Pen & Paper - Spielsysteme > Systemübergreifende Themen
(gibt es ...) Amoklauf des Guten als Setting ?
KhornedBeef:
Ja, OK, also wenn wir bei "die Guten" bleiben, dann wird das nach unserem Verständis hier nichts, mit Massakern und ubereifriger Gewaltanwendung. Das kann man im Namen des guten machen, aber dann ist man keine Macht des Guten. Punkt.
Also müssen gutes in anderem Kontext sehen. Wo ein reiner Utilitarismus im Kontrast schon Mutter Theresa - Niveau ist, z.B.
Beispiel: eine Gesellschaft die vor lauter Fokus auf persönlichen Machtzuwachs ohne ethische Gesichtspunkte nichts gebacken bekommt außer in einer glorifizierten Erdhöhle zu hocken, obwohl ihre Mitglieder körperlich und magisch begabter sind als jede andere Rasse um sie herum (Forgotten Realms Drow). Wenn jetzt ein Drow mit etwas mehr ethischem Bewusstsein entscheidet die Gesellschaft zu einer kooperativen Einheit mit rechtsstaatlichen Elementen umzuformen, die sich völlig dem Ziel unterordnet, die Drow an die Spitze eines weltumspannenden Imperiums nie gekannten Wohlstands und Fortschritts zu führen, und lange genug überlebt um mit persönlichem Charisma eine entsprechende Bewegung ins Leben zu rufen....
D. M_Athair:
--- Zitat von: Luxferre am 13.03.2019 | 10:50 ---Was‘n das für ne Prämisse? Die Guten tun Böses, sind aber die Guten ... das ist doch Kokolores :korvin:
--- Ende Zitat ---
Dieses Denkmodell funktioniert (in beide Richtungen) nur, wenn man davon ausgeht, dass es ein objektives Gut und Böse gibt.
Kleiner Hinweis: Für die Realität funktioniert das Modell nicht. Es ist bestenfalls als Hilfskonstrukt zur Durchsetzung gesellschaftlich erwünschter Handlungsweisen und Haltungen hilfreich. Hat also mit Zuschreibungen und (wandelbaren) moralischen und ethischen Vorstellungen zu tun. Obwohl es natürlich schon intersubjektiv Gutes und Böses gibt, aber wie gesagt: Das Modell verliert sehr schnell an Eindeutigkeit.
Man kann es sich natürlich auch einfach machen und nehmen, was Sartre als mehr oder weniger allgemeingültiges menschliches Denken identifiziert hat und mit dieser Prämisse arbeiten: "Das Böse, das sind die Anderen."
--- Zitat von: Supersöldner am 13.03.2019 | 10:16 ---Gibt es ein Setting (auf deutsch und bevorzugt im laden zu bekommen oder Bestellbar ) wo die Mächte des Guten völlig durchdrehen und Beschließen das ganze Multiversum zu erobern ?
--- Ende Zitat ---
Historische Beispiele wären:
* Die Befreiung des Heiligen Landes von ihren sarrazenischen Unterdrückern (aka Kreuzzüge).
* Der Kampf gegen die Achse des Bösen. George W. Bush und der WestenTM gegen Saddam Hussein und Bin Laden.
* Auch die Eroberung der Inka- und Aztekenreiche durch Spanier und Portugiesen kann man so deuten.
* Oder den Einfall der Pilgerväter in Nordamerika. Dazu muss man wissen, dass die englischen Auswanderer verfolgte Puritaner, religiöse Dissenters, ... waren. "God's own country", "das neue Jerusalem", die "Rettung der Wilden", ... wären damit in verbindung zu bringen
* Weiters: Der Kampf der islamischen Welt gegen die westlichen Opperssoren, deren wirtschaftlichen Kolonialismus, deren sexuelle Verdorbenheit (z.B. weil Frauen eigene Rechte haben), ...
--- Zitat von: Ruinenbaumeister am 13.03.2019 | 17:31 ---Du möchtest also, dass das GuteTM die Welt unterjocht. Kein Problem, es bedarf nur einer totalitären Ideologie. Hier ein paar Zutaten
--- Ende Zitat ---
Schöne Ausführungen. An einer Stelle muss ich aber hart widersprechen:
--- Zitat von: Ruinenbaumeister am 13.03.2019 | 17:31 ---
* Der Aspekt der Wissenschaftlichkeit sollte niemals zu kurz kommen. Die Ideologie benötigt Universitäten, um ideologisch gefestigte Kader rekrutieren zu können, also darf die Ideologie dort nicht ignoriert werden. Da der Versuch, mit wissenschatlichen Mitteln die Ideologie anzuzweifeln ein abscheuliches Verbrechen ist, bleibt den Gelehrten nur die Möglichkeit, die Ideologie zu bestätigen. Nun kann man jeden Zweifler, den man noch nicht umgebracht hat, darauf hinweisen, dass die Ideologie durch und durch wissenschaftlich fundiert ist.
--- Ende Zitat ---
Dass das nicht durchhaltbar ist und die Saat des Wandels beinhaltet, haben sowohl die Geschichte der Theologie als auch des naturalistischen Atheismus (der Skeptiker Prof. Timm Grams, der u.a. ein Fachbuch über Denkfallen verfasst hat, hilft da weiter) gezeigt. Sobald man mehr als nur Ansätze von Kreativität und freiem Denken toleriert, wird es zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass sich "die Freiheit der Lehre" durchsetzt. Es geht gar nicht anders.
Die einzige Möglichkeit das zu unterbinden ist, ein strenges Screening und eben nicht Saktionierung sondern Unbedeutend-Machen von unerwnschtem Lehrpersonal.
Dafür müsste man alle paar Jahre Hochschulen/Akademien auflösen und neue gründen. Scheint mir nicht besonders praktikabel.
Jedenfalls kann es gar nicht gut gehen Leuten "freies Denken" zu versprechen und das dann nicht zu liefern. (Aus der Geschichte: Sowohl Jan Hus als auch Martin Luther waren Theologie-Professoren.)
... ich glaube, dass man, wenn man diese "guten Bösen" haben will, sich am besten an dem orientiert, was Umberto Eco als Urfaschismus bezeichnet. (Ab Seite 3 oder 4 werden Kriterien genannt.)
--- Zitat von: SeldomFound am 14.03.2019 | 12:51 ---Was es zum Beispiel gibt, sind Settings, in der so etwas wie ein römisches Imperium die Welt erobert und innerhalb ihres Territorium tatsächlich faire Gesetze und Lebensmöglichkeiten anbietet. Allerdings auf den Kosten der verlorenen Identität der Eroberten. Kein Odin mehr, sondern stattdessen wird nun Jupiter geopfert. Statt weise Druiden hat man rationale Pontifikate. Statt Götterurteile gibt es bürokratische Gerichtsverfahren.
Das Problem liegt hier dann eher darin, dass das Imperium dann zwar durchaus Lösungen für die essentiellen Probleme von Humanoiden wie Nahrung, medizinische Grundversorgung oder Gerechtigkeit anbietet, aber dabei Ängste wie Identitätsverlust, Hilflosigkeit oder Einsamkeit triggern kann.
--- Ende Zitat ---
Das Problem geht noch weiter: Das Gerechtigkeitsverständnis von Eroberten und Eroberern ist i.d.R. nicht gleich, sondern muss erst gewaltsam durchgesetzt werden. Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung wird massivst verletzt.
Oder: Durch Eroberung lassen sich per se keine essentielle oder existenzialistische Probleme lösen. Ich denke, dass bestenfalls die Eroberung zum Sturz eines Systems funktioneren kann (vgl. Eroberung von Nazi-Deutschland durch die Alliierten). Dauerhafte wohlwollende Fremdherrschaft ... Kann ich nicht sagen, ob es sowas dauerhaft geben kann.
D. M_Athair:
... wenn Du mehr beim Anschlags-Thema bleiben willst: Als Jugendlicher hab ich mir mal eine Assassinen-Vereinigung ausgedacht, welche die Bösen meuchelt. So im Robin-Hood-Sinn. Die Befreiung der Welt von ihren Tyrannen, Autokraten, Ausbeutern, ... Das fände ich wohl konzeptionell für's Rollenspiel etwas leichter umzusetzen.
Zentrale Werkzeuge wären wohl:
* Enthüllungs-Journalismus
* Märtyrer der freien Welt zu kreieren (was auch schon schwer ist) (Beispiel: Die Ermordung von Franziskus durch einen heterosexuellen priesterlichen verurteilten Missbrauchstäter, der traditionalistischen Kreisen nahe steht; der seinen Sinn im Leben verloren hat und dessen Tat für seine Lieben viele Verbesserungen bringt. Inkl. Mitteln, die den Tod des Täters nach der Tat sicherstellen.)
* Unfälle bei Unterdrückern herbeiführen (am besten solche, welche die Opfer gleichzeitig diskreditieren, indem ihre menschlichen Schwachpunkte ausgenutzt werden - z.B. indem Leute wie Trump - während sie bei einer Prostituierten sind - Opfer eines Amoklaufs werden.)
Als Gedankenexperiment ganz nett, aber - ich glaub nicht so schön zu spielen. Selbst in Fantasy-Kontexten ist das reflektierte Vertreten von so krassen Doppelstandards i.S.v. "der Zweck heiligt die Mittel" schwer durchzuhalten und doch eher ziemlich unangenehm. Auch wenn man die "Bösen", die gegen die vermeintlich "Guten" spielt, kommt man da ganz schnell in schwierige und in der Masse unangenehme moralische Ambivalenzen.
Wobei ich auch nicht glaube, dass das mit dem Kreuzzungs-Thema und dem Kampf als oder gegen eine urfaschistische Gruppe angenehmer wäre.
... tatsächlich funktioniert "Gut" und "Böse" mMn nur in der üblichen Richtung: Wir, die Guten kämpfen gegen ein ungrechtes Böses. (Ist ja auch ein normaler psychischer Mechanismus des Selbstwert(schutz)es.) Sobald man mal den Perspektivwechsel gemacht hat, werden davon moralische Grautöne angezogen wie Motten vom Licht. Und: Man wird die auch nicht mehr so ohne Weiteres los.
Ruinenbaumeister:
--- Zitat von: D. Athair am 14.03.2019 | 16:19 ---Dass das nicht durchhaltbar ist und die Saat des Wandels beinhaltet, haben sowohl die Geschichte der Theologie als auch des naturalistischen Atheismus (der Skeptiker Prof. Timm Grams, der u.a. ein Fachbuch über Denkfallen verfasst hat, hilft da weiter) gezeigt. Sobald man mehr als nur Ansätze von Kreativität und freiem Denken toleriert, wird es zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass sich "die Freiheit der Lehre" durchsetzt. Es geht gar nicht anders.
Die einzige Möglichkeit das zu unterbinden ist, ein strenges Screening und eben nicht Saktionierung sondern Unbedeutend-Machen von unerwnschtem Lehrpersonal.
Dafür müsste man alle paar Jahre Hochschulen/Akademien auflösen und neue gründen. Scheint mir nicht besonders praktikabel.
Jedenfalls kann es gar nicht gut gehen Leuten "freies Denken" zu versprechen und das dann nicht zu liefern. (Aus der Geschichte: Sowohl Jan Hus als auch Martin Luther waren Theologie-Professoren.)
--- Ende Zitat ---
Das GuteTM sollte keineswegs freies Denken versprechen. Im Gegenteil, es sollte vor den Gefahren des übersteigerten Eigensinns warnen. Eventuell könnte man dazu eine Art Gleichnis vom verlorenen Sohn nutzen. (Der Zweifler wird mit dem verlorenen Sohn gleichgesetzt, dem bei seiner Heimkehr Gnade zuteil wird. Natürlich muss er erstmal widerrufen, ehe ihm vergeben wird. Man gibt ihm also Gelegenheit zur Reue, statt ihn beim ersten Fehltritt zu verbrennen. So findet die Gnade einen Platz in der gelebten Glaubenspraxis.)
Jedenfalls sollten die Akademiker regelmäßig daran erinnert werden, dass sie als Experten für die heilige Ideologie des Wahren und Schönen eine besondere Verantwortung gegenüber der Menschheit tragen. Mit irgendwelchen Elfenbeinturmtheorien, die gar nicht wahr sein können, weil sie der höchsten Wahrheit selbst widersprechen, werden sie dieser nicht gerecht. Für die Widerborste, die diesen Wink mit dem Zaunpfahl nicht zur Kenntnis nehmen, bedarf es natürlich weiterer Maßnahmen - der Umgang mit dem von dir genannten Jan Hus kann hier als Inspiration dienen. Mag sein, dass ein solches System nicht auf Dauer stabil ist, aber ein paar hundert Jahre lang sollte es schon halten. Zeit genug für den Amoklauf des Guten.
ghoul:
--- Zitat von: Moonmoth am 14.03.2019 | 15:25 ---Ich kann mich erinnern, dass es in Karl Edward Wagners Kane-Geschichte "Cold Light" ("Kaltes Licht") um genau so eine Situation ging. Wie immer ist die Hauptfigur selbst sehr ambivalent und die "guten" gehen mindestens so skrupellos wie das, was sie vernichten wollen.
--- Ende Zitat ---
Richtig! Hab sogar mal im LARP einen Priester des Kalten Lichts des Guten gespielt und die Mitspieler aufgehetzt. Seltsam dass mich keiner gemeuchelt hat.
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln