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[Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")

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Timberwere:
Ricardos Tagebuch: Dead Beat 4

Ich bin so müde. Aber es ist geschafft. Der Día de los Muertos ist vorüber, die Tore wieder versperrt.
Und, ob wir das jetzt gut finden mögen oder nicht, Camerone Raith hat Edward Leedskalnins Platz eingenommen, ein und für alle Mal. Und der Lette selbst... ist verschwunden. Aber damit hatten wir nichts zu tun. Nicht direkt, jedenfalls.

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Nächster Tag. Ich musste erst einmal ausschlafen. Jetzt krakelt meine Schrift auch nicht mehr über die Zeilen hinweg, und ich kann endlich wieder einen halbwegs klaren Gedanken fassen.
Also.

Wir standen ja vor der Entscheidung, ob wir Camerone Raith wirklich an das Coral Castle binden, sie wirklich in diese Machtposition bringen wollten. Aber es fiel uns keine bessere Lösung ein, so sehr wir auch nachgrübelten, also entschieden wir uns nach einigem Hin und Her und nicht gerade leichten Herzens dafür.
Dabei gab es zwei Optionen: entweder mit Camerones Einverständnis oder gegen ihren Willen, sie also entweder überzeugen oder sie gewissermaßen an den Ort fesseln. Ersteres würde ihr in der Position mehr Macht verschaffen, letzteres deutlich schwieriger werden. Also mehr Diskussionen. Mehr Bauchgrimmen. Letzten Endes beschlossen wir dann, Camerone die "sanfte" Version anzubieten und zu sehen, was sie dazu sagen würde.

So oder so war wieder einmal ein Ritual vonnöten. Die Komponenten für "Sehen" und "Hören" stellten mit einer rosaroten Brille (bzw. einer Sadomaso-Maske für die unfreiwillige Option) und dem Klang des zufallenden Schlosses des Coral Castle kein Problem dar. Den Rest mussten wir aber mehr oder weniger mühevoll beschaffen.

Ich bekam dabei die Kategorie "Schmecken" ab, was von einem Kuchen in Form des Coral Castle abgedeckt werden sollte. Eigentlich soweit kein Problem, geht man halt in eine Bäckerei, bestellt den Kuchen und gut. Wenn, ja wenn nicht zum selben Zeitpunkt eine mehr als zickige Hochzeitsgesellschaft ebenfalls ihren Hochzeitskuchen hätte abholen wollen und beinahe alles in die Hose gegangen wäre.
Da trafen nämlich die Schwester des Bräutigams sowie dessen bester Freund auf den Vater der Braut und deren beste Freundin, und unterschiedlicher hätten die Welten nicht sein können. Der Vater hemdsärmeliger Arbeitertyp, die Schwester arrogante Yuppie-Zicke, wie sie im Buche steht, eine nicht ausgesprochene, aber zwischen den Zeilen überdeutlich lesbare Affäre zwischen irgendwem, und mein Kuchen musste drunter leiden.

Das Ende vom Lied: Die Hochzeitsgesellschaft sollte eigentlich hochkant rausfliegen, aber die Yuppie-Zicke weigerte sich und drang in die Küche vor, woraufhin der Koch ein Messer zog, und die Yuppie-Zicke gar eine Pistole. Ich versuchte zu vermitteln – und wurde gleich mit verhaftet, als die Polizei anrückte, die inzwischen von der Besitzerin gerufen worden war. Mich ließ man dann relativ schnell wieder laufen, und meinen Kuchen bekam ich auch, aber es dauerte alles länger, als es hätte dauern sollen.

Die anderen hatten es aber auch nicht unbedingt leichter, nach dem, was sie so erzählten. Roberto zum Beispiel wollte für die Kategorie „Riechen“ ein Parfum mit der Wirkung eines Liebestranks besorgen. Er selbst hatte die benötigten Zutaten aber gerade nicht vorrätig, also musste er sie kaufen. Und wo, Römer und Patrioten? Genau, in Angel Ortegas neuer Bótanica. Und wir wissen ja alle, wie grün Roberto und Angel sich gemeinhin so sind.

Seit Angel über die Sache mit der Yansa-Maske bei den Orunmila in Ungnade gefallen ist, scheint es aber ein etwas besseres Auskommen mit ihm zu sein. Oder vielleicht lag es daran, dass Roberto ihm helfen konnte, ein kleines Problem mit Angels Cousin zu lösen. Der hatte nämlich ohne Angels Wissen Drogen in der neuen Bótanica versteckt und wollte diese nun mit seiner Freundin zusammen ebenso unbemerkt wieder abholen, was zu allerhand Verwicklungen führte.

Alex durfte für den Bereich „Anfassen“ indessen ins Nevernever reisen, denn dort kamen die Steine her, aus denen das Coral Castle gebaut wurde. Dummerweise war in dem Steinbruch gerade ein Trupp Gnome und Goblins zugange, denen ein komischer, fantasy-technischer Apparat durchgedreht war und nun zu explodieren drohte. Alex gelang es gerade so, sich das Stück Stein zu schnappen und abzuhauen, ehe das Unvermeidliche geschah. Aber ernsthaft: Gnome, Goblins und Fantasy-Ingenieurskunst? Sind wir hier bei World of Warcraft oder wie?

Totilas' Aufgabe war dagegen beinahe völlig mundan. Und das, obwohl er zur Halloween-Party seiner Familie musste, zu der kleinen Ersatz-Soiree auf der Ranch draußen. Für die „Seele“ des Rituals benötigten wir nämlich Camerones Ehering, und den hatte Geralds Schwester Cécile in Verwahrung. Totilas bekam seine Großtante auch dazu, ihm den Ring zu überlassen, aber nicht bevor er Zeuge einer Szene wurde, in der Lara Raiths mehr als naive, herzkranke Sekretärin eigentlich hoffte, sie könnte von ihrer Krankheit geheilt werden, wenn sie auch zu einem White Court gemacht würde. Offensichtlich hatte Lara höchstselbst der jungen Frau diesen Bären aufgebunden, denn inzwischen weiß ja selbst ich, dass das bei den weißen Vampiren nicht so funktioniert. Ein etwas abgehalfterter Privatdetektiv aus der Familie Elfenbein und ein weiterer Raith namens Marshall waren auch mit von der Partie, und irgendwie endete die Sache wohl darin, dass der Detektiv Cécile daran hinderte, sich das Mädchen einzuverleiben und dann mit ihr in den sprichwörtlichen Sonnenuntergang ritt. Ob sie nun eine Heilung finden oder einfach nur die ihr verbleibenden letzten Monate genießen kann, weiß dabei leider keiner. Und auch nicht, was dieser Marshall Raith eigentlich genau in Miami sollte.

Blieb noch der Aspekt „Geist“. Dafür wollte Edward im Historischen Museum eine Sklavenkette entwenden, traf dabei aber auf eine Gruppe junger Diebe, die eine afrikanische Statue „befreien“ wollten. Die jungen Leute waren nämlich glühende Vertreter der Black Power, selbst wenn einer von ihnen gar nicht wirklich afroamerikanische Wurzeln hatte. Das war nämlich der Neffe von Edwards neuem Kollegen Salvador Herero, der wiederum auch am Museum auftauchte, weil er seinem jungen Verwandten gefolgt war und ihn daran hindern wollte, irgendeinen Unsinn anzustellen.

Es gelang den beiden SI-Cops, die drei Jugendlichen ohne die Statue aus dem Museum zu bugsieren, dafür aber mit der Kette für Edward, frei nach dem Motto: Ich erzähle nicht, was du hier gemacht hast, wenn du nicht erzählst, was ich hier gemacht habe. Dass einer der jungen Leute allerdings nach Einnahme eines von Mrs. Parsens (bzw. Antoines) Produkten Gegenstände sprechen hören kann, so dass er glaubte, die Statue flehe ihn an, sie nach Afrika zurückzubringen, war für Edward in mehr als einer Hinsicht ziemlich beunruhigend.

Aber damit konnten wir uns jetzt nicht beschäftigen. Über den ganzen Besorgungen war der Diá de los Muertos schon ziemlich weit fortgeschritten, und wir hatten nur noch bis Mitternacht Zeit, wenn wir das Ritual mit Camerone durchziehen wollten, ganz zu schweigen davon, dass gegen Ende der 24 Stunden wohl der größte Ansturm an feindseligem Geisterzeugs zu erwarten war.

Zurück am Coral Castle war der Lette weit und breit nichts mehr zu entdecken. Camerone Raith hingegen war nicht zu übersehen, da sie immer noch in vollem Generalsmodus die Geister koordinierte. Sie erklärte sich bereit, sich freiwillig an das Castle binden zu lassen, was Edward das Ritual um einiges erleichtern würde. Auch nach Leedskalnin fragten wir, aber da war Camerones Antwort nur, dass der fort sei und man ihn vermutlich nie wieder sehen werde, jetzt wo Cicerón mit ihm fertig sei. Linares hatte den Letten ja derart in die Mangel genommen, weil er aus herausbekommen wollte, was genau da in den Sümpfen los sei; so viel hatten wir hören können. Ob Leedskalnin allerdings durchhielt, oder ob er gegen Ende hin doch brach und es verriet, dass wissen wir nicht; das konnte oder wollte auch Camerone uns nicht sagen. Aber jedenfalls war das Verschwinden des Letten eine weitere Motivation für uns, das Ritual mit Totilas' Urgroßmutter durchzuziehen, denn die Position unbesetzt zu lassen, wäre fatal. Aber dennoch hatte, und habe, ich ein mehr als schlechtes Gefühl bei der Sache.

Aber es war ja nun nicht zu ändern. Es musste nun einmal getan werden, die Entscheidung war gefallen, und es erschien uns allen, auch mir, trotz meiner Bedenken, als das potentiell kleinere Übel.

Trotz der „sanften“ Version war das Ritual noch immer verdammt schwierig, und langwierig dazu. Edward bereitete alles vor, zog seinen Ritualkreis und rief Camerone hinein, dann begann er. Dummerweise hatten die freiwerdenden Energien nicht nur den gewünschten Effekt, sondern sie zogen auch die anderen Geister der Umgebung magisch, haha, an. Und da Edward sich auf seine Zauberei konzentrieren musste und nicht unterbrochen werden durfte, mussten wir anderen diese Geister von ihm fernhalten.

Anfangs ging das eigentlich ziemlich gut. Ich stellte fest, dass wir uns durch das Verschwimmen der Grenzen wieder einmal halb im Nevernever befanden, weit genug jedenfalls, dass George meinen Ruf hören und uns zu Hilfe kommen konnte. Mit den ersten fünf Geistern wurden wir also ziemlich problemlos fertig: Alex erledigte zwei davon, Roberto und Totilas ebenfalls zwei und George und ich einen.

Aber dann wurde ein einzelner Geist Richtung Ritualkreis gezogen, viel größer als die anderen, völlig verbrannt und in Flammen stehend – und Santa Madre Maria ist meine Zeugin, als ich diesen Feuergeist sah, erstarrte ich einen Moment lang. Die anderen gingen sofort auf ihn los, aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht. Mit einem Mal war es mir, als stünde ich selbst wieder in Flammen, und es gelang mir nicht, auch nur einen Schritt auf den Feuergeist zuzugehen.

Während ich mich hektisch nach irgendetwas umsah, mit dem ich vielleicht aus der Ferne etwas gegen den Geist ausrichten könnte, bemerkte ich statt dessen etliche Schlangen, oder besser die Geister von Schlangen, die bösartig zischelnd auf den Ritualkreis zugewuselt kamen. Die anderen hatten diese neue Bedrohung noch nicht gesehen, also trat ich Schlangen tot, wich ihren vermutlich giftigen Bissen aus und hielt sie von den anderen fern, bis die den Feuergeist erledigten hatten. Um die restlichen Schlangengeister kümmerten wir uns dann gemeinsam.

Inzwischen war Edward mit seinem Ritual beinahe fertig. Aber es wurden immer mehr Geister, die sich dem Kreis näherten, und irgendwann würden wir nicht mehr gegen alle ankommen. Da hatte irgendjemand – Edward selbst? Roberto? – die geniale Idee, dass die Energie der Geister zusätzlichen Brennstoff für das Ritual abgeben könnte, wenn wir sie kontrolliert in den Kreis befördern würden, und es deswegen schneller beendet werden könnte. Gesagt, getan: Alex als Abgesandter Elegguas schubste die Geister, die sich in Reichweite befanden (mit der Ausnahme von George, natürlich, wobei der ja auch kein Geist ist, sondern ein Wyldfae) mit einer ziemlichen Anstrengung in den Kreis. Irgendwer rannte los und warf das Tor des Coral Castle mit einem lauten, metallischen „Klonk“ ins Schloss, gerade als Edward die letzten Worte des Rituals intonierte. Und dann war es geschafft, war Camerone Raith die neue Hüterin des Castle.

Und es war kaum zu früh, denn um Punkt Mitternacht begann der letzte große, heftige Ansturm der Geister. Richtig, richtig heftig, um genau zu sein. Und warum dieser Ansturm so heftig war, das verstanden wir, als wir Jack, den bösen Jack, im Hintergrund bemerkten, von wo aus er mit breitem Grinsen die Angreifer aufstachelte. Totilas stellte sich daraufhin in Imponierposition - ganz subtil, nicht übertrieben, aber mit der deutlichen Körpersprache "mich schüchterst du nicht ein". Das wiederum quittierte Jack ihm gegenüber mit der "ich sehe dich"-Geste: zeigte erst auf die eigenen Augen, dann auf Totilas.

Wie gesagt, der Angriff war heftig, aber dank Camerones neuer Macht konnte er schließlich doch zurückgeschlagen werden, und die Tore zur Geisterwelt schlossen sich wieder. Uns ging es dabei noch vergleichsweise gut, aber die Santo Shango, die hier ja den ganzen Tag lang ausgehalten hatten, waren ziemlich angeschlagen. Cicerón Linares brach vor Erschöpfung zusammen, als Shango ihn verließ, aber er schien keine lebensgefährlichen Wunden zu haben. Ilyana Elder hingegen sah übel aus, als sie nicht mehr von Yansa geritten wurde; bei der jungen Frau war allerhöchste Eile geboten. Von Totilas wollten die Ganger sich nicht helfen lassen, obgleich dieser es anbot - ein vielleicht nicht ganz unberechtigtes Misstrauen, wenn man bedenkt, dass Totilas' Augen trotz seiner üblichen eisernen Kontrolle leicht silbrig zu glänzen begonnen hatten und er ein abwesendes Gesicht machte, als diskutiere er mit einer inneren Stimme. Vermutlich tat er nämlich genau das, und sein Dämon wollte ihn dazu bringen, Ilyanas Leiden zu beenden oder sowas in der Art.

Edward hingegen hatte zuhause einen Heiltrank vorbereitet, den er Ilyana jetzt einflößte, und das half der jungen Frau über das Schlimmste hinweg. Ärztliche Behandlung benötigte sie natürlich nach wie vor, aber sie schwebte wenigstens nicht mehr in direkter Lebensgefahr.
Zum Dank revanchierte Cicerón sich mit einer Warnung. Spencer Declan sei in der Lage, die Gesetze der Magie ungestraft zu brechen, und wir sollten uns vorsehen. Mehr war dazu aber nicht aus ihm herauszubringen; er habe schon zu viel gesagt, und auch das nur, weil wir Ilyana geholfen hätten.
Linares wirkte übrigens sehr nachdenklich; offensichtlich hat er aus dem Letten wohl doch herausbekommen, was er wissen wollte.

Naja, dann tauchten plötzlich die Coral Guardians bei uns auf und machten Totilas unmissverständlich klar, dass der Kampf vorbei und er hier nicht länger geduldet sei.  Also sind wir heimgefahren, ich habe die obigen paar Worte hingekrakelt und mich erst einmal ins Bett gepackt. Und alles weitere, vor allem, wie das jetzt mit Ms. Geister-Raith in ihrer neuen Position wird, müssen wir sehen. Ich habe ja immer noch ein schlechtes Gefühl bei der Sache, aber jetzt ist das Kind im Brunnen.

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Jack White Eagle hatte heute auch eine Warnung, diese speziell für Edward und Ximena: Er empfehle beiden sehr eindringlich, den Ball flach zu halten, da früher schon Praktizierer, die in der Stadt zu viel Talent bewiesen hätten, nach einer Weile einfach verschwunden seien. Und Jack glaube nicht, dass die alle nach Australien ausgewandert seien, sondern dass Declan etwas damit zu tun habe.
Oder besser, er empfahl es Totilas zur entsprechenden Weitergabe. Ximena habe er auch schon warnen wollen, sagte Jack, aber die sei dafür nicht sonderlich empfänglich gewesen. Ich kann mir schon vorstellen, wie das ungefähr war: Ximena ist von ihren eigenen Fähigkeiten ja durchaus überzeugt und sieht sich als Declan mindestens ebenbürtig. Totilas gab Jacks Warnung an beide Empfänger weiter, ob er damit bei Ximena allerdings viel erreichte, das bleibt noch dahingestellt.

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Eben war Edward bei mir. Ich hatte ja schon länger den Eindruck, dass ihm etwas auf der Seele lastet, und zwar nicht nur das Ende seiner Beziehung zu Cherie. Heute endlich machte Edward den Mund auf. Dass er Gewissensbisse hat. Dass er sich korrupt fühlt und nicht weiß, wie lange er den Job beim SID noch machen kann. Die ständige, mehr oder weniger notgedrungene Zusammenarbeit mit Cicerón Linares, mit Gerald Raith. Seine Mutter, die Drogen verkauft, auch wenn diese (momentan zumindest) noch nicht illegal sind. Seine Ex-Freundin Cherie, die Auftragsmörderin, für die er noch immer etwas empfindet und von der er gar nicht wissen will, was sie genau tut, damit er nicht in die Verlegenheit kommt, sie jagen zu müssen. Er sei einfach zu nah dran an den Gesetzesbrechern. Ich konnte nicht viel tun, außer ihm ein offenes Ohr zu leihen und ihn sich all diese Dinge von der Seele reden zu lassen. Und ihm vehement zu erklären, dass ich ihn nicht für ein Monster halte. Außerdem habe ich ihm empfohlen, tatsächlich einmal mit Lieutenant Book zu reden. Ja, der alte Cop knurrt und bellt und brüllt herum, aber er ist nicht umsonst der Leiter des SID. Wenn er aufgund all dieser Tatsachen Edward aus der Truppe wirft oder Internal Affairs auf ihn ansetzt, dann ist das so. Aber Edward kann diese ganze Last nicht länger alleine mit sich herumschleppen. So oder so muss er Book informieren, finde ich. Und vielleicht stellt sich ja dann sogar heraus, dass sein Vorgesetzter all diese Dinge akzeptieren kann.

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Oh, übrigens. Cicerón erwähnte doch, dass Spencer Declan anscheinend die Gesetze der Magie brechen kann, ohne dass es für ihn irgendwelche Konsequenzen hat. Diese Bemerkung machte uns nachdenklich, weil wir bislang eigentlich gar nicht so viel über die Gesetze der Magie wissen, noch darüber, wie man sie eigentlich bricht. Sicher, Leute, die die Gesetze brechen, werden Warlocks genannt, das wissen wir ja spätestens seit der Sache mit den Bucas. Und während dieser Sache hatte Feu Buca ja magisch auf Mrs. Salcedo eingewirkt, um deren Meinung zu beeinflussen, was eines der verbotenen Dinge ist, ebenso wie jemand anderen umzubringen. Aber was sind die übrigen Gesetze? Wieviele gibt es insgesamt? Wie bricht man diese, und was passiert dann? Offensichtlich wird man von den Wardens gejagt, siehe wieder die Bucas. Aber gelten Warlocks für den White Council überhaupt noch als Menschen oder schon als reine Monster? Anscheinend verändert es einen ja wohl auch wirklich selbst innerlich, wenn man diese Gesetze bricht. Wie also kann Warden Declan diese Veränderungen vermeiden? Oder bricht er die Gesetze einfach, und es verändert ihn durchaus, aber niemand merkt es, weil er als Warden eigentlich selbst die Bösen jagen müsste und auch vorgibt, das zu tun?

Jedenfalls, das waren alles Fragen, über die wir nicht genug wussten und wo uns auch die Kontakte fehlten, um jemanden dazu befragen zu können. Jack White Eagle weiß zwar einiges, aber seine Magie ist eine ganz andere als die des White Council; im Detail konnte er uns da nicht weiterhelfen. Und Spencer Declan werden wir zu diesem Thema ganz sicher nicht befragen. Andere Vollmagier und Ratsmitglieder kennen wir nicht. Also kamen wir auf die schlaue Idee, doch einfach mal zu recherchieren.

Der einzige Treffer, der bei der Internetrecherche herauskam, war ein gewisser Harry Dresden, niedergelassener Magier in Chicago. Seltsam eigentlich, dass da jemand so damit hausieren geht, aber andererseits stand in dem Eintrag etwas von "paranormale Ermittlungen - keine Kindergeburtstage", also war es vielleicht doch kein Scharlatan. So oder so war es im Moment unser einziger Hinweis, also rief Edward kurzerhand bei dem Mann an.
Aber, puh. Das war kein sonderlich erfolgreiches Telefonat, Römer und Patrioten. Die beiden waren sich auf Anhieb völlig unsympathisch, und das Gespräch endete mit aufgeknalltem Telefonhörer und ohne Informationszugewinn. Okay, vielleicht hätte Edward nicht gleich als Erstes mit der Frage herausplatzen sollen, wie man die Gesetze der Magie bricht. Und sich seinem Ärger über die zu hohen Magier-Steuern Luft zu machen, half der Konversation auch nicht gerade weiter. Aber hätte dieser Dresden Edward so sarkastisch-ungläubig abkanzeln müssen? Mierda. Müssen wir halt versuchen, uns die Informationen irgendwie auf anderem Wege zu beschaffen. Nur wie, ist die Frage. Das sieht momentan wie gesagt eher mau aus. Mierda.

Bad Horse:

--- Zitat von: Timberwere am  6.01.2015 | 16:36 ---Blieb noch der Aspekt „Geist“. Dafür wollte Edward im Historischen Museum eine Sklavenkette entwenden, traf dabei aber auf eine Gruppe junger Diebe, die eine afrikanische Statue „befreien“ wollten. Die jungen Leute waren nämlich glühende Vertreter der Black Power, selbst wenn einer von ihnen gar nicht wirklich afroamerikanische Wurzeln hatte. Das war nämlich der Neffe von Edwards neuem Kollegen Salvador Herero, der wiederum auch am Museum auftauchte, weil er seinem jungen Verwandten gefolgt war und ihn daran hindern wollte, irgendeinen Unsinn anzustellen.

--- Ende Zitat ---

Der Neffe hatte sehr wohl afrikanische Wurzeln - ein Elternteil schwarz, einer kubanisch. Das geht schon. :)

Der O-Ton des Gesprächs Edward / Harry war ungefähr so:
Harry: "Ja, Dresden hier."
Edward: "Hallo, sind Sie ein voll ausgebildeter Magier?"
Harry: "Wie bitte? Was wollen Sie eigentlich?"
Edward: "Ich bin vom Miami Police Department..."
Harry: "Dann reden Sie doch mit dem SI hier in Chicago."
Edward: "Nee, ich brauch schon einen Magier... ich würde gern mal mit Ihnen darüber reden, wie man die Gesetze der Magie bricht."
Harry: "Wollen Sie mich verarschen?"
Edward: "...äh, nein. Und finden Sie nicht, dass die Steuern ein bisschen hoch sind?"
Harry: "Danke, ich kann mich allein veralbern." *legt auf*

Edward Fu:
Kommentar Edward: "So ein Arschloch!"

Timberwere:
Ricardos Tagebuch: Vignette 1

15. November

Ich weiß gar nicht, ob ich es schon erwähnt habe. Aber Sheila hat zum Filmstart von Indian Summer eine Lesetour geplant. Einmal die Westküste hinunter, und zwar so getimed, dass die Tour genau zur Premiere in Los Angeles endet. Oder danach vielleicht auch noch nach San Diego weitergeht, aber die Premiere in L.A. soll auf jeden Fall mit dabei sein. So oder so finde ich das eine ausgezeichnete Idee, denn das wird sicherlich mal eine nette Abwechslung. Nur schade, dass ich Alejandra nicht mitnehmen kann; so eine Reise ist aber leider nun mal nichts für eine kleines Mädchen.
Sheilas Planung und Vorbereitungen laufen jedenfalls schon länger auf vollen Touren, und ich freue mich ziemlich.

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19. Januar

Heute kam Sheila nochmal mit einem anderen Vorschlag an: Sie kennt da jemanden, eine Mäzenin nämlich, und die wiederum kennt eine Zeichnerin, und diese soll, weil die Mäzenin so ein großer Fan meiner Bücher ist, eine illustrierte Version von Indian Summer anfertigen, die dann in einer kleinen, hochwertigen Sonderausgabe herauskommen könnte.

Interessanter Gedanke! Keiner, über den ich bisher von selbst gestolpert wäre, aber genau für solche Ideen ist Sheila ja meine Agentin. Edward schlug sofort eine Graphic Novel vor, als er von der Sache hörte, und dafür war ich wiederum dann gleich Feuer und Flamme. Vielleicht kann Sheila das ihrem Kontakt auch noch verkaufen.

Und wie es der Zufall (oder Sheilas geschicktes Händchen) so will, hält diese Mäzenin kurz vor dem Filmstart ein Künstlerwochenende in ihrer Lodge am Crater Lake, Oregon ab. Dorthin bin ich eingeladen, um die Dame und die Zeichnerin kennenzulernen, damit sie mich kennenlernen – und vielleicht auch, so unangenehm mir das sein mag, weil mein Name der Veranstaltung tatsächlich ein klein wenig mehr Prestige verschafft. O Madre mia, ayudame. Wie das klingt. Aber wenigstens wird es nicht allein mein Name sein, der für das Prestige sorgt: ein paar andere publizierte Genre-Autoren, wie z.B. Michael Stackpole, sind wohl auch eingeladen.

Und wir Gäste dürfen Partner und/oder Freunde mitbringen. "The more the merrier" war Sheilas die Gastgeberin zitierende Aussage. Also habe ich die Jungs gefragt, ist ja klar. Dee natürlich auch, aber die kann leider nicht aus der Stadt weg. Entweder das, oder sie möchte nicht in eine Situation geraten, wo sie als meine Freundin verstanden werden könnte. Wobei ich natürlich hoffe, dass ersteres der Grund ist.
Die Jungs haben jedenfalls alle Zeit, oder nehmen sie sich. Finde ich super.

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26. Februar

Nächste Woche geht es los! Wir haben übrigens beschlossen, nicht zu fliegen. Denn die Westküste runter müssten wir ohnehin in einem Tourbus fahren, und Alex' Berufsehre verbietet es ihm, für diesen Zweck ein Mietmobil auch nur im Entferntesten in Betracht zu ziehen. Und überdies ist sein letztes Langzeit-Bastelprojekt, ein älteres Vehikel, das er mit seiner üblichen Sorgfalt und Liebe zum Detail restauriert und zu einem Wohnbus aus- und umgebaut hat, zufällig gerade vor kurzem fertig geworden. Ich glaube, Alex wäre persönlich beleidigt gewesen und nicht mitgekommen, wenn wir das nicht genutzt hätten.

Das bedeutet zwar, dass wir zusätzlich zu der eigentlichen Buchtour eine weitere Woche unterwegs sein werden, immerhin reden wir von über 3.200 Meilen, aber den Luftweg gäbe es auch nicht als Direktflug. Und außerdem ist Edward sich nicht sicher, wie das mit seinen zunehmenden Technik-Problemen in einem Flugzeug aussähe. Wenn dessen Elektronik hoch über dem Erdboden ausfiele, na herzlichen Dank. Dann doch lieber der Bus.

Diese Postkarte vom Crater Lake ist mir übrigens gerade vor ein paar Tagen untergekommen. Die klebe ich doch direkt hier ein, das steigert die Vorfreude gleich noch ein bisschen mehr.



Mann. Ich bin doch tatsächlich schon aufgeregt.

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6. März

Morgen ist es soweit! Urlaub!

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7. März. Tifton, Georgia

Nach einem tränenreichen Abschied von 'Jandra, der ich bei der Abschiedsumarmung zum zigsten Mal erklären musste, dass wir im Sommer natürlich zusammen in Urlaub fahren und dass sie dann natürlich auch mitkommen darf, aber dass das hier Arbeit sei und sie daran garantiert keinen Spaß hätte, was mir den Aufbruch zugegebenermaßen etwas erschwerte, sind wir den ganzen Tag gefahren. Knapp 500 Meilen waren das. Jetzt sind wir für die Nacht in einem RV-Park direkt an der I75 untergekommen. Ich bin ziemlich erledigt; wir saßen zwar bis auf die Pausen nur im Bus, aber die Stimmung war schon nach ein paar Stunden ziemlich gereizt. Vor allem zwischen Edward und Roberto, aber auch wir übrigen blieben davon nicht ganz unbeeinflusst.
Das Georgia Museum of Agriculture and Historical Village, das es laut Broschüre an der Rezeption hier in Tifton geben soll, hätte mich zwar eigentlich interessiert, hat aber wohl bereits geschlossen. Und außerdem wäre ich ohnehin zu platt, um noch in einem historischen Dorf herumzulaufen. Ich glaube, ich haue mich jetzt in meine Koje und gut.

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8. März. Nashville, Tennessee

Kein RV-Park diesmal, oh nein. In der Stadt der Musik, im Athen des Südens, gebe ich mir a) ein Hotelzimmer und b) einen langen Spaziergang durch die Stadt. Ich brauche etwas Abstand. Heute flog Robertos Schminkkoffer in hohem Bogen aus dem Fenster, zu Robertos großem - und lautem - Entsetzen, und als wir endlich gedreht hatten und wieder an die Stelle kamen, waren natürlich zig Autos darüber gefahren. Roberto geht heute abend nicht in der Stadt spazieren. Der geht seine neue Kulturtasche ausstatten.

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9. März. Odessa, Missouri

Langer, langer Tag. Deutlich über 500 Meilen heute. Blöd, dass Odessa so ein winziges Kaff ist; so sind wir wieder in einem RV-Park gelandet. Für einen RV-Park ziemlich teuer, und einiges reparaturbedürftig, aber sauber. Und immerhin haben sie kostenloses - und schnelles! - WLAN. Ich bin dann mal ein bisschen surfen.

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10. März. Sutherland, Nebraska

Schrieb ich gestern, Odessa sei ein Kaff? Hey, das hatte 5.000 Einwohner! Sutherland, Nebraska, ist ein Kaff. Das hat gerade mal 1.500. Aber immerhin einen RV-Park. Und ganz in der Nähe auch einen Stausee, der mit der Sutherland Reservoir State Recreation Area auch einen Naturpark darstellt. Edward hat schon gesagt, heute schläft er im Freien. Ich bin beinahe geneigt, es ihm gleichzutun. Oder zumindest gleich noch einen langen, langen Spaziergang zum Abreagieren zu machen. Nach der Mittagspause haben wir heute Edward vergessen, weil der irgendwo noch Dampf abließ, und es erst nach ein paar Kilometern gemerkt, als es im Bus so still war. Roberto hatte es gemerkt, aber nichts gesagt, der Arsch. Wobei er meinte, ein paar Minuten später hätte er sich schon auch gemeldet, er wolle nur Edward Gelegenheit geben, sich noch ein bisschen länger abzureagieren. Ha ha.

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11. März. Rawlins, Wyoming

Heute nur 350 Meilen gefahren. Ging nicht mehr. Haben mittendrin angehalten und Edward für eine Weile rausgeworfen, weil es einfach zu viel war. Später dann haben wir Roberto rausgeworfen. Und nachmittags haben wir dann beide rausgeworfen. Danach haben sie sich nur noch finster angebrütet, was beinahe schlimmer war als ihr ewiges Gezicke. Nur 350 Meilen, aber der Tag zog sich endlos. Mir ist egal, dass Rawlins eine Kleinstadt ist, ein Hotel gibt es hier. Oder ein Motel. Ganz gleich. Raus hier!

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12. März. Elko, Nevada

Über 500 Meilen heute, als Ausgleich für gestern. Immerhin müssen wir es bis morgen nach Oregon schaffen! Jetzt sind wir in Elko, Nevada, einer Stadt von immerhin 20.000 Seelen. Auf Shoshoni heißt der Ort Natakkoa, also 'Felsen, die aufeinander aufgehäuft sind'. Ob uns das zu denken geben müsste? Aber das "Hilton Gardens"-Hotel ist eine nette Überraschung. Ich glaube, ich werde gleich nochmal den hoteleigenen Pool aufsuchen, zur Entspannung. Wobei es heute direkt ging: Anfangs schwiegen Roberto und Edward einander noch giftig an, aber irgendwann fingen sie dann damit an, abwechselnd bei Alex vorne zu sitzen, und ab da wurde es richtig angenehm, und ich konnte mich endlich auf mein Videospiel konzentrieren.

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13. März. Crater Lake National Park, Oregon

Angekommen!

Es war wieder eine relativ lange Fahrt, weil wir vorgestern doch einiges verloren haben, aber mit der gestrigen Aufteilung ging es zumindest in Sachen Stimmung im Bus doch auch heute wieder ganz gut. Und in Oregon wurde die Landschaft natürlich auch zunehmend malerischer. Die letzten Meilen bis zum See hoch zogen sich dann nochmal etwas, aber irgendwann waren wir endlich da.

Die Lodge unserer Gastgeberin liegt ein Stück abseits vom Kraterrand – genau genommen sind es mehrere Lodges: ein Hauptgebäude und einige kleineren Hütten für die Gäste. Eine davon haben wir für uns, ein rustikal eingerichtetes, aber gemütliches Blockhäuschen mit zwei Schlafzimmern, einem Wohnzimmer, wo es auch eine Schlafcouch gibt, Küchenzeile und Bad. Edward und ich teilen uns eines der Zimmer; wie die anderen sich geeinigt haben, bin ich gerade gar nicht sicher. Ich schreibe das nur eben schnell, während ich darauf warte, das wir gesammelt zum Haupthaus rübergehen, um die Gastgeberin und die übrigen Wochenendgäste zu treffen.

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Unsere Gastgeberin heißt Margo und ist sehr nett. Mitte, Ende Fünfzig herum, würde ich sagen, elegant und weltgewandt, mit einer tadellosen Haltung, die nicht einmal dadurch beeinträchtigt wird, dass sie hinkt. Das sei durch einen Segelunfall vor einigen Jahren geschehen, erzählte sie.
Uns eingerechnet, hat Margo für das Wochenende ca. 30 Personen eingeladen, die meisten davon auf die eine oder andere Art mit dem Schreiben von speculative fiction beschäftigt oder davon begeistert. Michael Stackpole ist tatsächlich auch hier, wie Sheila mir schon angekündigt hatte, außerdem Kirsty McGregor und dieser indianisch-stämmige Thriller-Autor Barry Jackson. Und gleich bei unserer Ankunft begrüßte uns draußen auf dem Vorplatz vor der Lodge eine Gruppe von 5 jungen Leuten. Diese sind Freunde, Rollenspieler und LARPer und arbeiten gemeinsam an einem Roman. Also nicht etwa an einem Episodenroman à la Sanctuary oder Wild Cards, wo eine Geschichte in durchaus unterschiedlichen Stilen aus ganz unterschiedlichen Charakterperspektiven erzählt wird, sondern an einem Roman aus einem Guss und aus einer Sicht und in einem durchgängigen Stil. Hossa. Ambitioniert, das. Ich wünsche ihnen von Herzen viel Erfolg bei dem Unterfangen, aber ich weiß auch, dass sowas verdammt schwierig ist.

Einer der jungen Leute, Jeff, hat übrigens einen Hund. Ein kleines, zottiges Schoßhündchen Marke Fußabtreter, ein Highland Terrier oder sowas vielleicht?, der erstaunlicherweise Edward zu mögen scheint. Jedenfalls streicht er ständig schwanzwedelnd um unseren Freund herum. Die zwei anderen, größeren Hunde, die wohl anscheinend zur Lodge gehören oder so, mögen Edward hingegen gar nicht. Knurren ihn an und halten sich sorgfältig von ihm fern. Fand ich amüsant, wie der kleine Kläffer völlig furchtlos mit Edward spielt, während seine großen Artgenossen feige den Schwanz einziehen.

Die junge Zeichnerin, die Margo für die Illustration von Indian Summer gewinnen möchte, heißt Elena. Auch sie scheint nett zu sein, ist aber un-glaub-lich schüchtern. Gerade mir gegenüber bekam sie gar kein Wort heraus, und auch allen anderen gegenüber stammelt sie mehr, als sie zu reden vermag. Dabei wirkt sie wie gesagt sehr nett, und man möchte sie am liebsten in den Arm nehmen und ihr versichern, dass sie keine Angst zu haben braucht, dass alles gut werden wird. Aber das geht natürlich nicht, das würde alles nur noch schlimmer machen. Also habe ich beschlossen, einfach freundlich mit ihr umzugehen und ihre Schüchternheit so gut es geht zu ignorieren, ohne ihr auf die Nerven zu fallen. Mal sehen, ob es klappt. Ihre Zeichnungen sind aber jedenfalls allererste Sahne, und ich würde mich sehr freuen, wenn sie tatsächlich die Illustration des Buches übernehmen würde.

Ansonsten ist neben diversen Fans und Anhang noch eine Deutsche namens Vanessa anwesend. Sie wirkt nicht schüchtern, aber unpässlich, als erhole sie sich gerade von einer längeren, schweren Krankheit. Ziemlich nervös, schreckhaft... und uns gegenüber mehr als reserviert. Der misstrauische, geradezu hasserfüllte Blick, den sie Totilas bei der Vorstellung zuwarf, machte deutlich, dass sie den Namen "Raith" sofort erkannt hat.

So, die Frischmachpause nach dem Abendessen ist vorüber; wir wollen uns alle zum geselligen Kennenlernabend drüben im Hauptgebäude treffen. Je nachdem, wie lange das geht, schreibe ich vielleicht hinterher noch was, sonst eben morgen oder so.

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Bin noch wach genug, um einen schnellen Eintrag zu machen. Der Abend war – von Vanessa Grubers abschätzig-verachtend-misstrauischen Blicken mal abgesehen – eigentlich ziemlich nett. Nur Colby – einer der fünf jungen Leute aus dem Autorenkollektiv - hat etwas zu viel getrunken und sich dann an Elena, die Zeichnerin, herangemacht. Diese war viel zu schüchtern, um ihn rundheraus abzubügeln, aber sie wurde ihn dennoch irgendwie los, einfach durch ihr Erröten und Wegdrehen. Später beobachtete ich sie dann dabei, wie sie wild auf ihrem Zeichenblock herumkritzelte.
Das Bild bekam ich dann zufällig zu sehen – und musste herzlich lachen, denn es war zum Schießen. Es war eine Karikatur, in der ein wunderbar getroffener und eindeutig zu erkennender Colby eine Stehlampe anschmachtete.

Später am Abend passierte dann noch etwas Komisches, und zwar nämlich haargenau das, was Elena gezeichnet hatte. Colby, noch etwas betrunkener als zuvor, merkte schon gar nicht mehr, was er da tat, als er vor der Stehlampe auf die Knie sank und ihr ein Kompliment machte. Seltsam nur... ich glaube, Colby hat die Zeichnung gar nicht gesehen... Elena hat nämlich darauf geachtet, dass ihr Motiv die Karikatur nicht zu Gesicht bekam. Vermutlich wäre ihr das anders zu peinlich gewesen oder so.

Naja. Jetzt aber erstmal schlafen. Nacht und so!

Timberwere:
Okay, das ist seltsam. Als Margo eben zum Frühstück kam, hinkte sie nicht – im Gegenteil, sie hüpfte beinahe wie ein kleines Mädchen, und ein Strahlen lag auf ihrem Gesicht. Ihr Bein sei über Nacht geheilt, es tue überhaupt nicht mehr weh. Totilas, der zwar kein Arzt, aber Physiotherapeut ist, mahnte zur Vorsicht und bot an, das Bein einmal zu untersuchen. Zum Glück, denn es stellte sich heraus, dass Margos Bein anscheinend gar nicht wirklich geheilt ist, sondern einfach nur nicht mehr wehtut. Sie hat sich jetzt erst einmal nach Klamath Falls zum Arzt fahren lassen.

Die Sache passt aber irgendwie zu einer anderen Seltsamkeit, die mir vorhin aufgefallen ist. Im Flur der Hauptlodge steht eine kleine Statue. Kein besonders wertvolles Kunstwerk, glaube ich, aber ganz hübsch, deswegen habe ich sie gestern nachmittag ein bisschen betrachtet. Und dabei festgestellt, dass die Skulptur kaputt war: ein Arm war abgebrochen. Später dann, als wir zum Abendessen hineingingen, hatte jemand die Statue repariert. Vorhin aber sah ich auf dem Weg zum Frühstück, dass der Arm wieder abgebrochen war. Okay, sagt ihr, da wurde das Ding halt nachmittags geflickt, aber nicht sonderlich gut, da ist der Arm eben wieder abgefallen. Mag sein... aber gestern abend habe ich mir die fragliche Stelle mal angesehen, und da sah die Statue eigentlich völlig intakt aus.

Ob hier jemand Magie wirkt? Dass magische Effekte angeblich ja immer nur bis Sonnenauf- oder Untergang halten, würde dafür sprechen, dass jemand die Statue im Flur mit Magie repariert hat, dies aber nicht von Dauer sein konnte... Nur warum? Warum etwas flicken, das von vorneherein nicht permanent sein würde? Hmm... Was, wenn derjenige gar nicht wusste, dass die Magie nicht anhält? Wenn er oder sie dachte, etwas Gutes zu tun, ohne Näheres darüber zu wissen, und bei Margos Bein genauso? Hmmm. Das werden wir wohl im Auge behalten müssen.

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Natürlich haben wir darüber gesprochen. Ganz unmagisch ist der Crater Lake wohl nicht: ein größeres Gewässer, aber in sich abgeschlossen, ohne jeden Ab- und Zustrom, also kein „fließendes Wasser“ in dem Sinne, der Magie behindert. Und vermutlich heißt die Insel darin nicht umsonst „Wizard Island“. Wobei das nicht einmal eine Insel ist, habe ich mir sagen lassen, sondern ein zweiter Berg innerhalb des Kraters, der vor zehntausenden von Jahren entstand.

Diese angebliche magische Aura des Ortes wollen auch die fünf jungen Autoren nutzen, haben sie erzählt. Die ihnen eigene "magische Aura" öffnen, ihr magisches Potential erschließen, irgendwie sowas. Da haben bei uns natürlich gleich alle Warnglocken geklingelt, und Edward und Roberto haben angeboten mitzumachen – offiziell um zu helfen und zu unterstützen, aber natürlich auch und vor allem, um ein Auge darauf zu haben, dass da nichts schiefgeht und die jungen Leutchen nicht Dinge wecken, die sie besser ungeweckt lassen sollten.

Vanessa Gruber, die Deutsche, war an der Aktion auch sichtlich interessiert, aber Colby und die anderen meinten, sieben Personen sei, weil die magische Zahl, einfach ideal, und eine achte Teilnehmerin wäre eher kontraproduktiv. Und da Roberto und Edward sich zu erst gemeldet hatten, muss Gruber zurückstecken.

Das Ritual soll wohl irgendwann heute abend oder heute nacht stattfinden. Vorher jedoch wollen Alex, Roberto und Edward schon mal auf die Insel rüber und sich diese ansehen. Totilas möchte währenddessen mit der Deutschen reden, und ich habe angeboten, ihn zu begleiten. So giftig, wie die ihn angestarrt hat, ist es vielleicht besser, wenn eine neutrale Person bei dem Gespräch anwesend ist.

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Puh. Das war... schwierig. Miss Gruber hat überhaupt nicht gut auf Totilas reagiert. Am Rande eines hysterischen Anfalls, wohl eher. Wobei sie anfangs noch eisern beherrscht und eisig kühl reagierte und völlig selbstverständlich davon ausging, dass wir anderen vier Totilas' Futtervieh seien. Es benötigte einiges an Anstrengung, um Miss Gruber – die übrigens Österreicherin ist, keine Deutsche, wie sich herausstellte – davon zu überzeugen, dass dem eben nicht so ist, sondern dass wir, vollkommen un-be-vampirt, aus freien Stücken hier sind und sich Totilas sogar eher in meiner Begleitung befindet als anders herum.

Wie dem auch sei, irgendwann hatte ich Vanessa dann soweit, dass sie mir das halbwegs abnahm. Da wollte sie dann wissen, warum Edward und Roberto sich dem magischen Ritual auf Wizard Island anschließen wollten, wenn nicht auf Totilas' Befehl hin und um weiteres Futter für ihn zu beschaffen? Sie selbst sei ja eigentlich zur Genesung hier am Crater Lake, aber als Magierin und Angehörige des White Council sei es doch ihre Aufgabe, darauf zu achten, dass weniger Begabte wie unsere fünf jungen Autorenfreunde keinen Unsinn mit der Magie anstellten. Ich erklärte ihr, dass Edward und Roberto lediglich dabei sein wollen, um auf die jungen Leute aufzupassen, nicht aus irgendwelchen niederen Motiven.

Totilas warf ein, dass es doch besser wäre, wenn wir alle zusammenarbeiten würden statt gegeneinander. Das war aber dummerweise in diesem Moment genau das Falsche – denn nun bekam Vanessa den Zusammenbruch, gegen den sie sich zuvor so eisern beherrscht hatte.  Sie stammelte irgendwas von "seinen Leuten" und "Salzburg"  und "da verlässt man sich mal" und "in den Rücken fallen", ehe sie völlig aufgelöst davonstürzte.

Nicht gut. Aber ich glaube, ich sollte sie jetzt erst mal in Ruhe lassen. Und Totilas am besten in nächster Zeit so bald gar nicht mehr mit ihr reden. Denn wir reimten uns ihre Reaktion – und ihre sichtliche Angeschlagenheit und Rekonvaleszenz – so zusammen, dass sie wohl direkt vom jüngsten Verrat des White Court am White Council im Krieg gegen den Red Court betroffen gewesen sein muss, als die weißen Vampire sich mit den roten zusammentaten und ihren angeblichen Verbündten, den Magiern, eben aufs Übelste in den Rücken fielen. Kein Wunder, dass die Arme auf den Namen "Raith" und alles, was damit zu tun hat, so allergisch reagiert…

Ich glaube, ich gehe jetzt erst mal einen längeren Spaziergang machen oder gleich halbwegs richtig wandern. Die Natur hier ist jedenfalls atemberaubend schön, und ganz unterschiedliche Tiere soll man auch beobachten können.

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Die Jungs sind von der Insel zurück. Und wie erwartet, ist Wizard Island magisch. Also wirklich stark magisch und mächtig und so. Die drei waren gar nicht so lange drüben, aber sie haben in der kurzen Zeit zwei Ritualplätze gefunden: einen sehr offensichtlichen und schon ziemlich verbrauchten, aber auch einen versteckteren, reineren, anscheinend nur sehr wenig genutzten. Die jungen Leute werden Roberto und Edward natürlich zu dem offenen Platz lotsen. Da wir ja ohnehin nicht so wirklich wollen, dass das Ritual so richtig mächtig und in vollem Umfang klappen soll, ist ein verbrauchter, ausgelutschter Ritualplatz dafür eigentlich genau das Richtige. Wenn wir allerdings in die Verlegenheit kommen sollten, etwas Eigenes zu veranstalten, wäre der versteckte, weniger benutzte Ort natürlich besser geeignet.

Oh, meine Spazier-Wanderung (richtige Wanderausrüstung habe ich ja nicht dabei) war übrigens richtig schön. Ich habe unterschiedliche Vögel gesehen, darunter sogar einen Adler in der Ferne (glaube ich, kann es aber nicht beschwören), unzählige Streifenhörnchen, Kaninchen und zwei Rehe. Bären oder Wölfe sind mir keine begegnet, worüber ich auch recht froh bin, ehrlich gesagt.

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Eben hat Edward nochmal mit Miss Gruber geredet, wohlweislich ohne Totilas oder meine Begleitung. Wir hatten ja von unserer katastrophalen Begegnung mit der Österreicherin erzählt und erwähnt, dass sie im White Council sitzt, und so hielt Edward das für eine gute Gelegenheit, endlich mal ein wenig mehr über den Rat der Magier zu erfahren. Von Vanessa hörte Edward, dass der White Council nur sogenannte "Vollmagier" aufnimmt, also solche mit viel magischem Talent in mehr als einem Bereich. Solange unser Freund also "nur" Ritualmagie beherrscht, wird er weder in den White Council aufgenommen noch von dessen Angehörigen für voll genommen werden.

Kurz erwähnte Edward wohl auch sein Telefonat vom letzten Herbst mit diesem unsympathischen Magier aus Chicago, aber Vanessa kannte ihn nicht. Auch meinte Vanessa, darauf angesprochen, in Österreich und Europa sei es nicht üblich, dass geringere Praktizierer Steuern an den White Council zu zahlen haben, aber eigentlich sei das gar keine schlechte Idee, über die man vielleicht nachdenken solle. Immerhin müsse man den Krieg gegen den Red Court ja finanzieren.
Hmpf. Auch eine Einstellung. Aber hey, Vanessa hat selbst zugegeben, dass sie bis vor kurzem eigentlich auch die typische arrogante Einstellung des durchschnittlichen White Council-Magiers gehabt habe und erst die traumatisierenden Kriegserlebnisse kürzlich sie eines Besseren belehrt hätten. Irgendwie scheint sie ja doch ganz nett zu sein, wenn man sie lässt.

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