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Curse of Strahd und die Perpetuierung antiziganistischer Klischees [Spoiler]

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Play-t-pus:
 So, das ganze ist mir irgendwie etwas unangenehm, trotzdem versuche ich mal anzufangen:
Letzte Woche hatte ich das D&D-Modul "Curse of Strahd" erworben und hatte nach kurzem Überfliegen dann auch umgehend mit der Rundenvorbereitung begonnen (Habe mit den Spielern auch schon erste Charaktere erstellt etc.) Beim nochmaligen  Durchlesen des Moduls blieb bei mir allerdings ein schlechter Nachgeschmack zurück,  denn die Darstellungen der Vistani (quasi die Roma des Settings) weisen eine ganze Reihe von klassischen antiziganistischen Klischees auf:
So sind sie generell betrunken (gilt tatsächlich für beide Vistanilager sowie für die zufälligen Gruppen, denen man begegnen kann), vernachlässigen (na gut, teilweise, die gleiche Szene enthält auch Vistani-Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern) ihre Kinder (ein Vistani-Mädchen wird entführt und möglicherweise im See als Opfer ertränkt, weil die Erwachsenen- genau- betrunken waren) und sind zu einem guten Teil Hochstapler( versuchen etwa, unwirksame Gegengiftnebeltränke zu verkaufen).
Darüber hinaus weisen nahezu alle namenlosen Vistani eine neutrale oder böse Gesinnung auf (im Gegensatz zu namenlosen Barovianern, die in der Regel Lawful Good sind) und werden fast immer durch die Werte eines Banditen repräsentiert (die letzten beiden Dinge sind zugegebenermaßen nur Kleinigkeiten). Das oben genannte kommt natürlich zu den generellen Problemen mit den Vistani hinzu, etwa ihre übernatürlichen Fähigkeiten wie Flüche, böser Blick und Wahrsagen (die natürlich bis zu einem gewissen Grad genrebedingt sind und so stark Teil des Ravenloft-Hintergrunds geworden sind, dass man sie nicht mehr verändern kann- zumindest nicht, ohne von einem Haufen wütender Fans gemobbt zu werden).

Ach ja, ebenfalls unschön:
Mit Van Richten und Ezmeralda D'Avenir gibt es gleich zwei Charaktere,  die man mit dem klassischen antiziganisten Vorurteil des Kinderdiebstahls in Verbindung bringen kann: Van Richtens Sohn wurde von Vistani entführt und an einen Vampir verkauft ( was dann zum Beginn seiner Monsterjägerkarriere führte) und Ezmeralda könnte als Anspielung auf die bekannte Figur aus Hugos "Notre-Dame de Paris" verstanden werden, die als kleines Kind ebenfalls von den "Zigeunern" entführt wurde.

Mir ist natürlich klar, das viele dieser Klischees sich zu einem gewissen Grad einfach aus dem Quellenmaterial ergeben ( Das Abenteuer ist stark von Dracula inspiriert,  dessen Handlanger in Transsilvanien im Roman Roma waren), dass viele Dinge aufgrund der D&D -Tradition nicht mehr ohne weiteres geändert werden können (die Vistani und ihre Fähigkeiten sind halt etablierter Teil des Ravenloft-Settings) und das die Darstellung der Vistani sich gegenüber dem Original- Modul ( wo sie, glaube ich einfach nur Gypsies hießen und bis auf Madam Eva alle böse waren ::)) stark verbessert hat.
Trotzdem habe ich gemerkt, dass ich mich in den letzten zwei Tagen bei dem Gedanken, dass Modul zu leiten, unwohl gefühlt habe und dass ich ernsthaft darüber nachgedacht habe, das ganze Abzublasen und was anderes zu Spielen, eben weil diese Klischees letzten Endes auf antiziganistische Vorurteile zurück gehen und durch derartige Darstellungen eben bis zu einem gewissen Grad am Leben erhalten werden. Und weil ich mich eigentlich auf das Modul gefreut hatte, wollte ich ich meine Gedanken dazu einfach mal hier rein stellen und von euch wissen:  Seh ich das ganze zu Einseitig? Nehme ich das Ganze zu Ernst? Oder sollte man die Perpetuierung antiziganistischer Klieschees insbesondere angesichts der deutschen Geschichte doch äußerst ernst nehmen? Und kann man es vielleicht trotzdem mit gutem Gewissen spielen, wenn man sich die Problematik bewusst macht?

Daniel

Edit: Spoilerwarnung

Samael:

--- Zitat von: Play-t-pus am 24.03.2016 | 20:40 ---und das die Darstellung der Vistani sich gegenüber dem Original- Modul ( wo sie, glaube ich einfach nur Gypsies hießen und bis auf Madam Eva alle böse waren ::)) stark verbessert hat.

--- Ende Zitat ---

Ehrlich gesagt gibt's da genau 2 Encounter mit Gypsies. Eine Gruppe ist LN, die andere NE, jedoch nicht auf Streit aus. Madam Eva ist CN. Außerdem gibt es sie als random Encounter mit folgendem Text:

Gypsies' traditions, humor, and language are dark and mysterious.
Only the gypsies can pass through Barovia at will. Their
leader, Madam Eva, foreshadows the events that befall adventurers.
Gypsies may be found anywhere.
The gypsies speak in long flowing riddles of often useless
information. They tell tales of their forefathers that are almost
certainly untrue. Their riddles and stories are a front, for the
gypsies are a most serious people. They are quick to act when their
lives or traditions are threatened. They are merciless when diey feel
they must be.
Gypsies readily tell adventurers that they have a potion that
protects them from the vampire. Although this is a lie, they
attempt to sell their fake potion for as much money as they can get.
The gypsies always try to appear as though they are helpful. In
truth, the only information that they ever give away is misleading
at best and often a lie. The gypsies are in the service of Strahd von
Zarovich and fear the consequences of disobedience.

Ich finde dass was du aus dem neuen Modul beschreibst eigentlich eher problematisch. Sieht man von der Verwendung des offenbar potentiell als Beleidigung aufgefassten Namens "gypsies" ab.

Play-t-pus:
Vielen Dank!
Ich habe halt mit der dritten Edition angefangen und bin mit den ganzen alten Modulen daher nur bedingt vertraut.

Man muss dazu sagen, dass es im neuen Ravenloft-Modul mit Ezmerelda eine Vistani-Monsterjägerin gibt, die explizit gut ist und die Gruppe im Kampf gegen Strahd unterstützt (jepp, das heißt auch, dass die Vistani endlich mal nicht nur quasi-neutrale Plot Devices bzw. Antagonisten sind, was in meinen Augen schon ein deutlicher Fortschritt gegenüber vielen älteren Ravenloft-Produkten ist)- das ändert aber nichts an den problematischen Punkten.

Der Rote Baron:
Und bei Indiana Jones, Hell Boy und zahllosen anderen Hollywood-Schinken sind 95% aller Deutschen Nazis. Oder böse. Oder böse Nazis.
Und alle Mafiosi sind Italiener. Der Rest quatscht ständig von "Mama!" und ist Spaghetti und Pizza an einem Riesentisch mit dem Rest der (Mafia-)Familie. Aber alle sind arbeitsscheu.
Und Iren sympathisieren mit der IRA - bis auf die, die sowieso Mitglieder sind. Außerdem besaufen sie und prügeln sie sich oder machen zumindest eines davon. Und haben mindetsens einen Priester in der Familie.
Schwarze sind entweder in Gangs oder eben gerade nicht in Gangs und so überbetont "middle class", dass es schmerzt. Das aber nur wegen der Vorurteile der Weißen oder der ganzen Gangmitglieder in der (früheren) Nachbarschaft/ Familie - ja, man hat's nicht leicht mit dunkler Haut.
Asiaten sind dagegen Wissenschaft-und Mathegenies und arbeiten eingentlich ständig. Manchmal sind sie auch in Tongs oder bei der Yakuza.
Juden sind weiße Asiaten, aber nie kriminell. Sie nenen ihr Weihnachten Hanuka und sind ansonstens wie alle anderen WASPs - außer, dass sie eben nicht "P"s sind. In den Filmen, in denen alle Deutschen Nazis sind, sind sie Opfer.

Ich könnte so fortfahren - und natürlich gibt es für jedes der Verallgemeinerungen auch Gegenbeispiele.

Alles Böse? Dürfen wir nun auch keine Indiana Jones Filme mehr schauen? Sind alle Warhammer 40K-Spieler religiöse Weltraum-Faschisten?

Die machen aber auch alles falsch bei WotC: Nun haben sie schon Schwarze in Barovia, Strahd beißt nun auch stramme, schöne Jünglinge und lässt seinen homophilen Neigungen freien Lauf und ich wette (habe es im Schrank, aber noch nicht gelesen) irgendwo ist auch ein heterosexueller Halbling (Achtung! DARF man "Halbling" noch sagen oder impliziert dies nicht, dass sie nur "halb" so viel sind wie andere. Dass da was fehlt? Das kann dann auch auf Kleinwüchsige/ Personen unter 150 cm bezogen sein! Obacht!).
Wurden starke Frauenrollen und den Genderkanon sprengende Jungmänner genug bedacht oder ist das Abentezer nicht auch unter Genderaspekten fragwürdig?

Aber egal: nun kann man das nicht leiten, weil eine Fantasy-Volksgruppe an die realweltlichen Zigeunern (neben Sinti und Roma bibt es noch andere Gruppen - daher als Oberbegriff AUCH AUSGRENZEND!) bzw. deren Stereotypen angelehnt ist? Ich sage: Quark!

Nebenbei:
"Gypsy" wird im Englischen ohne Konotation verwnedet (siehe "Gypsy Kings" - die nennen sich SELBST so!). Und ich sage auch weiterhin Zigeuner, denn "Sinti und Roma" ist eine rein deutsche Verwendung - international nur Roma und selbst das umfasst die einzelnen Gruppierungen nicht (z.B. nicht die Jenischen, die Irish Traveller/ Tinkers usw.), die mit den Roma außer einer z.T. noch gegebenen beruflichen Beschäftigung im Schaugewerbe (Kirmes) wenig bis nichts zu tun haben - weder sprachlich noch ethnisch noch nach dem Siedlungsgebiet.

In Ravenloft dienen die Vistani Strahd und sind somit böse. Ja, das ist nicht PC - es ist FANTASY!

Seltsamerweise hat niemand ein Problem dabei, dass Vampire immer osteuropäisch daherkommen und von Zarovich WEISS und nach dem Namen mal wieder ein böser Volksdeutscher/ Siebenbürgersachse mit rumanischen Einsprengseln ist.

Aber da sist wahrscheinlich nicht so schlimm: weiß und deutsch und Blutsauger - das passt schon!

P.S: Wer es noch nicht gemerkt hat - das Ganze PC-Geschwätz nervt mich in seiner vorauseilender Empfindsamkeit und gleichzeitiger Bemessung nach zweierlei Maß sowas von an!


Samael:
Gypsy ist sehr wohl ein Schimpfwort und daher auch die Namensänderung zu Vistani.

Aber ich fürchte wir betreten grad SC Themen.

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