Pen & Paper - Rollenspiel > Pen & Paper - Spielberichte

[nWoD] Die 6. Loge

(1/2) > >>

Celdorad:
Es begann als der Schmerz aufhörte, der Schmerz, der so lang und intensiv gewesen war, dass du schon vergessen hattest, dass es Schmerz heißt. Langsam wandern deine Gedanken durch die ... Dinger, die noch mit dir verbunden sind. Die Worte schwimmen vorsichtig wieder zurück in dein Erinnerungsvermögen: Beine, Arme, Hände, Kopf. Ja, Kopf, Kopf und Augen. Du blinzelst, nur um von der Helligkeit geblendet zu werden und die Augenlieder wieder zu schließen. Sanfteres Rot empfängt dich.
Doch dann sind da Schritte, das Zufallen einer Tür und eine Hand berührt deine Schulter. "Der hier ist schon wach!"

Wir begannen unsere erste Spielsitzung damit, dass die Charaktere auf einem Operationstisch aufwachen. Ihre Hände sind gefesselt, sie haben nur lange weiße Krankenhemden an und sie können sich an fast nichts mehr erinnern. Einen Moment später betreten vier Ärzte den Raum. Sie haben schwere Kreuze um den Hals gelegt und ihre Gesichter sind von einem Mundschutz verdeckt. Nachdem sie sich vergewissern, dass die Patienten wach sind, befragen sie sie nach ihren Namen. Es fällt den Charaktere schwer sich zu erinnern, doch es blitzt jeweils ein Funken von Erinnerung, Bekanntheit durch ihren Geist, als sie den Namen des anderen hören.

Damit sie sich wieder beruhigen werden sie über einen Flur zu einer Gummizelle gebracht und dort mit einem weiteren "Verrückten" allein gelassen.
Nachdem sie zwischen dem Aufwachen und dem Aufenthalt in der Zelle mehrere Flashbacks erlitten hatten - jedesmal sahen oder fühlten sie irgendwo kleine, dünne Beinen an ihnen oder an der Wand entlang krabbeln, gefolgt von Blut - schaffen sie es ein wenig ihres Lebens zu rekonstruieren. Sie kommen beide aus London und waren zum Studieren in München. Krypthologie und Architektur. Dann waren sie in Hamburg, der eine als Mitarchitekt der Hafencity, der andere erst als Mulitmediakodierer, danach als Angestellter von Interpol. Weitere unzusammenhängende Gedankensplitter bleiben übrig. Der Architekt hatte ein Freundin gehabt - Gabi? - aber sie war nach Südamerika gegangen um nach neuen Tierarten im Dschungel zu suchen.

Und an irgendeinem Punkt kommen sie nicht weiter. Jetzt ist Februar, doch die Erinnerung hält nur bis Dezember an. Der Architekt hatte eine Leiche gefunden, bei einem seiner Bauprojekte und diese Leiche hatte die selbe Tätowierung wie die Beiden: ein Falke auf der Schulter. Sie erinnern sich an den Mann, der ihnen die Tätowierung stach. In einem Keller, wo sie sich auch trafen; sie, die Mitglieder der 6. Loge. Doch dann sind wieder nur die Träume von Blut und Spinnenbeinen da.

Ihr Mitinsasse behauptet von einem Werwolf angegriffen worden zu sein. Er hat drei Narben über das Gesicht verteilt, Narben die nie wirklich verheilen und er ist sich sicher, dass die Wunde, die der Krypthologe auf seinem Bauch hat von irgendeiner übernatürlichen Spinne gerissen wurde. Doch wenn er sich gerade nicht konzentrieren kann, dann lacht er nur manisch vor sich hin. Ist er Verrückt, oder sind sie verrückt, wenn sie ihm nicht glauben? Er meint es liegt an den Mitteln, die sie ihm geben um ihn gefügig zu machen, um ihn vergessen zu lassen.

Den beiden Charakteren ist die ganze Angelegenheit zu viel. Als ein Arzthelfer hereinkommt, um ihnen eine Spritze zu geben, überwältigen sie ihn kurzerhand. Einer zieht sich die Arztkleidung an, der andere trottet neben ihm her. Der "Verrückte" ruft ihnen noch hinterher, dass es sinnlos ist, "Sie" [die übernatürlichen Monster] werden sie schon noch bekommen, sie sollten lieben bleiben.

Hecktisch erreichen sie den Fahrstuhl, doch als ein kleines Kind da drin steht und ihnen erzählt, dass sie im Fahrstuhl lebt, nehmen sie lieber die Treppe runter.
Im ersten Stock zertrümmern sie ein Fenster, wickeln sich den Arztumhang um die Hände und springen raus auf die Mauer, die mit Stacheldraht geschützt ist. Der Aufprall ist schmerzhaft und einige böse Schnitte und ein halb gebrochenes Bein später humpeln sie über eine Straße vor dem Gebäude in eine Wald hinein.

Jedoch wurden sie bei ihrer Flucht beobachtet und einen Moment später laufen drei Sicherheitskräfte mit Pistolen im Anschlag aus dem Haupttor raus (übrigens wurde das Gelände von draußen als militärisches Übungsgelände verkauft). Der Orden der Rosenkreuzler lässt seine "Verrückten" nicht so einfach entkommen.

Nach eine Flucht durch den dunkler werdenden Wald, landen sie auf einem verlassenen Hof. Sie suchen die Gebäude ab und während der eine sich in der stockfinsteren Garage von einer Katze vertreiben lässt, räumt der andere Schlüssel, Klamotten und ein Fischfiletiermesser im Haupthaus ein.

Die Sicherheitsleute lassen nicht lange auf sich warten und nach einem missglückten Angriff fliehen die Charaktere in die Garage, öffnen den altersschwachen Mercedes mit den geklauten Schlüsseln und brettern durch das geschlossene Tor der Ummauerung des Hofes. Die Sicherheitsleute kommen von ihrer erfolglosen Suche nach den Beiden herbeigelaufen und entladen ihre Waffen. Das Heck des Mercedes wird stark demoliert und die Scheibe liegt in Trümmern. Der Fahrer schafft es gerade noch so nach einen Querschläger nicht ohnmächtig zu werden und sie Sitzung endet mit dem Wagen, der auf der Hauptstraße in die Dunkelheit fährt, weg von dem unheimlichen "Nervenzentrum".

Celdorad:
Spiel akutuell:

Es ging damit weiter, dass sich die beiden Charaktere (ich habe jetzt auch ihre Namen drauf: Rodney (Interpol) und Rupert (Architekt)) erst einmal orientierten. Nach ein paar kleineren Ortschaften wussten Sie, dass sie in Ditmarschen gelandet waren. Kurzentschlossen namen sie den schnellsten Weg nach Itzehoe um von dort aus am nächsten Tag nach Hamburg weiterzureisen. Allerdings wollten sie in Itzehoe ihr angeschossenes Auto loswerden um die Spuren ihrer Flucht zu verwischen.

Dort angekommen gab es Probleme den teilweise hilfreichen Nachtschwärmern und Tankwärten zu erklären warum sie so lädiert aussahen, warum Rupert keine Hose anhat  ~;D und warum sie nicht die Polizei benachichtigen wollen, wenn sie doch einen Unfall hatten. Doch mit etwas im Auto zusammengeklaubtem Geld schaffen sie es schließlich bis zu einer Obdachlosenhilfe, in der sie sich etwas einkleiden können und mit dem Versprechen da zu zahlen, ein Taxi nach Hamburg rufen. Sie erinnern sich jetzt auch wieder an ein Elbhaus, wo sich die 6te Loge immer traf. Und ja, die Flashbacks von Spinnen und Blut sind immer noch da.

Als das Taxi sie abholt, empfängt sie der Fahrer mit den Worten: "Gut, dass ihr da seid" und offenbart eine Tätowierung einer freien Jägerverbindung. Während der Fahrt reden die drei ein wenig über Jäger und den Unterschied zwischen freien Jägern und jenen, die sich zum Zweck einer bestimmten Zielsetzung von den anderen abspalten und als Logen oder somstige Geheimbünde besondere Ziele verfolgen. Außerdem erfahren Rodney und Rupert, dass es eine Spinnenart gibt, die sich in den Gehirnwindungen eines Menschen einnistet und diesen als Brutstätte seiner Nachkommen benutzt. Kurz vor dem Schlüpfen (was dem Wirt den Kof kostet) scheint der Wirt zu einem Art Zombie zu werden, da seine Gehirnschichten langsam von den Klienspinnen als Mutterkuchen zerfressen werden. Außerdem weiß der Fahrer, dass das Logengebäude abgebrannt wurde und Rupert und Rodney als Mörder der anderen Logenmitglieder festgenommen wurden.
In Hamburg angelangt verabschiedet sich der Taxifahrer von den Beiden und gibt ihnen noch eine Addresse eines Jägers im Speckgürtel Hamburg.

Nun startet die Action: Um etwas Geld und neue Kleidung zu holen brechen die Beiden in ihre eigenen, von der Polizei gesperrten, Wohnungen ein. Bei Rupert ist aber eine andere Person in der Wohnung und der Durchsuchung der Polizei wurde anscheinend noch eine weitere hinzugefügt. Als die Wohnungstür zufällt eilen die Beiden zu Fenster und Flur, können aber niemanden mehr erwischen. Auch in der Wohnung ist nichts weiter zu sehen. (Hehe, sie haben den Keller vergessen, obwohl ich die Tür sogar in die Beschreibung eingebaut habe...)
Bei Rodney laufen sie allerdings fast den Polizisten in die Arme, die die Wohnung gerade untersuchen wollen. Getrennt in zwei Räumen und nicht im vollen Bewusstsein wie vielen Gegner sie gegenüberstehen, bleibt beiden nur ein beherzter Sprung aus dem Fenster. Ein paar Gassen später verstecken sie sich zwischen einigen Mülltonnen, laufen dann weiter. Ohne es wirklich geplant zu haben landen sie bei der niedergebrannten Ruine des alten Logenhauses.

Rupert geht auf das Gelände und beginnt die Ruine mit seinem Bild des Hauses vor seinem inneren Augen zu vergleichen. Er hört auch nicht auf die Bitte Rodneys doch zu gehen, sondern beginnt einen Schutthaufen zur Seite zu räumen um den Kellerzugang freizuräumen.
Nur mit einer Taschenlampe bewaffnet klettern sie etwas später die fast intakte Treppe herunter, dorthin, wo sie nach ihrer Erinnerung in einem Raum eingepfercht gewesen waren. Unten angelangt holte sie die Erinnerung wieder ein: Sie warem im Keller gewesen und ihre einstigen Freunde von der 6ten Loge hatten sich von außen gegen die Tür geworfen. Rupert kann seinen Flashback von den Spinnenbeinen und dem Blut zuordnen, als er sich erinnnert, dass kurz vorher einer der Logenmitglieder mit einem grotesk verformten Kopf die Tür aus den Angel gerissen hatte, auf ihn zugeschluft gekommen war... und dann war sein Kopf explodiert und hatte ihn mit einem Schwall aus Blut, Eiter und Sekretflüssigkeit überschüttet, bevor einige kleine Spinnen in der Dunkelheit verschwunden waren.
Nachdem die Polizei kurz oben in der Ruine umhergestapft war und Rupert und Rodney in ihrem Kellerversteck ausharrten, stürmten sie schließlich los: Erst einmal weg aus Hamburg, aus den Erinnerungen, aus dem Regen. Sie nahmen das nächste Taxi und ließen sich zu dem Jäger fahren, dessen Addresse sie erhalten hatten.

Was mich interessieren würde:
Wie denkt ihr geht es weiter?
Was gefällt euch im Moment an der Handlung? Was nicht?
Was haltet ihr von der Memento-schiene? Alter Hut oder gute Methode um die Lücken in der Charakteregeschichte glaubwürdig während des Spiels zu füllen?

Lord Verminaard:
Hallo Celdorad,

die Sache mit dem Gedächtnisverlust ist eine, die seit meiner Mitgliedschaft im Forum (2002) immer mal wieder angesprochen wurde. Sie scheint eine große Faszination auf Rollenspieler auszuüben. Dabei gibt es unterschiedliche Methoden, wie das umgesetzt wird; aus deinem Spielbericht ergibt sich leider noch nicht, welche du verwendest. Daher zunächst die Frage:

Wieviel wissen die Spieler? Kennen sie die Werte ihrer Charaktere? Haben sie sich ihre Berufe ausgesucht? Und wenn ja: Vor dem Spiel, oder während des Spiels? Wieviel Einfluss hatten sie während der Flashback-Szenen? Kennen sie den Hintergrund, sagen ihnen die Tätowierungen und „Jäger“ und diese Sachen etwas? Oder sind sie total ahnungslos?

Ich persönlich hatte einige meiner intensivsten und denkwürdigsten Rollenspielerlebnisse mit solchen „Oh mein Gott was passiert hier eigentlich gerade“-Situationen, die sich meiner Kontrolle völlig entzogen und komplett vom Spielleiter gesteuert wurden. Zwar nicht mit Gedächtnisverlust, aber trotzdem mit einer für den Charakter neuen und beängstigenden, sein Weltbild auf den Kopf stellenden Extremsituation. Da war ich total drin, hatte Herzklopfen, habe gebrüllt, geflucht, mit meinem Charakter gelitten. Wie war das bei euch?

Inzwischen hat diese Art zu spielen für mich ihren Reiz ziemlich eingebüßt, da diese Art von Hilflosigkeit beim ersten Mal zwar wahnsinnig aufreibend ist, sich aber (für mich) irgendwie abgenutzt hat und ich dann das Bedürfnis nach mehr Einfluss hatte.

Wie ist das bei euch? Wie viel oder wenig Einfluss haben die Spieler auf das, was weiter passieren wird?

Was den Memento-Effekt angeht, erwähnst du ja nur zu Anfang Flashbacks, ansonsten scheint der Plot relativ linear zu verlaufen, was die Zeitschiene angeht. Das scheint mir auch probat; ich halte Flashbacks ganz generell für überschätzt und insbesondere beim Rollenspiel nur selten für hilfreich. Denn Rollenspiel ist nun mal nicht so planbar wie ein Film oder Buch (oder sollte es zumindest m.E. nicht sein), und daher ist es tendenziell gefährlich, die Gegenwart vor der Vergangenheit zu erzählen. (Oh schade, die Charaktere haben in der Vergangenheit diesen Typen umgebracht, der in der Gegenwart bereits seinen Auftritt hatte...) Aber solange die Flashbacks relativ zu Anfang stattfinden und mehr oder weniger vom SL erzählt werden, ist das natürlich unproblematisch.

Wie mir die Handlung gefällt? Ich würde sagen, sie ist solide aber austauschbar. Ist auch egal, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass bei euch im Spiel das Erleben des Augenblicks und das Hineinfühlen in die Charaktere im Vordergrund stehen. Dabei ist eine filmreife Handlung total zweitrangig. Daher will ich auch gar nicht raten, wie es weitergeht (kenne mich auch zu wenig mit dem nWoD-Hintergrund aus). Ich hoffe, wie es weitergeht hängt auch davon ab, was die Charaktere als nächstes tun. Ich könnte raten, was der Hintergrund der ganzen Sache ist, wobei natürlich die Frage interessant wäre, ob die Charaktere Spinneneier im Kopf haben oder nicht. Mein Tipp wäre, dass die Ärzte ihnen welche eingepflanzt haben, es aber noch eine Chance gibt, sie wieder zu entfernen.

Falls du einen Ratschlag möchtest, frei nach „Dead of Night“: Horror lebt von Hoffnung. Hilflosigkeit wird schnell frustrierend, wenn es nicht immer noch irgendwo einen Funken Hoffnung gibt. Aber das wusstest du ja wahrscheinlich schon.

Was mir natürlich gefällt ist, dass es in Norddeutschland spielt. :D

Gruß Vermi

Celdorad:
Tja,

ich habe einfach zwischendurch immer mal wieder ein paar Kleinigkeiten eingestreut, die der Erinnerung an einen kleinen Ausschnitt der Vorgeschichte bedeuten. Die Spieler wissen, was sie gerade wieder als Hintergrundgeschichte einbauen. Als sie in ihre Wohnungen gegangen sind, da habe ich sie einfach direkt gefragt, wie es aussieht, was da so ist und so.
Die Charakterbögen haben wir in dem Moment gemacht, wo wir das erste Mal würfeln mussten. Bis dahin hatten sie sich schon selbstständg an viele Klein- und Großigkeiten erinnert. Somit war und ist es glaube ich nicht so, dass den Spielern die Kontrolle entzogen wird, eher im Gegenteil. Ich erzähle die Flashbacks und sie sind immer sehr kurz. Aus diesen Schnipseln haben sie sich nun schon selber mehrere Sachen zusammengereimt, weswegen sie nicht völlig ahnungslos sind.
Das einzige worauf sie keinen Einfluss hatten ist, dass sie wissen, dass sie in eine Jägerloge eingetreten sind (Tätowierung als Erkennungszeichen und so). Im Moment zweifeln sie noch, ob all diese Monster wirklich existieren, die sie wohl mal bekämpfen wollten. Tja und später haben sie ihre Zombiefreunde dann umgebracht und sind dafür eingebuchtet worden. Auf den Rest der Geschichte haben sie allen Einfluss den sie wollen.


--- Zitat ---Wie mir die Handlung gefällt? Ich würde sagen, sie ist solide aber austauschbar. Ist auch egal, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass bei euch im Spiel das Erleben des Augenblicks und das Hineinfühlen in die Charaktere im Vordergrund stehen. Dabei ist eine filmreife Handlung total zweitrangig.
--- Ende Zitat ---

Hmm. Natürlich ist jede Rollenspielhandlung austauschbar und nie filmreif, da es nur um das Ausspielen bestimmter "Grundsituationen geht. Allerdings finde ich, dass gerade bei dem "Einfühlen" die Handlung schon wichtig ist um den Spielern immer angemessenes Aktionsfutter zu geben. Vielleicht haben wir eine unterschiedliche Auffassung von Handlung oder filmreif aber ich würde beim Charakterrollenspiel entsprechend gestaltete Orte und Konflikte als so essentiell ansehen wie gute Kampfschauplätze und rechnerisch fordernde Gegner fürs Hack'n'Slay.


--- Zitat ---Ich hoffe, wie es weitergeht hängt auch davon ab, was die Charaktere als nächstes tun.
--- Ende Zitat ---

Aber natürlich! Ich lege maximal die Haken aus, denne sie hinterherlaufen. Und um diese Haken ging es beim "weitergehen".


--- Zitat ---Mein Tipp wäre, dass die Ärzte ihnen welche eingepflanzt haben, es aber noch eine Chance gibt, sie wieder zu entfernen.
--- Ende Zitat ---

Interessant. Das wäre spaßig. Aber warum sollte die das gemacht haben? Schlussendlich wollen sie ja keine anstrengenden Personen kurz vor dem nervösen Zusammenbruch...

Celdorad:
Mein 1on1 mit meinem Spieler nummer 3:

Noch heute läuft Dr. Theodor Marmfeld ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er an seine erste Begegnung mit dem „Dunklen“ denkt. Nie würde er diesen Abend in den Räumlichkeiten der „Gesellschaft für außerordentliche Wissenschaften“ vergessen. Eigentlich hatte er derartige Namen schon in seiner Studienzeit verachtet, aber damals sah es so aus, als blieben ihm langsam keine anderen Kontakte mehr übrig...

Wo hatte er damals gestanden, im Winter des Jahres 1995? Ein Niemand war er gewesen. Verspottet, ausgelacht, nicht ernst genommen. Seine Dissertationsschrift, das Ergebnis von dreieinhalb Jahren härtester Arbeit? Nach zwei Jahren lief das Stipendium aus: „aussichtslos“ sei die Arbeit, das Ergebnis werde das Papier nicht wert sein, auf dem es gedruckt werde. Die Defensio? Spott und Missachtung schwappten gegen ihn wie eine zwölf Meter hohe Welle. Gehalten hatte er sich trotzdem. Um jede einzelne Theorie gerungen und am Ende knapp gewonnen. Angenommen wurde die Arbeit, aber seine Hoffnungen auf „magna cum laude“ oder gar „summa cum laude“ wurden zerschlagen. Nichts. Nur „angenommen“. Und das auch nur auf Intervention seines Doktorvaters.
Was war unwissenschaftlich an einer Abhandlung über das Logentum? Er hatte völlig neue Quellen erschlossen, aus allen drei Epochen. Er hatte die umfassendste Abhandlung über eine der wichtigsten Logen geschrieben, die es je gab. Für diesen Teil war er auch explizit gelobt worden, aber er habe ihn ja nun doch wieder „mit diesem kruden Gefasel von etwas übersinnlichen, metaspirituellen vermischt“. Was war verrückt daran, an die Existenz von etwas zu glauben, dass jenseits des profanen Mainstreams lag? Dabei hatte er dem Phänomen mit Absicht keinen Namen gegeben. Er hatte sich bemüht, die Quellen, die auf übersinnliche Wesen hindeuteten, die die von ihm untersuchten Logen lenkten und kontrollierten, zu entkräftigen und auf den Boden der Empirie zurückzuholen. Aber an so vielen Stellen war es nicht gelungen. Wie auch? Es war offenkundig, dass es gerade in den Geheimbünden und Logen etwas gab, was die normale Vorstellungskraft überschritt.
Derartig isoliert, ohne Verleger für seine Schrift, mit nur wenigen Schreibaufträgen (und die zumeist nur für populärwissenschaftliche oder sogar pseudowissenschaftliche Zeitschriften) stand er im Winter 1995 da. Und nahm die Einladung der „Gesellschaft für außerordentliche Wissenschaften“ an. Was sollte schon dabei sein?

Es war eine Menge dabei. An jenem kalten Tag, an dem er das Gebäude betrat, fühlte er sich vom ersten Moment an nicht wohl in seiner Haut. Die herrschaftliche Villa, in der die Gesellschaft tagte, war angefüllt mit verkleideten Gestalten, wie auf einem barocken Maskenball. Dem optisch eindeutig fehlplatzierten Marmfeld (woher hatte er das wissen sollen?) wurde aber schnell klar, dass sein Aussehen an diesem Abend nicht das einzige Problem werden sollte...
Nach ein paar gescheiterten Kommunikationsversuchen fand er schließlich einen ersten Gesprächspartner, dessen Namen er sich aber nicht merken konnte. Immerhin konnte ihm diese mysteriöse Gestalt den Gastgeber weisen, mit dem Marmfeld danach ein etwas längeres Gespräch führte. Dr. Dr. Cornelius Funke erklärte ihm den Grundsatz der Veranstaltung: Alles entspricht einem Bühnenspiel. Man muss nur wissen, wann man seine Auftritte hat und wann man die Bühne verlassen muss. Viele verwertbare Informationen konnte Marmfeld allerdings nicht aus ihm herausbekommen. Lediglich die ausdrückliche Einladung, das Haus weiter zu erforschen, blieb. Obwohl Marmfeld sich durch die Art und Weise angesprochen fühlte, wie Funke gegen Denksperren war, und es befürwortete, weiterzudenken und weiterzuforschen, wo der Mainstream stoppt und „unwissenschaftlich“ schreit, war er mit ihm nicht richtig warm geworden und nahm die Einladung gerne an.
Über eine Treppe verließ er den Saal und ging ins Obergeschoss des Hauses. Verwirrende Flure mit vielen Türen erwarteten ihn. Nach einiger Unsicherheit traute er sich, eine Tür zu öffnen und geriet durch einen Raum in eine Art Bibliothek für frühkindliche Psychologie und Erziehungsratgeber. Kurioserweise gab es in der Mitte allerdings einen Operationstisch und alles, was man sonst noch brauchte: Handschuhe, Desinfektionsmittel und viele Skalpelle... Plötzlich wurde er dann von einem kleinem Jungen überrascht. Er hatte sich im Raum versteckt und sprach kurz mit Marmfeld. Allerdings verschwand er so schnell wieder, wie er gekommen war. Neugierig, aber auch langsam misstrauisch machte sich Marmfeld auf zu anderen Räumen.
Im Gang fand er aber erst einmal eine Leiter runter in einen dunklen Raum. Bevor er sich aber entscheiden musste, ob er sich traut, hinunterzusteigen, wurde er von seinem allerersten Gesprächspartner angesprochen, der eilig die Tür zum Kellerraum verschloss. Stattdessen wollte er ihm einige interessante Bücher zeigen. Er führte den etwas verdutzten Dr. Marmfeld in einen anderen Raum, wo zahlreiche Bücher lagerten. Die allermeisten davon beschäftigten sich mit Medizin und medizinischen Versuchen, Tote zu erwecken oder irreparabel beschädigte Gliedmaßen zu kurieren. Im Gespräch stellte sich heraus, dass der Mann aus dem Ballsaal dies hier als sein Forschungsgebiet benennt und damit offenbar auf ähnlich wenig Akzeptanz gestoßen ist wie Marmfeld mit seinen Theorien. Neugierig durchsucht Marmfeld weiter die Bücher, während sein Gesprächspartner zurück zur Gesellschaft geht.
Dann tauchte der Junge aus dem letzten Raum wieder auf. Ein Gespräch beginnt, in dessen Verlauf Marmfeld an seiner geistigen Gesundheit zu zweifeln beginnt: Offenbar lebt das Kind hier, in dem dunklen Kellerraum. Es hat keine Eltern und kann nur das, was es „Beibringer“ lehren. Der eigentliche Schock folgt aber noch. Als das Kind ihn wiederholt anfasst, hält es Marmfeld fest und macht eine schreckliche Entdeckung: Anscheinend wurde der Körper des Jungen aus den Einzelteilen anderer Körper zusammengenäht! Es handelt sich um eine Art Frankensteins Monster in klein. Die Welt dreht sich um Marmfeld, aber er kann seine Konzentration wahren. Raus, nur raus! Fluchtartig verlässt er die Villa, rennt durch den Ballsaal in die Vorhalle, stürzt hinaus in die kalte Winterluft.
Er, der immer alles irgendwie erklären konnte, war ratlos. Ohne Nachzudenken fuhr er die ganze Nacht mit der Bahn durch Hamburg, immer wieder dieselben Bilder vor Augen: Der zusammengebaute Arm des Kindes...

Inzwischen ist Dr. Marmfeld weiter. Er kennt mehr Details, er hat ein Überblickswissen über die „Dunklen“. Er weiß, dass das, was er sah, ein „Seelenloser“ war. Ein Konstrukt ohne Gefühle und Seele. Jedes Mal, wenn er sich jetzt, um 13 Jahr Erfahrung und Studien weiter, an diesen Abend im Haus der „Gesellschaft für außergewöhnliche Wissenschaften“ erinnert, weiß er wieder, warum er dran geblieben ist. Warum er nicht vergessen hat, warum er nicht aufgehört hat, zu fragen und zu suchen:
Weil es für alles eine Erklärung geben muss. Auch für das, was er gesehen hat.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln