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Authentisches Anfühlen von Kämpfen

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Gummibär:

--- Zitat von: Kazuki Fuse am  2.12.2011 | 17:47 ---Ich erinnere mich da z.B. an eine Situation, bei der mittels der simplen Anwendung der jeweiligen Regeln das Paradebeispiel eines authentischen Messerüberfalls "produziert" wurde - und das Ganze hat sich nach Aussage der Spieler auch genau so gespielt/angefühlt.

So was finde ich unheimlich elegant, und daran scheitern Kampfsysteme mit ähnlicher Komplexität oft gnadenlos.

--- Ende Zitat ---

Wie schafft GURPS das? (Wie) schaffen andere Systeme das?

OldSam:
Hmm, schwierig allgemein zu sagen, das wäre mal eine Frage für Sean Punch... ;)
Ich denke eine Sache, die GURPS hier sehr gut macht sind die kurzen Kampfrunden (1 Sek.) in denen die Handlungen möglichst spezifisch und nicht allgemein abstrahiert aufgelöst werden, so dass auch die jeweils wichtigsten Konsequenzen regeltechnisch daraus direkt hervorgehen.
Wenn man sich typische RPGs anschaut - mit z.B. Kampfrunden von 3 Sek. - und in der Zeit macht der Angreifer einen Angriff und pariert einmal... bewegen die sich echt langsam =)
Die Nachteile rundenbasierter Kämpfe bzw. Action-Szenen werden größer, je länger die Kampfrunde ist, sehr deutlich wird das bspw. bei asynchronen Bewegungen, etwa sowas: Char1 ist dran, rennt ca. 10m, reisst die Wagentür auf und springt in das wartende Auto (3 Sek). Jetzt ist Char2 dran und steht schon vor der vollendeten Tatsache, dass er Char1 schon nicht mehr am Einsteigen hindern kann... Er könnte versuchen jetzt hinzurennen und Char1 zu schlagen oder wieder herauszuziehen, aber das ist vom Ablauf her alles andere als plausibel.
(Viel klüger sind auf dieser groben Zeitebene die abstrakten erzählerischen Systeme, wo man dann einfach den gesamten Ablauf narrativ abarbeitet und sich nicht um die einzelnen Bewegungen kümmert, dann sind auch längere Kampfrunden gut machbar und plausibel - allerdings mit dem Nachteil, dass man vom Ergebnis her rückwirkend begründet und nicht komplett aus der Akteursperspektive chronologisch mit der individuellen Zielsetzung des Chars arbeiten kann).

Bei GURPS wäre es im genannten Beispiel so, dass Char1 losrennt und z.B. in der 1. Sekunde 5m weit kommt, dann ist direkt Char2 dran, rennt hinterher und kann versuchen schneller zu sein. Das Gleiche passiert dann nochmal bis das Auto erreicht wurde, also 2x eine Chance den anderen zu kriegen. Anschließend benötigt Char1 noch seinen 3. Turn um die Tür zu öffnen und reinzuspringen, bei gleich schneller Bewegung wäre Char2 nun auf jeden Fall auch da und könnte Char1 z.B. mit einer All-Out-Attack zugleich greifen und schlagen ...

Wenn man obige Szene auf Feuerwaffen transferiert wird der Unterschied noch deutlicher:
Im "common RPG" mit 3 Sek. Combat Time läuft Char1 los und springt in's 10m weiter stehende Auto, während Char2 "wartet".
Nun ist Char2 dran, zieht blitzschnell und schiesst auf Char1, dieser blutet die Sitze voll...

Bei GURPS wäre - timing-mäßig korrekt - der Ablauf aber so, dass Char1 bereits 5m weiter angeschossen werden müsste, also z.B. noch draußen auf der Straße stürzt und das Auto gar nicht erreichen kann! Das fühlt sich von der Distanz-Vorstellung auch deutlich authentischer an, da es viel näher an einem realistischen Erleben dran ist.

YY:

--- Zitat von: OldSam am 10.12.2012 | 12:13 ---Ich denke eine Sache, die GURPS hier sehr gut macht sind die kurzen Kampfrunden (1 Sek.) in denen die Handlungen möglichst spezifisch und nicht allgemein abstrahiert aufgelöst werden, so dass auch die jeweils wichtigsten Konsequenzen regeltechnisch daraus direkt hervorgehen.

--- Ende Zitat ---

Das ist der Knackpunkt.

GURPS ist vollkommen ablauforientiert, d.h. es wird alles in chronologischen, konkreten Schritten abgehandelt. In einem GURPS-Kampf hat alles, was spielmechanisch passiert, eine direkte Entsprechung im Intime-Geschehen.
Das macht es sehr einfach, sich den Ablauf plastisch vorzustellen.

Durch die kurzen Kampfrunden kann ein Gefühl der Hektik aufkommen - zumindest, wenn allen ihre Optionen klar sind und die Entscheidungen schnell fallen.

Zuletzt sind die Faktoren, die den größten Einfluss haben und sich i.d.R. dem Beobachter oder Beteiligten als wichtig aufdrängen, auch diejenigen mit dem größten spielmechanischen Gewicht (sei das z.B. Dunkelheit, Überraschung, sehr enge Umgebungen oder ein einzelnes Messer bei einer Schlägerei).


Aus ähnlichen Gründen wirken auch andere Systeme relativ authentisch, etwa Millennium´s End oder TROS.

Ich wüsste jetzt auf Anhieb auch keine andere Variante, wie man das erreichen kann.

Bei erzählerischen oder abstrakten Systemen hängt alles an der Vorstellungskraft und den Erfahrungen der Spieler; hier hat ein "unbelasteter" Spieler keine Griffe, an denen er sich lang hangeln kann.


(Falls Interesse besteht, kann ich den eingangs erwähnten Kampf grob inklusive Spielmechanik nacherzählen)

Gummibär:
Mich würde zumindest interessieren, was denn ein Paradebeispiel eines authentischen Messerüberfalls charakterisiert und in welchem Punkt GURPS da besser ist als herkömmliche Systeme.

YY:
Ok, relativ abstrakt/ohne engen Bezug zum genannten Kampf:

- Verzögerter Eintritt der Kampfunfähigkeit, kein "Hollywoodmeucheln" mit einem einzelnen Stich
- Große Zahl an Angriffen und Treffern, kein Taktieren, Einschätzen, Abwarten
- Abwehrverletzungen



Das erreicht GURPS über seine Verletzungs- und Paraderegeln:

Wenn ein Charakter auf 0 HP ist, muss er "nur" für jede aktiv genutzte Runde würfeln, ob er handlungsunfähig wird.
Ab -1xHP muss er zusätzlich würfeln, ob er stirbt. Für jedes volle Vielfache an -HP wird erneut gewürfelt und auch der erste Wurf um 1 schwerer.

Von daher ist es für den Angreifer sinnvoll, nach einem erfolgreichen ersten Angriff möglichst schnell noch mehr Treffer anzubringen, um Folgewürfe zu erzwingen und zu erschweren - ggf. auch auf Kosten der eigenen Verteidigung.

Abwehrverletzungen entstehen dadurch, dass bei einer fehlgeschlagenen unbewaffneten Parade der Angreifer auch den parierenden Arm treffen kann - das nimmt er dann auch dankend an, weil der Arm nach ein paar Treffern nicht mehr zu gebrauchen ist und weitere Angriffe wieder durch kommen.
Für den Kollaps würfeln muss das Opfer bei 0 und weniger HP sowieso, egal, ob man auch mal die Arme trifft.
Und bei mehr als 0 HP ist es relativ egal, ob man die Arme trifft oder was anderes, HP kostet es so oder so.


Das alles führt dazu, dass man nie genau sagen kann, wann ein Gegner stirbt oder zusammenbricht - nicht nur bei Messerangriffen, aber da ist es besonders passend.


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