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Reading Challenge 2021
Jiba:
Von allem, was ich im Deutsch-LK lesen musste, war "Effie Briest", da hat Menthir in seinen Kritikpunkten absolut Recht, das Furchtbarste. Endloses Lamentieren und eine zitterschwache Protagonistin. Ich hatte das Glück, das meine Kursleiterin mitten in der "Effie Briest"-Einheit die Schule verließ und wir eine neue bekamen. Wir waren mit "Effie Briest" noch ziemlich am Anfang, sodass wir dann auf "Irrungen, Wirrungen" von Fontane umgeschaltet haben. Das ist genauso wilhelminisch-seicht, aber ich fand's deutlich erträglicher, weil auch breiter aufgefächert in den Protagonisten.
Aber insgesamt war ich heilfroh, als es danach mit Gehard Hauptmann, dem deutschen Expressionismus und Franz Kafka weiterging.
Und wo wir's gerade damit haben @Menthir: Das war eine ausnehmend sprachstarke und kluge Analyse des Werkes, Menthir. Dafür ziehe ich den Hut.
Wenn man übrigens noch kann, möchte ich (einfach weil ich dem Januar noch viel hinterherräumen muss) ab Februar gerne an der Challenge teilnehmen. Ich mag mich für's Erste gerne an 2 Büchern pro Monat versuchen und am dem Halbjahreswechsel dann auf 3 pro Monat hochschalten. Mal schauen, ob es hinhaut.
Huhn:
"Effie Briest" war mit gewaltigem Abstand das Grauenhafteste, was ich je für den Schulunterricht lesen musste. Die Buch gewordene, pure Langeweile um einen Haufen Kotzbrocken. Effie selbst ist eine [sexistische Beleidigung nach Wahl einfügen], der ich durchgängig rostige Nägel in die Füße gewünscht habe. So eine dumme [weitere Beleidigung ergänzen].
Irgendwie wurde bei uns im Schulunterricht ewig darauf herumgekaut, was für ein aaarmes Mädchen sie doch sei, die an den rigiden Vorgaben und Vorstellungen ihrer Gesellschaft scheitere. Aber ganz ehrlich: Völlig unabhängig von irgendwelchen Moralkodizes war Effie einfach durchgängig an ihrem Elend vollumfänglich selbst Schuld. Die hockt nur rum und wimmert vor sich hin, dass ja alle sooo gemein zu ihr seien und alles ist ja sooo langweilig, während sie in Wirklichkeit in einer sehr privilegierten Position ist und ihr alle Zucker in den Arsch blasen. Dass alle sie bevormunden wie ein Kleinkind, schien mir immer damit zuammenzuhängen, dass sie sich wie eines benimmt und offenbar selbstständig auch zu keinen sinnvollen Entscheidungen in der Lage ist. Der scheiß Mops hat mehr Hirn als Effie. Ist ja nicht so, als wäre sie bei Wasser und Brot in den Keller gesperrt worden. Dir ist langweilig? Alte, dann tu halt was, such dirn Hobby, engagier dich, nimm dein Leben in die Hand!!! Und ja, das haben auch Frauen aus der Oberschicht zur Zeit Effies gekonnt, vorteilhafte Nicht-Liebesheirat hin oder her. Stattdessen tut sie das sackmöglichst Dumme und scharwentzelt um diesen komischen anderen Typen herum und geht ihrem Mann fremd - zieht dann aber nichtmal das komplett durch, sondern hält sich den anderen auch immer noch warm und jammert am Ende rum, als hinterher mit einer [erneute Beleidigung] wie ihr keiner mehr was am Hut haben will.
Der mitreissendste Moment in dem ganzen verf****en Buch war, als der Hund starb - das war nämlich der einzige Protagonist, der mich auch nur ansatzweise interessierte, Alle anderen waren unlikeable shitheads und es ist mir ein Rätsel, wieso alle Welt gerne Bücher über A****löcher liest. Ich hasse dieses Buch. Möge Theodor Fontante in der Hölle schmoren, wo ihm eine greise Lehrerin aus seinem Machwerk vorlese. Während ihm jeder rostige Nagel, der Effie gebührt hätte, in den Fuß getrieben wird. Scheißbuch.
Blanchett:
Dann kann ich mich ja fast glücklich schätzen, das ich "nur" eine Realschule besucht habe und im Deutschunterricht 1 1/2 Jahre mit dem ausweniglernen und interpretieren von Gedichten "gequält" wurde.
Mein persönliches Fazit dazu: Interpretationen sind sch.... man kann es dem Lehrer eh nicht recht machen (zumindest war das bei meiner Lehrerin der Fall, die nur das hören / lesen wollte was Sie interpretiert)
Fazit 2: Meine beste Interpretation habe ich mit "besoffenem" Kopf geschrieben, und selbst die war nicht gut.
Jiba:
Das männliche Äquivalent zur Effie ist im Übrigen der Werther. Den habe ich nach der Schulzeit erst gelesen und ich war überrascht wie diese geballte Seierigkeit eine ganze Jugendbewegung auslösen konnte.
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Naja, @Blanchett: Interpretation, wie sie bei uns noch (ich weiß nicht, wie's inzwischen ist) an den Schulen gelehrt wurde, ist tatsächlich Mist. "Was wollte uns der Autor damit sagen" ist aber nur eine der vielen Ansätze, die so eine Interpretation haben kann. Im Germanistikstudium habe ich viele andere Herangehensweisen an Texte kennengelernt: Diskursanalyse, Rezeptionsästhetik, psychologische Herangehensweisen, linguistische Zugänge... und nicht zuletzt die Vorstellung, dass die Deutungshoheit über einen Text nicht beim Autor liegt und es folglich auch nur eine untergeordnete Rolle spielt, was der Autor sich bei seinem Geschreibsel da gedacht hat. Der Leser trägt auch immer Bedeutung in den Text. Zugespitzt ist sogar vom "Tod des Autors" die Rede, nach dem Aufsatz des französischen Zeichentheoretikers Roland Barthes. Die Intertextualitätsforschung ist auch spannend – sie beschäftigt sich sehr stark damit, dass Autoren letztlich auch nur wiedergeben, was sie in anderen Medien konsumiert haben. Sie untersucht diese Textbezüge.
Der Deutschunterricht, wie ich ihn kennengelernt habe, war da auch massiv einseitig. Begeistern können dafür habe ich mich dennoch, sonst hätte ich's ja nicht studiert.
Huhn:
Ich fand das auch immer ganz spannend, wie ein Buch quasi sofort uninteressant wurde, sobald man es im Unterricht behandeln musste. Da wurde alles so totdiskutiert irgendwie. "Die Welle" hab ich irgendwann als Jugendliche einfach so für mich gelesen und fand das ein tolles Buch. Dann haben wirs in der Schule behandelt und das Ding zog sich wie Kaugummi. Faust I las sich eigentlich echt fetzig - bis wir es dann mit Hilfe unseres Deutschbuchs Szene für Szene in seine Bestandtteile zerpflückt haben.
Und wenn dann ein Buch halt eh schon eher langweilig war, wie die Effie oder auch Nathan der Weise oder Kabale und Liebe, die ja alle nicht gerade actionreiche Unterhaltung bieten, dann wirds einem halt echt verleidet, wenn man sich damit wochenlang behängen muss. :P
Der Effekt drehte sich für mich an der Uni um: Da trug die Auseinandersetzung mit den Texten tatsächlich dazu bei, dass ich ihnen oft mehr abgewinnen konnte. Da haben wir aber auch nicht ein halbes Jahr lang dieselbe kurze Novelle betrachtet.
Immerhin erkenn ich bis heute Heuchler*innen daran, dass sie auf ihren Social-Media-Seiten als Lieblingslektüre Werke wie "Effie Briest" aufführen und sich dann sehr gebildet vorkommen. Eigentlich beweist das für mich nur, dass die offenkundig nichts anderes in ihrem Leben gelesen haben außer der Schullektüre, zu der sie gezwungen wurden. ::) Selbst Leute, die wirklich gerne ältere Bücher und "Klassiker" lesen, kommen doch am Ende nicht bei dem Zeug raus, das man in der Schule lesen musste.
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