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Verdecktes Würfeln, war: Lesebegleitthread M5:Kodex
Eleazar:
Je mehr du schreibst, desto weniger kann ich die Brisanz erkennen. Ich lese aus deinem Text "Empfindlichkeiten" oder "Frustempfindenbereitschaften", wo ich sie noch nie erlebt habe. Dass "kompetentere" Spielfiguren von "inkompetenteren" übertroffen werden, geschieht doch je nach Differenz bei fast bis zu jedem zweiten Würfelwurf. Auch daraus kann man seinen Spaß ziehen. Und die Ungewissheit über die Interpretation der Fakten, die Uneinschätzbarkeit von Situationen erlebe ich als Spannungsmoment. Wenn meine Figur eine Spur falsch interpretiert, ich davon nichts ahne, der SL aber was draus macht, entsteht Spannung. Wenn ich sehe, dass ich eine 1 gewürfelt habe, weiß ich dass ich die nächsten 30 Minuten auf dem Holzweg bin. Gähn.
Um beim Romanbeispiel zu bleiben: In einem Krimi lockt der Autor die Leser auf falsche Fährten, unter anderem, weil die Detektive, aber auch Leser etwas übersehen, was aber am Rande erwähnt wird. Und der Detektiv deutet dann einen Hinweis falsch. Das ist das Äquivalent zu einem misslungenen Wahrnehmungs- oder Spurenlesen-EW. Wie öde wäre es für eine Detektivgeschichte, wenn an diesen Stellen im Buch ein Kasten auftauchen würde "Hier hat der Detektiv was übersehen".
Figuren können auch in ihrem Scheitern ein Teil einer spannenden Geschichte sein. Das geht mit offenem Würfeln oft verloren.
Ein Beispiel: Ein Abenteurer ist wegen verschiedener wiederholter finsterer Machenschaften und eindeutiger Warnungen der Gruppe dabei erwischt worden, dass er unseren Karawanenführer in Misskredit (Auftraggeber) bringen wollte. Die Figur ist aufgeflogen, es gab eine Auseinandersetzung, am Ende rollte sein Kopf. So weit so gut.
Danach würfelte mein Priester noch einmal bei günstiger Gelegenheit "Erkennen der Aura" auf den unbekleideten Karawanenführer. Wir hatten vorher nur eine Probe mit all seiner Ausrüstung gemacht und ein Ergebnis bekommen, das auch auf ein Artefakt hätte schließen lassen. Mein Priester würfelte eine 1 und der SL gab an, dass ich eine finstere Aura wahrnehme. Hätte keiner was von dem Patzer geahnt, hätte man jetzt richtig was draus machen können.
So lief alles äußerst halbherzig. Ich als Spieler hatte keine echte Sorge, dem anderen Abenteurer zu unrecht den Prozess gemacht zu haben. Der Magier gab zu bedenken, dass man sich bei so einem Zauber auch mal irren kann. Ich habe den Karawanenführer jetzt unter verstärkte Beobachtung gestellt. Aber dass wir ihm richtig auf den Zahn fühlen und vielleicht mal heimlich sein Zelt durchsuchen, darauf hatte niemand aus der Gruppe Lust. Warum einen Nebenschauplatz aufmachen, wenn man weiß, dass es Quatsch ist. Gähn! Und ich tue jetzt so, als würde ich dem Karawanenführer misstrauen, obwohl ich weiß, dass es Quatsch ist (Doppelgähn!).
Hätte der SL diesen Wurf für mich ausgeführt, wäre wirklich was los gewesen. So hat es bloß zu einer doofen Situation geführt. Und die "Kompetenz" meines Priesters wird rollenspieltechnisch genau so angezweifelt, weil sich auf das Ergebnis nur halbherzig eingelassen wird. Spielzeitmäßig wird das sogar gedehnt: Wüsste die Gruppe nicht, dass der Priester falsch liegt, würde sie ihm vertrauen bis zur bösen Überraschung am Ende. Dann gibt es eventuell einen Knall und die Sache ist vorbei. So kocht das seit zwei Spielabenden bis zum Ende der Reise.
Das sind meine Erfahrungen mit offenem und verdecktem Würfeln.
Achamanian:
--- Zitat von: Eleazar am 12.01.2018 | 09:36 ---
Das sind meine Erfahrungen mit offenem und verdecktem Würfeln.
--- Ende Zitat ---
Ist doch gut. Dann hat man jetzt zu beiden Fällen Darstellungen, warum und in welchen Situationen es einem jeweils gefallen oder missfallen kann, und jeder sieht, wo er sich selbst besser reindenken kann/wiederfindet.
Mehr will ich ja gar nicht als die Akzeptanz, dass beide Darstellungen ihre Berechtigung haben und man das möglichst auch in Regelwerken anerkennt, anstatt dort die "einzige Wahrheit" zu predigen.
Achamanian:
--- Zitat von: Eleazar am 12.01.2018 | 09:36 ---Dass "kompetentere" Spielfiguren von "inkompetenteren" übertroffen werden, geschieht doch je nach Differenz bei fast bis zu jedem zweiten Würfelwurf.
--- Ende Zitat ---
Kleine Anmerkung: Unter anderem deshalb ist es bei mir gängige Praxis, nur den SC mit der besten Fähigkeit würfeln zu lassen. Das kürzt ab und macht klar, dass die Fähigkeit des SC etwas konstantes und verlässliches ist und Fehlschläge in der Regel (nicht unbedingt immer) mehr mit äußeren Umständen (die Spur war eben wirklich schwer zu finden) zu tun haben und nicht mit einem Versagen des SC.
Achamanian:
--- Zitat von: Eleazar am 12.01.2018 | 09:36 ---Figuren können auch in ihrem Scheitern ein Teil einer spannenden Geschichte sein. Das geht mit offenem Würfeln oft verloren.
--- Ende Zitat ---
Sehe nicht, wo das verloren geht, und habe für mein Gefühl eher dargelegt, wie man ein Scheitern durch offene Würfe auch interessanter machen kann, weil die Spieler aktiver und bewusster an dessen Ausgestaltung teilnehmen können, WENN es bei dem Scheitern um etwas interessantes geht. Aus der von dir beschrieben Situation wäre für mein Gefühl mehr rauszuholen gewesen, gerade mit offenen Würfeln - mit verdeckten Würfeln hätte ich da bei mir eher missmutiges Stochern im Dunkeln erwartet.
Wie gesagt, eine Frage der Herangehensweise und des Geschmacks ...
Achamanian:
--- Zitat von: Eleazar am 12.01.2018 | 09:36 ---Hätte der SL diesen Wurf für mich ausgeführt, wäre wirklich was los gewesen. So hat es bloß zu einer doofen Situation geführt.
--- Ende Zitat ---
Noch eine Anmerkung: Ich glaube, das hat mit dem Kernunterschied zu tun, ob man als Spieler eine Co-Autoren-Haltung hat oder eben nicht. Im ersteren Fall kann das sehr wohl eine "krasse Situation, machen wir zusammen was draus!" zur Folge haben. Und ich erlebe die Co-Autoren-haltung bei Anfängern oft und habe sogar den Verdacht, dass sie ihnen zuweilen "aberzogen" wird.
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