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Pen & Paper - Spielsysteme => Cthulhu RPGs => Thema gestartet von: Minne am 7.04.2010 | 00:52

Titel: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Minne am 7.04.2010 | 00:52
Ich habe neulich mal wieder Delta Green gespielt und ein Eindruck, den ich schon des längeren hatte, hat sich noch einmal bestätigt: Cthulhu ist alles mögliche, es mag auch mal spannend, makaber oder splattebehaftet sein, aber es ist einfach nicht wirklich unheimlich. Zumindest die meisten Abenteuer sind es nicht, und das liegt imho weniger an schlechten Abenteuerdesign als an zentralen Bestandteilen der Cthulhu-Welt und des Systems. Ein Thema von Cthulhu ist ja, dass die Protagonisten, während sie mehr und mehr über die wirkliche Beschaffenheit der Welt, die zutiefst irrational sein soll und von irgendwelchen kryptischen Mächten beherrscht wird, erfahren, immer tiefer in den Wahnsinn sinken.

Nun, seit Ausschwitz wissen wir denke ich recht gut, dass die Menschen mit etwas absolut wahnsinnigem, jeder Humanität oder Rationalität trotzendem Grauen konfrontiert werden können, und dabei, solange es ihre Existenz nicht direkt bedroht, ohne bleibende psychische Schäden davon kommen können. (Ich meine damit, damit mich niemand falsch versteht, dass man offensichtlich über Ausschwitz reden oder sogar Witze machen kann, sich Bilder davon angeschaut haben kann, oder scheinbar sogar als Täter am Holocaust teilgenommen haben kann, ohne verrückt zu werden, nicht dass das für die Überlebenden kein zutiefst traumatisches Ereignis war.) Cthulhu hingegen erwartet offenbar, dass wir uns irgendwie gruseln, wenn uns irgendwelche Fischmenschen oder Tentakelblobs beschrieben werden, obwohl wir mit ähnlichen oder drastischeren Bildern seit unserer Kindheit im Fernsehen bombardiert werden oder sogar mit Karikaturen der entsprechenden Wesen (unspeakable vault anyone?) aufgewachsen sind. Ja, das Spiel simuliert sogar eine psychische Schockreaktion, die überhaupt nachzuvollziehen schon eine riesige Menge von emotionalem Engagment erfordert, zu spielen ist sie wohl nur, wenn man es schafft sich irgendwie angestrengt in einen Zustand der Hysterie zu versetzen. Unsere Welt ist voll von Verschwörungstheorien, phantastischen Gedankengebäuden und merkwürdigen Glaubensbekenntnissen. Aber wohl kaum jemand bekommt Angstschübe, wenn über solchen Kram geredet wird. Leute kriegen in unserer Welt einen Knacks, wenn sie dauerhaft unter Stress stehen, wenn man sie nicht schlafen lässt oder ihr soziales Umfeld erschüttert wird. Dinge die ihnen gestern noch übernatürlich erscheinen, sind wenig später normal. In Cthulhu dahingehen laufe ich Gefahr einen Knacks zu kriegen, wenn ich in irgendwelchen alten Pergamenten von irgendwelchen großen Alten, die irgendwann mal die Welt beherrscht haben sollen, zu lesen bekomme.

Diese sollen irgend eine irrationale Bedrohung darstellen, dennoch finden sich die ganzen Mythoswesen sauber katalogisiert und kanonisiert in der Wikipedia aufgereit. Der Mythos ist banal geworden, die Entwicklung der Welt seit Lovecraft lässt seine Phantasien fast schon grau aussehen. Von seiner eigenen Parodie ist er oftmals nur durch die Autorenintention zu unterscheiden. Was ist die Bedrohung eines Cthulhu gegen die Bedrohung der Atombombe? Auch dieses Thema, dass diese ganzen Wesen auf irgend eine unvorstellbare Art und weise falsch sein sollen, und deshalb den menschlichen Verstand schon beim bloßen Anblick durch den Mixer jagen. Aber was nicht vorstellbar ist, davon kann man auch nicht sprechen, und wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Okay, das waren jetzt 2 Cent für die Sprüchekasse, trotzdem bleib der Punkt: Wie soll es funktionieren, das Unvorstellbare, Antirationale in einem Spiel zu thematisieren, in dem es im wesentlichen um Vorstellung, Hineinversetzen und Interaktion geht? Höchstends als Leerstelle vielleicht, wie auch immer sich das Umsetzen ließe, aber das wäre dann vielleicht Kafka aber bestimmt nicht mehr Lovecraft.

Damit will ich nicht sagen, dass es nicht auch gute, oder sogar gruselige Cthulhu Abenteuer (oder Lovecraft-Geschichten) gibt, aber sie sind imho in der Regel nicht primär wegen dem Mythos gruselig, sondern weil bestimmte Ängste und Unsicherheitsmomente psychologisch geschickt verwendet werden. Dies habe ich bei Cthulhu aber bisher fast nie erlebt.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Bad Horse am 7.04.2010 | 01:04
Nur ganz kurz, weil ich müde bin und eigentlich ins Bett sollte:

Ich denke, die Angstspannung in Cthulhu soll aus der Begegnung mit dem Fremden kommen - von der Konfrontation mit etwas unvorstellbar Anderem, etwas, dass der menschliche Geist gar nicht recht erfassen kann und daher daran kaputt geht.

Dazu gehört natürlich der "suspension of disbelief", der aber - und da hast du völlig recht - durch Cthulhu-Puschen und Knuddel-Nyarlhoteps wesentlich erschwert wird. Der Mythos an sich ist dem Rollenspieler zu geläufig, um noch ohne Anstrengung als gruselig wahrgenommen zu werden.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Nin am 7.04.2010 | 01:10
Dazu geht mir spontan folgendes durch den Kopf:

Eine wirkliche Horror-Stimmung zu erzeugen, ist so etwas wie die Königsdisziplin. Fun, Action... alles kein Problem. Thrill? Läßt sich machen.
Aber bei den SpielerInnen eine (individuelle und subtile) Gänsehaut zu bewirken ... das ist echt nicht einfach.

Nun, seit Ausschwitz wissen wir denke ich recht gut, dass die Menschen mit etwas absolut wahnsinnigem, jeder Humanität oder Rationalität trotzendem Grauen konfrontiert werden können, und dabei, solange es ihre Existenz nicht direkt bedroht, ohne bleibende psychische Schäden davon kommen können.
Die Meinung teile ich nicht. Ohne direkt involviert zu sein, ist eine Abgrenzung zwar leichter möglich, aber bestimmte Geschehnisse scheinen zwangsläufig Traumata zu verursachen. Es ist wohl kaum möglich, sich solchen Ereignissen komplett zu entziehen (bestimmte Konstrukte erlauben es damit besser klar zu kommen, aber ganz ohne Einfluss geht es denn doch nicht).
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Heretic am 7.04.2010 | 01:14
Das Problem ist, meiner Meinung nach, dass Lovecraft teils überholt ist. Das Ding ist halt auch: Willst du die Spieler gruseln?
Das kann ÜBEL ins Auge gehn, wenn du jemanden dabei hast, und du triggerst eine seiner Phobien. Dann wird aus dem Spaß "Rollenspiel" ganz schnell ein traumatisches Erlebnis. Dazu kommt dann noch das Problem, dass mich andere Dinge gruseln als dich, oder als Boba, oder Bad Horse.
Du müsstest deine Spieler psychologisch durchleuchten, aber wer will das schon mit sich machen lassen, nur um ein RPG zu spielen?
Und dann kommt erschwerend noch hinzu, einen Spannungsbogen aufzubauen und zu halten, mal ganz abgesehen von der Schwierigkeit, seine Spieler dazu zu bringen, sich auf dieses andere Denken einzulassen, wie es zu Lovecrafts Zeit und Jahre davor noch akut war.

Cthulhu kann man wie Kabuki spielen, quasi als Reenactment eines literarischen Stoffs, aber richtig gruseln...? Die SCs: Ja. Die Spieler: Nein.
 
Das mit den Ängsten und Unsicherheitsmomenten ist richtig, aber da haben wir dann das Problem mit den Phobien, die dann beim Spiel getriggert werden können.
Aber, meine Meinung dazu: Der Schaden der dadurch entstehen könnte/kann, ist das bisschen echten Grusel beim Spieler nicht wert.

Zu dem Thema gibts übrigens einen recht guten kurzen Abschnitt im Supernatural RPG, der beschäftigt sich mit genau dem Thema.  


p.s.:
Offtopic: Lovecrafts Werke drehn sich um Dinge-und-Realitäten-wie-sie-nicht-sein-dürften, und um das Entdecken der Tatsache, dass die Welt nicht so ist, wie man sie gern hätte, sondern nicht nur böse, grausam und nihilistisch ist, sondern auf eine wahrlich unmenschliche Art und Weise böse, grausam und nihilistisch.  


Nyarlathothep an sich ist z.B. nicht gruselig. Aber das Prinzip, das Konzept, das er verkörpert. Wenn man das umsetzen kann, dann kann man Grusel erzeugen, so man will.
Nebenbei: HPL ist DAS Paradebeispiel für Pulp Fiction. Hate me now.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Waldviech am 7.04.2010 | 01:26
Ich wollt jetzt eigentlich was schreiben - aber Heretic hat mir da schon einiges vorweggenommen.

Zitat
p.s.:
Offtopic: Lovecrafts Werke drehn sich um Dinge-und-Realitäten-wie-sie-nicht-sein-dürften, und um das Entdecken der Tatsache, dass die Welt nicht so ist, wie man sie gern hätte, sondern nicht nur böse, grausam und nihilistisch ist, sondern auf eine wahrlich unmenschliche Art und Weise böse, grausam und nihilistisch.  
Very richtig. Und gerade in dem Punkt "altert" Lovecraft halt ganz gewaltig. In den 30igern mag die Message "Die Erde ist nur ein Staubkorn" mit all den daran hängenden Konsequenzen ja noch eine gewisse Schockwirkung gehabt haben. Heute hat sie das nicht mehr....
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Bitpicker am 7.04.2010 | 07:08
Die Kunst besteht darin, seine Denkweise des 21. Jahrhunderts fallen zu lassen und sich in eine Person hineinzudenken, die keine bebilderten oder gar filmischen Massenmedien, keine globale Nachrichtenflut und vor allem keine Tricktechnik kennt. Das Setting funktioniert meiner Meinung nach besser, wenn man es im Zeitrahmen der 20er und 30er Jahre oder früher ansetzt, mit dem Wissen eines heutigen Menschen, da stimme ich zu, sieht die Reaktion auf vieles ganz anders aus. Nur muss sich der Spieler darauf einlassen - wie auf jedes Horror-Szenario.

Das Hörspiel zu "Krieg der Welten" ist seinerzeit in den 30ern zum Beispiel auch von vielen Hörern ernst genommen worden, weil es wie eine Radio-Reportage aufgemacht war. Könnte man heute mit dreibeinigen Invasionsmaschinen vom Mars noch jemanden hinterm Ofen hervorlocken?

Der typische Mensch in den USA der 1930er lebte in einer noch relativ geordneten Zeit, in der man die "Wahrheit" zu kennen glaubte. Diese Wahrheit ist sehr leicht ins Wanken zu bringen. Heute leben wir in einer Welt mit vielen, kollidierenden Wahrnehmungen der Realität, daran gewöhnt man sich. Zeitgemäßer Horror ist leichter zu bewerkstelligen, wenn man mit den wenigen allgemeingültigen Dingen spielt, die heute gelten - sehr gute Horroreffekte habe ich in KULT durch unkonventionellen Umgang mit Zeit und Raum erzielt. Das sind Grundfesten unseres heutigen Realitätsverständnisses, und wenn man daran wackelt, kann man auch Grusel erzeugen.

Allerdings steht und fällt auch das mit der Bereitschaft des Spielers, sich darauf einzulassen und das sichere Sofa, auf dem er sitzt, auszuklammern. Wer sich nicht gruseln möchte, wird beim Rollenspiel dazu auch nicht zu zwingen sein.

Robin
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: ErikErikson am 7.04.2010 | 07:48
Die eher philosophischen Ansätze von euch stimmen alle.

Ein wichtiger Punkt ist auch die Spielweise. Sobald es in Schema F abdriftet-Brief vom Kumpel, Recherche, Monster finden, Monster töten-ist der Horror oft gelaufen. Man muss schon irgendetwas fremdartiges einbringen, was die Spieler nicht erwarten und nicht verstehen. Beispielsweise ein Monster, das so fremdartig denkt, das man seine Pläne gar nicht mehr nachvollziehen kann. Das macht dir dann leider auch den Dedektivteil kaputt.

Wenn ich den Spielern bei CoC Angst machen wöllte, würde ich außerdem sämtliche Konventionen übern Haufen werfen. Ich würde willkürlich ihre Chars übernehmen, hin und wieder mit einzelnen Spielern oder auch der halben Gruppe aus dem Raum gehen, ihnen ihre Charblätter wegnehmen, wichtige Details in Beschreibungen weglassen usw. Dazu braucht man auch wieder Leute, die sich auf sowas einlassen. Der Horror kommt bei CoC daher, das etwas sehr fremdes in das Leben der Chars eindringt. Nicht notwendigerweise etwas böses.

Heretic hat recht, es würde noch interessanter werden, wenn man die Leute fragt wovor sie Angst haben, und darauf ehrliche Antworten bekommt. Würde ich gerne mal probieren. Das geht aber übel in den Privatbereich, wer würde sowas schon öffentlich machen? Ich hab das einmal versucht, indem ich den Leuten gesagt habe, sie sollen mir irgendeine psychische Krankheit sagen, die ihr Char hat (und mit der man arbeiten kann, war meine implizite Zielsetzung). Ich stand dann da mit drei Hundephobien, einer Schlangen- und einer Kleintierphobie.  :D
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Kynos am 7.04.2010 | 07:59
Ich denke, das wesentliche Problem besteht oftmals darin, daß sich die Spieler nicht auf den Horror-Aspekt einlassen können oder wollen. Ich kann Cthulhu auch nicht viel abgewinnen, weil ich in diese Stimmung nicht abtauchen kann. Spiele ich eben lieber Solomon Kane oder Rippers und überlasse Cthulhu den Spielern (und Spielleitern), die das eben können und wollen.

Viel hängt aber auch von der Stimmung ab. Wenn ich ne Cthulhu-Runde aufziehen würde, würde eh nur im Herbst oder Winter bei recht düsterem Wetter gespielt, nachts, irgendwo in einer Hütte abseits der üblichen Wege wo es relativ dunkel ist. Dazu lediglich Kerzenschein und möglichst ruhige, dumpfe, tieftönende Musik leise im Hintergrund. Ist aber nicht ernsthaft machbar.

Ein weiteres Problem ist auch, daß die Spieler zuviel über den Hintergrund wissen und man niemals sein Spielerwissen gänzlich vom Charakterwissen trennen kann. Also verliert auch das dem Charakter unbekannte seinen Schrecken, da der Spieler weiß, was dahinter steckt.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Benjamin am 7.04.2010 | 08:21
Stimmung Schmimmung, Spieler entmündigen oder aus dem Raum nehmen! Ihr schreibt wirklich gruseliges Zeug!  :ctlu:

Ich stimme dem Eingangspost soweit zu, behaupte aber, dass Spieler immer dann den Horror kriegen können, wenn sie nicht wissen, was abgeht.

Wenn man es eben doch schafft, bei den Spielern das Gefühl einer Machtlosigkeit (in der Spielwelt!) und einer absoluten Unwissenheit zu wecken.
Aber das zu forcieren dürfte wohl oft in einer Katastrophe von einem Spielabend enden.

Ansonsten denke ich, dass Cthulhu mit seiner Pflock-im-Auge-Brutalität eher Grusel und Action als Horror im Sinne Lovecrafts ist.

Ich mein, Regeln um den Horror abzubilden? Mehr braucht man nicht wissen.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Dash Bannon am 7.04.2010 | 08:41
der wichtigste Punkt wurde schon genannt:

man muss sich als Spieler drauf einlassen, fast schon ein wenig "hineinsteigern" um bei CoC (und bei jedem anderen RPG eigentlich auch) die gewünschte Stimmung zu erzeugen. Das erfordert dann ein hoes Mass an Bereitschaft sich "drauf einzulassen"/sich begruseln zu lassen. Wirklichen Horror erlebt man ohnehin nur dann, wenn beim Spieler die entsprechende Könpfe gedrückt werden (hat Heretic glaube ich aber auch schon gesagt).

Und ein weiterer wichtiger Punkt der schon genannt wurde ist, dass die Geschichten von Lovecraft heute nicht mehr wirklich schrecklich/erschreckend sind.
 
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Enkidi Li Halan (N.A.) am 7.04.2010 | 09:15
Ich finde Cthulhu denkbar ungeeignet, um damit Horror zu erzeugen. Selbst leichter Grusel ist schwer mit dem Lovecraft'schen Hintergrund zu erzielen. Für mich liegt das an folgendem:
1) Für mich resultiert Horror aus menschlichen Abgründen und Handlungen. Die Vorstellung, dass etwas Horror 'einfach so' erzeugen könnte, weil es eben 'böse' ist, finde ich weder nachvollziehbar noch erzählerisch spannend.
2) Cthulhu ist Pulp und lässt sich im Endeffekt darauf reduzieren, dass man versucht nichtmenschliche Monster zu töten, bevor sie einen selbst töten. Das ist okay, allerdings kann ich sowas wenig abgewinnen. Ich schätze es, wenn Charaktere durch ihre Handlungen in moralische Dilemmas gestürzt werden, wenn ihre Entscheidungen zu persönlichem Horror führen. Ein uraltesabgrundtiefböses Tentakelmonster zu töten ist keinesfalls moralisch fragwürdig.
3) Wenn man dem Genre oder dem literarischen Werk Lovecrafts gerecht werden will, laufen die meisten Cthulhu Storys gleich ab. Selbst wenn es einem also gelingt, sich beim ersten Abenteuer noch zu gruseln, wird das ziemlich schwer, wenn man mal eine gewisse Ahnung vom Mythos hat.

Ich leite gerade eine Cthulhu-Kampagne, und Momente des Gruselns sind selten. Wir genießen das Sightseeing in den 30er-Jahren und betrachten den Grusel-Faktor des Settings eher so wie in einem alten B-Movie. Das macht durchaus Spaß!

Um richtigen Horror zu spielen eignen sich imho aber Spiele wie UA, Kult und Konsorten wesentlich besser.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: גליטצער am 7.04.2010 | 10:26
Für mich sind dieses 20er Jahre Flair, die Delta Green Abteilung usw. grosse Hemmnisse für Horror in Cthulhu, zusammen mit der schrecklich pseudo-antiquarischen Aufmachung der Buecher. Lovecrafts Geschichten spielen in seiner Zeit, nicht vor seiner Zeit, genauso sollten Cthulhu Abenteuer im Jedermanns-Jetzt angesiedelt werden.

Meiner Meinung nach schaffen es viele Cthulhu Produkte nicht, die Stimmung der Buecher zu vermitteln. Man könnte wahrscheinlich vieles retten, wenn man das Malleus Monstrorum verbrennt und ein RuneQuest oder BasicRoleplay Moster-Buechlein zu Rate zieht. Gebt den Mostern einfach noch einen Stabilitätsverlust. Die Spieler wissen nicht mehr was sie trifft, vollkommene Ratlosigkeit,... "Wir werden alle sterben" Horror ist da, Auftrag erfüllt :D

In den Lovecraftschen Gschichten wirken die Monster viel weniger komisch als in den Rollenspielwerken, de vergeblich versuchen, alles zu erklären...
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: ErikErikson am 7.04.2010 | 10:36
In den Lovecraftschen Geschichten haben die Charaktere ein Leben, Träume, Hoffnungen. Alles Zeug, das kaputt gemacht werden kann. Daraus entspringt viel Horror.
Die Spieler SC sind meist auf Monsterjagd getrimmt, ohne soziale Kontakte außerhalb ihrer Peer-Monsterjäger-Group. Wen störts, wenn so jemand in Gefahr gerät? Wer fürchtet sich, wenn er seinen vorgesehenen Job erledigt, wenn er nix zu verlieren hat?
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Andhur am 7.04.2010 | 10:52
Bisher fand ich Cthulhu-Runden eigentlich meistens sehr unheimlich und spannend.

Man weiß nicht mit welchem Schrecken man es zu tun hat, forscht in geheimen Bibliotheken nach uralten Sagen, durchstöbert Folianten nach Hinweisen und stets ist man der Gefahr ausgesetzt dem Wahnsinn zu verfallen.
Schleichend wird an der geistigen Stabilität genagt, man wird von Kultisten verfolgt und hinter der nächsten finsteren Ecke droht ein Wesen aus einer anderen Dimension.

Ich weiß nicht warum es bei manchen Menschen nicht so gut wirkt, aber vielleicht liegt es einfach daran, dass man zum spielen Leute benötigt, die sich auf einen "unheimlichen" Abend einlassen können.
Ja, ich denke dieses "Einlassen können" ist der Schlüssel.

Die Spieler SC sind meist auf Monsterjagd getrimmt, ohne soziale Kontakte außerhalb ihrer Peer-Monsterjäger-Group. Wen störts, wenn so jemand in Gefahr gerät? Wer fürchtet sich, wenn er seinen vorgesehenen Job erledigt, wenn er nix zu verlieren hat?

So macht das Spiel natürlich auch keinen Spaß.


In den Lovecraftschen Gschichten wirken die Monster viel weniger komisch als in den Rollenspielwerken, de vergeblich versuchen, alles zu erklären...

Warum sollten Rollenspielwerke nichts erklären? Die Infos sind doch für den Spielleiter. Der sollte natürlich den Spielern nicht alles erklären. Oder habe ich deine Aussage falsch verstanden und du willst du dich beim lesen des Regelwerkes gruseln?

Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Megan am 7.04.2010 | 10:58
Ich hab mich früher auch mehr gegruselt. Ich denke, inzwischen weiß ich einfach zu gut, was Cthulhu bedeutet, was mich erwartet usw.. Gruseln tut man sich, glaube ich nur, wenn man keinen Plan hat, was kommt. Von daher könnte ich mir vorstellen, dass so eine Runde gruseliger wird, wenn die Spieler nicht wissen, dass sie Cthulhu spielen und der SL es schafft, das aufrechtzuerhalten.

Übrigens werde ich schon gerne als *Spieler* emotional berührt (begruselt, erfreut, traurig gemacht), weil nur die Gefühle des Charakters darzustellen mir persönlich meist zu wenig ist.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: גליטצער am 7.04.2010 | 11:50
Warum sollten Rollenspielwerke nichts erklären? Die Infos sind doch für den Spielleiter. Der sollte natürlich den Spielern nicht alles erklären. Oder habe ich deine Aussage falsch verstanden und du willst du dich beim lesen des Regelwerkes gruseln?

Nein, aber ich komme aus der Tradition des fliegenden Meisterwechsels, das heisst jeder von uns will auch gerne mal Spielen. Das macht natuerlich dann keinen Spass wenn die anderen Meister Ihre Monster nur aus dem Kompendium abkopieren, ohne eigene Ideen hinzuzufügen. ABer ich glaube das ist auch egal, bei uns ist Cthulhu in zwei Spieletraditionen zu untergliedern:

Variante A:
Die Spieler müssen die Welt retten unter Einsatz Ihres Lebens udn verlieren dabei ganz schnell den Verstand...

Variante B:
Die Spieler sammeln Mythoswissen udn werden die heimliche Elitekaste des Planeten...

Das ist beides irgendwie doof, daher spiele ich es nicht mehr aktiv sondern stelle es nur noch in den Schrank bis eines Tages wuerdigere Mitspieler auftauchen.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: First Orko am 7.04.2010 | 12:01
Der Cthulhu Mythos wie er in Lovecrafts Erzählungen auftaucht ist ein Anachronismus. Der Schrecken, der diese Geschichten damals begleitete entstand aus der Angst der Menschen vor dem Fremden, dem Unentdeckten und den Errungenschaften der Wissentschaft die dieses Unentdeckte ans Tageslicht brachten. Die Menschen hatten Angst vor dem, was man vielleicht aufdecken würde, viele waren wohl auch der Meinung, dass man besser nicht so genau nachschauen sollte. Daraus hat Lovecraft seine Alpträume, seine Wesen und deren Prinzipien entwickelt die den unseren so vollkommen entgegenstehen und die - und das ist das Erschreckende - unsere Gesellschaft schon seit Urzeiten formt und beeinflusst.

Wir können dieses Grauen heute nicht richtig nachvollziehen, denn wir sind in einer Welt aufgewachsen, die getränkt ist mit Wiedersprüchen, sich wiederlegenden Theorien und Prinzipien, neuen Entdeckungen und geseschaftlichen Wandel. Das ist das, wonach wir streben nicht wovor wir Angst haben.

Trotzdem lässt sich der Mythos auch in diese Welt integrieren, nur muss man anders vorgehen. In den Cthulhu Now!- Büchern wird da sehr schön drauf eingegangen. Das Grauen kommt auf, wenn sich unsere Errungenschaften gegen uns wenden, wenn wir feststellen, dass wir die ganze Zeit von falschen Vorraussetzungen ausgegangen sind. Was wenn es Außerirdische gibt - aber sie uns nur als "minderwertiges Spielzeug" ansehen und uns vielleicht sogar überdrüssig sind? Wenn ihre Technik die unsere beherrscht und wir uns auf nichts mehr verlassen können? Wenn der Große Plan ist, uns von eben dieser Technik abhängig zu machen, und diejenigen die dies erkennen gar nichts dagegen machen können?

Ein anderer Aspekt des Grauens ist die Verfremdung der Menschen voneinander. Persönliche Kontakte werden nur noch online gepflegt, für echte Freunde hat man weniger Zeit, man kennt sich kaum noch. Mehr und mehr menschliches geht verloren und man weiß nicht, womit sich der Nachbar beschäftigt...

Meiner Meinung nach kann man den Horror aus den Lovecraft Geschichten schon in die heutige Zeit transportieren. Aber das "Nachspielen" in den 20er Jahren hat mich persönlich auch nie wirklich gereizt. Mir fehlt da einfach der Bezug zur Lebensweise, zu den Vorstellungen und Ängsten der Menschen aus der Zeit, um mich ausreichend in die Charaktere zu versetzen und ein wenig von deren Horror spüren. Bei Merkwürdigkeiten in unserer Welt sieht das u.U. anders aus.

@Heretic: Lovecraft hat AUCH Pulp Ficiton geschrieben. Ein Großteil seiner phantastischen Geschichten und Romane bedient aber kaum die typischen Motive von Groschenromanen. Als Paradabeispiel kann man ihn also wohl kaum bezeichnen.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: ErikErikson am 7.04.2010 | 12:09
Ich halte die Theorie, das der Zeitgeist einen solchen Einfluss hat, und damit CoC praktisch veraltet ist, für falsch.

Ich persönlich fürchte mich eher davor, kein Geld zu haben oder an Ansehen einzubüßen. Genauso wie die Leute früher.

Mir gehts völlig am Arsch vorbei, was die Ausserirdischen machen und die Technik wächst mir auch nicht übern Kopf. Genauso glaub ich nicht, das damals außer nen paar Spinnern jemand Angst vor wissenschaftlichen Entdeckungen hatte.

Angst vor dem Fremden und Unbekannten ist universell, deshalb funzt CoC immer noch genauso. Trotzdem sollte mans IMHO eher in der Gegenwart spielen lassen, damit sich die Leute halbwegs vorstellen können, in was für einer Welt sie überhaupt agieren. 
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Skele-Surtur am 7.04.2010 | 12:28
Ich persönlich will mich bei CoC garnicht "gruseln". Ganz ehrlich: Ich hab in meinem Alltagsleben ausreichend Grund, mich zu ängstigen. Im Rollenspiel bin ich mit Spannung völlig zufrieden. Angst ist ja nur ein etwas verschlüsseltes Gefühl für Hilflosigkeit und wenn ich etwas nicht will, dann mich hilflos fühlen.

Die Grundidee des Cthulhu-Mythos ist ja, dass man Wahnsinnig wird, wenn man Dinge zu begreifen gezwungen ist, die unser Verstand sich eigentlich weigert zu akzeptieren. Im Grunde ist das ja auch, soweit ich da informiert bin, auch eine denkbare Theorie: Wenn der Verstand etwas nicht ertragen kann, dann entwickelt er gegenmaßnahmen. So soll es Fälle von Kindesmißbrauch gegeben haben, bei denen das Opfer, um sich zu schützen, eine multiple Persönlichkeit entwickelt hat.
Nun, und genau da liegt, wie der Threadstarter sehr richtig erkannt hat, ein Problem: Wenn sich der Verstand weigert, es zu akzeptieren, dann sind wir wohl kaum in der Lage, es in einem Spiel nachzuvollziehen.

Daher ist man als SL/Abenteuerschreiber/Autor auf andere, handfestere Dinge beschränkt: Absurdität, Splatter, unmittelbare oder mittelbare Gefahr. All diese Dinge hat aber der Cthulhumythos nicht für sich gepachtet. Einige Werke des Mythos wirken ja heute eher langweilig, weil Dinge nicht ausformuliert sind. Da steht dann halt: "Es war eine schreckliche Gestalt" oder so. Das nimmt der Leser zwar zur Kenntnis, wirklich ängstigen tut er sich dabei aber nicht. Aber wie soll man auch mit Worten etwas beschreiben, was so schrecklich ist, dass man es nicht beschreiben kann? Eben. Geht nicht.
Damit ist der Mythos im Prinzip für Horror nicht notwendig - er schadet aber auch nicht.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Xemides am 7.04.2010 | 12:38
Hallo,

schon einiges wurde hier geschrieben, einiges kann ich unterstützen, anderes nicht.

Zum einen denke ich auch, dass es bei CoC (und bei allen anderen Rollenspielen) stark darauf ankommt, dass die Spieler sich auf das Spiel einlassen.

Ich erinnere mich noch daran, dass wir einst versuchten ADnD in Ravenloft zu spielen, der SL versuchte, Athmosphäre entstehen zu lassen und ein Spieler diese durch Scherze und witzige Sprüche zerstörte.

Nun habe ich gewiss nichts gegen solche Spieler und Witze und Sprüche am Spieltisch, doch wenn sie die Spannung und Stimmung zerstören sind sie halt kontraproduktiv.

Bei CoC spiele ich lieber in Lovecrafts Welt in den 20/30er Jahren als in der Gegenwart und habe auch kein Problem, mich in die Gedankenwelt hineinzuversetzen.

Und was die Anachronismen angeht, ist das nicht bei der Fantasy irgendwie dasselbe ? Ich versetze mich in eine Zeit und Welt hinein, in der es keine moderne Technik gibt, dafür Magie und Religiösität, obwohl ich evtl. nicht an die Existenz eines Gottes glaube. Das macht doch auch kein Problem.

Beim unserem Con hatte ich ein kurzes Gespräch mit Karsten darüber, wie schwer es ist, im Rollenspiel Horror und Angst zu verursachen. Ich glaube, dass es kein CoC-spezifisches Problem ist, sondern ganz allgemein ein Problem des Rollenspieles, weil ich halt nicht die Stilmittel des Buches oder des Filmes benutzen kann.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Minne am 7.04.2010 | 13:03
@Bad Horse
Zitat
Ich denke, die Angstspannung in Cthulhu soll aus der Begegnung mit dem Fremden kommen - von der Konfrontation mit etwas unvorstellbar Anderem, etwas, dass der menschliche Geist gar nicht recht erfassen kann und daher daran kaputt geht.

Das ist mir durchaus bewusst, und das habe ich eigentlich versucht zu skizzieren, und es gleichzeitig zu kritisieren mit den 3 Punkten: 1) Wie du schon sagtest, ist der Mythos ziemlich plattgetreten 2) Der Horror der Realität lässt den Horror von Cthulhu imho alt aussehen 3) Es scheint mir nicht wirklich möglich, das Unvorstellbare zum Thema eines Rollenspiels zu machen. Surtur hat das eben nochmal ganz nett zusammengefasst.

@Nin
Zitat
Eine wirkliche Horror-Stimmung zu erzeugen, ist so etwas wie die Königsdisziplin. Fun, Action... alles kein Problem. Thrill? Läßt sich machen.
Aber bei den SpielerInnen eine (individuelle und subtile) Gänsehaut zu bewirken ... das ist echt nicht einfach.
Gut, das ist auch wahr, vorallem weil viele SpielerInnen dazu neigen, wenn sie unter spannung stehen, das Ganze zu ironisieren.

Zitat
Die Meinung teile ich nicht. Ohne direkt involviert zu sein, ist eine Abgrenzung zwar leichter möglich, aber bestimmte Geschehnisse scheinen zwangsläufig Traumata zu verursachen. Es ist wohl kaum möglich, sich solchen Ereignissen komplett zu entziehen (bestimmte Konstrukte erlauben es damit besser klar zu kommen, aber ganz ohne Einfluss geht es denn doch nicht).
Kannst du Beispiele nennen? Das Unheimliche an den Leuten, die später bei den Nürnberger Prozessen verurteilt worden waren,  um bei meinem Beispiel zu bleiben, war imho gerade die Tatsache, dass den meisten von ihnen scheinbar keine geistigen Störungen nachzuweisen waren.

@Heretic
Zitat
Cthulhu kann man wie Kabuki spielen, quasi als Reenactment eines literarischen Stoffs, aber richtig gruseln...? Die SCs: Ja. Die Spieler: Nein.
Da könnte was dran sein.

Zitat
Das mit den Ängsten und Unsicherheitsmomenten ist richtig, aber da haben wir dann das Problem mit den Phobien, die dann beim Spiel getriggert werden können.
Aber, meine Meinung dazu: Der Schaden der dadurch entstehen könnte/kann, ist das bisschen echten Grusel beim Spieler nicht wert.
Das ist natürlich ein interessantes Problem und ich frage mich, wie akut das tatsächlich im Rollenspiel ist. Kann ich aber überhaupt nicht beurteilen. Ich denke, viele Horrorgeschichten funktionieren beispielsweise so, dass erst eine Intimität, eine Vertrauenssituation aufgebaut wird, die anschließend radikal gebrochen wird. Sowas meinte ich. Das scheint ja auch ein lustvoller Moment zu sein, sonst gäbe es die Horrorliteratur wohl nicht.

@Bitpicker

Zitat
Die Kunst besteht darin, seine Denkweise des 21. Jahrhunderts fallen zu lassen und sich in eine Person hineinzudenken, die keine bebilderten oder gar filmischen Massenmedien, keine globale Nachrichtenflut und vor allem keine Tricktechnik kennt. Das Setting funktioniert meiner Meinung nach besser, wenn man es im Zeitrahmen der 20er und 30er Jahre oder früher ansetzt, mit dem Wissen eines heutigen Menschen, da stimme ich zu, sieht die Reaktion auf vieles ganz anders aus. Nur muss sich der Spieler darauf einlassen - wie auf jedes Horror-Szenario.

Ach weißt du, das klingt für mich unheimlich anstrengend. Und auch ein bisschen illusorisch. Ich glaube einfach nicht, dass das in der Art und Weise klappt. Angst ist ein sehr elementares Gefühl, um es künstlich hervorzubringen muss ich mich schon ziemlich bemühen.

Kleiness Gedankenspiel: Wäre natürlich toll, wenn das so ginge, dann könnten wir alle einfach Rollenspieler beim Rollenspiel spielen, die zusammen sitzen und Spaß haben.  ;D

@ Kathy und Surtur

Volle zustimmung!

Zitat
In den Lovecraftschen Geschichten haben die Charaktere ein Leben, Träume, Hoffnungen. Alles Zeug, das kaputt gemacht werden kann. Daraus entspringt viel Horror.
Die Spieler SC sind meist auf Monsterjagd getrimmt, ohne soziale Kontakte außerhalb ihrer Peer-Monsterjäger-Group. Wen störts, wenn so jemand in Gefahr gerät? Wer fürchtet sich, wenn er seinen vorgesehenen Job erledigt, wenn er nix zu verlieren hat?
Definitiv richtig! Vorallem, wenn die Charaktere schon im Voraus mit dem Bewusstsein gebaut wurden "Das ist ein Coc Char, der hällt eh nicht lange..."


Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Boba Fett am 7.04.2010 | 13:03
Ich habe ohnehin arge Schwierigkeiten mich zu gruseln, weil ich in vielen Fällen einfach zu abgebrüht bin und zu sehr rational und problemlösungs-orientiert denke.
Ich denke, dass ist ein Aspekt, der es vielen Rollenspielern den "Horror"-Aspekt zu erleben schwer macht.

Ein weiteres Problem, den ich sehe, ist, dass es bei Horror meistens um Kontrollverlust und die damit verbundenen Ängste geht und dass es gerade beim Rollenspiel den Spielern oft schwer fällt, sich darauf einzulassen. Immerhin spielt man das Rollenspiel ja, um eine fiktive Person zu spielen und mit dieser zu agieren - Kontrollverlust wird da als Gegensatz empfunden, der dem 'agieren können' ja konträr entgegensteht.

Außerdem ist es schwierig, im warmen, hellen, gemütlichen Wohnzimmer, mit Chips und Coke eine entsprechende Horror-Atmo aufzubauen.

Cthulhu beschäftigt sich dazu noch mit mythischen Wesen, und in unserer heutigen Zeit ist der Mensch schlicht zu abgeklärt, um daraus noch "Grusel" zu empfinden. Es gibt keine mythischen Wesen - Punkt...
Horror erleben die Menschen heute eben bei anderen Vorstellungen, sei es bei der Überlegung, dass bestimmte Verschwörungstheorien stimmen könnten, oder bei der Angst vor dystopischen Zuständen. Dementsprechend liegen da die Potentiale der "Mitfieber Abenteuer" unserer Zeit.

Cthulhu modern zu gestalten wäre vielleicht möglich, dann müsste man das über eine Verschwörungstheorie aufziehen, in die die Charaktere stolpern, eine "Geheimgesellschaft", deren innerer Kreis einen Kult betreibt. Irgendwann kommen dann zweifel, ob die Rituale wirklich nur symbolischen Charakter haben, und dann kommt man langsam hinter das Grauen.
Scientology als Cthulhu Kult, dessen "innerer Zirkel" mit okkulten Mächten im Bunde ist.
Da kann schon ordentlich Paranoia aufkommen. Und danach die Erkenntnis, dass das alles keine Spinnerei ist...

Generell denke ich, hat es Horror schwer, und Cthulhu noch schwerer...
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: First Orko am 7.04.2010 | 13:04
Und was die Anachronismen angeht, ist das nicht bei der Fantasy irgendwie dasselbe ? Ich versetze mich in eine Zeit und Welt hinein, in der es keine moderne Technik gibt, dafür Magie und Religiösität, obwohl ich evtl. nicht an die Existenz eines Gottes glaube. Das macht doch auch kein Problem.

Anachronismus in Bezug auf den Horror im Mythos. Aufgeklärte Menschen haben eben keine Angst mehr vor dem Unbekannten sondern sind eher neugierig, das passt halt nicht wirklich zum Verhalten der Menschen in den Mythosgeschichten. Die forschen zwar auch nach und schauen in Bücher, in die sie besser nicht schauen sollten, aber diese Personen sind getrieben von einem unbestimmten Drang, dem sie sich nicht entgegenstellen können, einen Trieb wenn man so will. Eigentlich wollen sie nicht weitersuchen, sie tun es aber trotzdem. So ein bißchen wie der Klick auf den Link mit der Beschreibung "wirklich schreckliches Bild, nichts für schwache Nerven und Garantie auf Alpträume"..
Ich finde einfach dass dieses Grauen von damals für Menschen aus unserer Zeit schwerer nachzuvollziehen ist, weil wir uns weiterentwickelt haben und diese diffuse Angst überwunden.

Ich erlebe übrigens durchaus immer wieder Menschen, die eine gewisse Angst vor moderner Technik wie Handys, Computer, Internet haben. Viele verstehen "dieses Internet Ding" gar nicht und sehr viele fühlen sich bei der Arbeit auch damit überfordert (dazu gibts auch Studien, die sich damit beschäftigen). Wenn man sich natürlich nur im Nerd-Umfeld bemerkt, nimmt man das vielleicht anders war, aber das ist nicht die Mehrheit.
Diese ganzen Gesetzesvorschläge zur Internetzensur / Notrufbutton fürs Internet / Seiten die tagsüber geschlossen sein sollen usw. entstehen ja ganau aus dieser Kombination aus Unverständnis und Angst (und noch anderen Faktoren, aber das gehört jetzt nicht hier her). Also eine gewisse Angst vor Neuem ist immer da. Nur findet sich das Grauen nicht mehr in fremden Kulturen, im "fremden" Weltraum und Planeten sondern in dem, was wir als Menschen unserer Zeit nicht verstehen. Und das ist halt was anderes, als vor 90 Jahren.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Teylen am 7.04.2010 | 13:19
Ich denke das der Horror wie er von HPL bei Chutulu beschrieben wird durchaus selbst in der heutigen Zeit noch nachvollziehbar ist. Schliesslich funktionieren doch sowohl die Twilight Zone als auch die Outer Limits Episodenhaft nach dem Muster das ein bekannter Sachverhalt durch ueberfremdung dazu fuehrt einen gewisses Gruselgefuehl auszuloesen respektive die jeweils aufgeklaerten Menschen mehr oder minder dicht an den Wahnsinn zu fuehren. Nun und auch aktuellere Serien wie vormals Akte X oder aktuell noch Fringe bauen auf diesen Effekt.
Nun und bei aller Fortschrittlichkeit der heutigen Zeit gegenueber 1920 blueht doch auch der Bereich rund um Urban Fantasy.

Der Bezug zu dem was Ausschwitz, die Atombomben Abwuerfe ueber Japan oder die Bericht Erstattung ueber diverse Kriege betrifft sehe ich nicht. Schliesslich handelt es sich dabei um etwas das nicht abstrakt oder unvorstellbar ist einfach weil es fassbar wurde/ist.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Nocturama am 7.04.2010 | 13:26
Interessanterweise habe ich mich bei Cthulhu-Abenteuern schon richtig gegruselt (wie bei einem guten Horrorfilm/Buch, nach dem ich mich manchmal dabei ertappe, mich im dunklen Gang unwillkürlich umsehe...). Allerdings habe ich mich noch nie wegen des Cthulhu-Mythos gegruselt.
Stimmt schon. Der ist schon in Buchform zu abstrakt, um mir einen Schauer über den Rücken zu jagen. Und wenn man im Rollenspiel auch noch weiß, dass das jetzt ein Dunkles Junges ist oder wasweißich, dann ist das noch mal schwerer. Unheimlich ist halt nur, was man nicht kennt und bei dem man nicht weiß, wie es funktioniert (bei Cthulhu kennt man außerdem die Spielregeln zu gut: "Jetzt sag' schon, wieviel geistige Stabilität verliere ich?").

Gegruselt habe ich mich eher bei einem Versteckspiel - vermutlich, weil ich aus meiner Kindheit das atemlose Ausharren in seinem Versteck und die Hoffnung, bloß nicht entdeckt zu werden, noch gut kenne (im Spiel natürlich gepaart mit der (unbegründeten) Angst, dass etwas Furchtbares passieren würde, wenn man entdeckt wird). Das war eine Situation, in die ich mich gut reindenken konnte. Ein unbeschreibbares Grauen, da kann man sich nun mal nicht so gut reindenken. Das kann man sich ja noch nicht mal vorstellen. Philosophische Existenzangst kann ich zwar im Rahmen des Spiels simulieren, aber als Spieler gruselt es mich nicht.

Im übrigen finde ich in der Regel menschliche Abgründe auch nicht zum Gruseln, da packt mich eher der Ekel.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: ErikErikson am 7.04.2010 | 13:30
Ich hab mich nur einmal im Spiel gegruselt, und zwar bei ner Con Runde um 2 uhr nachts. Die Uhrzeit und meine Müdigkeit haben da irgendwie mit reingespielt.

Da gabs so ne Statue, aus Gold, die irgendwie komisch surreal beschrieben wurde. Da hab ich so ein verschwommenes Bild im Kopf, das mir jetzt noch ein bisserl Angst macht. Dabei war an der Runde aber eigentlich nix besonderes, was ich noch wüsste.

Wenn ichs also unheimlich wöllte, würde ich bei akutem Schlafmangel spielen.  ;)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Taysal am 7.04.2010 | 14:00
Hier mal meine 99 Eurocent zum Thema:

Horror entsteht, meiner Meinung nach, durch die Angst vor dem Unbekannten. Gute Horrorelemente können erzielt werden, solange sich die Gruppe darauf einlässt und den Spielern die Möglichkeiten des Systems und des Settings unbekannt sind. Das habe ich den Praxis mehrfach erlebt. Neue Spieler waren einfacher "zu schocken", da sie keine Ahnung hatten was als nächstes geschehen könnte und wie sich ihre Spielfigur gegen das große Unbekannte zu wehren weiß. So waren die Spielszenen sofort gruseliger, da weniger Kontrolle und Wissen. Ohne Kenntnisse des Settings und des Systems wurde ein Kontrollverlust (Handlung und Wissen) ausgelöst. In unserer modernen Gesellschaft funktioniert Horror primär anders.

Das ist der Grund, warum Horror in Film und Literatur funktioniert, am Spieltisch Probleme bereitet. Auf der Leinwand und im Buch baut der Zuschauer und Leser eine Bindung zu den Figuren auf. Es gibt keine Möglichkeit der Kontrolle, die Figuren sind der Handlung hilflos ausgeliefert. Das erzeugt Horror! Am Spieltisch haben die Spieler die Kontrolle über die Handlung - jedenfalls in einem bestimmten Rahmen.

Und daran krankt auch CoC. Bei meinen Beobachtungen habe ich festgestellt, dass Anfänger des Rollenspiels den größten "Horror" empfanden. Je mehr sie ins Spiel und in den Mythos eintauchten, um so mehr nahm der Horror ab.

Das ist eine der Problematiken: Wir sind heute zu aufgeklärt und zu abgeklärt. :)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Heretic am 7.04.2010 | 17:41
@Heretic: Lovecraft hat AUCH Pulp Ficiton geschrieben. Ein Großteil seiner phantastischen Geschichten und Romane bedient aber kaum die typischen Motive von Groschenromanen. Als Paradabeispiel kann man ihn also wohl kaum bezeichnen.
Lovecraft hat Literatur für "Weird Tales" und andere Magazine verfasst, welche man getrost unter "pulp fiction" einreihen kann. Zugegeben, er hat gewisse Tropen der pf gebrochen, trotzdem werden mWn viele seiner Werke als pf klassifiziert, bei Wikipedia ist er als pf-Schriftsteller gelistet, und im Großen und Ganzen sind seine Kurzgeschichten und Romane das Paradebeispiel für pf, nur weil er keinen Doc Savage oder ähnliche Superhelden beschreibt, negiert das noch nicht den Status der pf. Das kann einem gefallen oder auch nicht. Lies mal den englischen Wiki-Artikel zu Lovecraft, für welche Magazine er so geschrieben hat, vielleicht wirds dann klarer.

@Teylen: Ich hab mich noch nie bei Outer Limits und Twilight Zone gegruselt, dazu waren sie zu platt und zu bodenständig. Obwohl ich beide Serien gern gesehn hab.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: GustavGuns am 8.04.2010 | 17:35
Ich habe auch nur ein paar Cthulhu Runden gespielt, bei denen echte Gänsehaut aufgekommen ist, und da war ich noch unter Zwanzig.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Vecairion am 12.04.2010 | 16:42
Lovecraft hat Literatur für "Weird Tales" und andere Magazine verfasst, welche man getrost unter "pulp fiction" einreihen kann. Zugegeben, er hat gewisse Tropen der pf gebrochen, trotzdem werden mWn viele seiner Werke als pf klassifiziert, bei Wikipedia ist er als pf-Schriftsteller gelistet, und im Großen und Ganzen sind seine Kurzgeschichten und Romane das Paradebeispiel für pf, nur weil er keinen Doc Savage oder ähnliche Superhelden beschreibt, negiert das noch nicht den Status der pf. Das kann einem gefallen oder auch nicht. Lies mal den englischen Wiki-Artikel zu Lovecraft, für welche Magazine er so geschrieben hat, vielleicht wirds dann klarer.
Allerdings. Es gibt weit mehr als eine Art von Pulp Fiction. Weird Fiction ist definitiv Pulp Fiction, neben anderen Genres wie Western, Superhelden, Detektivstories, Sport, Romanzen, Raketensoldaten, und so weiter und so fort.

Zum Thema: Ich denke Cthulhu spielen sollte Spaß machen wie ein Horrorfilm. Da gibts auch nicht viele bei denen man sich wirklich fürchtet, meistens isses die Spannung ob der/die Hauptcharaktere überleben bzw wie sie sterben (was bei Cthulhu ja auch eher der Fall is :p).
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Heretic am 12.04.2010 | 17:12
Ausser man spielt einen sportlich-schwäbisch-evangelischen Pfarrer, der in den 1920ern/1930ern gern zum Jagen mit seiner Doppelläufigen in den Schwarzwald fährt...
xD
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Achamanian am 12.04.2010 | 17:29
Ich finde den Lovecraftschen Horror auch schwer im RSP nachzuspüren, auch wenn ich sehr gerne CoC spiele. Aber den "Kosmische Horror" hat für mich wenig mit der "Furcht vor dem Unbekannten" zu tun (obwohl Lovecraft das ja selbst mal so formulierte), und deshalb auch wenig mit den klassischen Stilmitteln der Verhüllung, Verdunkelung und Verrätselung, die man ja aus der Schauerliteratur kennt. Gerade in den späteren Lovecraft-Geschichten (Innsmouth, Mountains of Madness, Whisperer) kommt das meiste ja krass an die Oberfläche, es gibt eine richtiggehende semantische Überladung - der Effekt des Unbeschreiblichen wird nicht durch die gruselige Andeutung erzeugt, sondern durch die wuchernde Überbeschreibung. Deshalb funktionieren viele von Lovecrafts Sachen überhaupt nicht als klassische Schauerliteratur, man kann sich tatsächlich schwer gruseln.
Allerdings kann man, wenn man dafür empfänglich ist, sehr wohl das Grauen vor dem Überborden einer monströs gewendeten Natur empfinden, in der jedes Bewusstsein in Kürze wieder vom bewusstlossen Prozessieren des Stofflichen verschluckt wird wie die Älteren Wesen von den Schogghotten. Ich finde, Lovecraft macht die Vorstellung von Sinnlosigkeit und Tod auf seine Art so greifbar, dass er gelegentlich richtig schockt (und eben nicht "gruselt") - etwa bei "Colour out of Space" oder "Innsmouth". Den Effekt kann man im Rollenspiel aber kaum erzielen, weil er in Albernheit abdriftet, wenn er sprachlich nicht ganz exakt herbeigeführt wird (ist Lovecraft ja durchaus auch öfters passiert). Deshalb setzt man da, wenn man es gruselig haben will, eben wieder auf die klassischen Schaertechniken der Verhüllung, Verschleierung, Andeutung - oder auf expliziten Splatter. Beides entspricht aber kein bisschen dem Lovecraftschen Horror.

Deshalb passt auch die eingangs betriebene Geschichtsphilosophie m.E. überhaupt nicht zur Frage der Zeitgemäßheit des Lovecraftschen Horrors: Auschwitz, die Banalität des Bösen, hat alles mit dem menschlichen Bösen zu tun und nichts mit dem Nicht-Bösen, Nicht-Menschlichen Grauen des Kosmos um das es bei Lovecraft geht. Das sind zwei völlig unterschiedliche paar Schuhe.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Heretic am 12.04.2010 | 18:17
One-on-one, wenn schon.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Heretic am 12.04.2010 | 18:30
Ich ging von der "Eins gegen Eins"-Thematik aus.
Wie, warum soll der Spieler sich unterordnen?
Und was genau meinst du damit?

Der Spieler ist NICHT mit dem Protagonisten gleichzusetzen.

In dem Moment, in dem der Spieler das schlechte Gefühl bekommt, hast du als SL versagt, mMn.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Minne am 12.04.2010 | 18:41
@Achaiaman:

Zunächst fand ich deine Darstellung dessen, was deiner Ansicht nach den Kern des Lovecraftschen Horrors darstellt wirklich sehr interessant. Allerdings ging es mir in meinem Beitrag eher um meine Erfahrung mit der Rollenspielpraxis und den von Lovecraft entlehnten Mythoswesen, die in dem Rollenspiel oft eine zentrale Rolle einnehmen. Und das eben in aller Regel unter dem Vorzeichen der "Furcht vor dem Unbekannten und nicht rational Begreifbaren". Diesem Konzept hatte ich mich im Eingang angenommen, wobei es mir vorallem um diesen Spielbestandteil des fortschreitenden Verlusts an geistiger Gesundheit ging, den ich so schwer nachzuvollziehen und künstlich empfinde, vorallem übrigens in Verbindung mit diesen imho total antiklimatischen Würfelwürfen. Du sagtest im Anschluss selbst, dass sich das, was du als diesen Kern ausgemacht hast, wohl kaum im Rollenspiel umsetzen ließe, und insofern trifft deine Kritik am Schluss meiner Ansicht nach etwas daneben, da du, wenn du von lovecrafts literarischem Schaffen sprichst, um dass es mir höchstends am Rande ging (und im Bezug auf welches ich auch keine größeren Kompetenzen auffweisen kann, als einen Kurzgeschichtenband, den ich vor Jahren mal gelesen habe, weshalb ich über dieses mit dir nicht diskutieren kann) eigentlich von etwas anderem sprichst, als ich. Nebenbei hat vor dir glaube ich noch Niemand im dem Thread von dem "Bösen" geschrieben, weil die Diskussion sich eben imho nicht an einem irgendwie gearteten Bösen orientierte sondern an dem Horror vor dem Unbekannten und der Vernunft nicht zugänglichen.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Benjamin am 12.04.2010 | 18:43
Eigentlich sollte es "Vorlesestunde" heißen, was Turning Wheel uns hier als Spiel verkaufen will.

Echt mal, da geh ich lieber Filme gucken, wenn das, was ich als Spieler beitrage, sowieso nicht erwünscht ist.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Achamanian am 12.04.2010 | 18:57
@nnhndrtzwlf:
Ja, in bezug auf CoC stellt sich das von dir formulierte Problem natürlich. Da du am Anfang schreibst, dass das Cthulhu-Grauen nicht mehr zeitgemäß wäre (oder etwas in die Richtung), bin ich davon ausgegangen, dass du damit auch und gerade die literarische Vorlage des Rollenspiels einbeziehst. Wenn du das aber gar nicht wolltest, dann muss man das anders erörtern.
Ich glaube ehrlich gesagt trotzdem nicht, dass man sich mit der Frage nach dem "Grauen nach Auschwitz" der Sache sinnvoll annähert, dasi st aber erst einmal eher ein Gefühl. Auf das Böse bin ich auch im Zusammenhang mit Auschwitz gekommen - Hannah Arendt hat ja den Eichmann-Prozess dahingehend charakterisiert, dass da die "Banalität des Bösen", die Veränkerung des Bösen im menschlichen Alltagshandeln, erschreckend zutage getreten sei. Egal, ob man es nun Böse nennen will, es ging mir darum, dass das Entsetzen über die Shoah unter anderem darin besteht, dass an sich vernunft- und empathiebegabte Menschen zu derart schrecklichen Handlungen fähig sind, mehr noch, sie als "normal" empfinden können. Das Grauen, auf das Lovecraft abzielt, ist dagegen viel abstrakter und überhaupt nicht im menschlichen Handeln oder in irgendeinem Auseinanderklaffen von Empathiefähigkeit einerseits und Grausamkeit andererseits verankert, sondern in der Vorstellung von einem prinzipiell nicht zur Empathie und damit auch nicht zum Guten oder Bösen fähigen Außerhalb des Menschen.

Mit dem RSP hat das aber m.E. beides wenig zu tun, da besteht eben eher das Problem, dass das kosmische Grauen fast zwangsläufig auf einen Monsterkanon zusammenschrumpft. Ich glaube, deshalb sind die gruseligsten Cthulhu-Abenteuer oft die weniger Lovecraftianischen. Grusel lässt sich eben meist besser mit Menschen und Halbwesen erzeugen, die tatsächlich zum Bösen befähigt sind - denn die können einen täuschen, hintergehen, mit einem spielen und all das.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: korknadel am 14.04.2010 | 09:43
@nnhndrtzwlf: Natürlich muss man in diesem Zusammenhang vom Bösen reden. Schließlich geht es sowohl in den Geschichten Ls als auch im RSP nicht darum, dass die Leute in einem alten Folianten auf Hinweise auf eine Macht stoßen, die so unvorstellbar gut ist, dass der Verstand es gar nicht fassen kann, sodass man selbigen verlieren muss (wenn einem der entsprechende Wurf misslingt). Die Grundprämisse ist, dass diese fremdartigen, vernunftsprengenden Dinger dem Menschen feindlich gegenüberstehen. Nun könnte man im philosophischen Sinne argumentieren, dass erst böse ist, wer sich bewusst zur Feindseligkeit entschließt, und die Viecher ja aber von (un-)Natur aus dem Menschen schädlich sind. Aber ich glaube, das wäre müßig. Darüber hinaus hast du selbst ja Auschwitz als Referenz in die Diskussion gestellt, und was bitte ist an Auschwitz so unbegreiflich, wenn nicht die abgrundtiefe Bösartigkeit, die dahinter steht?

Und insofern muss ich Achamanian recht geben, dass man bei den Mythosmonstern etwas unpersönlich Böses hat, während wir es in der Menschheitsgeschichte in den meisten Fällen (nämlich abgesehen von "geschichtsrelevanten" Naturkatastrophen etc.) mit Bösartigkeit von Menschen und den von ihnen geschaffenen Gesellschaftssystemen zu tun haben.

Abgesehen, dass ich sehr gut verstehen kann, wieso das Konzept des Wahnsinns aufgrund irgendwelcher Hinweise auf Große Alte nicht so recht zieht, würde ich es aber einfach als Fiktion und Gegebenheit der Rollenspielwelt hinnehmen und meinen Spaß damit haben. Dinge wie Auschwitz und die Atombombe würde ich da nicht hineintragen, denn -- darauf hat Xemides bereits hingewiesen -- wenn ich in DSA eine Feuerlanze abfeuere, nehme ich das auch als Fiktion hin und denke nicht: Eine Kassam-Rakete ist aber das eigentliche Problem, deshalb kann ich mich nicht recht mit einer Feuerlanze abgeben. Oder warum sollte ich vor dem Dämonen Schiss haben, wo ich doch auch vor Gentechnik nicht vor Furcht erbebe?

Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Yerho am 14.04.2010 | 10:16
Der Trick bei Horror-Rollenspielen besteht meines Erachtens generell darin, sehr viel Zeit darin zu investieren, die Spieler etwas aufbauen zu lassen, was man ihnen dann zerstören, wegnehmen oder verdrehen kann. Diese Hinterhältigkeit, die in Fantasy-Settings reine Spielleiterwillkür wäre, ist bei Horror essentiell. Man lässt sich als Spieler quasi explizit darauf ein, herumgestoßen zu werden.

Wenn man zwei Drittel der Kampagne übermenschliches Wissen erworben, die Welt gerettet und sämtliche Soap-Momente (Geld und Gut, Romanzen etc.) zur Zufriedenheit bewältigt hat und dann erfahren muss, dass man die ganze Zeit nur ein Spielball widernatürlicher Kräfte war, alles Wissen nur Wahnsinn, alle Erungenschaften nur geträumt und die gerettete Welt aus dem Geminschaftsschlafsaal einer Nervenheilanstalt bestand, in dem die SCs unter realen, von einem kultisch experimentierenden Arzt verabreichten Drogen stehend in einem gemeinsamen, paranormal induzierten Traum gefangen waren, dann fängt - vielleicht - so etwas wie Grusel an.

Kurz, die Spieler brauchen eine Vorgeschichte, die in Frage gestellt werden kann. Sie brauchen eine Situation, der sie ausgeliefert sind und die sie sich erst erschließen müssen. Und um zu vermeiden, dass mit der Erschließung der Wahreit der Horror nachlässt, müssen die erschlossenen Wahrheiten gelegentlich schlimmer sein als die Realität, die man gerade als Traum erkannt hat.

Beispiel: Im Traum war man verliebt, nach dem Aufwachen weiß man nicht, ob die Person und die Gefühle wirklich existieren und im Laufe des Abenteuers erfährt man, dass der/die Geliebte tot und man selbst sein/ihr Mörder ist. Aber man weiß dann immer noch nicht, warum man zum Mörder wurde oder ob es überhaupt Mord im engeren Sinne war? Vielleicht war es auch Notwehr oder ein Akt der Gnade? Und wenn man die beruhigende Information erhält, dass man kein irrer Mörder ist, kann man wenig später erfahren, dass man sich das nur eingeredet hat oder jemand (ETWAS!) wollte, dass man so denkt und Material entsprechend gefälscht und Wahrnhemung entsprechend getrübt hat.

Die Maxime lautet "konsequente Unsicherheit". Nichts hat Bestand, nichts ist endgültig. Der Spieler muss entscheiden, was sein SC glauben will, aber er kann sich nicht darauf verlassen, dass seine Mitspieler (und damit dessen SCs) dabei mitgehen, bzw. dass die Spielwelt und NSCs die gefasste Meinung akzeptieren.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Blizzard am 14.04.2010 | 10:50
Ich glaube, bei Cthulhu ist es eher am Anfang der Reiz des Unbekannten, der einiges vom Flair ausmacht. Es kann durchaus spannend sein, so einem Mythos-Wesen zu begegenen, bzw. mitzuverfolgen und selbst mitzuerleben, wie der Charakter allmählich ins Wahnsinnige abdriftet. Wie gesagt, das kann spannend sein, wenn man Cthulhu noch nicht kennt. Da kann man sich durchaus schon mal gruseln. Aber mit der Zeit nutzt es sich irgendwie ab, finde ich. Und zwar in der Form, dass man seinen Charakter nicht mehr vernünftig spielen kann, weil man weiss, dass er eh in 90% der Fälle quasi von Anfang an dazu vorverurteilt ist, wahnsinnig (und somit unspielbar) zu werden, oder eh recht früh ins Gras beisst. Klar, gruseln kann man sich trotzdem, aber das oben gennante Problem führt dazu, dass Spieler sich zwar einen Charakter bauen, wenn dem aber eines der oben gennanten Schicksale blüht, zucken die nur mit den Schultern, und nehmen das so hin. Da ist quasi eine Erwartungshaltung vorhanden, dass der Charakter ja eh stirbt bzw. wahnsinnig wird, weil es ja Cthulhu ist. Es ist sozusagen vom System ("gesetzlich") vorgeschrieben, dass der Charakter entweder eh stirbt oder geisteskrank wird. So sehen das viele Spieler, mit denen ich mich darüber unterhalten habe. Ich frage mich ja immernoch, was das Eine mit dem Anderen zu tun hat, aber für viele Spieler ist das bei Cthulhu schon vorgegeben bzw. untrennbar miteinander verknüpft. Klar,mag es immer auch Ausnahmen geben, und auch ich hab schon gute, gruselige Cthulhu-Abenteuer gespielt. Wenn ich aber wirklich Angst bei den Spielern erzeugen will, ein Gruseln, das sich auch wirklich so anfühlt, weil die Spieler unter Adrenalin stehen, dann benutze ich heutzutage viel lieber Dread als System, denn das kriegt dieses "Angstfieber" imho viel besser hin.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Minne am 14.04.2010 | 10:56
Lieber Korknadel, natürlich kann man von dem "Bösen" sprechen. Über die Anwendbarkeit oder nicht anwendbarkeit des Begriffs des "Bösen" will ich aber überhaupt nicht diskutieren, es interessiert mich auch nicht besonders.

Aber ich bitte dich in dem Fall, ohne dass ich dir direkt widersprechen würde, meine Argumentation nachzuvollziehen. Ich habe Ausschwitz und die Bedrohung durch Atomkriege als Beispiel für eine irrationale existenzbedrohende Gefahr genannt. Und dass sowohl die komplette Vernichtung ganzer Länder qua Knopfdruck und die zugehörige Rüstungsspirale, als auch Ausschwitz, dass so viele Leute sprachlos gemacht hat, und dass bis heute nicht vollständig zu erklären ist, auch nicht einfach nur mit der "böswilligkeit" bestimmter Menschen, solche darstellen oder darstellten, wirst du kaum bestreiten. Wenn wir von der Prämisse ausgehen (und das tun meines erachtens nach viele Menschen, die Cthulhu spielen) dass der Horror bei Cthulhu daher kommt, dass man mit solchen irrationalen, existenzbedrohenden Gefahren konfrontiert wird und der eigene charakter dabei den Verstand verliert, dann ist es nur naheliegend, sich anzusehen, wie es sich denn mit solchen Bedrohungen in der Wirklichkeit verhällt. Und dabei ging es mir darum herauszustellen, dass die Konfrontation mit dem Irrationalen ganz anders verläuft als in dem Spiel, ganz abgesehen davon, dass zahlreiche Aspekte der Realität weitaus gefährlicher wirken als die meisten Mythoswesen und dass deshalb der Horror der vom Mythos ausgehen soll schwer nachvollziehbar ist. Dass die Bedrohung durch Cthulhu, ganz abgesehen davon, dass sie fiktional ist, eine andere ist, als die durch von menschlichen Systemen hervorgebrachte Menschenvernichtung, versteht sich eigentlich von alleine, die frage ist doch, ob sie in irgend einer weise vergleichbar sind, und das sehe ich eben in der Irrationalität gegeben. Worum es mir also im Endeffekt ging, war meine These, dass der Horror bei Cthulhu eben durch die Konfrontation mit dem Irrationalen, vom Verstand nicht Fassbaren etc... entsteht, zu destruieren. Mit dem Zweck, zu erklären, warum ich eben bei Cthulhu, bei dem imho eine Variante der genannten These in der Regel eine Grundannahme ist, keinen Grusel empfinde. Man kann jetzt natürlich, wie Achamaian die erste These zurückweisen und erklären dass der Horror (bei Lovecraft zumindest) woanders her kommt. Ist absolut legitim, darüber haben wir ja kurz geredet. Oder man kann die zweite These zurückweisen, und sagen dass diverse irrationale Schrecken unserer Wirklichkeit in keiner Weise mit dem irrationalen Schrecken des Mythos vergleichbar sind. Aber dann frage ich mich erst recht, wie ich mich vor etwas gruseln soll, zu dem ich so überhaupt keinerlei Bezug haben kann und wie das überhaupt sprachlich umgesetzt werden soll, wie am Schluss meines Eingangsbeitrags angedeutet. Ganz abgesehen davon, dass der Dualismus der da aufgemacht wird, Mensch/Kosmos in Lovecrafts geschichten selbst öfters durchbrochen wird, etwa wenn Mischwesen vorkommen oder Menschen als Agenten der großen Alten agieren.

Zitat
Abgesehen, dass ich sehr gut verstehen kann, wieso das Konzept des Wahnsinns aufgrund irgendwelcher Hinweise auf Große Alte nicht so recht zieht, würde ich es aber einfach als Fiktion und Gegebenheit der Rollenspielwelt hinnehmen und meinen Spaß damit haben. Dinge wie Auschwitz und die Atombombe würde ich da nicht hineintragen, denn -- darauf hat Xemides bereits hingewiesen -- wenn ich in DSA eine Feuerlanze abfeuere, nehme ich das auch als Fiktion hin und denke nicht: Eine Kassam-Rakete ist aber das eigentliche Problem, deshalb kann ich mich nicht recht mit einer Feuerlanze abgeben. Oder warum sollte ich vor dem Dämonen Schiss haben, wo ich doch auch vor Gentechnik nicht vor Furcht erbebe?
Das finde ich jetzt auch nicht so ganz hilfreich, ich meine es ging doch nie darum zu sagen, dass Cthulhu keinen Spaß macht sondern darum, dass es eben nicht unheimlich ist. In DSA habe ich mich bisher nicht noch nie gegruselt und habe auch noch nie diese Erwartungshaltung an das Spiel herangetragen.

Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Achamanian am 14.04.2010 | 11:11
Ganz abgesehen davon, dass der Dualismus der da aufgemacht wird, Mensch/Kosmos in Lovecrafts geschichten selbst öfters durchbrochen wird, etwa wenn Mischwesen vorkommen oder Menschen als Agenten der großen Alten agieren.

Nur am Rande angemerkt würde ich das noch etwas radikaler formulieren: Einen Dualismus Mensch/Kosmos gibt es beim kosmischen Schrecken eigentlich so nicht, bzw. die meisten Geschichten, in denen er eine Rolle spielt, lösen diesen vermeintlichen Dualismus auf und gewinnen gerade daraus ihre erschreckende Wirkung.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: korknadel am 14.04.2010 | 12:34
Okay, nnhndrtzwlf, dann gehen wir von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Denn ich würde die von dir genannten realen Schrecken nicht mit dem Horror des Mythos vergleichen, nur weil sie beide irrational erscheinen. Ich sehe da einen grundsätzlichen Unterschied in der Qualität der Irrationalität. Beim Mythos ist sie unverrückbar und als Teil der Fiktion nicht nur gegeben, sondern auch konstitutiv. Bei den realen, von Menschen gemachten Schrecken ist die Irrationalität nur scheinbar. Nur weil die Shoa unbegreiflich ist, bedeutet das ja nicht, dass man nicht versucht und versuchen sollte, sie dennoch zu begreifen. Schließlich ist sie trotz all ihrer Unvorstellbarkeit in ein Gewebe aus historischen, psychologischen, weltanschaulichen, technischen, wirtschaftichen, religiösen und vielen anderen Vorgängen eingebettet, nicht zuletzt auch angekoppelt an menschliche Instinkte wie Angst, Trieb etc. Beim Mythos dagegen wird ganz klar gesagt, dass da etwas Furchtbares ist, was mit all dem nichts zu tun hat, was völlig losgelöst ist von allem Menschlichem. Und das wirklich Furchterregende wiederum an der Shoa zum Besispiel ist ja, dass sie trotz aller unbegreiflichen Unmenschlichkeit, nicht ablösbar vom Menschlichen ist. Das wäre ja beinahe schon wieder apologetisch, wollte man sagen, die Shoa ist genauso ein aus dem Himmel gefallener Schrecken wie die Großen Alten (ich weiß, dass du das niemals sagen würdest, bitte, bitte, ncht missverstehen, aber damit möchte ich nur verdeutlichen, wieso dieser Vergleich für mich einfach überhaupt nicht funktioniert.)

Und deshalb hatte ich die Behauptung aufgestellt, dass man reale Schrecken einfach nicht eins zu eins ins RSP übertragen kann. Von daher gebe ich dir auch recht, dass die Konfrontation mit dem Irrationalen in der Wirklichkeit anders verläuft als im Spiel bzw. der Fiktion. Weshalb man sie aber nebeneinander halten sollte oder daraus gar ableiten sollte, dass der eine (fiktive) Schrecken wegen des anderen (realen) nicht (oder nicht so gut) funktioniert, leuchtet mir nicht ein. 
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Achamanian am 14.04.2010 | 15:09
Und deshalb hatte ich die Behauptung aufgestellt, dass man reale Schrecken einfach nicht eins zu eins ins RSP übertragen kann. Von daher gebe ich dir auch recht, dass die Konfrontation mit dem Irrationalen in der Wirklichkeit anders verläuft als im Spiel bzw. der Fiktion. Weshalb man sie aber nebeneinander halten sollte oder daraus gar ableiten sollte, dass der eine (fiktive) Schrecken wegen des anderen (realen) nicht (oder nicht so gut) funktioniert, leuchtet mir nicht ein. 

Ja, das ist der Punkt, wo ich das Aneinanderhalten von Realität und Fiktion auch nicht verstehe. Natürlich hat die Fiktion was mit realen Ängsten zu tun, aber doch nicht in diesem 1:1-Verhältnis.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Achamanian am 14.04.2010 | 15:50
Den gesamten letzten Argumentationsketten kann ich nicht folgen, denn Schrecken ist nie real. Er entsteht durch eine bedrohliche Einordnung der Wahrnehmung. Das Spiel gehört ebenfalls zur Realität, aber die Einordnung der Information ist psychischer Natur.

Wieso sollen psychische Zustände denn nicht "real" sein? Oder meinst du jetzt objektiv? das wäre aber wieder was anderes.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: ErikErikson am 14.04.2010 | 15:52
Ich bin zwar kein Admin, aber das gehört vielleicht besser in nen anderen Thread.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Minne am 14.04.2010 | 16:43
Zitat
Bei den realen, von Menschen gemachten Schrecken ist die Irrationalität nur scheinbar. Nur weil die Shoa unbegreiflich ist, bedeutet das ja nicht, dass man nicht versucht und versuchen sollte, sie dennoch zu begreifen. Schließlich ist sie trotz all ihrer Unvorstellbarkeit in ein Gewebe aus historischen, psychologischen, weltanschaulichen, technischen, wirtschaftichen, religiösen und vielen anderen Vorgängen eingebettet, nicht zuletzt auch angekoppelt an menschliche Instinkte wie Angst, Trieb etc. Beim Mythos dagegen wird ganz klar gesagt, dass da etwas Furchtbares ist, was mit all dem nichts zu tun hat, was völlig losgelöst ist von allem Menschlichem. Und das wirklich Furchterregende wiederum an der Shoa zum Besispiel ist ja, dass sie trotz aller unbegreiflichen Unmenschlichkeit, nicht ablösbar vom Menschlichen ist. Das wäre ja beinahe schon wieder apologetisch, wollte man sagen, die Shoa ist genauso ein aus dem Himmel gefallener Schrecken wie die Großen Alten.


Hm, das ist natürlich richtig. Man könnte argumentieren, dass es, da es ja um die Wirkung (Horror) nicht eigentlich darum geht, ob etwas prinzipiell irgendwann rational fassbar ist, sondern ob es für diejenigen, die damit konkret konfrontiert sind, in ihrer jeweiligen Situation möglich ist, es irgendwie zu verstehen. Gerade am Holocaust ist ja für viele ein rationalistisch-fortschriftsoptimistisches Weltbild zerbrochen, bis dazu aedequate Worte gefunden worden sind, hat es einige Zeit gedauert. Auf der anderen Seite sind die Mythoswesen mittlerweile auf eine Art und Weise katalogisiert und kanonisiert, die von ihrem die Vernunft sprengenden Charakter in der Regel gerade mal so viel übrig lasst, wie die entsprechende Behauptung. Aber ich weiß nicht, ob die Diskussion darüber jetzt irgendwohin führt.

Zitat
Weshalb man sie aber nebeneinander halten sollte oder daraus gar ableiten sollte, dass der eine (fiktive) Schrecken wegen des anderen (realen) nicht (oder nicht so gut) funktioniert, leuchtet mir nicht ein.

Hm. Ich weiß nicht, ob ich das Problem verstehe. Du stimmst also meinem Fazit zu, aber nicht meiner Vorgehensweise? Ich habe etwas gesucht, dass man als Irrationale Bedrohung bezeichnen kann, und dass bei mir (und anderen) eine Reaktion der Angst auslöst um durch den Vergleich zwischen Spielrealität und Wirklichkeit zu zeigen, wie sich die "simulierte", spielweltinterne Schreckenserfahrung von der realen unterscheidet, bzw. wie schwer nachvollziehbar die in der Spielrealität den Geist zerstörende, Panik versursachende Wirkung der Mythoswesen ist. Scheinbar ist mir das nicht gelungen. Hm.

Gestern habe ich, nebenbei, zur Vorbereitung auf ein Seminar Celans Todesfuge gelesen und es hat in mir unwillkürlich einen Angstzustand ausgelöst, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ein angenehmer Schauder war das nicht mehr und irgendwie ist es gerade auch nicht angenehm, darüber zu schreiben. Womit zumindest einem Aspekt meines Eingansposts gerade vermutlich ein bisschen widerspreche.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: korknadel am 15.04.2010 | 08:39
Der Punkt ist, dass ich dich im Prinzip sehr gut verstehe und auch die Ansicht teile, dass diese Panik angesichts der Mythoswesen schwer nachvollziehbar ist. In Lovecrafts Geschichten ist die Darstellung dieses Wahnsinns zumeist sehr gut gelungen (mit den unpersönlichen kosmischen "Feindkräften" hat er ja auch ein Bild geschaffen für ganz reale Ängste seiner Zeit), im RSP nimmt man diese Darstellung als Schablone, anhand derer man das Entsetzen "nachstellt". Damit das funktioniert, braucht es aber m.E. keine Nachvollziehbarkeit, sondern die Bereitschaft der Spieler, dies einfach hinzunehmen und sich quasi hineinzusteigern. In diesem Sinne war auch mein Vergleich mit der Feuerlanze etc. gemeint, die ebenso wenig nachvollziehbar ist, die mir im Spiel aber todernst sein kann, wenn ich mich darauf einlasse.

In deinem Eingangspost lese ich nur irgendwie heraus, dass du dich bei CoC gruseln würdest, wenn der Grusel dort mehr so ablaufen würde wie im "richtigen" Leben. Und da gehe ich eben nicht mehr mit, vor allem, wenn es nicht um einen nächtlichen Spaziergang durch den Wald, sondern um Auschwitz geht, und da hast du mir mit deiner Anmerkung über die Todesfuge das Argument schon vorweggenommen (wobei ich darauf mit meiner Darstellung der unterschiedlichen Irrationalität auch schon hinaus wollte): Das Nachstellen von Angst mithilfe künstlicher Destillate wie den Mythoswesen und dem Verlust der geistigen Gesundheit hat seinen Reiz und seine Berechtigung aufgrund einer gewissen kathartischen Wirkung. Darum kann das funktionieren, gerade weil es fiktiv und an realen Verhältnissen gemessen nicht nachvollziehbar ist. Wenn mir dagegen die Beschäftigung mit dem Holocaust oder der Atombombe das Weltvertrauen raubt, geht es nicht mehr um handelsüblichen Horror, sondern um handfeste (Lebens-)Krisen. Wie du geschrieben hast: der Schauder ist nicht wohlig.

Ich meine, ziemlich genau zu verstehen, was du meinst udn worauf du hinaus willst. Wenn ich mir das aber konsequent durchdenke, dann kommt eben der Punkt, wo mir die Sache unangenehm wird. Denn es kann ja nicht Ziel sein zu sagen, man müsste irgendwie die Todesfuge in CoC einbauen, damit der Grusel für mich nachvollziehbar wird. Und um den Abstieg in den Wahnsinn plausibler zu machen, kopieren wir die Traumata, die Leute wie Paul Celan, Primo Levi oder Jean Améry in den Freitod getrieben haben, weil sie an dem unfassbaren Schrecken der Shoa zu beißen hatten. So explizit hast du das freilich nicht gesagt.

Von daher finde ich die Beobachtung richtig: Der Mythoshorror in CoC ist nicht recht nachvollziehbar, der reale Schrecken über eigentlich nicht Fassbares dagegen ist ungleich nachhaltiger, vielschichtiger, paradoxer etc. Auf dieser Beobachtung aber eine Kritik aufzubauen, das halte ich eben nicht mehr für gangbar.

Aber dabei lass ich's jetzt auch, damit der Thread wieder mehr Platz für die Großen Alten hat.

Lieben Gruß
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Minne am 15.04.2010 | 11:14
Ah, okay, jetzt verstehe ich was du meinst. Freilich liest du da etwas hinein, dass ich nicht gemeint hatte, und woran ich bei diesem Argument auch überhaupt nicht gedacht hatte: Nämlich daraus einen konstruktiven Vorschlag zu machen, wie Cthulhu aussehen müsste, um echter Horror zu sein. Die Konsequenz, die du ziehst, würde ich genauso ablehnen wie du. Ich hätte da viel trivialere Vorschläge, die ich glaube ich auch angedeutet hatte, nämlich den Fokus weg zu nehmen von dem Mythos und stärker die Beziehung der Charaktere untereinander und zu ihrem Umfeld aufzubauen. Weg von den Holzhämmern und mehr Subtilität. Wobei ich auch finde, dass Cthulhu nicht unbedingt gruselig sein muss. Eine meiner Lieblingsgeschichten von Lovecraft "Das merkwürdige, hochgelegene Haus im Nebel" finde ich zum Beispiel überhaupt nicht bedrohlich, das könnte auch fast eine romantische Erzählung sein.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: korknadel am 15.04.2010 | 11:27
Dann sorry wegen des Missverständnisses, aber die "Auschwitz-Keule" ( :Ironie:) hat mich hier einfach auf den Holzweg gelockt.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Arkam am 15.04.2010 | 12:43
Hallo zusammen,

für mich stellt sich Cthulhu als Regelsystem selbst ein Bein.

Durch den starken Zufallsanteil bei der Charaktererschaffung und der Möglichkeit seinen Charakter perfekt mit den falschen oder viel zu niedrigen Fertigkeiten auf zu stellen fehlt einem manchmal die Identifikation und damit auch die Sorge um den Charakter.
Verstärkt wird das dadurch das sich die Charakter kaum verändern. Ein neuer Charakter ist also auch von der Mechanik des Spiels
her nicht unbedingt ein Nachteil. Gerade bei einer Ressource wie der geistigen Stabilität eher von Vorteil.

Der Wahnsinn kommt rein Mechanisch ins Spiel. Jede Situation bringt eben eine Probe und davon abhängig den Verlust einer Ressource ins Spiel. Verliere ich zu viel so bekomme ich einen regeltechnischen Nachteil.
Da gibt es ein Mal Situationen bei denen diese Regelung die aufgebaute Stimmung zerstören kann. Man nährt sich einem Monsterhort und findet die erste Leiche die beweist das dieses Monster existieren könnte. Jetzt greift die Spielmechanik und die Stimmung weicht dem Rechnen.
Das Verfahren ist zwar fair aber es kann schon im Anfang dafür sorgen das Charaktere ausfallen oder sich verändern.
Da wäre eine Endabrechnung vielleicht gelungener. Oder auch das Setzen von Abrechnungspunkten an denen sich die Spieler entspannen können und die regeltechnischen Konsequenzen gezogen werden. In die neue Etappe ziehen dann die angepassten Charaktere.

Zudem entsprechen viele Vorstellungen wie etwa verschiedene menschliche Vorfahren, der heutige Mensch nicht als Herrscher über die Welt und seltsame Effekte wie etwa in der Quantenphysik heute zum Wissensschatz dazu. Begreifen tue ich die auch nicht aber ich kann damit leben ohne in den Wahnsinn zu verfallen.

Zudem hat man beim Lesen, ich bin Sammler aber nicht aktiver Spieler, vieler Abenteuer das Gefühl das ein aktives Handeln der Spieler gar nicht in die Planung der Abenteuer Autoren eingegangen ist. Entsprechend liest man im offiziellen Forum auch immer wieder das es den Spielern darum geht ihren Charakter aus zu spielen und nicht etwa darum eine Aufgabe zu meistern. Diese Distanz führt dann eben dazu das man wiein einem Ausflugsboot das Szenario bewundert aber sich eben nicht persönlich mit einbeziehen lässt.

Gruß Jochen
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Achamanian am 15.04.2010 | 12:54
Zudem hat man beim Lesen, ich bin Sammler aber nicht aktiver Spieler, vieler Abenteuer das Gefühl das ein aktives Handeln der Spieler gar nicht in die Planung der Abenteuer Autoren eingegangen ist. Entsprechend liest man im offiziellen Forum auch immer wieder das es den Spielern darum geht ihren Charakter aus zu spielen und nicht etwa darum eine Aufgabe zu meistern. Diese Distanz führt dann eben dazu das man wiein einem Ausflugsboot das Szenario bewundert aber sich eben nicht persönlich mit einbeziehen lässt.

Gruß Jochen

Mit den Problemen des Regelsystems hast du im Großen und Ganzen Recht, finde ich, bei den Abenteuern nur bedingt. Viele der amerikanischen Cthulhu-Klassiker sind sehr stark vom Handeln der SC abhängig, wenn man es bei den Abenteuern aus "Grauen in Arkham" als Spieler mit Sightseeing versucht, wird man wahrscheinlich gehörig auf die Nase fallen und entweder gar nichts erleben oder draufgehen. Andererseits gibt es viele Abenteuer, in denen man als SC auch eher passiv warten kann, was da kommt - mindestens eines davon (im Marokko-Band) habe ich geschrieben, und ich bin bis heute stolz darauf, dass es mir gelungen ist, eine innerweltliche Begründung für eine Railroading-Vorgabe zu finden ;)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Arkam am 15.04.2010 | 13:04
Hallo Achamanian,

wie gesagt da ich kein Spieler bin bin ich auf Dritte oder das Lesen der Abenteuer angewiesen.
Zudem kann ich mich nur auf das deutsche Material stützen.

Aber gerade wenn man die teilweise sehr harten Antworten liest die man bekommt wenn man bei den Abenteuern auf Probleme mit kreativen Spielern hinweist denke ich schon das es einen Anteil an Spielern gibt für die diese gelenkten Abenteuer eben die normalen Cthulhu Abenteuer sind und Abweichkler das Spiel zerstören wollen.

Gruß Jochen
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Blizzard am 15.04.2010 | 13:14
Da gibt es ein Mal Situationen bei denen diese Regelung die aufgebaute Stimmung zerstören kann. Man nährt sich einem Monsterhort und findet die erste Leiche die beweist das dieses Monster existieren könnte. Jetzt greift die Spielmechanik und die Stimmung weicht dem Rechnen.
Naja, das wäre dann aber nicht nur bei Cthulhu der Fall, sondern auch in anderen, ähnlich gelagerten Systemen, wie z.B. Deadlands.Da ich bei letzterem auch ganz gerne einen Horroranteil verwende, und die Spieler dann bei gewissen Sitautionen entsprechend würfeln lasse, kann ich aus Erfahrung sagen, dass das nicht der Fall ist, dass durch die Spielmechanik die Stimmung bzw. Immersion gestört wird. Weder bei Cthulhu noch bei Deadlands. Und wenn das doch der Fall sein sollte, dann war von Anfang an nicht genügend Stimmung da, oder sie war nicht tiefgreifend genug.

Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Grubentroll am 12.07.2010 | 15:38
Zum Themenbereich "Ist Cthulhus Horror noch zeitgemäss?" fällt mir da Cloverfield ein.

Ich empfand den Film doch als stark "Cthulhuid". Zwar mit der Brechstange, aber die orginal "Call of Cthulhu"-Geschichte Lovecrafts ist auch nicht viel subtiler.

Man hätte Clover auch durch Cthulhu austauschen können in gewisser Art und Weise.

Ich hab mich da schon gegruselt, muss ich zugeben.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Frunobulax am 10.09.2010 | 15:56
Auch wenn der Thread schon fast kalt ist ... this is not dead ...

Aus langjähriger Erfahrung als Cthulhu-SL kann ich sagen, das man bei Chtulhu sowohl einen Pulp-, als auch als Grusel/Horrorplot ansetzen kann - wie bei allen Rollenspielhintergründen. Schließlich kommt es auf die Spielerschaft (SL + Spieler) an was sie draus machen.
Die Spielwelt ist vielleicht nicht jedermanns Sache, das kann ich verstehen.
Das System ist funktionell und in seiner Basisausstattung nicht auf lange Kampagnen ausgelegt. Was unausgewogenheit der Charaktere bei der Erschaffung angeht, so haben wir damit nie Probleme gehabt, da die Werte nur Mittel zum Zweck waren. Es ging eher um das Spielen der SCs, die Werte waren Richtlinien welche ab und an die auch in die Spielwelt eingeflossen sind (ein Prof. mit 90 Archäologie ist nun mal eine wenn nicht die Koryphäe auf seinem Gebiet).
Das mit dem Sightseeing empfand ich immer als angenehm, denn in Cthulhu muß man sich keine neue Welt erschaffen, diese gibt es nämlich schon und jeder weiß sich (mit einigen zeitlichen Anpassungen) darin zu bewegen. Daher kann man sich ganz auf Plot und Charaktere konzentrieren.Was Lovecraft angeht, so waren seine Themen damals wirklich so etwas wie revolutionär, denn er erschuf ein Bild in welchem der Mensch gegenüber des vorherrschenden Zeitgeists ein Nichts war.

MfG
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Arkam am 14.01.2012 | 22:35
Hallo zusammen,

warum man sich bei Cthulhu nicht mehr gruseln kann?
Der Dork Tower Cartoon unter http://www.dorktower.com/2011/07/26/dork-tower-tuesday-july-26-2011/ gibt da die perfekte Antwort.

Gruß Jochen
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Tim Finnegan am 14.01.2012 | 22:52
Warum eigentlich? Ich fand immer, es ist vollkommen ok das Spiel mal vorher zu besprechen und klar zu stellen was denn nun der Horror war den Lovecraft da sah und beschrieben hat. Wer bei "Wir opfern uns mehr oder weniger damit die Menschheit es nicht tun muss" nicht mitspielen will, soll es sein lassen.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: thestor am 28.01.2012 | 08:51
Zu Horror:
GURPS schreibt da (meiner Meinung nach ganz richtig) sowohl in der dritten wie auch vierten Edition, dass Horror von der ganzen Gruppe gewünscht und gefördert werden muss. Es reicht nicht, dass der Spielleiter versucht Horror zu machen, die ganze Runde muss mitmachen und aktiv die Horroratmosphäre pflegen.

Zum Cthulhu-Mythos:
Ich stimme zu dass ein paar Fischmenschen, Tentakelmonster oder etwas Magie nicht wirklich geeignet scheinen, dass groß der Menschen in den Wahnsinn zu treiben. Andere Autoren haben soweit ich weiß auch eher darauf verwiesen, dass der Cthulhu-Mythos zu extrem fremdartig ist, dass der menschliche Verstand daran zerbricht ihn zu verstehen, eine meiner Meinung nach bessere Herangehensweise. Natürlich ist man als Spieler dann distanzierter davon was dem Charakter passiert, man weiß es ja nicht und es kann qua Definition nicht beschrieben werden. Wenn sich die Gruppe aber darauf einlassen kann hat es den Vorteil, dass man nicht suchen muss welche Ängste-Knöpfe man bei welchem Spieler drücken muss, was ja auch wieder ganz eigene erhebliche Nachteile haben kann, wie hoier schon deutlich gemacht wurde.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: der.traeumer am 28.02.2012 | 18:04
ich hab deinen Post mal auf die -für mich relevanten Stellen- gekürzt:

(...) Zumindest die meisten Abenteuer sind es nicht, und das liegt imho weniger an schlechten Abenteuerdesign als an zentralen Bestandteilen der Cthulhu-Welt und des Systems. (...)

Nun, seit Ausschwitz wissen wir denke ich recht gut, dass die Menschen mit etwas absolut wahnsinnigem, jeder Humanität oder Rationalität trotzendem Grauen konfrontiert werden können, und dabei, solange es ihre Existenz nicht direkt bedroht, ohne bleibende psychische Schäden davon kommen können.
(...)

Diese sollen irgend eine irrationale Bedrohung darstellen, dennoch finden sich die ganzen Mythoswesen sauber katalogisiert und kanonisiert in der Wikipedia aufgereit. Der Mythos ist banal geworden, die Entwicklung der Welt seit Lovecraft lässt seine Phantasien fast schon grau aussehen.
(...)

Damit will ich nicht sagen, dass es nicht auch gute, oder sogar gruselige Cthulhu Abenteuer (oder Lovecraft-Geschichten) gibt, aber sie sind imho in der Regel nicht primär wegen dem Mythos gruselig, sondern weil bestimmte Ängste und Unsicherheitsmomente psychologisch geschickt verwendet werden. Dies habe ich bei Cthulhu aber bisher fast nie erlebt.

1.
Ich denke nicht, dass der Mythos der Grund ist warum bei dir/euch keine "Stimmung" auf kommt... Der Mythos ist quasi das metaphysische/physische Gerüst der lovecraftischen bzw. der CoC-Welt. Die Wesenheiten sollen den Spielern nicht den Horror zeigen, sie sind Mittel zum Zweck.
In diesem Sinn sind sie imho vergleichbar mit jedem beliebigen Pantheon in anderen -z.B. Fantasy-RPGS.
Wie ich CoC verstehe sind die Mythoselemente dazu da in der Kombination zwischen Mythos, Plot und moralischen Dilemmas eine Gesamtatmosphäre zu erzeugen. Ähnlich formulierte HPL es wenn er sagte, das es das genuine Ziel einer Geschichte und der enthaltenen Figuren ist eine Stimmung hervor zu rufen.

2.
Bitte keine Argumentation die auf "Auschwitz" basiert... das finde ich fragwürdig...
Aber um den Kern dieser Aussage anzugehen:
CoC funktioniert -wie viele hier schon sagten- am besten in den 20ern... Um in der Gegenwart bestand zu haben muss man den Mythos der Zeit anpassen... wie es NOW zB tut. Delta Green kenne ich nur vom hören sagen.

3.
Hier trennt sich Spieler- und Charakter-wissen. Ich meine : nach 5-6 Quests bei Parthfinder weiß Ich (Spieler) auch wie gespenstisch und gefährlich Ustalav ist... mein Barde (SC) muss das noch lange nicht wissen... dieser Gedanke ließe sich unendlich erweitern.

4.
Richtig. Der Mythos ist nicht das was den Horror ausmacht, sondern die Auswirkungen des Mythos auf die Charaktäre.
Klar ist der Horror nicht so groß wenn der CHA weiß, dass es ein Wesen gibt, das nachts um die Häuser streift.... anders wirds, wenn die geliebte kleine Tochter abends nicht vom Spielplatz zurück kommt o.ä. .

Was ich sagen will:
In deinen Aussagen sehe ich eher Probleme generell Horror zu erzeugen... dafür kann der Mythos nichts ;)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: boooh am 17.04.2012 | 19:46
Es ist heute ja schon generell schwer mal wieder die Gruselstimmung der Frührern Jahre zu erzeugen
(da hatten mit 14/15 teilweise schon Tiere mit Rotglühenden Augen u.ä. gereicht)
besonders schlimm wurde es letztens, hiernach
http://pantsudaisuki.wordpress.com/2012/04/15/haiyore-nyarlko-san-01/
war es einfach unmöglich den Chuthulhu Mytos noch ernsthaft als Gefahr darzustellen ^^
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: tartex am 29.10.2012 | 16:59
Nun, seit Ausschwitz wissen wir denke ich recht gut, dass die Menschen mit etwas absolut wahnsinnigem, jeder Humanität oder Rationalität trotzendem Grauen konfrontiert werden können, und dabei, solange es ihre Existenz nicht direkt bedroht, ohne bleibende psychische Schäden davon kommen können.

Ich denke, dass es schon einen Aspekt von Cthulhu gibt, der durch unser Menschheitsverständnis irgendwie von uns automatisch ausgeblendet wird.

Und zwar geht es bei Cthulhu (bzw. einer funktionierenden Interpretation) davon, nicht um das intellektuelle Scheitern an der Wahrheit über des Universums. Sondern um den System Shutdown des menschlichen Körpers. Body Horror der anderen Art und Lovecraft ist ja mit Body Horror am besten. Ich habe das mit dem Beispiel Shell Shock (http://tanelorn.net/index.php?topic=75252.0) mal ausgeführt. Das waren Leute, die selbst wenn sie wußten, dass die eigenen Leute sie als Feiglinge und Deserteure erschießen würde, nicht in der Lage waren, mehr als zu zittern, wenn sie laute Geräusche hörten.

Alles was mit (Kriegs)Zitterei (http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegszitterer) und evtl.Kriegstrauma (http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegstrauma) zu tun hat, wäre mal interessant im Kontext des Cthulhu'schen Wahnsinns zu erforschen.

Zugegebenermaßen wird das in Lovecraft's Texten nicht wirklich transportiert, oder nur implizit.

(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/cc/Shellshock2.jpg/300px-Shellshock2.jpg)
Hier gibt es einiges zu lesen: Combat Stress Reaction (http://en.wikipedia.org/wiki/Combat_stress_reaction)

Und das finde ich extrem beängstigend. Aber wäre wohl eine Neuinterpretation und ist evtl. einfach deshalb noch nicht so abgenutzt.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Bad Horse am 29.10.2012 | 17:02
Ich empfehle zu dem Thema Charles Stross' Laundry Files - eine Art Mischung aus dem Cthulhu-Mythos und James Bond.

Die sind teilweise schon ganz schön unheimlich.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Yerho am 30.10.2012 | 15:04
Der ganze Cthulhu-Mythos funktioniert in passiven Medien, weil dort der Autor präskriptiv vorgehen kann, also einfach festlegt, dass die Protagonisten angesichts des gesehenen und erlebten Grauens reihenweise in Wahnsinn verfallen. Als Rezipient hat man dann die Wahl, ob man sich vom Grauen anstecken lässt - falls ja, ist es aber eigentlich nicht das eigene Grauen vor den Grauenhaften, sondern eher die Empathie mit den Protagonisten. Wodurch diese konkret irre werden, ist dabei nahezu nebensächlich - wenn's eindringlich geschrieben wird, ist das Ganze ansteckend, auch wenn der rationale verstand einem sagt, dass man selbst durch das, was den Protagonisten da gerade zusetzt, als abgehärteter Mensch des 21. Jahrhunderts wahrscheinlich nicht wahnsinnig werden würde. Oder zumindest nicht wahnsinniger, als der Durchschnitt ohnehin schon ist; schließlich ist auch Normalität relativ.

Manche Menschen werden wahnsinnig, wenn man sie fünf Minuten in eine Kiste sperrt, andere schlafen seelenruhig zwischen menschlichen Kadavern oder können das Nachmittagsprogramm des privaten Fernsehens genießen. Das ist eine Frage der jeweiligen Erfahrungen, von Gewohnheit und der seelischen Abhärtung gegen Dinge, die gemeinhin als unangenehm empfunden werden. Was aber fast immer funktioniert ist der Gruppentrieb. Wenn genug Menschen panisch reagieren, wird auch jemand panisch reagieren, der den Grund für die Panik gar nicht kennt. Und dabei ist es wiederum egal, ob da echte Menschen oder fiktive Charaktere panisch reagieren; ja es ist noch nicht einmal ein besonderer Bezug zu diesen Menschen nötig.

Das alles klappt bei Rollenspiel leider überhaupt nicht, weil man den Protagonisten direkt verkörpert, also auch direkt vom Grauenhaften erschreckt werden müsste. Die Trennung zwischen Spieler und SC tut ihr Übriges: Gerade wenn man sich darauf konzentriert, seinen SC möglichst stimmig als zu Tode geängstigt und dem Wahnsinn nahe darzustellen, vergrößert sich die eigene Distanz zum Geschehen und die Sachlichkeit verhindert eigenes Entsetzen.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: angband am 30.10.2012 | 15:20
[...] Als Rezipient hat man dann die Wahl, ob man sich vom Grauen anstecken lässt - falls ja, ist es aber eigentlich nicht das eigene Grauen vor den Grauenhaften, sondern eher die Empathie mit den Protagonisten. Wodurch diese konkret irre werden, ist dabei nahezu nebensächlich - wenn's eindringlich geschrieben wird, ist das Ganze ansteckend [...]

Wieso sollte das beim Rollenspiel anders sein. Du fühlst doch auch mit deinem Charakter mit, stellst dir so richtig schön gruselige Situationen vor usw. Ich finde das klappt super beim Cthulhu Rollenspiel.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: ErikErikson am 30.10.2012 | 15:24
Bei unseren Cthulhu Runden gibts zwei Arten Spieler. Die eine Art will geradezu wahnsinnig werden, steigert sich entsprechend immersionistsch rein und man muss da nicht mehr viel tun. Ob das jetzt grusel ist, sei dahingestellt, die Leute sind jedenfalls zufrieden.

Die andere Art will überleben und bleibt wenn möglich im gesitig normalen Bereich. Das sind die Leute, die ihre geisteskrankheiten schnell wieder "vergessen." Die kann man sehr leicht packen, wenn man das Unheimliche aggressiv werden lässt. Dann reagiert dieser Typ mit gegenangression, und wird ein ebensolches Monster.
bestes Beispiel unsere eigene Runde: Im Dschungel hockt ein Wahnsinniger alle Apokalypse Now. Die SC werden zu ihm gebracht, und er erzählt von seiner nihilisitischen Philospohie. Daraufhin wurde er dann von Typ 2 glatt erschossen, obwohl er keinerlei körperliche Gewalt angewendet hat. Das ist für mich echter Grusel.  

Noch eine Fußnote: Richtig gruseln tu ich mich bei "Slender" dem CRPG. Das hab ich nach zweimal spielen nie wieder angefasst. Ich kann sehr gut auf starken Grusel verzichten. Cthulhu ist nicht fürs Gruseln gemacht, sonden für Atmosphäre.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Oberkampf am 30.10.2012 | 15:28
Mal ganz ernsthaft (weil gerade "Halloween" vor der Tür steht): Haltet ihr das mit dem nicht ernstnehmen für ein Cthulhu-Problem, oder ist das nicht eher ein generelles Horror-Problem?
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Chrischie am 30.10.2012 | 15:41
Mal ganz ernsthaft (weil gerade "Halloween" vor der Tür steht): Haltet ihr das mit dem nicht ernstnehmen für ein Cthulhu-Problem, oder ist das nicht eher ein generelles Horror-Problem?

Es ist ein generelles Problem des Horror-Rollenspiels. Der Spieler muss sich gruseln wollen. Bei Cthulhu ist es noch verschärft, das Cthulhu mittlerweile eher lustig ist. (Cthulhu for Presdient - Kampagne, Comics und Plüschfiguren)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: tartex am 30.10.2012 | 17:20
Ich konnte mich in meinem ganzen Leben beim Lesen von Büchern noch nie gruseln. Bei Filmen geht das ganz gut.

Lovecraft habe ich erst zu schätzen gelernt, seitdem ich nicht mehr erwarte, dass es unheimlich sein soll, sondern andere Aspekte beachte.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: tartex am 16.04.2024 | 09:50
Eine neue, interessante Arte des Wahnsinns, die ich entdeckt habe, und die zeitlich irgendwie reinpasst.

Prairie Madness (https://en.wikipedia.org/wiki/Prairie_madness)

Shining und Hüttenkoller sind davon natürlich auch nicht sooooo weit entfernt.

Was ich am spannendsten fand: angeblich hat es norwegische Siedler am stärksten betroffen, weil die die unendliche Weiten am wenigsten abkonnten.  :o
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: aikar am 16.04.2024 | 11:09
Der Wahnsinn kommt rein Mechanisch ins Spiel. Jede Situation bringt eben eine Probe und davon abhängig den Verlust einer Ressource ins Spiel. Verliere ich zu viel so bekomme ich einen regeltechnischen Nachteil.
Da gibt es ein Mal Situationen bei denen diese Regelung die aufgebaute Stimmung zerstören kann. Man nährt sich einem Monsterhort und findet die erste Leiche die beweist das dieses Monster existieren könnte. Jetzt greift die Spielmechanik und die Stimmung weicht dem Rechnen.
Das Verfahren ist zwar fair aber es kann schon im Anfang dafür sorgen das Charaktere ausfallen oder sich verändern.
Da wäre eine Endabrechnung vielleicht gelungener. Oder auch das Setzen von Abrechnungspunkten an denen sich die Spieler entspannen können und die regeltechnischen Konsequenzen gezogen werden. In die neue Etappe ziehen dann die angepassten Charaktere.
Evtl. probierst du es mal mit Mythos World (PbtA).

Zudem entsprechen viele Vorstellungen wie etwa verschiedene menschliche Vorfahren, der heutige Mensch nicht als Herrscher über die Welt und seltsame Effekte wie etwa in der Quantenphysik heute zum Wissensschatz dazu. Begreifen tue ich die auch nicht aber ich kann damit leben ohne in den Wahnsinn zu verfallen.
Ja, das habe ich in unserer Runde auch schon ein paarmal angesprochen. Man merkt die Zeit, in der Lovecraft gelebt hat. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sind viele gesellschaftliche Grundlagen wie der christliche Glaube, die Überlegenheit des weißen Mannes (Kolonialsystem), die mittelalterliche gesellschaftliche Hierachie etc. in Frage gestellt worden. Das war für die Menschen damals sicher eine heftige Umstellung und das Herabstoßen des Menschen von der erwählten Position, von der er sich die Erde untertan machen soll, zur absoluten Nichtigkeit des Cthulhu-Mythos (meist noch ohne Chance auf irgendeine göttliche Erlösung) war wohl eine schreckliche Vorstellung. In den seitdem vergangenen Jahrzehnten haben wir uns (zumindest in der westlichen Welt) damit abgefunden, dass wir nach kosmischen Maßstäben nichtig sind und es keine Absolution geben wird. Bescheidener hat uns das interessanterweise trotzdem nicht gemacht. Wir nehmen es halt einfach mit einem Schulterzucken hin.
Dazu kommt natürlich die allgemeine Abstumpfung gegenüber Horror über die letzten Generationen. Allgemein finde ich ziehen inzwischen Body-Horror und Psycho-Horror noch am besten. Und die kommen ja durchaus auch in manchen Cthulhu-Geschichten und Abenteuern vor. Der reine Nihilismus ist halt nicht mehr das zündende Element.

Zudem hat man beim Lesen, ich bin Sammler aber nicht aktiver Spieler, vieler Abenteuer das Gefühl das ein aktives Handeln der Spieler gar nicht in die Planung der Abenteuer Autoren eingegangen ist. Entsprechend liest man im offiziellen Forum auch immer wieder das es den Spielern darum geht ihren Charakter aus zu spielen und nicht etwa darum eine Aufgabe zu meistern. Diese Distanz führt dann eben dazu das man wiein einem Ausflugsboot das Szenario bewundert aber sich eben nicht persönlich mit einbeziehen lässt.
Zum Teil ist es natürlich ein grundlegendes Thema, dass Horror eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber der Situation voraussetzt. Aber ja, die Call-of-Cthulhu-Abenteuer scheinen sich auch seit den 90ern nicht weiterentwickelt zu haben. Wobei mich da mehr die elendslangen Fließtexte ärgern. Ein Beispiel für mich ist der recht neue Sammelband "Ein Abend mit dem Grauen". Die Abenteuer, die explizit für One-Shots gedacht sind, haben großteils mehr als 20 sehr textlastige Seiten (Handouts nicht mitgerechnet). Das ist deutlich mehr, als ich für einen Abend durchackern will.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: nobody@home am 16.04.2024 | 11:53
Na ja, persönlich bin ich eh nicht so der ganz große Hardcore-Horror-Fan und betrachte Lovecrafts Schreibe auch mehr als klassische "Weird Fiction" oder vielleicht auf neudeutsch "Mystery" und weniger als "Horror pur". Außerdem übertreiben mir's viele Cthulhu-Systeme, mit CoC gleich angefangen, deutlich mit dem Holzhammer "Mythoswahnsinn" -- es ist ja eine Sache, wenn hinreichend unschöne Ereignisse bei jemandem (kann auch ein Spielercharakter sein) tatsächlich mal ein bleibendes Trauma hinterlassen, aber der grundlegende Die-Wahrheit-hält-Mensch-doch-nicht-aus-Ansatz ist mir zu stark eine Frage des persönlichen Glaubens, um bei allen gleich überzeugend anzukommen (bei mir beispielsweise verfängt er einfach nicht so recht).

Aus meiner Sicht funktioniert ein "cthulhoides" Abenteuer dann am besten, wenn es tatsächlich mit etwas Neuem und Fremdem aufwarten kann, das dazu geeignet ist, am Weltbild zumindest der Charaktere (und vielleicht auch ein bißchen der Spieler) zu rütteln. Will ich ausdrücklich Horror draus machen, dann sollte damit natürlich auch noch eine konkrete Bedrohung einhergehen. Ironischerweise läuft dieser Anspruch dann gleichzeitig aber auch zumindest ein Stück weit darauf hinaus, sich das Zurückgreifen auf vertraute mehr oder weniger ausführliche "offizielle Mythoskataloge" zu verkneifen, denn was schon exakt 1:1 so in irgendeinem Regelbuch steht oder auch nur Jahrvigintillionen alte Kultisten-und-Tentakelmonster-Klischees bedient, ist natürlich schon nicht mehr so wirklich "neu"...
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: tartex am 16.04.2024 | 12:39
Dazu kommt natürlich die allgemeine Abstumpfung gegenüber Horror über die letzten Generationen.

Immer wieder lustig anzusehen: Mama, Papa, Zombie ZDF 1984 (Doku) (https://www.youtube.com/watch?v=544rDc3o-0s&t=2080s)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Jiba am 16.04.2024 | 13:14
Zitat
Aus meiner Sicht funktioniert ein "cthulhoides" Abenteuer dann am besten, wenn es tatsächlich mit etwas Neuem und Fremdem aufwarten kann, das dazu geeignet ist, am Weltbild zumindest der Charaktere (und vielleicht auch ein bißchen der Spieler) zu rütteln. Will ich ausdrücklich Horror draus machen, dann sollte damit natürlich auch noch eine konkrete Bedrohung einhergehen. Ironischerweise läuft dieser Anspruch dann gleichzeitig aber auch zumindest ein Stück weit darauf hinaus, sich das Zurückgreifen auf vertraute mehr oder weniger ausführliche "offizielle Mythoskataloge" zu verkneifen, denn was schon exakt 1:1 so in irgendeinem Regelbuch steht oder auch nur Jahrvigintillionen alte Kultisten-und-Tentakelmonster-Klischees bedient, ist natürlich schon nicht mehr so wirklich "neu"...

Das ist exakt die Herangehensweise des Rollenspiels Lovecraftesque (https://blackarmada.com/lovecraftesque/).
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Shin Chan am 16.04.2024 | 13:25
Ich kenne generell keinen Erwachsenen, der sich wirklich gruselt.

Wie auch, man wird von Kind an bombardiert mit wirklich schrecklichen Sachen, in den Nachrichten.

Was Jucken mich da ein paar mit dem Rasenmäher zersägte Zombies, oder ein Typ mit Tentakeln im Gesicht? 

Ekel, ja, okay, Leute ekeln sich auch vor Insekten usw., aber wirklich gruseln bzw. echte Furcht?
Glaube ich nicht.

Von daher denke ich, das ist kein Problem von Chutulu, sondern der aktuellen Zeit.

In den 30ern hätten sie sich noch ins Hemd gemacht, aber nach Squid Games, Saw und the Expendables, nope.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: aikar am 16.04.2024 | 13:31
Ich kenne generell keinen Erwachsenen, der sich wirklich gruselt.
Ich kenne nur wenige und da muss man meist schon einen bestimmten Nerv treffen (der dann oft nicht der selbe ist wie beim Rest der Gruppe und in manchen Fällen hart an der X-Card entlang schrammt).
Das ist halt generell ein Problem von Horror im Rollenspiel (oder jedem anderen Medium). Aber ein grundlegendes Konzept von Lovecrafts Geschichten funktioniert tatsächlich immer noch ganz gut: Deute nur an, zeige (oder beschreibe) nicht im Detail. Lass die Spieler:innen den Rest aus ihrer eigenen Vorstellung füllen.

sich das Zurückgreifen auf vertraute mehr oder weniger ausführliche "offizielle Mythoskataloge" zu verkneifen, denn was schon exakt 1:1 so in irgendeinem Regelbuch steht oder auch nur Jahrvigintillionen alte Kultisten-und-Tentakelmonster-Klischees bedient, ist natürlich schon nicht mehr so wirklich "neu"...
Das hängt jetzt natürlich primär davon ab, wie stark der Spieler:innenkreis schon auf den Mythos "sozialisiert" ist. Es gibt wohl noch genügend, die auch von den "Standard"-Mythosmonstern noch nie gehört haben.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: nobody@home am 16.04.2024 | 14:09
Das hängt jetzt natürlich primär davon ab, wie stark der Spieler:innenkreis schon auf den Mythos "sozialisiert" ist. Es gibt wohl noch genügend, die auch von den "Standard"-Mythosmonstern noch nie gehört haben.

Oder, um dich selbst mal zu zitieren:

Zitat
Aber ein grundlegendes Konzept von Lovecrafts Geschichten funktioniert tatsächlich immer noch ganz gut: Deute nur an, zeige (oder beschreibe) nicht im Detail. Lass die Spieler:innen den Rest aus ihrer eigenen Vorstellung füllen.

Man kann absolut auch aus altbekanntem Mythos-Gesocks noch einiges herausholen, klar. Nicht immer gleich klarzustellen, um was für ein Monster o.ä. es sich überhaupt handelt, ist dabei allemal ein brauchbares Hilfsmittel, es ungewohnte Verhaltensweisen und generell etwas Individualität über die allgemeine (und natürlich auch eh nur von Menschlingen verfaßte >;D) Beschreibung hinaus an den Tag legen zu lassen, ebenfalls.

Nichtsdestotrotz gibt's zumindest im Rahmen der Nerdkultur einige ziemlich verbreitete Klischeevorstellungen davon, was und wie cthulhoider Horror "ist", die sich mMn aufzubrechen lohnen. Und sei es nur, weil dann auch mal ein komplettes Klischeeabenteuer plötzlich wieder einen gewissen Überraschungseffekt bieten kann. ;)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: unicum am 16.04.2024 | 14:50
Ich kenne generell keinen Erwachsenen, der sich wirklich gruselt.
...
In den 30ern hätten sie sich noch ins Hemd gemacht, aber nach Squid Games, Saw und the Expendables, nope.

Ach, Leute mit Posttraumatischer Belastungsstörung gibt es auch heute noch und die wenigsten werden es dir auf die nase binden das sie eine haben,... Wenn meine Mutter eine Sirene hört denkt sie sofort an Fliegernagriffe aus dem WKII - Austauschstudenten aus "Ex-Yougoslawien" welche in einem Wohnheim neben einer Feuerwehr untergebracht wahren rannten schreiend nachts in den Keller als dort der Arlarm ausgelöst wurde.

Und bezüglich den "30ern" - leute aus der zeit welche im WKI an der Front waren - mit Materialschlachten und vorallem Chemischen Waffen, ich glaub Horror hatten die damals auch mehr als genug.

Grauen gibt es auch heute noch Weltweit.

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Weiter mehr am Thema:
Ich (Meinung) halte Horror und Humor die beiden schwierigsten Spielarten des Rollenspieles, für beides müssen Spieler und SL noch mehr zusammen passen als bei anderen.
Daraus abgeleitet - es gibt Leute mit denen sollte man es eben nicht spielen.

Man muss sich bei Horror gerade als Spieler auch drauf einlassen und als Spielleiter muss man einfühlsam genug sein um zu wissen wann es genug ist.

Das klappt nicht immer und eben nicht bei allen Leuten, das ist ja auch soweit okee.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: haste nicht gesehen am 16.04.2024 | 15:32
Ich leite seit etwa einem Jahr eine Fate of Cthulhu Runde.

Da ich kaum Cthulhu-Wissen hatte, habe ich mir damals Cthulhus Ruf besorgt und gelesen. Ich habe selten ein langweiligers Buch gelesen.

Im Vorfeld hatte ich sorgen vielleicht unbeabsichtigt Dinge zu triggern und wir haben Lines & Veils mit X-Card eingeführt. Ich hätte es mir auch sparen können. Aber wie heißt es so schön: lieber haben und nicht brauchen, als umgekehrt.

Jedenfalls habe ich für mich fest gestellt, dass Horror im Rollenspiel definitiv zu den anspruchsvolleren Disziplinen gehört. Ich bin jedenfalls weit davon entfernt, das gut leiten zu können. Natürlich ist die eigene Wahrnehmung nicht immer die der Spieler, aber ich glaube es gab nur eine einzige Session, in der ich das Gefühl hatte, die Spieler in eine Gruselstimmung zu versetzen.

Als Spieler selbst, habe ich diesbezüglich aber auch noch nicht viel erlebt, was mir eine Gänsehaut verursacht hätte. Das mag aber sicher auch an meinem Medienkonsum liegen. Wenn man Horror aus Filmen und Computerspielen gewohnt ist, dann schockt einen so schnell nichts mehr. Es bleibt also dabei den vor Angst, Panik oder Verzweiflung erfüllten Charakter zu spielen.

Trotzdem möchte ich an dieser Stelle noch einen Tipp weitergeben. Ich fand das Regelwerk "Cthulhu Dark" von Graham Walmsley hier sehr hilfreich. Für den besagten Spielabend, an dem es mir ab besten gelungen ist, habe ich viele der Tipps aus diesem Regelwerk eingearbeitet.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Jiba am 16.04.2024 | 16:11
Trotzdem möchte ich an dieser Stelle noch einen Tipp weitergeben. Ich fand das Regelwerk "Cthulhu Dark" von Graham Walmsley hier sehr hilfreich. Für den besagten Spielabend, an dem es mir ab besten gelungen ist, habe ich viele der Tipps aus diesem Regelwerk eingearbeitet.

Für mich klar das beste klassische Cthulhu-Rollenspiel!  :d

Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: First Orko am 17.04.2024 | 09:23
Zunächst mal gefällt mir der Begriff "Grusel" als leichtere Abstufung zu "Horror" besser. Ersterem kann ich einen gewissen Reiz abgewinnen, Letzteres versetzt dann doch eher in einen Zustand, aus dem ich (man?) schnell wieder heraus möchte.

Gehen wir also davon aus, dass wir mit einem Rollenspiel wie Cthulhu Grusel erzeugen wollen, müssen wir beide Seiten betrachten: Die entsprechende Atmosphäre erzeugende Seite (SL) sowie die empfangende Seite, die Spielenden. Denn das klingt ja schon bei diversen Beiträgen heraus: Eine mühsam aufgebaute Atmo kann sehr schnell und leicht brechen, denn um diese aufrecht erhalten zu können, muss auf der anderen Seite geschlossen(!) die Bereitschaft bestehen, sich darauf auch einlassen zu können. Und das ist meiner Erfahrung nach sehr selten derart vollumfänglich der Fall.

Warum? Dazu habe ich eine Theorie: Grusel und Horror befinden sich auf einem Emotionsspektrum genauso wie Trauer, Liebe, Melancholie und noch ein paar Andere, welches im Rahmen bestimmter Vorstellungen/Anschauungen als "weich" betrachtet werden. Wer sich dahingehend öffnet, diese Emotionen entweder nur zu haben oder gar, sie offen nach außen trägt, macht sich damit angreifbar. Jeder Mensch, der als Kind mal als "Heulsuse" verschrien wurde oder vergleichbare Erfahrungen gemacht hat, neigt dazu, in Zukunft immer vorsichtiger zu sein und Sicherheitsmechanismen zu entwickeln, um sich quasi vor der eigenen Angreifbarkeit zu schützen. Humor ist einer dieser Mechanismen - ein doofes Wortspiel und ich kann sicher sein, dass ich mich nicht als "schwach" oute, weil ich mich dem Grusel hingebe... (*)

Ein weiterer Sicherheitsmechanismus sind Regeln - die können im atmospährischen Spiel soweit in den Hintergrund rücken, dass man retrospektiv diese gar nicht gebraucht hätte (und vielleicht ein anderes System suchen kann...) oder als Schild genutzt werden, um sich dahinter zu verstecken. Ein Wert für geistige Stabilität kann ebenso genutzt werden, sich gegen das Gefühl des Grusels zu wappnen ("Mein SC ist noch voll stabil - das unmenschlich blutige Massaker da tangiert den ja mal gar nicht!") wie auch um das Gefühl offen zulassen zu können: Der Wert ist so niedrig, dass ich mit dem SC aus der Szene flüchten kann, ohne dass ich etwas von mir selbst zeige.

Was folgt daraus? Wichtiger als Regeln, Setting und Wirkfaktoren für Atmo (Kerzenschein, passende Handouts, sogar Kostüme) ist überall dort, wo "weiche" Emotionen wirken sollen das Vertrauen der Spielenden untereinander. Je weniger Vertrauen, desto größer die Unsicherheit, desto mehr nutzt man Schutzwerkzeuge und lässt Grusel nicht zu.
Sicherheitsmechaniken können das Vertrauen dabei stützen, aber nicht ersetzen. In einer Runde, wo ich aufgrund gewisser sozialer Faktoren schon kein gutes Gefühl habe, kann zBsp eine X-Card das Gefühl ggf. sogar noch verstärken (sie ist aber nie das eigentliche Problem und ist in gewissen CON-Stellationen trotzdem sinnvoll!), wogegen sie in eine vertrauten Runde sogar dazu führen kann, dass man sich noch mehr öffnet.

Entscheidend ist meiner Ansicht nach, dass im Vorfeld von Runden, wo Emotionalität eine Rolle spielen kann/darf/soll, eine Gespräch darüber stattfindet, ob sich alle darauf einlassen möchten und wie weit. Sind alle am Tisch einverstanden, und stellt sich raus, dass jemand dann trotzdem torpediert (und sich zBsp über jemanden lustig macht, der zBsp Tränen für Rührung bekommt oder so) dann ist der richtige Schritt, diese Person zu bitten, das sofort zu unterlassen oder das Spiel zu verlassen. Alternativ kann eine Cthulhu-Runde ja auch in Abwandlungen abseits von Grusel gespielt werden oder man einigt sich darauf, das Grusel eher den SC passiert, aber die Spielenden die Distanz wahren möchten - sozusagen "erzählter Grusel" statt "erlebter Grusel".


(*) Interessanterweise kann Humor ebenso ein Gefühl sein, wo man sich angreifbar macht - nämlich dann, wenn es jemand darauf anlegt, mich zum Lachen zu bringen. Reagiere ich darauf, öffne ich mich emotional - und das kann ebenso ausgenutzt werden.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: tartex am 17.04.2024 | 10:07
Also ich konnte mich selbst als Kind im einstelligen Alter alleine unter der Bettdecke beim Lesen nicht gruseln. Naja, vielleicht einmal als ich hohes Fieber hatte.

Die Bereitschaft mich darauf auch einlassen zu können, war auf jeden Fall da.

Zumindest habe ich Erinnerung, dass ich bei unserer neu gekauften Biene-Maja-Hörspielplatte als anfangs Angst hatte, dass Thekla die Protagonisten bei lebendigem Leibe verspeißen wird. Aber das war wohl noch im Kindergartenalter. Ich glaube da konnte ich noch gar nicht lesen. (Und da hatten wir dann auch schon Kassetten.)

Aber bei Horrorfilmen klappt der Horror immer noch regelmäßig großartig - selbst im fortgeschrittenen Alter.

Cosmic Fear - ist das nicht einfach ein Synonym für die existentalistische Erfahrung? - kriege ich durch Lesen oder auch nur Nachdenken aber schon zustande. Das kann Lovecraft sowieso viel besser als Grusel oder Ekel.

Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: First Orko am 17.04.2024 | 10:28
Cosmic Fear oder Cosmic Horror verstehe ich als Umschreibungen für Etwas, was Lovecraft vielleicht als existenzialistisch anmutenden Unterbau seiner Welt (implizit) mit geschaffen hat, wo ich aber keinerlei direkte Gefühle für veranschlagen würde, die das tatsächlich bei Lesenden auslösen sollte oder gar kann  :think:

Tatsächlich ist das imho aber sowieso irrelevant, da Cthulhu als Rollenspiel bzw. die Spielenden scheinbar tatsächlich in "Grusel am Spieltisch" zu transferieren versuchen. Der gesamte Mythos wie er im Rollenspiel genutzt wird bezieht sich ja sowieso nur auf Teilaspekte der Geschichten und umfasst gar nicht die gesamte Bandbreite dessen, was in den Vorlagen zu finden ist.

Insofern bezieh ich mich mit dem Geschriebenen nur auf den Wunsch, Cthulhu als Rollenspiel mit Grusel zu verknüpfen.

Ich persönlich würde das sowieso nicht tun sondern mehr Richtung von "surreale Mystic-Thriller" gehen oder sowas.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: aikar am 17.04.2024 | 10:50
Die Diskussion kippt jetzt aber schon stark in Richtung "Allgemeine Tipps für Horror-/Grusel-Rollenspiele". Evtl. abkoppeln?

Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: tartex am 17.04.2024 | 13:18
Cosmic Fear oder Cosmic Horror verstehe ich als Umschreibungen für Etwas, was Lovecraft vielleicht als existenzialistisch anmutenden Unterbau seiner Welt (implizit) mit geschaffen hat, wo ich aber keinerlei direkte Gefühle für veranschlagen würde, die das tatsächlich bei Lesenden auslösen sollte oder gar kann  :think:

Also ich finde, dass die Frage, ob Cosmic Horror am Spieltisch Gefühle auslösen kann oder tut, doch sehr relevant. Bei mir können die am Spieltisch sehr wohl getriggert werden.

Auch Existenzialismus ist für mich in der Popkultur einfach ein Genre wie etwa Mindfuck (https://www.imdb.com/list/ls055140227/) (Achtung, Liste ohne Gewähr!), das einfach bestimmte, inzwischen wohlbekannte Trigger benutzt um dem Konsumenten etwas fühlen zu lassen.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: aikar am 17.04.2024 | 14:29
Also ich finde, dass die Frage, ob Cosmic Horror am Spieltisch Gefühle auslösen kann oder tut, doch sehr relevant. Bei mir können die am Spieltisch sehr wohl getriggert werden.
Magst du da weiter drauf eingehen? Evtl. mit Beispielen? Ich schließe mich da First Orko und Arkam an, dass der Cosmic Horror, der mit der Bedeutungslosigkeit des Menschen spielt, heutzutage eigentlich kaum mehr jemanden triggert. Die meisten Personen in der westlichen Welt haben sich an die Vorstellung eines mitleidslosen und am Menschen desinteressierten Universums gewöhnt (wenn man mal Extremsituationen wie den nahenden Tod o.Ä. beiseite lässt).
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: Hotzenplot am 17.04.2024 | 14:40
Also ich finde, dass die Frage, ob Cosmic Horror am Spieltisch Gefühle auslösen kann oder tut, doch sehr relevant. Bei mir können die am Spieltisch sehr wohl getriggert werden.

Finde ich auch interessant.

Und das war ja auch schon für den Threadersteller Minne (Achtung, 14 Jahre her ;)) eins der Kernthemen.

1. Cthulhu-Kram ist out (alles schon x-Mal gesehen, juckt keinen mehr etc.)
2. Wie kann man in einer fiktiven (Spiel-)Welt die Angst vor dem fiktiven schüren? Geht das überhaupt, oder ist der Versuch schon zum scheitern verurteilt?*

Der zweite Punkt ist für mich gerade der rollenspieltheoretisch interessantere.


*
"Stell dir vor, du stehst da irgendwo. Stell dir vor, du bist da wirklich. Und du, der du da in deiner Vorstellung stehst, hast jetzt die Vorstellung, dass ein Teil deiner Vorstellung von jenseits kommt!" (oder so ;)).
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: tartex am 17.04.2024 | 15:12
Magst du da weiter drauf eingehen? Evtl. mit Beispielen?

Mir reichte z.B. schon ein "der Psychopath, der im Spiel alle umbringt macht das mit der Rechtfertigung, dass er gar nicht wirklich existiert, und alles nur ein Spiel ist" um noch immer eine Verstörung durch Verschieben des Referenzrahmens zu empfinden.

Also ich fühle da eindeutig einen Sense of Wonder (https://en.wikipedia.org/wiki/Sense_of_wonder).
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: nobody@home am 17.04.2024 | 15:37
Ich denke, ein Problem, das der "klassische" Mythos heutzutage ein Stück weit hat, ist einfach, daß er mittlerweile ein Klassiker sowohl im Guten als auch im Schlechten ist. Lovecrafts Originalgeschichten haben inzwischen zum Teil ihr erstes volles Jahrhundert hinter sich (und was er nach 1924 verfaßt hat, ist zumindest auf der Zielgeraden) und selbst das Original-Call-of-Cthulhu-Rollenspiel ist mittlerweile über vierzig. Cthulhu und Co. haben also ein Stück weit schlicht dasselbe Problem wie andere klassisch-vertraute Horrorgestalten a la Geister, Vampire und Werwölfe auch: es gruselt sich einfach keiner (oder zumindest kein halbwegs eingefleischter Horrorfan, was ja auch noch mal eine Untergruppe für sich und vermutlich das Hauptpublikum für entsprechende Medien ist) mehr besonders zumindest vor den altbekannten/schon längst von der Popkultur assimilierten Standardversionen.

(Außerdem ist Horror, zumindest in meiner persönlichen Wahrnehmungsblase, dieser Tage ein überwiegend filmisch-visuelles Phänomen mit den einschlägigen Tricks und Schockeffekten, die sich auf der Leinwand oder Mattscheibe auf Arten einsetzen lassen, wie sie das geschriebene Wort oder die Beschreibung der SL am Tisch so einfach nicht hergeben können. Cthulhu & Co. sind aber immer noch in erster Linie aus der "langweiligen" Textform bekannt, was die Sache meiner Vermutung nach nicht unbedingt einfacher macht -- Dracula kennen mit ziemlicher Sicherheit inzwischen mehr Leute aus dem einen oder anderen Film mit teils immer noch unvergessenen Hauptdarstellern als aus dem Originalroman von Stoker, aber Nyarlathotep?)

Mit cthulhoiden Themen läßt sich trotz alledem mMn immer noch arbeiten; die von ihnen angesprochenen Ängste (von den großen kosmischen Kandidaten bis hin zum "simplen" Verlust von Freunden und Bekannten an Ursachen, von denen man selber nie gewußt hat) sind ja immer noch da. Nur die Freiheit, sich selber noch nicht ganz so altbackene Wege zur Vermittlung derselben an das zu beunruhigende Publikum auszudenken, braucht's halt schon ein wenig. :)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: tartex am 17.04.2024 | 15:59
Cthulhu und Co. haben also ein Stück weit schlicht dasselbe Problem wie andere klassisch-vertraute Horrorgestalten a la Geister, Vampire und Werwölfe auch: es gruselt sich einfach keiner (oder zumindest kein halbwegs eingefleischter Horrorfan, was ja auch noch mal eine Untergruppe für sich und vermutlich das Hauptpublikum für entsprechende Medien ist) mehr besonders zumindest vor den altbekannten/schon längst von der Popkultur assimilierten Standardversionen.Nyarlathotep?)

Die logische Folge dieser Aussage wäre ja, dass man nur neue, unverbrauchte Horrorgestalten brauchen würde, um Grusel zu erzeugen. Da bin ich auch eher skeptisch.

Der Mythos ist meiner Ansicht nicht das Problem, sondern das Medium PnP-Rollenspiel. Besonders weil es eben ein Gruppenmedium ist und Menschen sich in Gruppen meist sicherer fühlen. Vielleicht könnte man mit der Dekonstruktion der Spielergruppe ja ein paar mal was bewirken.

Für die Gegenwart muss dazu aber auch gesagt werden: Grusel und Xcard sind möglicherweise Teil desselben Spektrums - zumindest für einige Spieler. Und heutzutage rührt man da wohl nicht so gerne herum. Zum Gück würde ich behaupten.
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: nobody@home am 17.04.2024 | 16:17
Die logische Folge dieser Aussage wäre ja, dass man nur neue, unverbrauchte Horrorgestalten brauchen würde, um Grusel zu erzeugen. Da bin ich auch eher skeptisch.

Der Mythos ist meiner Ansicht nicht das Problem, sondern das Medium PnP-Rollenspiel. Besonders weil es eben ein Gruppenmedium ist und Menschen sich in Gruppen meist sicherer fühlen. Vielleicht könnte man mit der Dekonstruktion der Spielergruppe ja ein paar mal was bewirken.

Für die Gegenwart muss dazu aber auch gesagt werden: Grusel und Xcard sind möglicherweise Teil desselben Spektrums - zumindest für einige Spieler. Und heutzutage rührt man da wohl nicht so gerne herum. Zum Gück würde ich behaupten.

Ich versuche hier ja auch nicht, in einem Post gleich Das Ganz Große Horror-Rollenspiel-Problem (tm) zu lösen, sondern lediglich ein Stück weit Nachteile speziell des Mythos und des "normalen" Umgangs mit ihm herauszuarbeiten. Das sind schon zwei leicht verschiedene Themen. ;)
Titel: Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
Beitrag von: felixs am 17.04.2024 | 17:52
Vielleicht könnte man mit der Dekonstruktion der Spielergruppe ja ein paar mal was bewirken.

Jetzt bin ich neugierig  :gasmaskerly: