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Die Gurkentruppen von Savage Worlds - oder warum ich mit SW nicht warm werde
flaschengeist:
--- Zitat von: Scurlock am 22.02.2023 | 09:44 ---Ich glaube diese Aussagen treffen den Nagel auf den Kopf, zumindest meiner Erfahrung nach. Mit GURPS habe ich eine ähnliche Runde erlebt. Das Problem ist, dass Rollenspielaspekte zu Regelaspekten werden und umgekehrt. Für einige Spieler mag das hilfreich sein, ein gewisses Charakterkonzept mit regelgerechten Vorteilen bzw. Nachteilen zu unterfüttern. Aber in unseren Runden führt das halt zu Cherrypicking.
--- Ende Zitat ---
Ich finde auch, Vor- und Nachteilssysteme sind sehr schwierig gut zu machen. Das Thema hat mich seinerzeit so beschäftigt, dass ich in meinem Eigenbau eine der polemischeren Designer-Notes hierzu geschrieben habe und die geht so:
4. Warum keine Vor- und Nachteile?
In manchen Rollenspielsystemen können bei der Charaktergenerierung vielfältige Vorteile gewählt werden. Gleichzeitig existieren Nachteile, die zusätzliche Generierungspunkte einbringen, die wiederum in Vorteile oder andere Statistiken (z.B. höhere Attribute) investiert werden können. Ein solches System kann Charakteren zusätzliche Individualität verleihen. Da DuoDecem jedoch ohnehin eine große Vielfalt an Charakteren ermöglicht, wurde hierauf verzichtet. Nichts desto trotz sind Vor- und Nachteile grundsätzlich mit DuoDecem kompatibel, solange eine saubere Abgrenzung zu Talenten gelingt und alle Vor- und Nachteile den folgenden Kriterien genügen:
Es handelt sich nicht um schlichte Boni- oder Mali auf Attribute oder Fertigkeiten, da dies keinen hinreichenden Mehrwert gegenüber der direkten Investition von Punkten in eben jene Attribute oder Fertigkeiten darstellt („anziehend“ wird durch hohes Charisma abgebildet, „tollpatschig“ durch niedriges Geschick, „einäugig“ durch niedrige Wahrnehmung, „feinfühlig“ durch eine hohe Fertigkeitsstufe in Sozialkompetenz usw.).
Es handelt sich nicht um Persönlichkeitseigenschaften wie etwa geizig, fanatisch oder jähzornig, die den Charakter in bestimmten Situationen zu einem bestimmten Verhalten zwingen. Erstens lassen sich sowohl die auslösenden Situationen als auch die Intensität der geforderten Reaktion kaum klar definieren. Zweitens wird durch einen solchen Nachteil verhindert, dass ein Charakter sich in Abhängigkeit von seinen Erlebnissen verändert (was für viele zum Reiz des Rollenspiels gehört).
Sie haben möglichst klar definierte spieltechnische Effekte (z.B. der Entzug bei Drogenabhängigkeit bewirkt für einen Tag eine Erschwernis auf alle Fertigkeitsproben). Zu vermeiden sind hingegen schwammige Formulierungen, die zu Auslegungsdebatten einladen (der „gefährliche“ Feind, der dem Charakter „schaden“ will).
Kein Vor- oder Nachteil sollte sich im Lauf einer Kampagne einfach in Luft auflösen können („Genial, wir haben meinen Erzfeind getötet! Gut, dass ich nicht Blindheit als Nachteil genommen hatte…“).
Die Kosten der einzelnen Vor- und Nachteile sind untereinander halbwegs balanciert. Gleichzeitig sollten bestimmte Vor- und Nachteile einander ausschließen und es sollte nur eine begrenzte Zahl wählbar sein. So vermeidet man debile, schwerhörige Charaktere, die darüber hinaus unter Amnesie, Platz- und Höhenangst leiden aber mit zwei Schlägen alles auslöschen, was kleiner als ein Belagerungsturm ist.
Feuersänger:
Ich find es ganz witzig, dass ich beim Threadtitel spontan dachte "Jo, so is das" -- aber dann die genannten Grievances doch ein Stück weit anders sind als das, was sich mir eingeprägt hatte.
NB, ich hab jetzt seit ca 10 Jahren kein sawo mehr gespielt. Aber das war eben eins meiner Probleme damit, dass die Figuren schon ziemlich schmalspurig daherkommen, und man sich quasi gezwungen sieht, sich bis zum Anschlag mit Hindrances vollzuladen, um seine dürftigen Kompetenzen etwas weiter ausbauen zu können.
Wobei ja eigentlich die reine Stochastik gar nicht so schlecht aussieht: ein Wildcard hat selbst nur mit d4 dank Wild Die immerhin ca 62% Chance, einen Wurf mit der Standardschwierigkeit von 4 zu schaffen. Aber da wären wir wieder bei dem Thema "ab wann ist man kompetent" -- und jede dritte Standardprobe zu verkacken qualifiziert da halt für mich nicht. Die ständigen Freakrolls jetzt noch gar nicht berücksichtigt (es kam aber eben durchaus vor, dass ich an einem einzigen Spielabend ungefähr 6mal Snake Eyes hingelegt habe).
Dann kommt halt noch hinzu, dass dieses "Schwächen anspielen für Bennies" sich meist als Minusgeschäft erwiesen hat, weil durch das Triggern der Hindrance Schwierigkeiten auftraten, die die ganze Gruppe regelmäßig deutlich mehr kosteten als den einen lausigen Bennie, den _einer_ dafür bekam.
Das System steht und fällt halt mit dem Benniefluss. Ohne Bennies funktioniert einfach gar nichts. Und das hat halt leider keiner meiner SLs richtig gemacht, auch bedingt durch widersprüchliche Anweisungen im Regelbuch. ("Geize nicht mit Bennies! Geize mit Bennies!") Mit mehr Schmierstoff mag die Maschine recht geschmeidig laufen, aber diese Notwendigkeit spricht jetzt meines Erachtens nicht gerade für die Qualität des Systems.
Weltengeist:
Au ja, lasst uns doch wieder mal einen "Warum ich System XY nicht mag"-Thread aufmachen! Das ist es, was das Tanelorn ganz dringend noch mehr braucht!
Was mich dran erinnert: Ich muss unbedingt mal wieder rüber zu D&D, Pathfinder, DSA und all den anderen und ihnen erklären, warum ich ihr System nicht mag... ::)
Dimmel:
--- Zitat von: Scurlock am 22.02.2023 | 08:56 ---Mit Action habe ich kein Problem, ich komme schließlich von D&D. SW sollte als System da moderne Settings abbilden und ein ähnliches Spielgefühl erzeugen. Aufgrund der Charakterzusammenstellung entsteht das aber keineswegs. Die Figuren werden regelmäßig eher ne Zirkustruppe als ne Heldengruppe.
1. Postapokalypse (SL ich): Ein adipöser Rocker und Schläger, der sich kaum bewegen konnte; ein Mechaniker mit nur einem Bein und paranoiden Wahnvorstellungen; ein halbblinder Doktor, der seine besten Jahre schon weit hinter sich hatte; Ein überaus gewalttätiger Scharfschütze...die Ersteigung eines nächstgelegenen Berges wurde mit dieser Truppe schon zur Herausforderung
2. Deadlands: Ein chinesischer Messerwerfer, der kaum die Landessprache kann; Ein blinder japanischer Schwertkämpfer; Ein alter Doktor mit Schwerhörigkeit; ein zynischer Engländer mit Bandenvergangenheit (me)
3. Superheldenagenten in einem alternativen Russland der 80er: Ein verkrüppelter alter Mann mit Telekinese; eine narzistische Expertin für Nahkampf mit Zwangsstörungen; ein Typ, der sich bestimmten Situation in einen unkontrollierten explodierenden Säureball verwandelt; ein unsterblicher Mann mit Amnesie und Wahnvorstellungen (me)...diese Heldentruppe soll sich unerkannt in ein Sperrgebiet einschleusen lassen.
Das mag auf dem Papier zwar witzig sein, aber am Spieltisch gestalten sich das Gruppenspiel als extrem schwierig. Von Pulphelden oder gar Fast! Furios! Fun! ist da dann nicht viel zu merken. Im Gegenteil das Spiel wird aufgrund der Freakshow häufig nur anstrengend, bestenfalls ein alberner Spaß.
Meine These ist, dass SW mit seinem System aus Edges und Hindrances diese Art von Freakshow geradezu fördert und Gefahr läuft, dem eigentlichen Pulpanspruch so im Wege zu stehen.
--- Ende Zitat ---
Danke für die Beispiele! Jetzt kann ich das besser verstehen! Solche krasse Kombinationen von "Gurken"-Charakteren sind mir auch noch nie untergekommen. Scheint ja fast ein "Wettbewerb" in euerer Gruppe zu sein, den "nutzlosesten Problem-Schneeflocken-Charakter" zu erstellen ~;D
Wenn du mal Beispiel Charaktere anschaust, z.B. die von Deadlands, dann sieht man eigentlich, dass man auch vernünftige, abenteuertaugliche Chars erstellen kann. Auf ganz krasse Nachteile sollte dann verzichtet werden. Vielleicht hilft es die Beispielcharaktere als Basis nehmen, damit man nicht komplett abdriftet? Ansonsten kann ich gar nicht mehr viel neues zu den vorherigen Beiträgen hinzufügen.
Abgesehen von der großen Gurken-SC-Thematik, gefällt dir Würfelsystem, Spielgefühl, etc. von Savage Worlds und lohnt es sich da überhaupt was fixen zu wollen? Falls nicht, dann können wir ja auch gerne nach einen passenderen System suchen, am besten eines ohne Hinderances :)
Alexandro:
Praktikable Hausregel: die Spielenden bekommen immer ihre vollen 4 Zusatzpunkte bei der Charaktererschaffung, egal wieviele Handicaps sie genommen haben (die gewählten Handicaps dienen nur der Bennie-Gewinnung). Das vermeidet es, dass man den Charakter vorneweg mit Handicaps zubaut, die dann irgendwie keinen Sinn machen (und es hält die Option offen, dass man später noch Handicaps hinzufügt, wenn man eine etwas klarere Vorstellung vom Charakter hat, bzw. auch welche entfernt, wenn diese nur noch nervig sind).
Ansonsten gebe ich immer einen Bennie für das Ausspielen eines Handicaps, egal wie groß der Nachteil ist (und manchmal auch, wenn es nur (unterhaltsamer) Fluff war).
Und was "ab wann man ist man kompetent" angeht: finde ich recht witzig im Vergleich zu D&D3.x/PF1, wo Charaktere in ihren (deutlich breiter gestreuten) "weak skills" froh sein können, wenn sie nur jede dritte Standardprobe verkacken.
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