Iron Vow anschließen, um eine weitere Queste zu beginnen, die Til gegen die Pläne der Fir-Bholg vorgehen lässt. Das ist aber was für später, vorerst hat er andere Abenteuer zu bestehen!
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Fuchur bringt die beiden erschöpften Reisenden ins Dorf Dornbrück. Hier ist der Wiederaufbau bereits fortgeschritten. Man lässt in einem der kleinen Gasthäuser Til und Atréju übernachten, und hört sich furchtsam die Erzählung der beiden an. Immerhin werden die Besatzer aus Grimgoromn nicht so schnell zurückkehren, und die Horde der Plünderer gar nicht. Die Sterblichen bedenken Til mit vorsichtigen Blicken, aber durchaus dankbar: Er hat tatsächlich als eine Art Schutzgeist fungiert für ihr Dörflein.
Da mache ich mal den Move namens Sojourn, um mich von der Gemeinde etwas aufpäppeln zu lassen. Da würfle ich als Extended Action Charisma+Empathie+Aspekt (‚Abgeklärt, wünscht allen Leuten insgeheim Gutes‘). Durch Bewirtung und Übernachtung bekommen Til und Atréju beide zwei Punkte Willenskraft zurück und sind beide wieder voll.
Atréju träumt in dem ungewohnten Gästebett in dieser Nacht zum ersten Mal seit Langem wieder vom heimatlichen Gräsernen Meer, und dem riesigen Purpurbüffel, den er hatte schießen sollen als seinen Aufnahmeritus, mit dem er sich seinen Platz als vollwertiges Mitglied des Stammes verdienen hatte sollen.
„… In Phantásien träumte mir fast jede Nacht von ihm, als ich berufen wurde, meine Heimat zu verlassen, und auf die Große Suche zu gehen“, berichtet der Junge Til beim Frühstück in der Herberge.
„Ja, habe ich gelesen. Und konntest Du wieder nicht auf ihn schießen, wie in diesen Träumen?“, fragt Til.
Atréju sieht ihn äußerst verstört an, dann aber erinnert er sich daran, dass seine Geschichte durchaus vorher bereits von anderen gelesen wurde, während er selbst sie erlebt hatte! Es ist ein trotzdem sehr merkwürdiges Gefühl. Til beißt sich auf die Zunge, das hätte er vielleicht nicht sagen sollen.
„Dieses Mal war es so ähnlich …“, sagt der Junge zögerlich, „Wir sahen uns in die Augen, sehr lange. Dann bewegte sich das Grasland um mich her, und zog mich rücklings davon. Ich habe dennoch den Blickkontakt nicht abgebrochen, sehr lange Zeit. Und die Sterne kamen raus über uns.“
Fuchur hat in den Wolkenbergen geschlafen, hoch oben am nächtlichen Himmel, während er schwerelos dahin getrieben ist. Nun landet er voller Tatendrang in den Hügeln am Rande des Dornbrück-Schlachtfeldes.
„Wohin wollt Ihr, meine Freunde? Zum Schloss der Goldenen Sonne?“
Til sagt, „Zusje ist derzeit nicht dort! Zumindest wenn es stimmt, was der Fürst der Goldenen Sonne über sie gesagt hat. Sie und ihre Schwester müssen regelmäßig in die Herbstwelt zurück, aus der sie kommen, um nicht verrückt zu werden!“
„Also seid Ihr nicht so perfekt, wie Du gestern sagtest, Til Haselberger“, merkt Atréju an, „Als Wesen, die Gleichzeitig Mensch und Phantásier sind.“
„Kithain, nicht Phantásier“, sagt Til, „Aber Du hast Recht. Wortwörtlich habe ich gesagt, ich sei perfekt, und ich bin es nicht! … Ich spüre auch, dass ich in meine Ursprungswelt zurückkehren muss. Ich sag‘ Euch was, Jungs: Ich bringe Euch in meine Freistatt. Da ist es sicher vor den Schnüfflern aus Grimgoromn. Und Ihr bekommt dort einen Eindruck, wie die Welt der Menschenkinder aussehen kann, zumindest im Idealfall! Und ich kann binnen kürzester Zeit wieder zu Euch zurückkommen, und dann sehen wir, ob wir zum Schloss der Goldenen Sonne gezaubert werden!“
„Einverstanden“, nickt Atréju mit ernstem Gesicht, und gibt Til die Hand. Fuchur gibt ein freudiges Glucksen von sich mit seiner hallenden, bronzenen Stimme.
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Evolution: Til hat sich im Rätselraten und im höfischen Umgang geübt, und bekommt dadurch Enigmas auf zwei, und Etikette auf zwei, und außerdem steigere ich nach den zurückliegenden Zerreißproben seiner psychischen Belastbarkeit auch noch seine Willenkraft auf sechs.
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Die Kleinen Bunnies haben Til in seinem Haus in der Herbstwelt erwartet. Sie sind offensichtlich schließlich einfach nach Hause gegangen, als er von den Grimgoromn-Truppen verschleppt wurde, und sie von ihren Pferden abgehängt waren. Insgesamt sehr vernünftig von ihnen. Mit aufgeregtem Quiek-Quiek und viel Aufhebens umringen sie ihn und scheinen ihm klar zu machen, welche Sorgen sie sich um ihn gemacht haben. Und was sie alles schönes gemalt und gebacken haben in der Zwischenzeit (kleine Wachsmaler-Bilder von Bunny-Strichmännchen an den Tapeten, und die Küche ist ziemlich eingesaut, da hat jemand versucht, Kekse zu backen, scheinbar bei 300 Grad. Ja, große Ungeduld war ein Faktor).
Die schimärischen Kaninchen haben sich die Wartezeit nicht lang werden lassen!
Til ist jedenfalls heilfroh, sie wiederzuhaben. Überhaupt ist er froh, diesen neuesten Eid halbwegs erfüllt zu haben, ohne dass die Schrecken der Vergangenheit ihm dabei das Lichtlein ausblasen konnten. Verstört schaut er auf das Pfotenpolster in seiner rechten Handfläche, wo die Glyphen-Narbe halbwegs verheilt ist. Gut, dass keiner der Sterblichen das sehen kann.
Was geschieht denn diesmal in der Herbstwelt? Uphold Desolation. Wenn Desolation hier nicht Verwüstung meint, sondern Trostlosigkeit, dann ist das ein Orakelspruch, der gut zu Tils Thema passt:
Erstmal passiert ihm also das, was er früher manchmal nach der Rückkehr von Sommerfestivals, beim Zuendelesen bestimmter Romane, und nach Ende intensiver Rollenspiel-Wochenenden erlebt hatte: Er fällt in ein ziemliches Loch. Die Welt der Dunkelheit im Februar wirkt trist und sinnentleert. Sein Arbeitsleben an der Volkshochschule scheint freudlos: Die Hausmeistertätigkeiten zäh, die Schüler in seinen Sprachkursen roboterhaft.
In einer Kaffeepause im Pausenraum sieht er über die Dächer der Schanzenstraße, eine schal schmeckende Tasse lauwarmen Kaffee in der Hand, und ihm fällt ein, was Ūrohso über die Herbstwelt gesagt hatte: ‚Eine schreckliche Welt, in der das Tageslicht und alle Farben gedimmt sind, und die silbernen Gucklöcher der Sterne am Himmel allmählich zuwachsen‘. Und obwohl die Erinnerung an diese Reise ins Träumen jetzt so weit weg erscheint, beinahe wie zusammenfantasiert, weiß Til alles noch genau, er hört den Klang der Worte. Genau so kommt ihm der Anblick, der sich ihm bietet, gerade vor. Die Belanglosigkeiten von seiner blonden Kollegin Bianca gehen ihm in diesem Moment zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Bianca ist die Italienischlehrerin im Kollegium, und gesellt sich in den Pausen öfters zu Til, und im letzten Vierteljahr hatte er sich öfters eingebildet, er könne sich ja vielleicht mal auf eine Romanze mit ihr einlassen, um irgendwie die Leere auszufüllen, die Jettes Abreise in seinem Leben hinterlassen hat. Jetzt gerade kann er sich nicht mal darauf konzentrieren, was Bianca ihm erzählt, und sie erzählt es auch ihrerseits halbherzig, wie im Halbschlaf, als wüsste sie, dass es ihn nicht recht interessiert und als würde es ja sie selber auch nicht recht interessieren.
Also wird Til Haselberger dem Orakelspruch gerecht, indem er seine Trostlosigkeit aufrecht erhält in den nächsten Tagen. Sozialkontakte ergeben sich einfach nicht so recht von selbst, und er hat auch keine Lust, sie herbeizuzwingen. Der restliche, graubraune Schnee in den Straßen von Vährwerder schmilzt, und wird von Eisregen und grauem Matsch abgelöst, typischem norddeutschen Schietwetter.
Und sonst so? Wird Til in seiner Abkapselung von Kinain oder von Verzauberten Sterblichen der lokalen Wechselbälger aufgesucht? Unwahrscheinlich, und die Orakelwürfel verneinen dies auch.
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Das Vogelhäuschen glitzert verlockend von innen her, als Til sich nach drei Tagen in seiner Alltagswelt zum ersten Mal wieder traut, es ins Auge zu fassen. Es ist kurz vor Dienstschluss der Service-Hotline, bei der er angerufen hat, wo er eben endlich eine reale Mitarbeiterin erreichen konnte, nach langen Warteschleifen. Jetzt erwartet er eigentlich dringend einen Rückruf von der. Aber plötzlich ist ihm das einmalige Angebot seines Netzbetreibers wieder egal. Er schaltet das Telefon ab und legt es irgendwohin.
Vorsichtig geht auf das Vogelhäuschen zu, das auf dem Fensterbrett des Wohnzimmers steht, er schaut gebannt darauf, nähert sich behutsam, wie einer, der jemand anderen nicht erschrecken will. Das Leuchten von innen wird aber nicht schwächer, sondern tatsächlich stärker, mit jedem Schritt, den Til darauf zu macht.
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Atréju hockt an einer Straßenecke, auf den Treppenstufen eines Hauseingangs, umringt von den Multi-Kulti-Kindern des Stadtteils, die ihm gebannt lauschen. Viele gucken ihn an als würden sie ihn als exzentrisch wahrnehmen, sowas wie eine ausgebüxte Zirkus-Attraktion. Das liegt aber an seiner Garderobe und seiner Ausdrucksweise, denn die Sache mit der merkwürdigen Hautfarbe jedenfalls ist in dieser Version von Hamburg-Vährwerder für alle völlig nebensächlich. Selbst, wenn einer grün ist, gehört er dazu. Das findet Til ziemlich anrührend, und beobachtet die Gruppe ein Weilchen bei ihrem Cornern. Atréju erzählt den Kindern Geschichten aus seiner Heimat, verschiedene Legenden und Volkssagen aus dem Gräsernen Meer. Sein Tonfall ist wie neulich sehr ernsthaft und sehr aufrichtig. Selbst die Teile, die offensichtlich witzig sein sollen, erzählt er mit großem Ernst, als sei das alles ihm unglaublich wichtig.
... Muss es auch sein, es ist das einzige bisschen kulturelle Identität, das diesem Jungen geblieben ist, denkt Til. Einer, der nicht von seinen Eltern aufgezogen werden konnte, und stattdessen im Stamm ‚das Kind aller‘ war, der sein eigenes Aufnahmeritual verpassen musste, und der Sorge hat, seine Heimat nie wiederzusehen. Immerhin hat er noch die Lagerfeuergeschichten von dort. Eine Art poetische Schwermut beschleicht Til beim Zuschauen, und hätte er den Hasenkopf noch nicht seit vorhin schon, dann würde er ihn wahrscheinlich dadurch für heute bekommen. Dennoch fühlt sich gleichzeitig alles hier großartig an, im Sommersonnenschein des beschaulichen Vormittags in dieser idyllischen Version der Stadt gibt es einfach keinen Grund, den Kopf hängen zu lassen, auch wenn’s ein Hasenkopf ist.
„... Til Haselberger, Du bist ja auch da!“, sagt Atréju schließlich zu dem Pooka.
„Ich hör‘ schon seit Stunden zu. Sind sehr gute Geschichten, die Du da erzählst.“
„Seit Stunden kann gar nicht sein, höchstens ein Weilchen“, stellt der Junge richtig, „Die Kinder dieses Landes wollten wissen, wo ich herkomme.“
„Das wäre der absolute Knaller gewesen für mich als Kind, wenn Du in dieser Nachbarschaft damals vorbeigekommen wärst, um von Deinem Leben zu erzählen“, lächelt Til, diesmal ganz ohne zu lügen, „Wie war‘s bei Günther?“
„Ein sehr freundlicher Mensch! Ich habe es aber vorgezogen, draußen in seinem Garten zu schlafen, unter den Sternen. Das scheint ihn befremdet zu haben, aber er hat mich gewähren lassen. Er fürchtete anscheinend, es sei zu kalt des nachts! Die Leute hier können das nicht wissen, sie sind ja nur gewohnt daran, in festen Häusern zu schlafen!“, und er sagt das, als wäre das eine wirklich verblüffende Sache.
Til hatte Atréju bei ihrer Ankunft in der Freistatt neulich bei Günther einquartiert, der hat einen kleinen Bauwagen auf seinem Grundstück stehen, wo der Reisende unterkommen konnte. Schien aber dann wohl nicht nötig gewesen zu sein. Die unauffälligen westlichen Klamotten die Günther übrig hatte, wollte der junge Krieger offensichtlich ebenfalls nicht anziehen, er war zu stolz und hat seinen angestammten Tarzan-Look beibehalten.
„Ich wäre jedenfalls wieder bereit, tiefer ins Träumen aufzubrechen“, sagt Til, „Ich hoffe, die drei Tage sind Dir nicht allzu lang geworden.“
„Aber nein“, sagt Atréju, „Die Menschen hier sind sehr freundlich, und sehr interessant.“
Die umsitzenden Kinder gucken stolz, als wäre es ein Kompliment gewesen, das hauptsächlich in ihre Richtung ging.
Til holt noch den Rucksack mit dem restlichen Proviant von neulich aus seinem Versteck ab. Die Mittelalter-Klamotten von den Boggans haben etwas gelitten letztlich, die müsste er mal waschen und flicken! Er behält also einfach seine Jeans und seinen schwarzen Pulli an.
Als die beiden durch die überlange, sich biegende Häusergasse gehen, auf die Eindrücke des Waldes zu, wo die Ausgangstür ist, erscheinen kichernd auch die Kleinen Bunnies wieder. Sie kokettieren, während sie die beiden umhoppeln, eins will von Til auf die Schulter genommen werden, und guckt zufrieden, als es dort oben thront. Atréju quieken sie an, irgendwie fordernd.
„Was wollen sie denn?“, fragt er verwirrt.
„Wahrscheinlich wollen sie den Schlüssel von Dir wiederhaben. Sie verbuddeln den gerne, wenn ich die Freistatt verlasse.“
Til hatte in seiner Abwesenheit nämlich Atréju den Freistatt-Schlüssel dagelassen, damit der raus ins Ferne Träumen könne, zu Fuchur.
„Sind sie auch vertrauenswürdig?“, fragt der Krieger, „Was, wenn sie ihn irgendwo verstecken, wo sie ihn nicht wiederfinden?“
Sieben kleine Kehlen protestieren mit empörtem Quiek-Quiek.
„Ähm, bisher haben sie da einen echt guten Job gemacht!“, begütigt Til, „Ich habe mir da nie irgendwelche Sorgen machen müssen, auch nicht beim ersten Mal!“
Sofort ist die Kaninchenbande zufrieden, und nachdem sie alle durch die schmale, unauffällige Tür getreten sind und Til abgeschlossen hat, kassieren sie den Schlüssel ein und pesen damit weg.
„Was hat es mit diesem Bryndrick auf sich, der an der Waldesgrenze umgeht?“, fragt Atréju indessen.
„Oh! Na, ich hatte Dich ja vorgewarnt! Er ist eigentlich ein verwunschenes Mondkalb.“
„Ein Mondkalb? Glaube ich Dir nicht! Er ist seltsam, er erinnerte mich an die Borkentrolle im Haulewald. Obwohl er solch ein Griesgram ist, scheint er insgeheim an der Freistatt sehr interessiert, und er war auch interessiert daran, mit mir zu sprechen.“
Til mustert Atréju im Gehen, ihm wird klar, dass der Bryndrick mit seinem Bedürfnis, wieder mit dem Menschsein in Kontakt zu treten, Atréju irgendwie ähnelt.
„Der Bryndrick sucht die Nähe des mondänen Lebens in der Herbstwelt, aus der ich stamme“, versucht Til zu erklären, und unterdrückt dabei sogar den Impuls, wieder eine Lüge mit einzustreuen, „aber ich vermute, er würde die Herbstwelt gar nicht betreten können. Scheinbar können nur Halbwesen wie ich das. Aber dieses Menschenleben meiner Welt, das wird von den Bewohnern der Freistatt gespiegelt. Die sind so ähnlich, aber ohne die Gefühlskälte, die ... Tristesse. Daher fühlt der Bryndrick sich von der Freistatt angezogen.“
„Dann bist Du ein Halbwesen, ja? Wie der Gmork.“
„Wer war das noch gleich in Deiner Geschichte?“
„Einer, der sich in Phantásien bewegen kann, jedoch auch in der Welt der Menschenkinder. Vielleicht sogar noch in anderen Welten. Er sagte, er habe keine eigene Welt. Ein abscheuliches, aber sehr bemitleidenswertes Wesen. Er sah aus wie ein riesiger Wolf.“
„Ja, ich erinner‘ mich!“, sagt Til, und ihm geht auf, dass es sich bei dieser Gestalt um ein Wolfs-Pooka handeln könnte — ein Tiermensch, der zwischen den Welten hin und her wechseln kann! Dann aber definitiv ein Mitglied des Finsteren Hofs. … Wenn Atréju von diesem Treffen mit dem Werwolf berichtet, dann hat er ihn an diesem Punkt jedenfalls bereits in Spukstadt getroffen, und Gmork ist bereits gestorben. Til lässt das Thema lieber ruhen.
Stattdessen sagt er, „Das Träumen und die Herbstwelt brauchen sich gegenseitig, das lehrt uns auch die Unendliche Geschichte, aus der Du stammst.“
Der Junge nickt gedankenvoll.
„Vielleicht geht es Dir, Atréju, ähnlich wie dem Bryndrick, in gewisser Hinsicht: Deine Große Suche bestand darin, Bastian zu finden. Jedes Kind weiß das bei uns in der Herbstwelt, buchstäblich jedes Kind. Vielleicht ist der Dein Alter Ego, ähm, will sagen, Dein anderes Ich, von der anderen Seite. Bastian, Euer Retter, das Ziel Deiner Großen Suche. Ich meine, Wikipedia behauptet das.“
„Ist jener, der dies behauptet, ein Weiser, oder ein Orakel, oder eine Lüge?“
„Öh … die meisten Artikel da drin sind glaube ich ganz gut recherchiert. Einige sind natürlich Orakelsprüche. Das gehört dazu.“
„Du scheinst den Weisen Deiner eigenen Welt nicht ganz und gar zu trauen, Til Haselberger!“
„Nee, warum auch. Wahrscheinlich steckt am Ende das Allsehende Auge dahinter. Ich habe jedenfalls sehr stichhaltige Hinweise dafür.“
„Das ist schrecklich, dass die Menschenkinder den eigenen Weisen ihrer Welt nicht vertrauen können!“
Til seufzt, „Oh, es gibt viele Weise in der Herbstwelt, denen wir vertrauen können, viele.“
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Fuchur braust mit flammender, weißer Mähne über ihnen hinab. Alle winken sie ihm begeistert. Die Bunnies scheinen begierig darauf, diesmal auch mitfliegen zu dürfen.
„… Also, Ihr wollt zum Schloss der Goldenen Sonne?“, fragt Fuchur, als sie auf seinen Rücken klettern.
Til erklärt, „Ganz bestimmt sind Marlies und Zusje gerade dort! Oder Niedzwiedz! Fürst Ūrohso hat zwar versprochen, mich dorthin zu zaubern, sobald einer von denen eintrifft, aber es kann ja sein, dass er bisher nicht dran gedacht hat. Und Euch will ich dem Hofe dort sowieso vorstellen. Vielleicht gibt es da jemanden, der Euch raten kann.“
Atréju nickt, ein Hoffnungsschimmer erscheint auf seinem Gesicht, aber er beherrscht sich sogleich wieder.
Til ergänzt, „Wenn das alles nicht hinhaut, können wir zumindest den Eid vor Ūrohso leisten, dass wir das Geheimnis der Grimgoriminatori herausfinden müssen. Das steht schon seit Jahren aus.“
„Das klingt wie eine Übertreibung.“
„Ich übertreibe aber nicht. Das Schloss der Goldenen Sonne ist leicht zu finden, hat Marlies gesagt! Nach Holz-Gibel-Brunnen-Dorf werden wir zu der Stelle kommen, wo der grüne Märchenwald neuerdings in den violetten Tulgee-Wald übergeht. Dann müssen wir im Grunde nur noch dessen Grenze folgen, um schließlich in das Land zu kommen, wo das Schloss der Goldenen Sonne liegt!“
„So sei es — wenn dies auch Dein Wille ist, kleiner Herr!“, verkündet der Drache freudig.
Und Atréju nickt, „Ja! Bring‘ uns bitte dorthin, Fuchur!“
Til setzt die Mutigen unter den Kleinen Bunnies vor sich, damit sie sich in der Rückenmähne des Glücksdrachen festklammern können. Die Ängstlichen steckt er sich sicherheitshalber in den Ausschnitt seines Pullovers, so dass nur ihre Köpfe herausschauen, und sie noch weniger dem Fahrtwind ausgesetzt sind. Da wirken sie schon selbstsicherer.
Das bedeutet für die ungleichen Freunde einen Gather-Information-Wurf, um aus der Luft den Zielort zu finden. (Ohne Fuchur wäre es ein dicker Undertake-a-Journey-Move, der Tage dauern würde! Was für eine grandiose Reisemethode offen steht, dank unserem neuen Kontakte-Hintergrund!)
Atréju würfelt Geistesschärfe+Überleben und Til Wahrnehmung+Aufmerksamkeit, um gemeinsam Ausschau in der unter ihnen dahin sausenden Wildnis zu halten. Es kommen jedoch nur fünf Erfolge zusammen, diese Bereiche der Ewigen Wälder sind ihnen allen noch neu! Da bereite ich mich schon auf abenteuerliche Zwischenbegegnungen vor. Aber wer sagt’s denn: Die Challenge Dice sind äußerst nachsichtig mit einer Zwei und einer Vier, und gewähren uns einen Strong Hit!
Die Grenze des Tulgee-Wald ist leicht zu finden, und obwohl sie sich wild hin und her schlängelt, ist ihr aus der Luft auch leicht zu folgen. Gelegentlich erheben sich die Hälse von Schimären von dort über die Wipfel, die auf ersten Blick rosa Giraffen zu sein scheinen, aber sich als insektenähnlich herausstellen, denn statt auf vierbeinigen Torsos enden diese Giraffenhälse in Seepferdchen-Unterleibern, komplett mit schwirrenden Falterflügeln.
„Dieses Wunderland … das ist doch angefüllt mit Fieberfantasien“, murmelt Til bei diesem Anblick, „Gut, dass wir da nicht rein müssen! Einmal hat gereicht.“
„Ich habe seltsamere Anblicke geschaut“, kommentiert Atréju unbeeindruckt.
Til nickt, das glaubt er sofort; der Bengel ist immerhin auf seinem Pferdchen Artax bereits durch halb Phantásien geritten.
Der Grimm-Wald endet nach ein paar Flugstunden schließlich, und macht einer weiten, sonnenbeschienen Hügellandschaft Platz. Sie hat etwas urtümliches, savannenartiges. Der violette Tulgee-Wald zieht sich bis hier hinauf. Und am schimmernden Horizont erheben sich nun die Umrisse eines prachtvollen Bauwerkes, dessen Turmspitzen hoch in den Himmel hinauf reichen, und glühen wie eitel Gold!
Der Palast der Goldenen Sonne aus dem Märchen 'Die Kristallkugel'
Fuchur landet lautlos auf seinen vier Tatzen auf einem der hochgelegenen Plätze des Schlosses. Ein paar prachtvoll gekleidete Diener kommen aufgeregt hinaus gelaufen, die Boggans zu sein scheinen. Sie machen allesamt große Augen, einige ringen fassungslos die Hände.
„Seid Ihr hinter der Königstochter her?“, ruft eine von ihnen mit zitteriger Stimme.
„Königstochter?“, fragt Atréju, während er mit geschmeidigen Bewegungen von Fuchurs Hals herunter klettert, „Warum denn ausgerechnet eine Königstochter?“
„Oh-oh“, macht Til ahnungsvoll.
Ich lasse ihn einen regulären Wurf auf Intelligenz+Gremayre machen, um zu sehen, ob ihm dieses Detail der Märchenvorlage gegenwärtig ist. Zwei Erfolge:
„… Ach ja. Es hat sich wohl die Kunde davon verbreitet, dass eine verwünschte Königstochter hier auf Erlösung harrt. Dreiundzwanzig Jünglinge sind bereits auf dieser Queste umgekommen. Aber … ich bin sicher, dass das alles nur Gerüchte sind, halb so wild.“
Ūrohso kam Til in Aevalorn eher wie ein Menschenfreund vor, eine Art philanthropischer Lebemann. Einer wie der entführt doch wohl keine Sterblichen, und lässt andere beim Rettungsversuch über die Klinge springen?!
Sind eigentlich Marlies und Zusje derzeit hier? Die Orakelwürfel sagen nein, das ist enttäuschend. Sie bestätigen jedoch, dass der Schlossher selbst derzeit hier ist:
„Willkommen, oh Freunde!“, erschallt seine freudige Stimme über den Vorplatz, als auch er seinen Bediensteten nach schreitet.
„Seid gegrüßt, Fürst Ūrohso! Darf ich Dir meine neuen Freunde vorstellen?“
Der Auerochs-Pooka haut Til seine große Hand auf die Schulter, und sagt, „Das darfst Du gern. Seid mir alle zehn willkommen an meinem Hofe!“
„Das sind Atréju aus dem Gräsernen Meer aus Phantásien, und Fuchur der Glücksdrache. Und die Kleinen Bunnies sind natürlich wieder mit dabei. (Benehmt Euch, Bunnies.)“
„Wir hätten so schnell nicht mit Euch gerechnet! Ich dachte, Deine andere Queste würde Dich noch lange aufhalten, Freund Til. Obschon ja meinem Hofe bereits zugetragen ward, dass die Fir-Bholg-Horde sich wieder zur Küste zurückzieht seit zwei Wochen! Aber wir wagten noch nicht zu hoffen, dass das tatsächlich bedeuten könne, dass Du die Barbaren beschwichtigen konntest.“
„Zwei Wochen? Ich war doch nur drei Tage fort! Und in der Freistatt sind für Atréju auch nur drei Tage vergangen! Na ja, zweieinhalb, um ehrlich zu sein.“
„Es waren drei“, bemerkt Atréju, dem Tils Gewohnheitslügen gegen den Strich gehen.
Der Schlossherr sagt, „Das ist nicht verwunderlich, denn die Zeit in der Herbstwelt vergeht anders als im Träumen. Diesmal waren es drei Tage bei Dir, die drei Wochen bei uns waren …“
„Ich dachte, zwei Wochen?“, fragt Til verdutzt.
„… Drei Wochen“, bestätigt Ūrohso unbeirrt, „Beim nächsten Mal könnte es genau anders herum sein. Manche Höfe der Sidhe behalten ihre sterblichen Spielzeuge für scheinbar nur wenige Nächte der Lustbarkeiten, und bei deren Rückkehr stellt sich heraus, dass währenddessen Jahrhunderte vergangen sind in der Welt der Dunkelheit. Nichts ist gewiss.“
„Oha“, sagt Til, „das wirft aber Probleme auf mit meinem Berufsleben! Da darf ich doch nicht tagelang fehlen … und schon gar nicht jahrhundertelang, das hat meine Geschäftsführung an der Volkshochschule klipp und klar gesagt!“
„Langweile uns nicht mit den Banalitäten der Herbstwelt, oh Freund Til! Dies alles spielt jetzt und hier keinerlei Rolle. Wir waren natürlich auf Euer heutiges Erscheinen vorbereitet! Kommt, Speisen und Trunk erwarten Euch, gewiss seid Ihr hungrig von Eurem Flug! Wir gehen über die Säulengalerie hinein, die ist groß und weit genug, auf dass auch der Drache Fuchur erhobenen Hauptes dort hindurch passt!“
Als sie fröhlich dem Fürsten nachgehen, umringt von seinen eifrigen Boggan-Dienern, raunt Atréju Til zu, „Aber sagte er nicht, er sei eben nicht vorbereitet gewesen auf unser Erscheinen?“
Til raunt zurück, „Du musst aufhören, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, junger Krieger! Verstehst Du, bei Dir in Phantásien sind die meisten Geschöpfe und Völker einzigartig. Hier im restlichen Träumen scheint alles durchzogen zu sein von uns Kithain! Manche sind halbe Menschenkinder, so wie ich und die Nerz-Schwestern. Andere sind reine Feen, wie der Hofstaat hier. Faustregel, Kumpel: Wenn einer Tierattribute hat, dann ist er ein Pooka! Solche Kithain werden Dir stets nur die Wahrheit sagen. Alle anderen sind Schandmäuler, Lügenpack!“
„Das hast Du verdreht! … Aber Du willst damit sagen, selbst der Fürst lügt, weil er auch ein Tiermensch ist?“
„Nee, das kann man so nicht sagen …“
„Ich habe Dich durchschaut! Nun. Ich verabscheue das Lügen!“, raunt Atréju, und hebt stolz das Kinn.
„Ja … das ist gewissermaßen Deine Antithese, nicht? Hm … wir Pooka meinen es aber nicht böse! Es ist auch nicht wirklich ein Drang, dem man nicht widerstehen kann, weißt Du. Eher ein Wunsch, alle zu verarschen.“
„Ver-was?“
„Upps, entschuldige. Das Wort sollte man gar nicht erst lernen.“
„Regenten sollten wahrhaftig sein!“, wispert Atréju bockig.
Da hat er ja recht! Aber Til, der sich ziemlich auskennt in der Realpolitik der Herbstwelt, weiß sehr gut, dass Halbwahrheiten und Beschönigungen einfach zum Geschäft gehören, und dort oft unvermeidlich sind. Aber einem wie dem jungen Krieger kann man sowas nicht sagen, mit seinem Krieger-Ethos und seinem reinen Herzen.
Ich mache den Move Sojourn, um den Hof der Goldenen Sonne kennenzulernen, Hände zu schütteln, mir Namen zu merken, Verbeugungen zu machen, und natürlich fürstlich zu schlemmen. (Und die Kleinen Bunnies davon abzuhalten, heimlich in die Großküche vorzudringen und dort zu rauben!) Für den Move bietet sich natürlich an, Charisma+Etikette zu würfeln. Til hat Etikette frisch gesteigert und bringt drei Erfolge ein, Atréju kennt vor allem die einfacheren Anstandsregeln bei seinem Naturvolk und im Umgang mit dem Zentauren Caíron, aber liefert trotzdem einen Erfolg (da wird auch trotz einem Willenskraft-Reroll nicht mehr draus). Die insgesamt fünf sind etwas mager, das Gebaren der Abenteurer lässt zu wünschen übrig. Die Challenge Dice zeigen eine Doppel-Neun! Ein extremer Fehlschlag. Das bedeutet Pay the Price!
Die Dienerschaft scheint stellenweise auf Zehenspitzen zu gehen, und bestimmte bereiche des Schlosses gänzlich zu meiden. Es wird immer wieder erwähnt, der ‚Gast aus der Fremde’ dürfe keinesfalls gestört werden, überhaupt solle dieser mysteriöse Gast eigentlich denken, das Schloss sei wohl weitgehend leer, und keine Feen zu Gesicht bekommen, wenn es geht!
Der phantásische Krieger wechselt einen aufgebrachten Blick mit Til.
Als das Mahl aufgetragen wird, platzt Atréju also endgültig der Kragen: Das sei eine Verwerflichkeit, dass eine sterbliche Edelfrau hier gefangen gehalten würde, und dass der Schlossherr fortwährend mit gespaltener Zunge spräche! Ūrohso besieht sich den Jungen, als wäre das ein putziges Schauspiel, aber die Boggan-Diener und Würdenträger sind empört!
Das Resultat von Pay the Price ist leicht zu bestimmen:
Wer stört fliegt raus, und Artréju war einfach zu unverblümt und ehrlich für den Hofstaat eines Pooka-Herrschers, zwei Ritter erscheinen also, und bitten ihn gestreng, ihnen zum Ausgangstor zu begleiten.
„... Nicht nötig!“, faucht der Krieger, „Ich komme auch schneller hier hinaus, und ich weigere mich, länger zu verweilen!“, und er stürmt mit Fuchur davon, zurück zum Säulengang, schwingt sich auf dessen Rücken, und schnellt in die Lüfte davon.
Die Boggan-Dienerschaft ist händeringend nachgefolgt, und bleibt nun mit offenen Mündern stehen, so auch Til.
„Na, das war ja mal wieder was …!“, sagt Til hilflos. (Der Satz ist dabei, sowas wie sein Wahlspruch zu werden.)
„Der arme Junge! Der kennt sich in dieser Realität gar nicht aus … ich sollte hinterher!“, hängt er dran.
„Du holst ihn ja doch nicht ein“, sagt Ūrohso begütigend, „Und unser geflügeltes Pferd ist gerade flügellahm.“
„Ihr habt hier ein …?“, entfährt es Til begeistert, dann checkt er, und sagt, „Oh. Nun, Ihr habt recht. Ich müsste schon gewaltig schnell mit den Armen flattern, um meinen jungen Freund einzuholen.“
„Er mag eine Schimäre sein, aber er denkt wie ein Mensch“, sagt der Herrscher, „und den Gemütern der Sterblichen fällt es schwer, zu begreifen, dass die Unsterblichen sich an andere Gesetzmäßigkeiten zu halten haben. Ich kenne abertausende Sterbliche, und bei keinem war es je anders.“
„Eine Schimäre? Atréju ist keine Schimäre, er ist ein Mensch, ähm, beziehungsweise einer vom Volk der Grünhäute, äh …“
„Ich kenne Phantásien wie meine Westentasche! Es ist bevölkert von Schimären, und ein paar wenigen Kithain.“
„Wie Eure Westentasche, ja?“
„Sehr richtig.“
„Hm. Ich hatte gedacht, er ist eine reine Fee, so wie Ihr, Fürst. Er hat‘s ja selbst steif und fest behauptet!“
„Nun, vielleicht ist er ein ungewöhnlicher Sippling der Nunnehi! Demnach ein Gallain, kein Kithain. Unsere entfernten Verwandten aus fernen Landen. Ich weiß es nicht zu sagen. Du brauchst Deinen Freund ja nur zu fragen, er wird es leicht beantworten können.“
Tils Intelligenz+Gremayre-Wurf liefert drei dicke Erfolge, und er kommt auf die Wortbedeutung von ‚Nunnehi‘:
„Das hab‘ ich mal in einem Mythenbuch gelesen. ‚Leute, die überall leben‘, das gibt es in der Sprache der irdischen Cherokee. Aber ich war überzeugt, Michael Ende hätte Atréjus Volk auf den Sioux basieren lassen“, sagt er, mehr zu sich selbst (überzeugt war er ehrlich gesagt nicht im geringsten).
„Lass‘ uns zur Tafel zurückkehren, das Mahl wird noch kalt. Und ich weiß, dass Du sehr wohl weißt, was es heißt, einen Koch vom Kith der Boggan zu beleidigen!“
„Oh! Okay.“
Eine unterkühlte Stimme erklingt hinter ihnen, „Nun, Bildung hat er ja vorzuweisen, unser Wohltäter von Aevalorn.“
Til sieht sich verwirrt um. Hinter ihnen hat sich eine sehr große, magere Schwarze mit unfassbar voluminösen Dreadlocks genähert. Sie ist so zartgliedrig, dass es unmöglich ist, sie für einen Menschen zu halten, sie erinnert sogar ein wenig an die Aevalori.
Olula Kunboladamole, die bekannte Gelehrte
„Kenne ich Euer Gesicht nicht?“, fragt Til.
„Ah, mein anderer Gast sieht die Gelegenheit endlich, ebenfalls zu unserem spontanen Mahl zu erscheinen“, lächelt Ūrohso, „Olula Kunboladamole, dies ist Til Haselberger. Freund Til: Dies ist Lady Olula Kunboladamole, reisende Gelehrte vom Kith der Eshu!“
Diesmal würfele ich nicht, ob sie zufällig erscheint, diesmal kommt es mir äußerst passend vor, immerhin haben die Eshu ein untrügliches Gespür dafür, wann es für sie opportun ist, sich wo einzufinden!
„Wir kennen uns aus Aevalorn“, sagt Olula streng.
„Ah, jetzt fällt‘s mir wieder ein! Ich hatte Euch neulich zu den Wettersystemen am Himmel über Aevalorn befragt!“
„Zum Herrscherreich Grimgoromn befragtest Du mich.“
„Gehen wir speisen!“, verfügt der Fürst, „Dies alles beredet sich viel besser bei Kerzenschein und einem Wein!“, dabei sind gar keine Kerzen entzündet, es ist ja helllichter Tag!
Das, was die Boggan-Köche gezaubert haben, ist tatsächlich über die Maßen köstlich, mittelalterliche Speisen mit einem orientalischen Touch. Die Kleinen Bunnies versuchen, dagegen an zu mumpfeln, sie sind die einzigen, die die Tafel nicht zwischenzeitlich verlassen hatten.
Bei Tisch fragt Olula sogleich, „Wo ist Atréju so eilig hin?“
Til sagt verdutzt, „Ihr kennt ihn, Lady?“
„Ich bin ein Changeling, wie Du. Die Unendliche Geschichte ist auf der Erde ein Meilenstein der Jugend- und Bildungsliteratur. Wer könnte ihn nicht kennen?“
„Ein Changeling! Ich wusste es!“
„Ich hatte Angelegenheiten mit Dir zu bereden, oh Wohltäter von Aevalorn.“
Sie sagt das mit einer großen Prise Ironie, wie Til auffällt, und sie hat immer noch nicht ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen.
„Und ich hatte natürlich damit gerechnet, dass Du jetzt hier sein würdest. … Noch heute früh wusste ich selbst nicht einmal, dass ich jetzt hier sein würde!“
„Wir Eshu sind immer zur günstigsten Zeit an dem Orte, wo wir gebraucht werden.“
Schalter:
„Sind Eure Forschungen in den Ruinen von Edovoldda denn abgeschlossen, Mylady?“, fragt Til neugierig.
„Oh nein“, antwortet die Eshu, „Ein paar aus meinem Gefolge sind noch dort, um die Arbeit weiterzuführen. Das, was dort von Dir und den Kaninchen-Schimären zutage gefördert wurde, ist recht aufsehenerregend. Wer weiß, wie viele Teile der Ruinenstadt noch begehbar sind. Ich werde noch oft dorthin zurückkehren müssen.“
„Denkt Ihr auch, dass sich eine mögliche Lösung für das Kommen des ... sogenannten Winters ohne Ende dort verbergen könnte?“
„Sie kann überall im Träumen sein, und Eshu suchen seit Dekaden danach! Das uralte Edovoldda ist nur ein solcher Ansatzpunkt.“
„Wow“, sagt Til anerkennend, „Das klingt, als könnte Euer Kith mittlerweile ziemlich viele Puzzlestücke zusammen haben, um das Rätsel zu knacken.“
Olula zuckt die Schultern, und versetzt, „Da es sich um ein kosmologisches Rätsel handelt, wer weiß.“
„Kosmologisch?“, fragt Til.
Sie sagt, „Es handelt sich hier ja nicht um ein meteorologisches Phänomen, obwohl der Name darauf schließen lassen könnte. Nein, der Schlüssel ist in der großen Gesamtheit aller Dinge zu suchen. Unter anderem der Frage: Warum ist die Menschheit so, wie sie ist?“
„Ich würde annehmen, die Menschheit kann auch ohne Träume weiterexistieren … wie auch in der Unendlichen Geschichte angedeutet wird, nicht wahr? Als Volk von biologischen Automaten“, sagt Til.
„Wahrscheinlich nur kürzeste Zeit. Es gibt viele Gelehrte unter uns modernen Changelings, die den Verdacht hegen, dass eine solche Menschheit nur wenige Dekaden überdauern würde. Bis sie sich selbst endgültig negiert.“
„Vielleicht wollen die Grimgoriminatori das ja?“, fragt Til unsicher, „Oder das Allsehende Auge?“, und ein Schauer läuft ihm über den Rücken.
„Was weißt Du über das sogenannte Allsehende Auge?“, fragt Olula skeptisch.
„Nichts! Die Grimgoromn-Truppen scheinen sich aber bisweilen mit dieser Macht zu verbünden, oder?“
„Was weißt denn Du überhaupt, Pooka?“, fragt sie misstrauisch, „Wie lange ist Deine Verpuppung überhaupt her?“
„Meine was?!“
Ūrohso mischt sich ein, „Die Lady spricht von Deinem Erwachen, Freund Til. Der Chrysalis. Mithin auch Verpuppung genannt, abgeleitet vom Sinnbilde des Schmetterlings.“
„Wenn Du nicht einmal diese Worte kennst, so hast Du überhaupt keine Unterweisung erfahren, Til Haselberger?“, will Olula wissen, „War Dein Gedenken während Deiner Episode von Traum-Tanz so deutlich, dass Du keinen Mentor mehr brauchtest?“
„Äh. Nicht so schnell, ich komme nicht mit“, sagt Til schwach.
„Oder bist Du nur ein Kasperle?“, fragt Olula gnadenlos weiter, „Welchem irdischen Reich entstammst Du? Deutsch scheint Deine Muttersprache zu sein?“
„Vielleicht“, sagt Til vage, und mustert sie.
„Also, welches irdische Reich?“, verlangt sie zu wissen.
„Das Bayern-Ländle!“, sagt er, „eine Stadt namens Hamburg!“
„Ah, ja, die gute alte Hammaburg!“, sagt Ūrohso erfreut, „ich erinnere mich!", und das sagt er grad so, als sei es gestern gewesen, dass die Stadt nicht viel mehr als eine Burg war, und diesen ursprünglichen Namen getragen hatte.
Lady Olula entgegnet Til, „Ah, also das Elbische Protektorat.“
„Weil da Elben sind? Herr der Ringe?“, fragt Til überfordert.
„Wegen dem Fluss Elbe“, versetzt sie, pikiert über so viel Torheit.
„Elbisches Protektorat … wow …“
„Hamburg ist seine Regentschaftsstadt. Wie kannst Du dort leben und das nicht wissen?! Bist Du nie gefunden worden?“
„Ja nein! Meine Verwandlung in einen Hasenmenschen kam eben leider ohne Anfänger-Handbuch und Adressliste daher. Obwohl ich sie so bestellt hatte.“
Der Fürst seufzt, „Die Wechselbälger sind wirklich wenige geworden, drüben in der Herbstwelt. Es ist eine Schmach.“
Til fügt ehrlich hinzu, „Ich komme immer ins Träumen, um andere Kithain zu treffen.“
Olula rügt, „Umso mehr würde es sich empfehlen, sich vorerst aus politischen Machtspielen heraus zu halten, Herr Haselberger.“
„Tue ich doch“, blufft Til.
„Aevalorn trägt die Spuren Deiner Taten allüberall im Labyrinth verteilt, ... wie schmutzige Pfotenabdrücke!“, kann Olula sich nicht verkneifen zu bemerken.
Die Kleinen Bunnies kichern, das scheinen sie irgendwie verstanden zu haben, und die Vorstellung finden sie witzig.
„Ihr seid eine weltgewandte Persönlichkeit, oder?“, fragt Til ruhig, „Ihr seid weitgereist, Lady?“
„Wie nahezu alle Eshu. Es liegt meinem Kith im Blut.“
„Dann ratet mir doch, als ein anderer Changeling, was Ihr denkt, das ich tun sollte?“
„Meldet Euch am Hofe des Trolls Ludvig Magnus von Hammaburg. Seine Freistatt wird Trollhaven genannt. Von dort aus regiert er über das Elbische Protektorat. Bis dahin, Herr Haselberger, halte Dich zurück, ganz besonders mische Dich nicht ein in den Konflikt mit Grimgoromn!“
„Ehrlich gesagt bin ich hier, um dem Fürsten einen Eid zu schwören“, sagt Til, „Genau das zu tun. Mich künftig zurückzuhalten, meine ich.“
Lady Olula verengt die Augen zu Schlitzen, und scheint dahinter kommen zu wollen, welcher Teil seiner Aussage gelogen sein mag. Til lässt sich schnell noch mehr gebratene Aubergine geben, und tut so, als wäre nichts. Er fühlt sich ziemlich überfordert.
☀
Nach dem Mahl begleitet Ūrohso ihn zu einem der Freiplätze des Schlosses, wo es einen unfassbar schönen Ausblick über das Grasland gibt. Til versucht sorgenvoll, die hellen Schlängelbewegungen von Fuchurs langem Drachenleib am Horizont auszumachen. Für den Schlossherren scheint dies eher ein Verdauungsspaziergang zu sein, er scheint sich nicht zu besorgen, und er scheint dem jungen, hitzigen Krieger Atréju seinen Ausbruch vorhin auch nicht übel zu nehmen.
Nachdem er eine Weile suchend umher geschaut hat, wendet sich Til dem anderen Pooka zu: „Fürst, was hat es mit Lady Olulas Hiersein auf sich, darf ich das fragen?“
„Ich vermute, Du ahnst es längst. Wahrscheinlich hat ihr hellsichtiges Gespür sie hierher reisen lassen, weil sie nicht will, dass Du mir endgültig den angekündigten Eid schwörst!“
„Wie kann sie denn überhaupt davon wissen? Sie war doch im Everreach gar nicht dabei, als ich zuletzt davon sprach?“
„Sie braucht auch gar nicht davon zu wissen, damit ihre Füße sie hierher tragen konnten! Es stimmt schon, was sie sagte: Das Kith der Eshu findet sich immer dort ein, wo die interessanten Begebenheiten sich ereignen werden. Und sie kommen dabei immer exakt eine Viertelstunde zu früh, oder exakt sieben Minuten zu spät!“, schmunzelt der Herrscher.
„Das scheinen äußerst nützliche Verbündete zu sein, abgesehen von der Sache mit der Viertelstunde zu früh. Ich hasse Warten.“
„Hängt davon ab. Ihr Richtungssinn lässt sie nämlich auch stets den Weg einschlagen, an dem die meisten unliebsamen Abenteuer geschehen. Daher ja manchmal die exakt sieben Minuten!“
„Ist der Teil von Euch ausgedacht?“
„Wie dem auch sei, mein guter Til, die Lady Olula Kunboladamole ist eine Forscherin von Namen in vielen Teilen des Träumens! Kaum hätte ich ihr meine Gastfreundschaft verwehren können, als sie kürzlich hier eintraf. Obschon ich vermutete, dass sie Einspruch erheben wird gegen das Geloben Eures Eides!“
„Ja, schon klar. Halt Moment, unseres …? Wessen denn noch? Ich weiß noch gar nicht, ob Atréju und Fuchur mitziehen.“
„Die Kunde davon geht um im ganzen Lande, oh ja!“, lügt der Fürst großartig, „Und auch Deine Pooka-Artgenossen werden davon hören!“
„Meine Artgenossen! Sind sie denn am Schloss?“, fragt Til neugierig.
„Nein, aber ihr Eintreffen wurde klar vorausgesagt.“
Til verschränkt plötzlich die Arme und zögert. „Herr Fürst … was ist überhaupt von jenen Gerüchten zu halten, die unseren jungen Krieger vorhin so aufgebracht haben?“
„Gerüchte gibt es viele! Man muss auf jene schauen, die sie ursprünglich in die Welt setzten, und deren Beweggründe!“, sagt der Politiker beschwichtigend.
„Aber stimmt es? Haltet Ihr die verwünschte Königstochter hier gefangen, wie eben in dem Märchen?“
„Sie hat sich entschieden, sich auf mein Schachspiel einzulassen. Es gibt sehr viel zu gewinnen, und zwar für alle Beteiligten!“
„Sind wirklich Menschen hierher gekommen, die ihre Leben verloren haben bei der Queste, um die verwünschte Königstochter zu befreien?!“
„Die Sterblichen blasen solche Geschichten gern endlos auf, mein Guter. So sind sie eben! Und wir danken ihnen natürlich, denn von den Geschichten der Menschen sind wir ja die Nutznießer. Sie bereichern uns! Aber es ist, wie ich vorhin sagte, oh Freund Til: Die Sterblichen begreifen nicht die Zusammenhänge für uns Unsterbliche, und auch nicht die Notwendigkeit, dass wir mit anderem Maße messen.“
„Warum benutzt Ihr diese Gefangene, um Sterbliche hierher zu locken?“
„Die Wahrheit ist, mein Guter: Es liegt mir gar nicht an den Sterblichen. Auf einen ganz bestimmten Herausforderer warte ich, oh ja!“
„Da war scheinbar gar keine Lüge dabei, Fürst?“
„Doch, auch da war eine Lüge dabei.“
„Uh, jetzt wird’s kompliziert. … Okay, ich nehme an, ich verstehe, und zwar schon längst. Ihr wartet natürlich auf den, den ich Niedzwiedz nenne! Einen Pooka, vielleicht Bär, oder Wolf, oder Bär und Wolf! Er muss von der Verheißung des Abenteuers angelockt werden!“
„Sehr richtig! Ich hätte gedacht, Du findest es niemals heraus.“
„Wenn er kommt, dürft Ihr Euch nicht in Eure Gestalt als Auerochse verwandeln, um ihn zu bekämpfen, Herr. So macht Ihr es doch sonst, wenn ein Herausforderer erscheint, nicht wahr? Wie in dem Märchen um die Kristallkugel beschrieben, kennt man aus dem Blockbuster-Kinofilm von letztem Jahr! … Ich muss unbedingt vorher mit ihm reden! Ich habe es schwören müssen.“
„Freund Til, alles wird sich fügen … wenn er endlich seinen Weg zum Schloss finden wird. Und natürlich sprichst Du klugen Rat, mein pazifistischer Freund, ich werde also nicht als Auerochse gegen ihn kämpfen“, sagt der Schlossherr in beruhigendem Tonfall.
Schalter:
Der Schlossherr ist zwar überzeugt davon, dass der junge Hitzkopf Atréju sich schon wieder fangen wird und hierher zurückkehrt. Aber um Til zu beruhigen, schickt er seine geflügelten Kundschafter nach den beiden aus, intelligente Merlinfalken, die in einem der Schlosstürme ihren Horst haben. Sie sollen in ein paar Stunden zurückkehren von ihrem Erkundungsflug, und den Pooka berichten.
Dann haben Til und die Bunnies freies Geleit am Schloss, so lange die erwarteten Gäste nicht eingetroffen sind, heißt es abwarten. Nur in den Südflügel des Schlosses sollen sie nicht gehen, denn dort ist der ‚hohe Gast aus der Fremde‘ einquartiert. Sie solle nicht gestört werden.
Til sucht etwas zögerlich schließlich Olula erneut auf, die sich mittlerweile in eine der Bibliotheken des Schlosses zurückgezogen hat. Zwei andere Eshu und sie sichten hier einige der alten Folianten mit einigem Interesse.
Die Schlossbibliothek
Hier sind die Spielwerte für den neuen NSC:
Olula Kunboladamole
Alter: 28; Kith: Eshu; Hof: Licht; Erben: Weise/Gesetzlose; Schein: Wildling
Attribute: Geschick 3, Konstitution 3, Stärke 1 | Charisma 3, Erscheinungsbild (Exotisch) 4, Manipulation 3 | Geistesschärfe 3, Intelligenz (Schriftgelehre) 4, Wahrnehmung 3
Fertigkeiten: Athletik 3, Aufmerksamkeit 3, Ausdruck 3, Ausweichen (Seitenschritte) 4, Empathie 2, Gewahren 3, Überzeugen 2; Etikette 3, Heimlichkeit 3, Überleben 2; Computer 1, Enigmas 3, Geisteswissenschaft (Geschichte) 4, Gesetz 2, Gremayre (Mittelalter-Folklore) 4, Linguistik 4, Politik 3, Nachforschung (Schriftensammlungen) 4, Naturwissenschaft 2
Hintergründe:
• Gedenken 2
• Gefolge 2
• Kontakte (Universitäten, Wissenschafts-Magazine) 3
• Ressourcen (Universitäts-Job) 1
• Titel (Lady) 1
Aspekte:
• Strenge Selbstbeherrschung +2
• Hungrig nach verlorenem Wissen +2
• Namhafte Forscherin im Träumen +2
• Will mit ihren Einblicken verblüffen +1
• Hat Schwierigkeiten, sich unter sterblichen Gelehrten durchzusetzen
• Beziehungsunfähig
Künste: Chicanery 2, Chronos 1, Pyretics 2, Wayfare 3
Reiche: Actor 2, Fae 4, Prop 2, Scene 3
Glamour: 6
Willenskraft: 6
Sprachen: Yoruba, Englisch, Latein, Spanisch, Deutsch
Ausrüstung: Rucksack, Referenzbüchlein, Pendel, Taschenuhr, Feldflasche, Wasserwaage
Etwas schafhaft sucht Til also erneut das Gespräch mit der hochgewachsenen Eshu.
„… Ich wollte Euch zu der Sache mit der Königstochter befragen, die hier festgehalten wird. Oder vielmehr, gebeten wurde, hier zu residieren, man weiß genau, dass dies aus freien Stücken geschah.“
„Nun, das Märchen, das diesem Ort zugrunde liegt, ist Dir doch wohl bekannt, oder?“, fragt sie.
„Ja, schon. Aber was denkt Ihr darüber?“, fragt Til, indem er seine Stimme noch mehr senkt, „War Atréju zurecht so wütend? Machen wir uns nicht gewissermaßen zu Komplizen, indem wir diese Gefangenschaft zulassen?“
„Warum sich in die Geschäfte des Fürsten einmischen?“, flüstert Olula, „Wenn die Sidhe sich Verzauberte in ihren Freistätten halten, warum nicht auch ein Pooka-Fürst?“
„Wegen, äh, so Sachen wie dem freien Willen, Mylady. Euer Akzent und Euer Name sind doch Afrikanisch, oder? Solltet also nicht gerade Ihr hellhörig werden bei derartigem?“
„Warum? Meinst Du etwa, wegen dem Atlantischen Sklavenhandel?“
„Äh … ja?“
„Höre, Herr Haselberger. Ich bin alt wie die Zeit. Ich erinnere mich an ein Vorleben von mir, in dem ich ein Kriegsherr im Oyo-Imperium war in Yorubaland, im achtzehnten Jahrhundert, da hatte ich selbst ein Dutzend eigene Sklaven. Deine Ansichtsweise und dieser Gerechtigkeitswunsch von Dir, die scheinen nicht auf viel mehr Bildung zu beruhen, als den Weisheiten der modernen Filmindustrie der Herbstwelt, wenn Du so sprichst.“
„Hm. Wollt Ihr damit sagen, Ihr seid eine Schwarze, die kein Problem hat mit der Leibeigenschaft?“
„Nein. Damit sage ich Dir, dass ich eine Eshu bin, die sich nicht einmischt, wenn Feen Sterbliche verzaubern. Außerdem wäre es falsch, die Umstände dieses Märchens mit Gewalt verändern zu wollen, nur weil Du vielleicht moderne Sensibilitäten hast.“
„Wieso ...? Was ist, wenn hier ein Unrecht geschieht?“
„Dann stünde es uns dennoch nicht zu, zu versuchen, die Errungenschaften der vergangenen Kultur einfach umzuschreiben. Wir befinden uns hier in einem lebendigen Zeitzeugnis, Herr Haselberger. Hast Du das noch nicht begriffen? Es grundlegend ändern zu wollen wäre frevlerisch.“
„Auch, wenn man gute Absichten hat?“
„Egal, welche Absichten man haben mag. Die Vergangenheit muss Dir nicht gefallen, Pooka, und auch die Zeugnisse vergangener Kulturen müssen es nicht. Du musst sie trotzdem respektieren, für das, was sie sind.“
„Oh. Interessanter Gedanke“, sagt Til, und es fällt ihm nicht einmal eine kleine Lüge ein zum Garnieren.
Olula spricht weiter, „... Wann ist eigentlich Euer nächstes Gespräch mit dem Schlossherren über die politische Lage mit Grimgoromn?“
„Warum fragt Ihr, Mylady?“
„Sagt schon!“
„Äh, das ist noch nicht bestimmt! Der Fürst sagte vorhin, er habe vorerst noch so viele Termine mit seinen Schneidern und Ausstattern und Hausmeistern!“
„Ich erwarte, über derartige Gespräche unterrichtet zu werden.“
„Die Sachlage mit Grimgoromn interessiert Euch persönlich, Mylady, nicht wahr?“
„Jeder Changeling in diesen Teilen des Träumens wäre närrisch, sich nicht dafür zu interessieren.“
„Hängt Grimgoromn mit Euren derzeitigen Nachforschungen zusammen?“
„Genug jetzt! ... Ich muss jetzt an die Luft“, und jäh wendet sie sich ab.
„Habe ich Euch beleidigt, Lady?“, fragt Til kleinlaut.
„Unsinn. Ich erlebe einen spontanen Anfall von Wanderlust. Gehab‘ Dich wohl.“
Was gibt’s denn Abenteuerliches da draußen zu entdecken, wenn Lady Olulas Eshu-Spürsinn davon ausgelöst wird …? Ist dies vielleicht der Moment, wo die Nerz-Schwestern auftreten? Die Orakelwürfel zeigen diesmal ein deutliches Ja!
Til eilt auf einen der Außengänge des Schlosses, und schaut der einsamen Wandererin mit den überlangen, wogenden Dreadlocks nach.
„… Und seht mal, Bunnies!“, sagt er überrascht zu seinen Begleitern, „Ihr Instinkt hat sie nicht getäuscht! Da kommen die Nerz-Schwesterherzen nun! Alle beide.“
Als winzige Schemen auf der weiten Grasebene sind tatsächlich die Bewegungen zu sehen, von jemandem, der plötzlich dort auf Olula und das Schloss zu wandert. Man kann von hier oben so weit über die Ebene sehen, dass Til annimmt, er hätte die Bewegung dort unten schon vor Minuten entdecken müssen bei seinem Ausspähen. Es ist ihm also, als wären sie nicht von weit her heran gewandert — sondern mitten in ihrem Näherkommen einfach aus der Luft erschienen! … Und vielleicht ist das auch der Fall, denn Marlies‘ Schwester wird ja nachgesagt, dass sie einen Wunschring hätte, der sie einfach ins Träumen versetzen könne.
An dieser Stelle sollte die Story weitere Dynamik aufnehmen, finde ich. Dazu befrage ich die Würfel, und das Orakel sagt voraus, Weaken Freedom. Was heißt das wohl für die Szene? Aus einer Ahnung heraus frage ich weiter, ob die Schwächung der Freiheit wohl mit den Truppen der Herzkönigin zusammenhängen könnte? Das wird deutlich bestätigt!
Über den beiden auf der Ebene herannahenden Mädchen rauscht plötzlich der wie eine Flamme züngelnde Leib des Drachen Fuchur hernieder! Federleicht setzt er vor ihnen auf, und sie scheinen alle vier miteinander zu sprechen! Til stützt sich aufgeregt auf der Brüstung ab, legt die Ohren an, und starrt konzentriert. Atréju gestikuliert aufgeregt in Richtung Südwesten. Es wirkt ganz so auf Til, als habe er eine Entdeckung gemacht, von der er zu berichten habe. Man sieht, wie Lady Olula eintrifft, gerade zur rechten Zeit am rechten Ort, um das Gespräch mit anzuhören!
„Hätten wir Olula doch direkt verfolgt, als sie eben losgegangen ist!“, knurrt Til, „Ich hätte Hasengestalt annehmen können! Mist! Ich wünschte, ich wüsste, was dort geredet wird!“
Die Bunnies hüpfen aufgeregt quiekend um ihn herum, vermutlich ist es ihnen schnurz, was geredet wird, Hauptsache, es geht auf ein Abenteuer!
Til wirbelt also herum, packt den Türrahmen, der zurück ins Innere führt, als wolle er sich selbst mit einer Steinschleuder ins Innere zurück schießen, und rennt los so schnell er kann. Das ist ein Schelmenspiel für Quicksilver. So wie er sich neulich schon als Feldhase im Turm Grausenszahn beschleunigt hatte, beginnt er nun als Zweibeiner mit aberwitzigem Tempo durch die Gänge und Säle zu rennen. Er umgeht erschrockene Boggan-Bedienstete in einem wilden Zickzack.
Schon in einem der kleinen Innenhöfe kommt ihm unverhofft Olula Kundboladamole entgegen, sie hat einen Kindling auf dem Arm, deren seidenweißes Fell silbrig in der hellen Sonne glänzt — es ist Marlies!
„Til!“, ruft die, und reckt die Arme nach ihm aus.
Til schießt in seinem beschleunigten Lauf beinahe trudelnd an Lady Olula vorbei, und kann in letzter Sekunde stoppen. Marlies springt ihm in die Arme.
„Marlies Lore! Da seid Ihr ja endlich. Ich wusste, dass Ihr heute kommen würdet!“
Sie lacht ihm freudig ins Gesicht: „Niemals, das glaube ich Dir nicht, das übertreibst Du doch!“
„Was war denn da draußen los?“, fragt er.
Marlies ist nicht so ganz ‚Generation Unendliche Geschichte‘, aber das Buch ist immer noch ein populärer Klassiker, und ihr Wurf auf Intelligenz+Gremayre sagt, dass sie genau weiß, um wen es sich bei dem Drachenreiter eben gehandelt hat.
„Das waren Atréju und sein Glücksdrache Fuchur, Til! Du hättest es sehen müssen!“
„Hab‘ ich ja, ich habe die beiden doch hier angeschleppt. Nur um Euch eine Freude zu machen natürlich“, schleimt der Lügenbold unwillkürlich.
„Sie haben gesagt, sie haben den Tulgee-Wald überflogen, Til! Und da haben sie die Spione von tiefer aus dem Wunderland dort gesehen. Die kommen hierher!“
„Was?!“, fragt Til, „Und es ist auch alles daran wahr, was Du da sagst?“
„Ja, klar, weil ich eben niemals lüge! Hab‘ ich Dir doch schon erklärt, ich bin zu wohlerzogen.“
Lady Olula sagt aufgeregt, „Til Haselberger, Du folgst sofort Atréju, Fuchur, und dem anderen Nerz-Pooka, runter zur Grenze des Tulgee-Wald! Ich informiere den Fürsten!“
„Okay“, nickt Til.
Marlies ruft, „Aber ich komme mit! Du musst mich mitnehmen, Til, Du hast‘s versprochen!“
Til guckt überfordert auf Marlies runter, „Ich hab‘s versprochen?!“
„Klar, hast Du. Du musst mich mitnehmen!“
Olula ermahnt das Pooka-Mädchen, „Deine Schwester hat extra gesagt, ich soll Dich hierher ins Schloss bringen, damit Du sicher bist!“
Marlies protestiert, „Aber jetzt ist Til ja da! Der passt doch auf mich auf.“
Olula sagt streng, „Wir haben jetzt keine Zeit, herumzudiskutieren! Gebt aufeinander Acht. Ich alarmiere den Hofstaat!“
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