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[The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus

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Chiarina:
Drei namenlose Minotauren sitzen an einem Straßenrand in Rhomoon. Zwei von ihnen sind Kautschukerntehelfer, die auf der an die Straße grenzenden Plantage arbeiten, der dritte ist ein vorbeigekommener Bronzegießer. Während der Bronzegießer ihnen zwei Gläser von seinem Palmwein einschenkt, teilen die Kautschukbauern ihren Kokoscurry mit ihm.

Der erste Kautschukbauer: „Hast du von dem Bruder gehört, der in seinem Fischerboot heute beinahe mit der Fähre zusammengestoßen ist?“

Der Bronzegießer: „Was war das für ein Fischer?“

Der erste Kautschukbauer: „Er wollte sich mit seinem Ruder von der Fähre abstoßen, hat es aber stattdessen auf die Fähre geworfen.“

Der Bronzegießer: „Was war das für ein Fischer?“

Alle drei lachen.

Der zweite Kautschukbauer: „Vergiss nicht die Flussdelphine zu erwähnen!“

Der erste Kautschukbauer: „Kurz vorher sollen die Flussdelphine gesungen haben.“

Der Bronzegießer: „Aha?“

Der erste Kautschukbauer: „Kein Grund, sein Ruder wegzuwerfen, oder?“

Der zweite Kautschukbauer: „Hast du die Flussdelphine schon einmal singen hören? Das ist ein Erlebnis! Es gab heute ein paar Leute, die behauptet haben, dass die Flussdelphine für den Fischer gesungen haben.“

Alle drei denken eine Weile nach.

Der Bronzegießer: „Was war das für ein Fischer?“

Chiarina:
2

Wenn sich in uralten, zerfallenden Gebäuden die Dämmerung breitmacht,
überwucherte Dächer, unerbittliche Steingesichter und lebendes Grün sichtbar werden,
die Grillen, Zikaden und Riedfrösche verstummen,
die Mistfledermäuse ihre Jagd auf Insekten in den dunklen Straßen beenden und zu ihren Nestern im Dschungeldach zurückkehren,
sich im Hinterhof Tänzerinnen zu einer frühen Probe versammeln,
und die Sonne ihre ersten Strahlen über das östliche Meer sendet,
dann sei gefasst
auf einen neuen Tag in der Fremde.

Chiarina:
Ich entzünde Räucherstäbchen.

Sie beginnen zu glimmen und erfüllen unsere Nasen mit dem Geruch von Sandelholz.

Wir blicken ihren Schwaden nach bis sie sich im Blätterwerk einer Birke verlieren.

Im dunklen Grün der Blätter zeichnen sich schon bald fremdartige Formen ab.

Unsere Vision beginnt.

Chiarina:
Am späten Vormittag des nächsten Tages erreicht der Philosoph das Stadtzentrum in Kostalush. Hier befindet sich der zentrale Platz der Dégringolades, ein mit Backsteinen ausgelegtes Geviert, vielleicht 300 mal 100 Schritt groß. Zu seiner Linken ragt der über hundert Schritte hohe Turm des reichen Bogenmachers Yala Ashrouf in die Höhe, an den seine Werkstätten angrenzen, in denen er längst andere für sich arbeiten lässt. Zu seiner Rechten steht das opulente Stadthaus von Arethas Empyreus. Auf dem Platz findet manchmal ein Markt statt, manchmal bieten hier auch Schausteller Vergnügungen und Zeitvertreib an. Der Philosoph ist aber vor Ort, weil hier oft auch Krieger, Söldner und Duellkämpfer ihre Dienste anbieten. Er schaut sich um und erkennt am Rand des Platzes einige Sänftenträger, die auf Kunden warten, auch einige Händler haben ein paar Stände aufgebaut. In der Mitte des Platzes ist aber ein Podest errichtet worden, auf dem ein Ausrufer mit schriller Stimme einige Männer und Minotauren präsentiert und ihre Fähigkeiten anpreist. Gespannt achtet der Philosoph auf ihre Namen.

Er muss nicht lange warten. Schon bald wird ein muskulöser, gutaussehender junger Mann mit einem etwas überheblichen Lächeln vorgeführt. Der Ausrufer informiert die Umstehenden, dass es sich um den Duellkämpfer Durokshan handele, der neue, aufsteigende Stern am Himmel Dégringolades. Durokshan sei seit 15 Kämpfen ungeschlagen, seine Kraft, seine Erfahrung und sein Listenreichtum seien unübertroffen, seine Kaltblütigkeit habe ihm bereits den Namen „Der Vollstrecker“ eingebracht. Der Mann habe seinen Preis, die mit ihm verbundene Siegesgewissheit sei aber jedes Samenkorn wert. Während sich der Mann der Menge präsentiert, bahnt sich eine Gestalt in einem weiten Umhang mit verhülltem Gesicht durch das Volk und erreicht schließlich das Podest. Der Philosoph hört, wie sie mit einer tiefen, sonoren Altstimme Interesse an Durokshan bekundet. Die Kundin ist offensichtlich eine Frau und verhandelt im Folgenden eine Weile mit dem Ausrufer und dem Krieger selbst. Schließlich scheinen die Parteien handelseinig geworden zu sein. Durokshan folgt der verschleierten Frau und nähert sich den am Rande des Platzes wartenden Sänften. Geschickt bahnt sich der Philosoph durch die Menge um zu ihnen aufzuschließen.
 
Schließlich besteigt die verschleierte Gestalt eine Sänfte und winkt Durokshan zu sich. In diesem Moment nähert sich der Philosoph dem Krieger von hinten, drückt dem überraschten Mann Saaronis Umschlag in die Hand und sagt: „Ein Brief für euch, Herr!“ Durokshan scheint verwirrt und sucht vergeblich nach Worten, drückt dem Philosophen aber schließlich zwei Samenkörner in die Hand und nickt ihm zu. Schon aber ruft die verschleierte Frau aus der Sänfte ihm zu: „Lasst uns auf den morgigen Abend zurückkommen...“  und er setzt sich zu ihr.

Langsam setzen sich die Sänftenträger in Bewegung. Sie schlagen die Richtung ein, die der Philosoph ohnehin einschlagen wollte, daher folgt er ihnen noch eine Weile. Hin und wieder kann er einen kurzen Blick durch das Fenster der Sänfte werfen und sieht, wie Durokshan mit der verschleierten Gestalt spricht, dabei aber bereits den geöffneten Brief auf seinem Schoß liegen hat. Nach einer Weile erreicht die Sänfte das Gut eines Aristokraten. Die verschleierte Frau und Durokshan steigen aus und gehen auf die Stallungen zu. Der Philosoph hört, wie die Frau dem Krieger vorschlägt, er könne sich dort den Schild ansehen, von dem sie gesprochen habe. Achselzuckend setzt der Philosoph seinen Weg fort.

Chiarina:
Am späten Vormittag des nächsten Tages klopft ein namenloser Minotaur mit dominantem Blättermagen an die Tür des Luxusbordells „Die Seide“ im Stadtteil Rhomoon. Er hat einen Mann dabei, der einen etwas abwesenden Eindruck macht. Die Tür öffnet sich und Ashtavede, der Bordellier, wirft dem ungleichen Paar einen kurzen Blick zu: „Ah, Mujeeb Gashkori, der Wahrsager! Ihr seid heute früh dran!“ Der Minotaur – nennen wir ihn den zweiten Advokaten – wirft einen bewundernden Blick auf Ashtavedes prächtige Tätowierungen und erklärt, dass sie vor den Kunden erscheinen wollten. Sie hätten die Hoffnung, dass eine der Damen möglicherweise ihre Dienste in Anspruch nehmen könnte. Ashtavede überlegt einen Moment und meint: „Ja, vielleicht versucht ihr es links im letzten Zimmer. Der Dame geht es nicht gut. Ein vorteilhaftes Orakel könnte sie wieder heiterer stimmen.“ Der zweite Advokat nickt Ashtavede dankbar zu und zieht Mujeeb Gashkori hinter sich her.

Zielsicher steuert er den Raum Halifas an und klopft am Eingang zu ihrem Raum an den Rahmen. Halifa bittet Mujeeb und den zweiten Advokaten herein. Sie begrüßt die beiden und fragt sie nach ihrem Begehr. Der zweite Advokat schlägt ihr vor, sich von seinem Herrn, Mujeeb Gashkori, weissagen zu lassen. Halifa denkt einen Moment nach, scheint aber nicht abgeneigt und stimmt schließlich zu. Der zweite Advokat will wissen, ob sie in einer bestimmten Angelegenheit Rat brauche. Halifa erzählt ihm mit etwas belegter Stimme, dass sie eine Bekanntschaft gemacht habe. „Ist es eine erfreuliche Bekanntschaft?“, fragt der zweite Advokat. „Rind, genau das würde ich gern von deinem Herrn wissen!“

Vorbereitungen werden getroffen. Der zweite Advokat teilt Essstäbchen aus und reicht Mujeeb Gashkori eine Büchse, in der das Summen von Bienen zu hören ist. In einen Becher gießt er Zuckerwasser. Der Wahrsager öffnet die Büchse und entimmt ihr mit seinem Essstäbchen geschickt eine Biene, die er im Zuckerwasser ertränkt und schließlich zerkaut. Halifa tut es ihm gleich. Eine Weile dauert es, bis das Bienengift seine Wirkung zeigt, die beiden in einen angenehmen Rauschzustand versetzt und empfänglich für den Schlund des Schicksals macht. Der zweite Advokat wirft ein paar geschnitzte Holzplättchen in eine Schale, der mysteriöser Qualm entsteigt, dann fordert er Halifa auf, vier Holzplättchen aus dem Qualm zu ziehen. Halifa tut erwartungsvoll, wie ihr geheißen wurde. Für Mujeeb Gashkori aber ist das die vierte Weissagung an diesem Vormittag. Er ist sichtlich berauscht, nicht ganz bei sich und muss sich zusammenreißen um deutlich sprechen zu können. Lange schaut er ein Holzplättchen an, auf das eine Schmuckschatulle mit geöffneten Türchen eingraviert wurde. Dann sagt er: „Die Begünstigten stellen oft fest, dass sie mehrere Möglichkeiten haben.“

Halifa wird ärgerlich: „Was heißt das denn jetzt? Das ist doch keine Hilfe! Für so einen Satz wollt ihr zwei Samenkörner haben?“ Der zweite Advokat versucht zu vermitteln: „Ja, meine Dame, das Ergebnis ist nicht allzu aussagekräftig! Wir geben uns daher auch mit einem minderen Lohn zufrieden.“ Halifa ist dabei ein neues Räucherstäbchen zu entzünden und schaut den Minotauren dabei kurz an: „Das ist immerhin ein Entgegenkommen! Ich weiß das zu schätzen.“  Der Rauch des Stäbchens steigt schon bald auf, verteilt sich und gesellt sich zu den anderen durchsichtigen Schlangen, die sich an der Decke in den Ecken winden. Der zweite Minotaur redet Halifa gut zu und gibt ihr zu verstehen, dass er von den Holzplättchen nichts verstehe, die Schlangen der Räucherstäbchen vermittelten ihm aber den Eindruck, als habe das Glück in ihrem Raum Einzug gehalten. Halifa betrachtet die Räucherstäbchen und sagt: „Meinst du wirklich?“ und verspricht mit einem Leuchten in den Augen, dass sie sich gegenüber Mujeeb und dem Minotauren großzügig zeigen werde, wenn sich ihre neue Bekanntschaft als vorteilhaft herausstellen sollte.

Mujeeb Gashkori flüstert währenddessen dem zweiten Advokaten zu, dass er eine Pause brauche. Der Minotaur verabschiedet sich deshalb von Halifa und kehrt in den Eingangsbereich der „Seide“ zurück. Er fragt Ashtavede, der an einer selbstgedrehten grünen Zigarre zieht, ob  Mujeeb sich eine Weile im Innenhof ausruhen könne. Der Bordellier erzeugt ein paar großartige Rauchringe und erklärt sich dann einverstanden: „Solange noch keine Gäste im Haus sind, könnt ihr es euch bequem machen.“ Der zweite Advokat führt Mujeeb in den Innenhof, wo er sich in ein niedriges Sofa fallen lässt.

Eine Weile betrachtet der Minotaur seinen Herrn. Der beständige Rausch durch das Bienengift hat seinem Körper und Geist zugesetzt. Mujeeb ist etwas zittrig geworden, hat seinen Körper nicht mehr gut unter Kontrolle und ist immer häufiger abwesend. Der Blick des zweiten Advokaten wandert durch den Innenhof, wo ein weiterer Minotaur einem Wasserbecken mit einem Insektenkescher tote Nachtfische entnimmt. Er fragt: „Woran sind sie gestorben?“ und der erste Advokat antwortet ihm: „Ich weiß es nicht genau. Sie gehören eigentlich in den Fluss.“ Etwas später taucht ein untersetzter Mann im Innenhof auf, der versucht, einen entschlossenen Gesichtsausdruck anzunehmen. Es ist Haygaram Ooryphas, der Besitzer der „Seide“. Mit großen Schritten nähert er sich Mujeeb Gashkori und dem zweiten Advokaten. Dann sagt er: „Gashkori! Du schon wieder! Höre zu: es gibt Gäste, die sich über dich alten Bienenfresser beklagen. Sie finden dein Geschäftsgebaren abstoßend. Du kannst von mir aus weiter hier wahrsagen, aber deine Bienen bleiben von nun an draußen.“ Mujeeb Gashkori schaut den Mann eine Weile an. Sein Zustand erlaubt es ihm nicht, eine Diskussion zu führen. Also ergreift der zweite Advokat seufzend das Wort: „Herr, die Bienen sind leider ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Arbeit. Wir sind aber vernünftigen Argumenten gegenüber nicht abgeneigt. Was haltet ihr davon, wenn wir für 10 Tage pausieren, bis sich die Wogen etwas gelegt haben. Von da an werden wir die Biene so verbergen, dass sie nur noch unsere Kunden zu Gesicht bekommen. Klingt das akzeptabel?“ Haygaram Ooryphas grunzt ein wenig und sagt dann: „Es kommt auf einen Versuch an. Bei der nächsten Klage fliegt ihr ´raus.“

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