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Systemeelemente die Charakterentwicklung unterstützen
gilborn:
Was meine ich damit?
* Der aufrechte Paladin, der aufgrund von Ereignissen seinem Orden abschwört.
* Die egoistische Profikillerin, die den Wert des Lebens entdeckt.
* Der Schwertmeister, der aufgrund des Verlustes seiner starken Hand anders zurecht kommen muss.
* Der aufrechte Soldat der auf Rachefeldzug geht, weil seine Familie ermordet wurde.
Lauter starke Storys.
Meistens liest man solche Dinge in Vorgeschichten der Helden, selten kommt es am Spieltisch dazu (Sei es Angst des SL in den "Charakter" einzugreifen, oder der SC startet bereits am Ende seiner Entwicklung etc.).
Die Charaktere sind oft starr in ihren Anschauungen, bleiben von Stufe 1 bis Stufe 20 gleicher Meinung.
Warum? Wie kann man das Aufbrechen? Wie kann man Spieler dazu animieren / sie dabei unterstützen?
Welche Designelemente sind für Rollenspiele denkbar, die genau das unterstützen?
Wie fördert man designtechnisch Charakterentwicklung? Wie kann man Anreize setzen?
Gibt es schon Spiele die genau das machen?
In welche Werte kann man sowas gießen (abseits von der üblichen Kompetenzverbesserung)?
Maarzan:
Nennt sich einfach Leben in Konfliktsituationen?
Das wäre doch im Spiel dann halt das Ergebnis der Charaktererlebnisse.
Wenn, würde das wohl am ehesten durch die wertetechnische Abbildung seiner Werte und Überzeugungen sowie ggf sozialer oder anderer emotionaler Bindungen beschrieben, so dass sich so etwas nachvollziehbar entwickeln kann und nicht irgendwo spontan über das Knie gebrochen wird (und auch für andere SC oder auch NSC formell anspielbar wird) .
nobody@home:
Ich bin natürlich etwas voreingenommen (;)), aber aus meiner Sicht unterstützt beispielsweise Fate eine Weiterentwicklung, die nicht einfach nur auf ein Mehr an Schneller-Höher-Weiter beschränkt ist, recht effektiv. Das Meilensteinsystem zum Beispiel erlaubt nämlich auch ausdrückliche Veränderungen am eigenen Charakter ohne konkreten Netto-Machtzuwachs durch solche Dinge wie das Vertauschen zweier Fertigkeitwerte oder das Auswechseln eines vorhandenen Charakteraspekts oder -stunts gegen einen neuen -- und das anläßlich jedes Meilensteins, auch und gerade der häufigsten "kleinen". (Formelle Ausnahme ist das Kernkonzept eines Charakters, das ein gewisses Maß an Schutz vor spontanen Veränderungen genießt; um so ein zentrales Element dramatisch abzuändern, braucht's dann angemessenerweise schon einen der dicksten Meilensteine von allen.)
Entsprechend würde ich wohl auch im Zusammenhang mit anderen Systemen an die Sache herangehen wollen, wo "Charakterentwicklung" meist eher "alles, was zu deinem Charakter als Person gehört (Persönlichkeit selbst eingeschlossen), steht bombenfest und wird von immer neuen dazukommenden Lagen an Sediment allenfalls notdürftig abgedeckt" heißt. Zumindest bei klassischen Punktekaufsystemen u.ä. wäre beispielsweise denkbar, daß Spieler regelmäßig einfach ein paar Punkte nach Belieben umverteilen dürfen.
SeldomFound:
In der neuen Kampagne von Critical Role kriegen sie das vor allen Dingen dadurch hin, dass die meisten SCs eine ordentliche Macke haben und von irgendwelchen Problemen aus ihrer Vergangenheit verfolgt werden:
- Der Warlock, der nicht wirklich weiß, warum er jetzt auf einmal ein Zauberschwert besitzt und ihn Kontakt mit einem Monster aus der Tiefsee steht.
- Die Klerikerin, die völlig isoliert aufgewachsen ist und deren fester Glaube an ihren Gott durch ihre Erfahrungen in der echten Welt immer mehr ins Wanken gerät.
- Die Mönchin, die als eigensüchtiges Mädchen in ihre Rolle gezwungen wurde und nun langsam lernt, Verantwortung zu übernehmen.
- Der Magier, der als Geheimwaffe erzogen wurde und nun nach der Macht strebt, alles wieder in Ordnung zu bringen
- Die Schurkin, die sich nicht wohl in ihrer eigenen Haut fühlt und hofft, dass der Magier ihre Gestalt permanent verändern kann.
Am ehesten fördert man Charakterentwicklung durch persönlichen Konflikt. Dazu gehört aber im klassischen Pen&Paper, dass die anderen Spieler sich darauf einlassen, dass ein Abenteuer vielleicht allein dafür da ist, einen einzigen Charakter dabei zu helfen, seinen persönlichen Konflikt zu lösen.
Ich glaube, eine Hemmschwelle in vielen Gruppen besteht darin, dass man sich häufig nicht für die Probleme der anderen SCs interessiert oder diese anspielt. In Numenera könnte man dies durch die Vergabe von EP belohnen, denn in diesem System kann man EP nicht nur für regeltechnische Verbesserungen, sondern auch für Wiederholungswürfe, Ablehnung von SL-Einmischungen oder storytechnische Errungenschaften wie eine eigene Festung ausgeben.
Zarkov:
Ah. Ein Thema, das mir lieb und teuer ist. :)
Es gibt, glaube ich, einige Voraussetzungen, die einfach gegeben sein müssen, damit sowas funktioniert, und es gibt einige Möglichkeiten, eine solche Charakterentwicklung zu fördern oder sogar zu erzwingen. Es gibt aber auch ziemlich viele Möglichkeiten, sie effektiv abzuwürgen. Da muß ich mich erst noch mal sammeln, aber ein paar Rollenspiele, die so ziemlich genau das machen, was du beschreibst, kann ich schon mal nennen:
Der Klassiker in dem Fach ist wohl Pendragon. Die Regeln für Passions und Traits schließen den Kreis vom Charakterbogen ins Spielgeschehen und von da wieder auf den Charakterbogen. Der Ritter ändert sich in seinem, nun, Charakter, je nachdem, was der Spieler in der Fiktion so anstellt. Und ab einem bestimmten Punkt überwiegen die charakterlichen Eigenarten dann so stark, daß der Spieler in kritischen Situationen die Kontrolle über seine eigene Spielfigur verliert. Zugleich steht das ganze Spielgeschehen in der Spannung zwischen ritterlichen Idealen, Ehre, materiellem Gewinn, Familie, Todesgefahr, und menschlichen Schwächen und Begierden. Ach ja, und natürlich dem zu gewinnenden Ruhm (in Punkten, die wirklich was wert sind.) Das kann für ziemlich reizvolle Charakterentwicklungen und interessante Konflikte sorgen.
Pendragon: Kodifizierte, vorgegebene Charaktereigenschaften mit einem Wert, der sich durch das Spiel ändert und der das Spielgeschehen punktuell kontrollieren kann.
Aber mein bevorzugtes Spiel ist da Burning Wheel. Im Grunde dreht sich das gesamte Spiel um die Art von Geschichten und Charakterentwicklung, die du anreißt – der ganze barocke Klump an Regeln dient letztlich zu nichts anderem. Das Spiel arbeitet mit expliziten Flags für Überzeugungen, Ziele und instinktive Reaktionen sowie mit drei Sorten Traits, die alle in ein relativ komplexes System von Metawährungen eingebunden sind (die wiederum in das Steigerungssystem für Skills eingebunden sind, die alle die Konfliktsysteme bedienen, die wiederum … etc etc, bis sich der Kreis schließt). Wie gesagt, etwas barock, aber durchweg zielgerichtet und sehr effektiv. Solange alle Spieler bereitwillig dabei sind.
(Um ehrlich zu sein – wenn ich das Regelwerk für Burning Wheel nach einer längeren Pause zur Hand nehme, denke ich mir beim Durchblättern oft: „Das kann man doch eigentlich keinem Anfänger zumuten.“ Aber dann erinnere ich mich daran, wie es am Tisch funktioniert und welche Ergebnisse es zu erzeugen hilft, und dann weiß ich wieder, warum ich es gut finde.)
Burning Wheel: Explizite Flags als Vorgabe für den Spielleiter zur Schaffung von Konflikten. Die Spieler werden mit Metawährungen dafür belohnt, die Konflikte anzugehen. Dabei entstehen durch Regelzwang häufige Komplikationen: Diese Fehlschläge und Erfolge verändern die Charaktere auf Dauer technisch. Das formt wiederum das Spiel durch Flags, kodierte Charakterelemente und Regeln.
Und dann gibt es noch, als Kontrast dazu, etliche Story Games, aber das ist schon wieder eine andere Baustelle als die zwei genannten Beispiele.
Ich sortier mich mal ein bißchen und schreib später noch was dazu. Das ist ein sehr interessantes Thema.
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