Autor Thema: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext  (Gelesen 3990 mal)

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Offline RPGnosis

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Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« am: 24.09.2019 | 07:26 »
Guten Morgen,
ich wollte mal fragen, ob jemand von euch Erfahrungen mit der Anwendung von Rollenspielen in therapeutischen Settings hat (also nicht "wir spielen eine Gruppe von Psychiatrie-Insassen" sondern: wir spielen P&P mit Menschen mit F-Diagnosen), namentlich RPKs, psychosomatische Kliniken oder ambulanten Gruppen.
Oder ob jemand hierüber irgendwelche Literatur kennt...
Danke für euren Input!

Online schneeland

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #1 am: 24.09.2019 | 09:07 »
Hab' gerade keinen direkten Link zur Hand, aber ich meine, es hätte letztes Jahr im Dragon Talk (D&D Podcast) einen Gast gegeben, der darüber gesprochen hat.
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Offline KhornedBeef

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #2 am: 24.09.2019 | 09:14 »
Es gibt einen Sammelthread für Fachliteratur über Rollenspiele, da sind glaube ich Beispiele drin
https://www.tanelorn.net/index.php?topic=70283.0
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Offline Teylen

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #3 am: 24.09.2019 | 09:14 »
In Bezug auf Kickstarter gibt es dahingehend aktuell:
https://www.kickstarter.com/projects/brooksgibbs/squabbles

Daneben gibt es Bildungsrollenspiel:
http://waldritter.org/innovative-methoden/edu-larp/

Sowie allgemein den Bereich des Edu-Larp, in dem es jährlich mindestens eine Konferenz gibt:
http://www.academia.edu/Documents/in/Edu-larp
https://www.facebook.com/events/ungdomshuset-odense/edu-larp-conference-2019/722199394840043/ (Es ist Teil der Knutepunkt, Knutpunkt bzw. Solmunkhota Konferenz, bzw. findet idR. einen Tag zuvor statt)
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Offline Urias

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #4 am: 24.09.2019 | 12:08 »
Interessante Frage, die ich mir als soon-to-be Therapeut und Rollenspieler auch schon öfters mal gestellt hab. Ich glaube hier ist es wichtig zu unterscheiden zwischen Rollenspiel als Bestandteil der Psychotherapie und als Rollenspiel als "Ergänzungsangebot" zusätzlich zur PT, wie es in solchen Settings viele gibt. Konkrete Literatur hab ich leider nicht aber nur mal so als Input...

Zu ersterem wird man möglicherweise in der Literatur des Psychodramas gute Inputs finden, da hier, wie der Name schon sagt, ganz stark Einflüsse aus dem Improvisationstheater aufgenommen wurden. Aus meinen Gesprächen mit PsychodramatikerInnen meine ich mich zu erinnern, dass auch das Nachspielen von Mythen/Märchen (natürlich in persönlicher Re-Interpretation) eine beliebte Technik ist. Mein ehemaliger Chef hat mir zB damals begeistert erzählt, dass er in seiner psychodramatischen Supervisionsgruppe den Hermes gespielt hat.

Zu zweiterem würde es mich nicht wundern wenn es irgendwelche Literatur gäbe. Ansonsten werden mir immer wieder Artikel zu Rollenspiel im Strafvollzug in die Timeline gespühlt (zb der hier), die könnten auch evtl hilfreich sein. Grundsätzlich kann ich mir das durchaus vorstellen aber gerade bei einem so interaktiven und sozialen Hobby wie Rollenspielen muss man in einem solchen Setting sicherlich um so mehr auf die Gruppenkomposition achten. Das erschwert sich natürlich weil ich relativ sicher bin, dass Rollenspiele für gewisse Strukturniveaus oder auch spezielle Diagnosen definitiv nicht geeignet ist bzw das für keine der Beteiligten ein Spaß wäre. Das erschwert natürlich auch das organisatorische wenn man hier von nem klinischen Setting ausgeht.
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Offline fivebucks

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #5 am: 24.09.2019 | 12:24 »
Konkret kommt mir Wraith: The Oblivion in den Sinn.

Da geht es um den Konflikt zwischen hellen und dunklen Charakter - Anteilen, Psyche und Schatten genannt.

Offline Selganor [n/a]

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #6 am: 24.09.2019 | 12:34 »
Konkret kommt mir Wraith: The Oblivion in den Sinn.

Da geht es um den Konflikt zwischen hellen und dunklen Charakter - Anteilen, Psyche und Schatten genannt.
Der Grundtenor von WtO ist aber ein "ueber kurz oder lang (meistens eher kurz) ist es aber mit dir so richtig zuende", ob man das unbedingt in einer therapeutischen Runde braucht? ;)
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Offline fivebucks

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #7 am: 24.09.2019 | 12:44 »
Im Spiel ist die Möglichkeit der Erlösung durchaus vor gesehen...

Offline Huhn

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #8 am: 24.09.2019 | 13:18 »
In Bezug auf Kickstarter gibt es dahingehend aktuell:
https://www.kickstarter.com/projects/brooksgibbs/squabbles
Uärgs sieht das furchtbar aus. Die buchgewordene "teambildende Maßnahme". Vielleicht auch ein Schultheaterprojekt. *sucht das Weite*

Offline takti der blonde?

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #9 am: 24.09.2019 | 13:34 »
Guten Morgen,
ich wollte mal fragen, ob jemand von euch Erfahrungen mit der Anwendung von Rollenspielen in therapeutischen Settings hat (also nicht "wir spielen eine Gruppe von Psychiatrie-Insassen" sondern: wir spielen P&P mit Menschen mit F-Diagnosen), namentlich RPKs, psychosomatische Kliniken oder ambulanten Gruppen.
Oder ob jemand hierüber irgendwelche Literatur kennt...
Danke für euren Input!

Eine Frage, die sich mir aufdrängt: was können RPGs besser als die Methode des Rollenspiels therapeutisch erreichen? Warum also z.B. explizit D&D spielen oder Fiasko und nicht ein Rollenspiel im Sinne von die Teilnehmer spielen Rollen unter Anleitung der TherapeutIn?

Grüße

Hasran

Offline fivebucks

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #10 am: 24.09.2019 | 13:38 »
Pen&Paper ist noch etwas mehr lustiger Zeitvertreib als therapeutisches Rollenspiel. Auch gibt es im Therapie - Rollenspiel eher keine Kampagne oder Charakterentwicklung.
Ist eher so "einzelne Szene".

Offline KhornedBeef

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #11 am: 24.09.2019 | 13:41 »
Eine gewisse Antwort darauf geben ja Projekte mit Gefangenen: eben gerade eine Charakterentwicklung, nach Regeln, die durch die Figur zu einer gewissen Selbstverwirklichung führt. Das ist natürlich nicht mehr "Therapie" als für jeden von uns.
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Offline takti der blonde?

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #12 am: 24.09.2019 | 13:42 »
Pen&Paper ist noch etwas mehr lustiger Zeitvertreib als therapeutisches Rollenspiel. Auch gibt es im Therapie - Rollenspiel eher keine Kampagne oder Charakterentwicklung.
Ist eher so "einzelne Szene".

Das verstehe und weiß ich. Habe nur laut nachgedacht, inwieweit therapeutische Ziele (welche überhaupt?) mit RPGs besser erreicht werden können als mit Rollenspiel als Methode. Und nachgefügt: ist das schonmal ausprobiert und beschrieben worden?

Grüße

Hasran

Offline Harry

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #13 am: 24.09.2019 | 14:10 »
Hi,

ich wollte mal fragen, ob jemand von euch Erfahrungen mit der Anwendung von Rollenspielen in therapeutischen Settings hat

Ja, ich. Rollenspiele in Beratung und Therapie sind eine weit verbreitete und häufig verwendete Technik, aber das meinst Du ja nicht. "Klassisches" P&P egal welchen Genres ist auch in meinen Augen zu wenig zielorientiert, um direkt therapeutisch nutzbar zu sein, und zu kompliziert, um in den Settings die ich kenne als Freizeitgestaltung herzuhalten. Aber es gibt einige Parallelen, die mir häufiger mal aufgefallen sind.

Zum einen wenn es um das Durchspielen von Szenarien geht (Beispiel Kindergruppe: "Heute seid ihr mal die Therapeuten, meine Kollegin und ich sind Kinder, und unsere Eltern hätten uns zu euch geschickt"), das hat sich immer mal wieder wie eine Rollenspielsitzung angefühlt.

Zum anderen fühle ich mich immer, wenn ich imaginative Traumakonfrontation mache - also mit Klient*innen nach ausreichender Vorbereitung in der Fantasie in die Nähe stark belastender Gedächtnisinhalte "gehen" - sehr stark an meine Spielleiter-Rolle im P&P erinnert, da ich idealerweise auf ähnliche Dinge achte - Ideen meines Gegenübers aufgreifen, keine Negationen, gemeinsames Weiterentwickeln der "Geschichte" usw.. Das ist aus mehreren Gründen eine meiner Lieblingsaufgaben, und ich muss immer aufpassen dass ich kein schlechtes Gewissen kriege, weil ich ja nicht "richtig arbeite" :-) .

Hilft das weiter?
LG,
H.
« Letzte Änderung: 24.09.2019 | 14:13 von Harry »
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Offline fivebucks

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #14 am: 24.09.2019 | 14:13 »
Im amerikanischen Forums war mal eine die es explizit empfohlen hat.

In der Tat spiele ich mit dem Gedanken eine Wraith - Runde mit rollenspiel interessierten Psychosepatienten zu starten.

Im Unterschied zum Therapierollenspiel hat man doch wohl eine tiefere Geschichte. Und erfahrene Rollenspieler haben die Meta - Skills die eine oder andere Klippe zu umschiffen wo es mit lediglich Psychologen schon auch mal hakeln kann.
« Letzte Änderung: 24.09.2019 | 14:27 von fivebucks »

Offline Maarzan

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #15 am: 24.09.2019 | 14:18 »
Ich glaube das Konzept ist auch prinzipiell ein ganz schmales Brett, denn während das Grundpotential durchaus vorhanden ist, hängt es in seiner Wirkung extrem davon ab, ob das Szenario als authentisch wahrgenommen wird.
Wird es dass nicht, dürfte die typische Reaktion Ärger und Widerstand sein, das Gefühl verarscht und gegängelt zu werden und somit das gegenteilige Verhalten fördern - oder zumindest die Offenheit dafür.

Letztlich ist es also so eine Art "doppelt oder nichts"-Spiel.

Am ehesten dürfte es wohl bei niedrigschwelligen, unkomplizierten sozialen Ängsten funktionieren, wo in sicher gestalteten, sehr einfachen  Situationen Routine erworben werden kann.

Solange sich alle darauf einlassen und ihr RealLifeEgo draußen lassen, kann Rollenspiel allerdings nicht im Spiel, sondern eben als Teamspiel Brücken zwischen sozialen Gruppen bilden und Spannungen reduzieren. Wir hatten damals in einem Umfeld sowohl deutlich links- wie rechtstendierende Teilnehmer in einem offenen Treff gehabt, wo sich die Spannungen nach einer gewissen Spielvertrautheit deutlich reduziert haben.
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Offline Teylen

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #16 am: 24.09.2019 | 14:30 »
Uärgs sieht das furchtbar aus. Die buchgewordene "teambildende Maßnahme".
Die Brooks Gibbs Methode ist mir so um 2014 herum begegnet.
Die entsprechenden Vorträge waren damit gefühlt durchaus sehr auf "Effekt" gemacht.

Es hat allerdings, meiner Einschätzung nach als Laie, durchaus einen "soliden" therapeutischen Hintergrund.

@Wraith: The Oblivion:
Ich persönlich halte das Rollenspiel nicht für Therapie geeignet.
Das heißt, es bietet keinerlei Empfehlung und wurde nicht dahingehend gestaltet.

Ich hätte ernsthafte Skrupel es mit einer Person zu spielen, die vor Herausforderungen steht welche einer Therapie verlangen. Auch durch den Umstand das die negative Hälfte des Charakters von einem anderen Spieler, in diesem Fall Patienten, gespielt wird und es bereits bei gesunden Personen mitunter eine riesige Herausforderung bietet.
Womit die Idee Wraith heranzuziehen, noch schlechter ist als sich für diesen Zweck Vampire: The Masquerade zu greifen.
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Offline fivebucks

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #17 am: 24.09.2019 | 14:34 »
Stimmt schon, es gibt Risiken etwa Retraumatisierung.

Da wurde ja schon viel besprochen. - Triggerkarten und ähnliches.
« Letzte Änderung: 24.09.2019 | 14:37 von fivebucks »

Offline KhornedBeef

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #18 am: 24.09.2019 | 14:35 »
Stimmt schon, es gibt Risiken etwa Retraumatisirung.

Da wurde ja schon viel besprochen.
Wo denn, und was kam raus?
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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #19 am: 24.09.2019 | 14:40 »
ZB ein gründlich durch gesprochener Gruppenvertrag.
Sonst habe ich es nicht so genau, aber in dem Fall ist so etwas schon an gebracht.

Offline KhornedBeef

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #20 am: 24.09.2019 | 14:48 »
ZB ein gründlich durch gesprochener Gruppenvertrag.
Sonst habe ich es nicht so genau, aber in dem Fall ist so etwas schon an gebracht.
Ich glaube mir würde die Expertise fehlen, das tatsächlich so ordentlich zu machen, wir es nötig wäre. "Don't be a dick" reicht nicht.
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Offline Weltengeist

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #21 am: 24.09.2019 | 19:07 »
Je nachdem, wie breit du "therapeutisches Setting" fasst, könnte auch das hier passen:

https://gametogrow.org/criticalcore/

Hauptzielgruppe sind Kinder aus dem Autismus-Spektrum.
"Wenn ich in Unterleuten eins gelernt habe, dann dass jeder Mensch ein eigenes Universum bewohnt, in dem er von morgens bis abends recht hat." (Juli Zeh, Unterleuten)

Spielt derzeit: The Wild Beyond the Witchlight (Savage Worlds - Prismeer), Troubleshooter (Savage Worlds - Starfinder)
In Vorbereitung: -

Offline POWAQQATSI

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #22 am: 25.09.2019 | 19:01 »
Super spannendes Thema, vielen Dank für das Aufbringen (Donald, der mich darauf aufmerksam gemacht hat) und Eure Gedanken und Links dazu.

Ich arbeite als Psychologischer Psychotherapeut in der Akutpsychiatrie und interessiere mich überhaupt sehr dafür, wie Popkultur und Spiele in der therapeutischen Arbeit eingesetzt werden können. Dazu gibt es auch schon einiges - vor allem im englischsprachigen Raum. Habe dazu auch schon ein englischsprachiges online Seminar von Janina Scarlet (http://www.superhero-therapy.com) mitgemacht, das ich sehr empfehlen kann. Pen & Paper Rollenspiele sind davon nur ein Teil, kamen aber auch vor. Jaina Scarlet hat auch ein sehr schönes "Chose your own adventure"-Selbsthilfebuch geschrieben, wo sie ACT mit einer Fantasygeschichte verbindet: https://www.amazon.de/Therapy-Quest-Interactive-Acceptance-Commitment/dp/1472139682/ref=sr_1_2?__mk_de_DE=ÅMÅŽÕÑ&keywords=Therapy+Quest&qid=1569430752&s=gateway&sr=8-2

Ich sammle zu dem Thema Literatur und Links und bin sehr an einem Austausch interessiert.

Pen & Paper RSP wurde bislang vor allem bei Kindern therapeutisch eingesetzt - bei Autismus und ADHS. Anbei ein paar Links hierzu (ohne Gewähr für aktuelle Gültigkeit - habe die aus meinen Linksammlungen heraus kopiert):

http://dnd.wizards.com/articles/features/dr-raffael-boccamazzo-dd-and-autism
https://kotaku.com/therapists-are-using-dungeons-dragons-to-get-kids-to-1794806159
https://www.salon.com/2014/04/15/how_dungeons_dragons_saved_my_autistic_son_partner/
http://pixelkin.org/2014/09/26/video-teens-on-the-autism-spectrum-can-find-a-safe-space-in-dungeons-and-dragons/
http://www.cbc.ca/1.4433503
http://www.cbc.ca/news/canada/nova-scotia/dungeons-dragons-autism-communication-social-skills-community-1.4433503
http://www.bbc.com/news/uk-england-42874044?SThisFB
https://digitalcommons.pace.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1199&context=honorscollege_theses&fbclid=IwAR1HSZBHY3dtr9KsWHLrelILEM1KJnBdSHceWE-IKdmdKq6phyGTms5ycGE
https://www.youtube.com/watch?v=IQz9c6Q_KW4&amp&feature=youtu.be&fbclid=IwAR3RkLEWNYGU8hXotEMVtuc1MqGO_zCBZYAdsS_-m0dcNweJgj4mDEuhQpo
http://www2.rpgresearch.com/blog/using-role-playing-games-for-autism-spectrum-participants-3?fbclid=IwAR1HSZBHY3dtr9KsWHLrelILEM1KJnBdSHceWE-IKdmdKq6phyGTms5ycGE
https://thebrooklynstrategist.com/about/bio?fbclid=IwAR1PuRvFdDb9SP3e06-_METI7vchrYH7lM51cHUt2sYEw1SKIu9Tb2FLSAE
https://bit.ly/2MNWWaZ?fbclid=IwAR1gUTKsyHaQwJIWr5C2CTVfVgMajrJkCTkbc_30pOrlQyxg2TFOlATfSQw

Auch im pädagogischen Kontext lassen sich Pen & Paper RSPs einsetzen:
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/44095/Spiel-des-Lebens
https://www.wnyc.org/story/dungeons-and-dragons-critical-hit-classroom/?fbclid=IwAR02a1YeDM0U8sdRMw8vQi7ihSprdiinL94D4Yl_a9F_3r2RVwUZqzSKGbQ
https://gnomestew.com/educationalrpgs/?fbclid=IwAR3nqTZKl7_AD9f-RHLupP3PkPljJQYMNm8WWY_30Bot4tK9P4mSrvdgYzY

Oder - wie schon hier gesagt - im Strafvollzug:
https://waypoint.vice.com/en_us/article/padk7z/how-inmates-play-tabletop-rpgs-in-prisons-where-dice-are-contraband

Bücher zum Thema
Die Essay Sammlung RPG Studies: https://www.amazon.de/Role-Playing-Game-Studies-Sebastian-Deterding/dp/0815369204/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=ÅMÅŽÕÑ&keywords=RPG+Studies&qid=1569430291&s=gateway&sr=8-1
sowie
https://www.amazon.de/Functions-Role-Playing-Games-Participants-Community/dp/0786447109/ref=pd_sbs_14_1/257-2947692-7780553?_encoding=UTF8&pd_rd_i=0786447109&pd_rd_r=cd607e66-c253-4079-957a-efe8c59a3c6b&pd_rd_w=ukXYb&pd_rd_wg=l6Ob2&pf_rd_p=74d946ea-18de-4443-bed6-d8837f922070&pf_rd_r=RGMYVFJV0KTN1QANMG78&psc=1&refRID=RGMYVFJV0KTN1QANMG78

Ein schönes deutschsprachiges Buch (ist eine publizierte Abschlussarbeit) hat Myriel Balzer geschrieben - geht da zwar primär in LARPS, sie zitiert aber auch ein paar frühe Pen & Paper Studien: https://www.amazon.de/Live-Action-Role-Playing-Entwicklung/dp/3828898165/ref=sr_1_2?__mk_de_DE=ÅMÅŽÕÑ&keywords=Myriel+Balzer+LARP&qid=1569430470&s=books-intl-de&sr=8-2

Ein wenig allgemeiner haben wir uns dem Thema in einer Folge des Eskapodcasts gewidmet, wo es darum ging, was wir vom RSP fürs Leben lernen können (ich kann es da generell im Cast nicht lassen hin und wieder auch mal indirekte oder direkte therapeutische Bezüge herzustellen ;)): https://www.eskapodcast.de/2019/01/20/folge-112-schlank-und-schoen-durch-rollenspiel/

Freue mich auf den weiteren Austausch! Was ist denn so euer beruflicher Hintergrund? :)



Offline fivebucks

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #23 am: 25.09.2019 | 19:37 »
Ich mach eine Fortbildung zum Genesungsbegleiter; möchte auf der Stationären Psychiatrie arbeiten, dann auch gerne simplere Sachen spielen.

Die angesprochene Wraith - Runde würde ich für bekannte mit Psychoseerfahrung leiten.
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« Letzte Änderung: 27.09.2019 | 11:43 von fivebucks »

Offline Gunthar

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #24 am: 25.09.2019 | 19:41 »
Je nachdem, wie breit du "therapeutisches Setting" fasst, könnte auch das hier passen:

https://gametogrow.org/criticalcore/

Hauptzielgruppe sind Kinder aus dem Autismus-Spektrum.
Critical Core wollte ich auch gerade posten. RPGs können bei Autismus, Asperger oder ADHS eingesetzt werden. Critical Core kann man immer noch preordern.
Spieler in D&D 5e: "8 + viel, trifft das?"

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I propose that we rename the game "The One Ring" to become "The Eleven Ring" ;)
Three Rings for the Elven-kings under the sky,
Seven for the Dwarf-lords in their halls of stone,
Nine for Mortal Men doomed to die,
Eleven Rings to roleplay the one...

Offline RPGnosis

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #25 am: 29.09.2019 | 07:17 »
Herzlichen Dank für Eure Beiträge. Ich habe mich mit dem Thema bisher noch gar nicht befasst, weswegen ich einfach mal in die Runde fragen wollte.
Ich arbeite in einer stationären Langzeit-Reha für psychisch Kranke (primär F20, F30, F60), wo es bei manchen Klienten erstmal um sehr basale Dinge wie Tagesstruktur, Freizeitgestaltung und soziale Kompetenzen geht. Daher die Überlegung, vielleicht ein paar zum Start einer Runde Dungeonslayers o.ä. zu motivieren, und ob Andere bereits mit solcher Klientel mit Pen&Paper gearbeitet haben.

Offline Fallow and tarnish

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #26 am: 29.09.2019 | 23:25 »
Ich habe mich extra für diesen Thread hier registriert, werde gleich mal nach einem Vorstellungs-Unterforum Ausschau halten. Daher: Hallo! :-)

Kurz zu meiner Person, ich bin als Facharzt für Psychosomatische Medizin mit tiefenpsychologischem Schwerpunkt niedergelassen und seit Jahren mehr oder minder aktiver Pen&Paper-Rollenspieler.
Grundsätzlich bin ich in fast jeder pädagogischen oder psychotherapeutischen Richtung irgendwelchen Methoden begegnet, die rollenspielerische Aspekte unterschiedlicher Art einbezieht, sei es als soziales Kompetenztraining, als Spieltherapie, als geleitete oder freie Imagination, zur Diagnostik, zum Entspannungstraining, zur Selbstreflexion oder wie oben bereits genannt zur Traumatherapie.
Der Unterschied liegt aber m.E. darin, wie sich dieses Rollenspiel zusammensetzt: Ein Pen&Paper-Rollenspiel kann zwar über die gleichen Wirkfaktoren wie psychotherapeutische Methoden Effekte entfalten (Erleben von Gruppenkohäsion, Übungsfeld für alternative Interaktionsstrategien, Erleben von korrigierenden Beziehungserfahrungen, Selbstwirksamkeit, Affektabfuhr, Katharsis, Altruismus, Rhabarberrhabarber... siehe Irvin Yaloms Bücher: https://de.wikipedia.org/wiki/Irvin_Yalom), aber viele Bestandteile zumindest der typischen Pen&Paper-Systeme haben glaube ich nur mäßige therapeutische Wirkung, womit es für die doch leider eingeschränkte und für die zahlende Instanz teure Therapiezeit ineffizient wäre, das volle Regelwerk mit Kampagnen-Setting etc. zu benutzen. Ein konkretes Regelwerk mit Zufallsfaktor in der Aktionsausführung wie Würfeln z.B. macht in vielen Therapiesettings wenig Sinn, es sei denn, es soll z.B. bei Traumatherapie eine Affektdistanzierung bewirken und Sicherheit spenden (ich hörte von einem, der bei luziden Alpträumen das Monster würfeln und patzen lässt, um den Alptraum zu überwinden). Ebenso hat ein vom Therapeuten durch das gewählte Rollenspiel vorgegebenes High-Fantasy-Setting nur begrenzte Einsatzmöglichkeiten.

Insofern ist es meiner Meinung nach sinnvoll, auf die auf's Wesentliche reduzierten, bereits vorhandenen Methoden zurückzugreifen (mein Favorit in der Hinsicht ist die katathym-imaginative Psychotherapie, kann ich für rollenspielende Therapeuten nur empfehlen: https://de.wikipedia.org/wiki/Katathym_Imaginative_Psychotherapie) und konkreter ausgearbeitete Rollenspiel-Systeme nur für sehr eingegrenzte Indikationen zu beschränken - wie z.B. das o.g. Critical Core, was ich eine hervorragende Idee finde.

Ich persönlich habe gemerkt, dass ich von jedem meiner längerfristig gespielten Charaktere Eigenschaften in mich selbst integriert habe und grübele selbst aktuell eher ein Stück über das Gegenteil der Threadfrage nach: Welche Eigenschaften und, psychodynamisch ausgedrückt, Abwehrkonstellationen der Spieler führen dazu, dass welches Regel- und Würfelsystem für sie interessant ist und das Spiel spannend macht. Werde mal schauen, ob ich hier im Forum dazu einen Thread finde.

Offline POWAQQATSI

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #27 am: 3.10.2019 | 15:03 »
Vielen Dank für die sehr interessante und fundierte Antwort Fallow and tarnish!

Ich denke auch, dass die von Dir (auch beispielhaft) genannten Wirkfaktoren bei Hobby-Rollenspielen (ich gebrauche jetzt mal diese Bezeichnung, um sie von therapeutischen zu unterscheiden) wirksam sein könnten. Ergänzen würde ich noch möglicherweise wirksame Faktoren, die auch im von Dir schon genannten sozialen Kompetenztraining vorkommen, wie gedankliches Probehandeln, Verhaltenstraining, Ausprobieren in einem geschützten Rahmen.

Ich denke aber, dass Hobby-Rollenspiel auch für sich eine therapeutische Wirkung haben kann, auch wenn die Studienlage dazu bisher eher dünn ist. Und die Frage ist dann natürlich die Spezifität. Z.B. vermindert ein Aktivitätsaufbau bzw. die Durchführung angenehmer Aktivitäten ja auch Depressivität.

Von Yalom kenne ich bisher sein Buch über Fehler in der Psychotherapie und eines seiner beiden Bücher über Gruppenpsychotherapie. Von der katatym-imaginativen Psychotherapie habe ich bislang nur gehört -mehr noch nicht. Die schaue ich mir gerne mal näher an. Und irgendwann will ich auch mal eine Psychodrama-Ausbildung machen. Denke das ist als leidenschaftlicher Hobby-Rollenspieler und Psychotherapeut fast Pflicht ;)

Interessant was Du über die Interaktion Deiner Charaktere und Deiner Eigenschaften berichtest. Der Zusammenhang könnte natürlich nur auch in der anderen Richtung - oder bidirektional sein ;) Bei mir ist es jedenfalls so, dass ich bei dem meisten von mir gespielten Charakteren immer wieder Eigenschaften von mir entdecke...

Freue mich sehr auf den weiteren Austausch :)

Offline Fallow and tarnish

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #28 am: 4.10.2019 | 05:45 »
Was die Ergänzung von Wirkfaktoren angeht, bin ich einfach mal wieder verblüfft, wie die gleichen Prinzipien in unterschiedlichen Therapieschulen einfach andere Namen haben. Aber ist ja auch nachvollziehbar, wenn man sich vor Augen führt, dass die genaue Technik nur minimalen Anteil an der Wirkung von Psychotherapie hat und der größte Teil aus der therapeutischen Beziehung besteht (https://www.youtube.com/watch?v=TJ3iE2ZWX5c). Naja, soviel Abschweifung zum Schulenkrieg. :-D

Zu Deiner Erwähnung des Aktivitätsaufbaus und quasi der Ressourcenaktivierung fällt mir noch ein, dass Rollenspiel ein Hobby sein kann, dass per se sehr kostengünstig ist (wenn man sich auf Regelwerk für den SL und ein paar Würfel beschränkt) und inklusiv (es gibt kaum körperliche Einschränkungen, die dieses Hobby unmöglich machen). Dadurch ist Rollenspiel auch in Gesellschaften stärkerer sozialer Stratifikation bzw. Hierarchisierung (die ja ein Risikofaktor für das Auftreten psychischer Erkrankungen ist, s. dazu Wilkinson/Pickett, z.B. https://en.wikipedia.org/wiki/The_Spirit_Level_(book) ) für die zur Genesung hilfreiche gesellschaftliche Partizipation besser zugänglich.

Übrigens ja, ich entdecke auch immer in Charakteren Anteile von mir. Aber umgekehrt ist es glaube ich so, dass ich unbewusst meine Charaktere Dinge tun lasse, die ich selbst gerne tun würde, mich aber noch nicht getraut habe. Nach längeren Spielens eines meiner Charaktere habe ich z.B. begonnen, regelmäßig Sport zu machen.

Online Eismann

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #29 am: 4.10.2019 | 21:28 »
Ich fänd es ganz spannend mal zu überlegen, wie ein für solche therapeutischen Zwecke ausgelegtes Rollenspiel idealerweise aussehen sollte.

Offline Radulf St. Germain

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #30 am: 6.10.2019 | 09:42 »
Interessanter Thread. Mich hat (ohne konkreten Anlass) immer mal wieder die Frage beschäftigt, ob Rollenspiel für "labile Menschen" (sorry, habe nicht so das Fachvokabular) gut oder schlecht ist. Bin irgendwie zu keinem konkreten Schluss gekommen auch wenn ich mittlerweile eher zu "positiv" tendiere, wenn es richtig gemacht ist.

Offline Issi

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #31 am: 6.10.2019 | 10:44 »
Interessanter Thread. Mich hat (ohne konkreten Anlass) immer mal wieder die Frage beschäftigt, ob Rollenspiel für "labile Menschen" (sorry, habe nicht so das Fachvokabular) gut oder schlecht ist. Bin irgendwie zu keinem konkreten Schluss gekommen auch wenn ich mittlerweile eher zu "positiv" tendiere, wenn es richtig gemacht ist.
Ok jetzt schreibe ich doch mal was: Ich würde hier sagen: Kommt ganz auf die Personen und ihre Probleme an.
Die Frage: Ob Rollenspiel für jede labile Person etwas ist,  kann ich (aus mE.  heraus)jedoch klar mit: Nein -beantworten.

Personen die schon ohnehin unter einer Art von "Realitätsverlust" leiden,  würde ich jetzt z. B.  etwas anderes als "Eskapismus" empfehlen.

Es gibt zudem ein so großes Gebiet an unterschiedlichen Problemfeldern, und Menschen,  dass man nicht alle pauschal über einen Kamm scheren kann.

Deshalb würde ich sagen: Kommt ganz darauf an....
Auf den Menschen, das Problem, die Herangehensweise und das Ziel, das man damit erreichen will etc.

So und jetzt noch mal grundsätzlich und pauschal : Grundsätzlich ist Rollenspiel mMn. schon wirksam- ob die Wirkung positiv ist, ist aber nicht zwingend garantiert.

Um aus Rollenspiel einen positiven Nutzen zu ziehen,  statt Schaden zu nehmen  würde ich aber ein Mindestmaß an "Bodenhaftung "und geistiger Gesundheit voraussetzen.
« Letzte Änderung: 6.10.2019 | 11:05 von Issi »

Offline Fallow and tarnish

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #32 am: 7.10.2019 | 01:05 »
Da will ich Issi gerne zustimmen. Übrigens gilt der Satz, "ob die Wirkung positiv ist, ist nicht garantiert" für die komplette Psychotherapie: Nebenwirkungen von Psychotherapie werden gerade erst vermehrt erforscht und werden m.E. viel zu wenig thematisiert.

Tatsächlich kommt es sehr auf die Form der, um den Begriff aufzugreifen, "Labilität" an: Ist jemand traumatisiert und kommt durch Trigger in dissoziative Zustände? Hier kann sowohl die Rollenspielsituation als Trigger als auch als Distanzierungstechnik bei der Traumaarbeit wirken. Besteht eine Psychose mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen? Neben der Frage, wie der Mensch überhaupt an den Rollenspieltisch gekommen ist, ist vielleicht ein strukturiertes Spiel gar nicht möglich - aber tatsächlich ist für denjenigen es ohnehin schon schwer genug, RealitätTM und Fiktion auseinanderzuhalten. Ist jemand emotional instabil i.S. leicht kränkbar, schnell schuldbeladen etc.? Nun, das erfordert für ein Rollenspiel viel Fingerspitzengefühl, um denjenigen nicht in Probleme zu stürzen - etwas, was für meinen Beruf Alltag ist, worauf ich im privaten Hobby-Rollenspiel aber nicht wirklich Lust habe.
Patienten in all diesen und anderen Kategorien können aber andererseits die Eigenschaft besitzen, dass Fantasy bzw. eine starke bildliche Symbolisierungsfähigkeit eine ihrer besten Stärken ist, auf der man den therapeutischen Prozess dann besser aufbauen kann als auf der intellektuellen kognitiven Abstraktion.

Jeder Jeck is anders.

Wenn ich Rollenspiel in der Therapie anwende, muss es auf jeden Fall auf die Problematik des Patienten zugeschnitten sein, zumal wie oben geschrieben die genaue Therapietechnik in ihrer Manualisierung nur geringe Anteile an der Gesamtwirkung hat und die therapeutische Beziehung die Hauptgröße der Wirkung ist. Daher bin ich eher skeptisch, Rollenspiele i.S. angewandter Rollenspielsysteme generalisiert als mehr als nur ein flankierendes Therapiemodell einzusetzen.
« Letzte Änderung: 7.10.2019 | 09:33 von Fallow and tarnish »

Offline Radulf St. Germain

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #33 am: 7.10.2019 | 20:01 »
[...] Daher bin ich eher skeptisch, Rollenspiele i.S. angewandter Rollenspielsysteme generalisiert als mehr als nur ein flankierendes Therapiemodell einzusetzen.

Spannend, danke sehr. Ich möchte allerdings klarstellen, dass ich nicht Rollenspiel als Therapie meinte sondern als Freizeitbeschäftigung für solche Leute, d.h. ohne Therapeuten am Tisch. (Ne, die dürfen schon mitspielen, aber eben nicht in ihrer Rolle als Therapeuten.  ;)) (Ist vielleicht ein bischen off topic, sorry dafür.)

Offline D. Athair

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #34 am: 8.10.2019 | 00:15 »
... ohne mich genauer eingelesen zu haben, würde ich die Methode Tischrollenspiel eher im Schnittfeld von Therapie und Sozialarbeit ansetzen und vielleicht eher gerade nicht im klinischen Bereich.

Da will ich Issi gerne zustimmen. Übrigens gilt der Satz, "ob die Wirkung positiv ist, ist nicht garantiert" für die komplette Psychotherapie: Nebenwirkungen von Psychotherapie werden gerade erst vermehrt erforscht und werden m.E. viel zu wenig thematisiert.
Die Pathogenität von Psychiatrie und Psychotherapie liegt mMn auch in professioneller Hybris und in professionalisierten gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen begründet. Prof. Mechthild Seithe ... hat wegen der Pathologisierung ihrer Klienten und der Pathogenität von vermeintlichen Normalitäten den Wechsel von der Therapie zur Sozialarbeit vollzogen. Vermutlich fehlt der Psychologie bzw. Psychiatrie und Therapie die Interdisziplinarität, der Input von Erkenntnistheorie, Sexologie, Queer Theory, (Neuro-)Biologie, Soziologie und Anthropologie/Enthnologie ... (oder der vieldeutige Input wird nicht genügend rezipiert).
Erst letztens hab ich in nem Traumabuch "The body keeps the score" ein Zitat aus nem psychiatrischen Fachbuch der 70er (?) gelesen, bzgl. sexueller Gewalt in Familien, das man heute einfach nur als absolut toxisch und absurd falsch beurteilen kann. Natürlich ist man an der Stelle heute weiter, aber systematische Blindheit ist - wenn ich mir nur den ICD-10 anschaue - ein massives Thema.
Oder: Die Pathologisierung statistischer aber "natürlicher" Minoritäten (wie das bei Homosexuellen lange der Fall war) ist ein riesiges Problem.
Oder anders: Natürlich reagieren Angehörige von Minderheiten, die bei der gesellschaftlichen Konsensbildung ausgeschlossen werden mit psychischen Leidensreaktionen. Nur liegt das Problem nicht bei den Minoritäten/Einzelnen, sondern an fehlgeleiteten kollektiven Realitätsvorstellungen, die den Betroffenen angemessene Lebensverwirklichung verweigern (systemic oppression).


Drum: In Kontexten, in denen Sozialarbeitende und Therapeuten zusammenarbeiten (und die rigide Normalitätsvorstellungen einigermaßen dekonstruiert haben), kann ich mir durchaus den Einsatz spezialisierter Rollenspiele oder Abenteuer vorstellen.
Wo Geschlechterfragen therapeutisch relevant sind, kann z.B. das Rollenspiel Dream Askew eine soziale Spielwiese auftun.
"Man kann Taten verurteilen, aber KEINE Menschen." - Vegard "Ihsahn" Sverre Tveitan

Offline Fallow and tarnish

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Re: Pen & Paper im (psycho)therapeutischen Kontext
« Antwort #35 am: 8.10.2019 | 00:37 »
Damit rennst du bei mir als "Intersektionalisten" offene Türen ein. Ohne jetzt den Thread vollkommen derailen zu wollen, will ich zu meiner Sicht noch ergänzen, dass ich es ungeheuer kritisch sehe, wie sehr Psychotherapie eigentlich affirmativ bzgl. der pathogenen gesellschaftlichen Strukturen wirkt. Die Dogmen der Therapieschulen halten das aufrecht.
Ich muss gestehen, ich habe für mich noch keine befriedigende Form gefunden, diese politische Dimension adäquat in die Therapie einzubeziehen. Zumindest versuche ich, darauf hinzuweisen.

Nun genug Derailing. Gerne aber Vertiefung per PN, falls es jemanden interessiert.
« Letzte Änderung: 8.10.2019 | 01:33 von Fallow and tarnish »