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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea

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Jenseher:
Zussa, Bargh und Neire gingen weiter durch die steinernen Gänge dieser fremden Welt. Sie spürten die Nähe ihrer Göttin, die gleichzeitig fern schien. Der fluoreszierende Glanz der Pilze, die auch die Wände der Tunnel bewuchsen, führte sie durch die Dunkelheit. Überall hingen weißlich schimmernde Fäden und Netze hinab. Neire hatte ab und an innegehalten und einige der Spinnweben untersucht. Bis jetzt hatte er aber keine Signalfäden entdecken können, die die Brut alarmieren konnte, deren knackenden Geräusche er aus weiter Ferne hören konnte. Auch waren die Laute der Kreaturen nicht nähergekommen. Neire wendete sich Zussa und Bargh zu, die hinter ihm gingen. Die Feuerhexe mit dem jetzt wild abstehenden rot gelockten Haar und den Sommersprossen ging hinter dem dunklen Ritter. Nur Neires geübte Augen konnten die beiden in der Düsternis sehen, die Bargh umgab und die das unheilige Schwert Glimringshert anreicherte. Neire zog den Schattenmantel zurück und zeigte Zussa und Bargh sein Gesicht. Dann flüsterte er: „Die Geräusche der Kreaturen… sie kommen nicht näher. Sie haben uns noch nicht entdeckt.“ Zussa seufzte, während Bargh sich räusperte, dann aber seinen Atem kontrollierte. Zussa trat hinter Bargh hervor und verzog ihr Gesicht. „Glaubt ihr sie werden das Fehlen der drei Spinnen bemerken? Sie sind dumme Kreaturen und können keine Armeen befehligen, wie unserer Meister Halbohr.“ Dabei lächelte Zussa hämisch. Bargh schüttelte mit dem Kopf und musterte das Mädchen. „Er hat Recht Zussa, wir sind in ihrer Welt hier und sie würden uns jagen, wüssten sie, dass wir hier sind. Nun sind wir es, die sie jagen und töten.“ Zussa rollte mit ihren grünen Augen. Bevor sie eine bockige Antwort geben konnte, zischelte Neire Worte seines fremden Nebelheimer Akzentes. „Verzagt nicht Zussa und Bargh. Wir sind hier und haben den Segen unserer Göttin. Sie hat uns hierhin geführt. Schon bald werden wir glorreich in den Tempel des Jensehers zurückkehren und die Gaben dieser Welt mitbringen.“ Die Worte schienen Zussa zu beruhigen und sie begann von Dingen zu sprechen, die sie tun wollte, wenn sie wieder zurückkehrten. Auch Bargh dachte an die Zukunft in Nebelgard und sagte leise. „Vielleicht werde ich mich der Arbeit an der Schmiede widmen, vielleicht aber auch der Stadtwache oder dem Aufbau der Armee. Jiarlirae wird schon wissen wo mein Platz ist.“ Zussa schaute Bargh verstohlen an und begann zu grübeln. Abermals war das Zischeln von Neires gespaltener Zunge zu hören, als er sprach. „Ich spüre, dass unsere Rückkehr nicht mehr fern ist. Doch jetzt sind wir hier und werden Seite an Seite kämpfen. Seid wachsam und stark im Glauben. Flamme und Düsternis begleiten uns.“ Neire hüllte sich wieder in die Schatten seines Mantels und schlich durch das Netz von Tunneln. Irgendwann gelangte er an einen Gang, aus dem er deutlich die Geräusche von Kreaturen vernahm. Da war ein Glanz von Spinnennetzen, der aus einer größeren Halle kam. Neire tastete vorsichtig den Boden ab und bemerkte dicke Fäden, die mit weiteren Strukturen verbunden waren. Er befürchtete, dass die Kreaturen der Höhle Bewegungen dieser Fäden spüren konnten. So mied er die Gebilde und balancierte durch den Tunnel. Er gelangte in eine große Kaverne, deren Boden, Wände und Decke von dicken Netzen bedeckt waren. Am Eingang der Höhle verharrte der Jüngling im Schatten und betrachtete die Spinnweben. Die Geräusche der Kreaturen kamen von über ihm. Dort konnte er sieben Monstrositäten erkennen, die in den Netzen der Decke der Höhle hockten. Drei der Riesenspinnen hatten ein bräunliches Fell und gewaltige Hinterleiber. Die anderen vier waren haarlos. Ihre Extremitäten endeten in scharfen Knochenfortsätzen. Neires Herz pulsierte. Er wagte es nicht sich zu bewegen und betrachtete die Fäden in seiner Nähe. Aus einem Seitengang konnte er das Plätschern von Wasser hören. Dann vernahm er die Schritte von Bargh und Zussa aus dem Tunnel. Plötzlich vollführten die Netzhocker zuckende Bewegungen. Wie durch eine tierische Intelligenz getrieben, bewegten sich die drei fettleibigen Spinnen hinab, während sich die vier Schwertspinnen über dem Eingang des Tunnels positionierten. Eine der fellbewachsenen Kreaturen offenbarte sich mitten im Gang. Neire konnte ihren modrigen Gestank vernehmen. Die gierige Hast auf Beute verlangsamte sich und ihre Bewegungen kamen zum Erliegen. Alle Kreaturen befanden sich in gespannter Lauerstellung. Neire musste reagieren, bevor Bargh und Zussa in die Falle tappten. Er begann augenblicklich zu murmeln. Dann schleuderte er einen glühenden Magmaball in Richtung der Decke über ihm. Das gleißende Licht der Explosion zuckte durch die Halle. Das grollende Bersten betäubte seine Ohren. Um ihn herum regnete es Körperteile, die die Explosion den Kreaturen abgerissen hatte. Als er hinaufblickte, sah er, dass die Decke in Flammen stand und drei der Kreaturen sich in ihrem Tode zusammengezogen hatte. Auch die beiden seitlichen fellbehaarten Spinnen hatte das Feuer getötet. In dem Chaos sah Neire Bargh nach vorne stürzen. Er schrie in die Höhle. „Bargh, ein Hinterhalt. Sie sind über euch.“ Dann drang das schwarze Schwert des Antipaladins in das Monster, das den Eingang blockierte. Die Klinge gebar das Feuer ihrer Göttin und spaltete den Schädel. Die letzte Kreatur ließ sich auf Bargh hinabfallen und versuchte ihn mit ihren knöchernen Extremitäten aufzuspießen. Bargh riss im letzten Moment sein Schild hoch und wehrte den Schlag ab. Dann schlitzte er den Hinterleib des Wesens auf. Zuckend zog sich die letzte Kreatur zusammen und presste in ihrem Todkrampf ihre gelblich-stinkenden Gedärme hervor. Bis auf die Flammen der brennenden Netze herrschte für einen Augenblick Stille. Dann hörten sie alle die Geräusche. Es war ein Schaben und Klacken. Wie von einer Vielzahl chitinerner Körper, die durch die Tunnel und Hallen drangen.

Bargh stürmte nach vorn. Er hörte ein Fiepen auf seinen Ohren. Das Feuer der Explosion hatte ihn geblendet, doch die Flammen brannten jetzt hernieder. Zuvor hatte er einen der Tunnel bewacht, der von dieser Halle hinfort geführt hatte. Neire hatte ihm gesagt, dass er von dort den Großteil der Geräusche gehört hatte. Dann hatte er die schwarze Brut gesehen. Riesenhafte Kreaturen waren an Boden, Decke und Wänden entlanggekrochen. Geifernd und lechzend hatten sie versucht sich gegenseitig hinfort zustoßen. Als ob sie ihre Beute vernehmen konnten und jede die erste sein wollte. Die Kreaturen waren von verschiedenen Arten gewesen. Fettleibige behaarte, aber auch Schwertspinnen hatte er gesehen. Bargh hatte sie nicht gezählt, doch es mussten Dutzende gewesen sein. Dann hatte der Schimmer der Magmaexplosion den Gang in gleißendes Licht gehüllt. In dieser fremden Welt schien Neires Magie stärker und gefährlicher zu sein. Die Wirkung war verheerend gewesen, doch durch die brennenden und zerfetzten Körper drangen furchtlos Wellen neuer Kreaturen. Einige waren kleiner und von einem silbernen matten Schimmer. Die anderen Spinnen schienen einen großen Abstand zu dieser Art einzunehmen. So als ob sie ihnen nicht zu nahekommen wollten. Bargh stellte sich den ersten Kreaturen entgegen und tötete das Wesen mit einem Hieb auf dem Schädel. Doch schon kroch die nächste Kreatur näher. Er hieb und stach. Schwarzes Blut spritzte auf und mehrere Kreaturen hauchten ihr Leben aus. Doch schon kamen weitere nach. Dann war plötzlich Zussa an seiner Seite und kämpfte die Kreaturen nieder. Bargh zog sich zurück und ließ der Feuerhexe den Vortritt. Erst nachdem die Wucht der Angriffe über die Kreaturen gegangen war, löste er Zussa wieder ab. Bargh hörte eine weitere Explosion hinter sich. Es musste Neire sein, der sein Feuer in den Tunnel auf der gegenüberliegen Seite geschleudert hatte. Ein kurzer Blick bestätigte seine Vermutung. Bargh rief zu Zussa: „Zurück… wir lassen uns zum Eingang zurückfallen. Sie kommen von beiden Seiten.“ Er hoffte, dass Neire die Spinnen auf der anderen Seite für wenigsten eine Zeit aufhalten konnte. Sie kämpften grimmig und verbissen. Das Schwert in seiner Hand wurde schwerer. Mehrfach rammte er sein Schild gegen lange schwarze Fangzähne, die nach ihm schnappten und auf denen dunkles Gift klebte. Zussa und er wechselten sich immer wieder ab im Kampf. So konnten sie schließlich die letzte Kreatur des schier nicht endenden Stromes töten. Bargh blickte sich rasch um und rief nach Neire. Im gegenüberliegenden Tunnel standen Netze in Flammen und es brannten zerfetzte Leiber. Bargh sah keine Bewegung, hörte kein Krabbeln mehr. Wo aber war der Jüngling, das Kind der Flamme? Wo war Neire?

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Mit einem Prusten richtete sich Bargh auf und schnappte nach Luft. Er hatte den Geschmack von Salz auf den Lippen. Das Wasser strömte von seiner Rüstung hinab. Noch bevor er sich umschaute, warf er den feinen seidenen Umhang in die Luft. Wie durch Geisterhand schwebte der filigrane schwarze Stoff und offenbarte das Tor zu Ortnors extradimensionalem Gemach. Nach dem Kampf in der Spinnenhöhle war der zitternde Neire aufgetaucht. Der Jüngling hatte ihnen gesagt, dass er keine Geräusche mehr hörte. So hatten sie sich eine Zeit ausgeruht und dann die Höhle untersucht. Sie hatten ein grauenvolles Blutbad angerichtet und unzählige aufgeschlitzte oder von Explosionen zerfetzte Leiber lagen in den Tunneln. In der Höhle hatten sie einige Wertgegenstände gefunden, die unter den Spinnennetzen lagen. Dann hatten sie die Halle verlassen und waren den Tropfgeräuschen gefolgt, die Neire in einem der Tunnel gehört hatte. So waren sie schließlich in eine Grotte gelangt, die von einem blau-grünen Schimmer erhellt wurde. Die Höhle hatte mehrere Ausgänge gehabt und in der Mitte war ein großes Wasserbecken gewesen, dessen Rand von einer Salzkruste bedeckt gewesen war. Nach einer kurzen Beratung waren Zussa und Neire in Ortnors Labor geklettert. Bargh hatte den Eingang verschlossen und war durch das fluoreszierende Wasser hinabgetaucht, in dessen klarer Tiefe sie einen unterirdischen Gang entdeckt hatten. Auch unter der Wasseroberfläche waren Pilze gewachsen. So war er schließlich in die Höhle gelangt, in der er sich jetzt umblickte. Etwa ein Drittel der Grotte war von Wasser bedeckt. Im anderen Teil waren große Spinnennetze und rundliche, dunkle Gebilde zu sehen, die ihn an riesenhafte Eier erinnerten. Nur unweit von ihm bewegten sich drei riesenhafte Kreaturen auf ihn zu. Die Spinnen hatten dicke Beine und rotglühende Augen. Sie hatten die Größe kleinerer Häuser. Graue Streifen zogen sich über ihre fetten Hinterleiber. Als Zussa und Neire aus der Öffnung des Portals kamen, rief Bargh ihnen zu. „Neire, Zussa, hinter euch!“ Gerade noch rechtzeitig konnten sich die beiden umdrehen, als die Riesenspinnen nach ihnen schnappten. Bargh rammte sein Schild in Richtung der Augen, doch er traf nur die riesigen Hauer. Neben ihm ging Zussa bereits in den Gegenangriff über und führte mehrere Säbelhiebe auf den Schädel eines der Wesen. Ein Zischen war zu hören und der erste Leib begann sich zusammenzurollen. Neire entfesselte einen Strahl von Magmaschatten, der den Kopf einer weiteren Kreatur zum Platzen brachte. Dann schlug Bargh zu und trennte ein Vorderbein ab. Er stach mit Glimringshert tief in den Schädel des Wesens, das wiederum zu zucken und sich im Tode zusammenzurollen begann. So standen sie ein weiteres Mal triumphierend über den Leibern der grotesken Geschöpfe. Bargh untersuchte die Höhle mit Neire und Zussa. Neben einigen Gegenständen in den Netzen, konnten sie ein leises Kratzen und Krabbeln in den Eiern feststellen. Es war, als ob in jeder der Strukturen eine Vielzahl von Spinnen heranwuchs. Neire sagte, dass er in den riesigen Leibern der Kreaturen Fortpflanzungsorgane hatte finden können. Eine genauere Untersuchung der Drüsen zeigte offenbarte zudem die Fähigkeit, sehr feine Netze zu spinnen. Sie berieten sich darüber, wie die Spinnen es geschafft haben mochten die Höhlen über den Wassertunnel zu betreten oder zu verlassen. Eine Möglichkeit war die Einwebung der Brut in luftdicht verschlossenen Netzen, die ihnen Luft zum Atmen gab und sie vor dem Wasser schütze. Nur Zussa schüttelte ungläubig mit ihrem Kopf. Die junge Feuerhexe behauptete, dass Spinnen nicht schwimmen könnten. Sie sagte Bargh, dass in ihrem Dorf jedes Kind das wisse.

Jenseher:
Ein beruhigendes Plätschern hatte die Kampfgeräusche und das Knacken von chitinernen Leibern ersetzt. Der Salzgeruch war kaum mehr vernehmbar und schwarze Rauchschwaden verbrannter Spinnennester erfüllten die Luft. Die letzten Flammen der Feuerwand brannten nieder. Mit der einsetzenden Dunkelheit verbreitete sich wieder das bläulich fluoreszierende Licht der Pilze, die selbst unter der Wasseroberfläche der Salzgrotte wuchsen. Neire und Zussa hatten die Höhle abgesucht, während Bargh sein Schattenschwert Glimringshert weiter gegen die aufgedunsenen Leiber der Riesenspinnen gerichtet hatte. Die Zuckungen der Kreaturen, die sich in ihrem Tode zusammengezogen hatten, waren schließlich zum Erliegen gekommen. Zussa stolzierte auf ihren dürren Beinen zwischen den toten Monstrositäten. Sie warf Gold, Geschmeide und den ein oder anderen glitzernden Gegenstand auf den kleinen Haufen, den sie vor dem seidenen Vorhang zu Ortnors Labor errichtet hatten. Wie von Geisterhand schwebte das Portal dort, aus dem sie Bargh hervorgeholt hatte, nachdem er durch die unterirdischen Grotten getaucht war. Zussa strich sich ihre roten, ungekämmten Locken zurück, gähnte und begann an ihren Fingerkuppen zu kauen. Das Gewebe war verbrannt dort und sie riss kleine Stücke dieser Haut mit ihren Zähnen ab. „Wir haben alles abgesucht Neire. Hier ist nichts mehr. Die Brut ist tot und ich kann kaum atmen. Die Luft ist so stickig.“ Die knapp 17 Winter alte Feuerhexe schaute Bargh und Neire mit rollenden Augen an. Bargh grummelte, während Neire zu Zussa trat. Das Kind der Flamme zitterte leicht und sprach in seinem zischelnden Nebelheimer Dialekt. „Ihr habt Recht Zussa, doch dies ist kein Spiel. Wir sind hier für unsere Göttin und führen ihren heiligen Willen aus. Wir sollten nicht müde werden, noch jemals ablassen von unserer Aufgabe, ihren ewigen Ruhm zu mehren. Wir sollten für einander da sein – wie Geschwister. Wie Flamme und Düsternis niemals allein sein werden.“ Bargh nickte zustimmend und grunzte grimmig. Er senkte seinen kahlen, von Brandnarben überdeckten Kopf und betrachtete Zussa. Ein schwaches Licht schien in dem roten Rubin zu pulsieren, der die Höhle seines rechten Auges ausfüllte und mit dem Fleisch verwachsen war. „Der Prophet hat Recht Zussa. Wir sollten niemals unsere Deckung hinablassen.“ Dabei hob der zweieinhalb Schritt große Krieger das neue Stahlschild, das er in dieser fremden Welt gefunden hatte. Zussa zögerte einen Augenblick, dann flüsterte sie sanft. „Ja ihr habt ja Recht Neire. Ich werde mich ändern und unserer Aufgabe mit der notwendigen Ernsthaftigkeit begegnen.“ Wartend blickte Zussa ihre Mitstreiter an. Als Bargh nickte, fing sie schallend an zu lachen. „Haha, ihr lasst euch so einfach an der Nase herumführen Bargh… so einfach.“ Der dunkle Antipaladin wollte gerade etwas erwidern, da war die Stimme von Neire zu hören. „Helft mir Zussa… wir bringen die Schätze in Ortnors Labor und dann kann uns Bargh auf die andere Seite der Wasserhöhlen bringen.“ Zussa schüttelte jedoch mit dem Kopf. „Ich will selbst hinübertauchen. Es war doch nicht weit Bargh oder?“ Zussa schaute Bargh eindringlich an und wippte mit ihren Beinen. Als Bargh mit dem Kopf schüttelte, roch sie an einer ihrer Achseln und verzog ihr Gesicht. „Ich stinke bereits wie einer dieser wandelnden Fische.“ Als Bargh dem zustimmte lachten sie alle. Dann entschloss sich auch Neire durch das Salzwasser zu tauchen. So verließen sie gemeinsam die Brutstätte der abscheulichen Kreaturen.

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Leise schlich sich Neire durch den Tunnel. Immer wieder achtete er auf Ansammlungen von größeren Fäden, die in weitere Netze führten. Er hatte Geräusche aus einer Höhle gehört und war vorgeschlichen. Zuvor waren sie alle aus dem Wasser aufgetaucht, hatten sich gesäubert und hatten dann die verbleibenden Tunnel auskundschaftet. Bargh hatte immer wieder nach Spuren gesucht und sie in eine bestimmte Richtung geführt. Als Neire schließlich aus der Ferne das Kratzen von Chitin vernommen hatte, war er allein vorangeschlichen. Er näherte sich gerade vorsichtig dem Eingang, da sah er, wie sich die Silhouette einer Monstrosität am Eingang vorbeibewegte. Der Körper der Kreatur war riesig und auf dem gewaltigen Hinterleib konnte er hellbraune Streifen erkennen. Hinter dem Eingang tat sich eine dunkle Höhle auf, die von dicken Spinnenweben bedeckt war. In den Strukturen konnte Neire Geschwülste Konkon-artiger Einwebungen erkennen. Je näher er kam, desto mehr Kreaturen konnte er erkennen. Sie hockten an Wänden, Decke und Boden. Sie alle schienen beständig zu krabbeln und wimmeln. Als ob sie von einer unstillbaren Gier nach Jagd und Beute erfasst worden wären. Doch auf wundersame Weise bewegten sie sich nicht aus der Höhle hinaus. Neire konnte neben den haarlosen Riesenspinnen auch wieder jene Kreaturen erkennen, deren Vorderläufe in scharfen Schwert-ähnlichen Extremitäten aus Knochen endeten. Zudem bemerkte er zwei kleinere Spinnen, deren Hinterleiber rötlich glimmende Gehirnmassen darstellten. Eine Kreatur bannte jedoch seinen Blick. Die Riesenspinne hatte einen Leib, der von bräunlich-gelben Streifen gemustert war. Aus ihrem Vorderleib wuchs jedoch der Hals und Schädel eines boshaften Wolfes. Die langgezogene Schnauze war von seitlichen Beißzangen geziert und die Augen leuchteten, beseelt von einer höheren Intelligenz. Knöcherne Kämme führten über den Hinterleib hinfort und zwei menschliche, muskulöse Arme wuchsen aus dem Vorderkörper. In der Rechten hielt die Kreatur ein Schwert aus schwarzem Stahl, in dessen Klinge Haifisch-artige Zacken geschmiedet waren. In der anderen Hand trug sie eine Armbrust. Ihre Augen glitten beständig über die Höhle. Für einen Moment hatte Neire das grauenvolle Bild vor Augen, wie die Kreatur über ihm war und seine Eingeweide aus seinem Körper riss. Wie aus einer Starre schüttelte er den Zustand ab und begann zitternd die Energie des Chaos zu beschwören, die immer noch durch seinen Körper floss. Aus seinen Händen drang ein Strahl von rot-glühendem Magmaschimmer. Augenblicklich traf die Welle aus gleißender Energie die Kreatur. Wie durch ein Wunder aber floss die Magie über den Körper hinweg. Die roten Augen der Kreatur blickten in Richtung des Eingangs und dann zu den Riesenspinnen. Alle Angespanntheit wandelte sich in einen wilden Angriffstaumel, als die Geschöpfe sich durch die Netze bewegten. Sie bewegten sich aber nicht auf den Eingang zu. Als ob sie von einer höheren Intelligenz gesteuert würden, versammelten sie sich lauernd über der Öffnung. Hinter sich hörte Neire die Schritte von Bargh und Zussa. Er schrie in den Tunnel. „Eine Falle… sie sind im Netz über uns.“ Bargh und Zussa verlangsamten ihre Schritte und blieben im Tunnel während Neire seine Magie beschwor. Die Wolfsspinne hatte gerade ihre Armbrust fallengelassen und von ihrem Rücken ein dunkles Kokon-Ei hervorgezogen, mit dem sie zu einem Wurf ausholte. Neire schwarze Kunst war aber schneller. Ein weiterer magischer Strahl rötlichen Schimmers fuhr in den Hals des Wesens. Diesmal begann die Haut zu brennen und eine Explosion erschütterte die Höhle. Spinnennetze fingen Feuer und ein gutturales Brüllen war zu hören. Bargh und Zussa zögerten. Die Wolfsspinne beschwor ihre faule Magie und vervielfältigte ihre Gestalt. Plötzlich sahen sie acht Kreaturen, die ihnen gegenüberstanden. Nur Neires geschulte Augen konnten die wahre Gestalt innerhalb der Tarnbilder ausmachen. Zwei weitere Male zuckte Neires Magie durch die Kammer. Der erste Strahl konnte nur die Tarnbilder zerstören und floss wirkungslos durch das Wesen. Der zweite Strahl erfasste den Kopf des Dämons und fraß sich tief in den Leib. Bedeckt von dampfendem Blut, brach die Abnormität zusammen. Kaum einen Augenblick später ließen sich die Spinnen hinabfallen und ein Wimmeln und Wuseln entstand. Leiber drängten auf sie ein. Die Gier der niederen Kreaturen schien überwältigend und nur durch den Geist der Wolfsspinne beherrscht worden zu sein. Bargh und Zussa stellten sich furchtlos den Riesenspinnen. Mehrfach rammte Bargh sein Schild gegen triefende Hauer. Zussa wich den Angriffen geschickt aus. Sie stachen und hackten nach den Augen und weicheren Stellen der chitinernen Giganten. Spinne um Spinne wurde aufgeschlitzt. Schwarzes stinkendes Blut besudelte sie längst und Zussa konnte Barghs schnaufenden Atem hören. Dann rief Neire plötzlich. „Hinter euch die Spinnen aus den Schatten.“ Sie töteten die letzten Angreifer vor sich und wandten sich den Kreaturen zu, die sich aus einem Kokon aus Schatten hervorwebten. Auch die beiden Gehirnspinnen konnten ihren geweihten Chaosklingen nichts entgegensetzen.

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Bargh, Neire und Zussa hatten sich unweit des Portals niedergelassen, das sie in diese Spinnenhöhlen geführt hatte. Sie hatten die Höhle der Spinnenbrut durchsucht, die Gegenstände an sich genommen und die Eier zerstört, aus denen verschiedenste Arten der Kreaturen gekrochen waren. Dann hatten sie die restlichen Gänge erkundet. Nachdem sie die Höhlen abgesucht hatten, waren sie zurückgekehrt, hatten gegessen und sich dann niedergelassen. Sie hatten geschlafen und abwechselnd Wache gehalten. Jetzt schimmerte das Licht von drei Fackeln, in deren Mitte Neire saß. Das Kind der Flamme hatte seinen Oberkörper entblößt und sich auf einen Kniesitz niedergelassen. Deutlich war der verbrannte linke Arm zu erkennen, in dessen Schulter drei große Rubine eingelassen waren, die mit der Haut verwachsen waren. Neire betete die Verse in der zischelnden, schlangenhaften Nebelheimer Sprache. Bargh und Zussa, angestrahlt von des Feuers Schimmer und verwoben mit rätselhaften Schatten, sprachen die Formeln nach. Sie hielten sich nicht an den Händen, doch sie spürten die Kraft von Jiarlirae. Ihre Göttin war ganz in ihrer Nähe und schenkte ihnen gemeinsame Gedanken:

Sie waren ihre heiligen Krieger in diesem Reich, das falsch war. Sie wussten, dass nur ihre Göttin wahr war und die Schlüssel zu den Geheimnissen trug. Jiarlirae war mehr als alles andere, es gab nur Jiarlirae! Sie würden einst ihre Weisheit kosten. Sie würden durch feuererhellte Nächte reiten, während der Krieg tobte und andere stärben. Sie waren prometheische Fackelträger eines abyssalen Urchaos - tanzende Flammen, geboren und geborgen in IHRER Düsternis.

Jenseher:
Ein silbernes Glühen ging von dem Kubus aus, den Neire in das doppelflügelige Portal aus Messing geführt hatte. Langsam und wie von Geisterhand zog der Gegenstand sich in die Mulde, die wie gemacht schien für diese Form. Bargh, Zussa und Neire betrachteten gespannt das Schauspiel. Sie standen auf dem marmornen Boden der weißlich und verloren im silbernen Nebel schimmerte. Sie waren nach ihrer Rast aufgebrochen und weiter durch das endlose Labyrinth von Passagen geschritten, die sie durch die totale Stille geführt hatten. Schließlich war der Pfad an diesem Portal geendet, das größer als alle anderen Türen gewesen war. Auch hier hatten sie gesehen, dass beide Flügel in der Leere und ohne jeden Rahmen standen. Jetzt konnten sie ein sanftes Vibrieren spüren. Die Flügel begannen sich mit einem Knirschen zu öffnen. Violettes Licht und warme Luft strömte aus der Öffnung hervor. Als der Spalt groß genug war, erblickten sie dort hinter eine Landschaft von Dünen. Ein violett schimmernder, wolkenloser Himmel erhellte den weißen Sand in einer grellen Farbe. Hitze waberte über der Landschaft und verzerrte die Sicht. Kein Windhauch war zu spüren. Neire schritt als erster durch das Portal. Vorsichtig betastete er den Sand, in dem seine Fellstiefel versanken. Dann lauschte er in die Ferne. Das Messingportal war auch von dieser Welt aus sichtbar. Es schwebte zwei Hand breit über dem Sand. Neire horchte und lugte dann hinter die nach Innen geöffneten Flügel. Doch aus dieser Richtung blickte er wie durch Luft. Auch Bargh und Zussa waren durch die Öffnung geschritten und schauten sich um. Schon nach kurzer Zeit begann die Hitze ihnen Schweiß in die Augen zu treiben. Als Neires gold-blonde Locken aus der Tarnung seines Schattenmantels auftauchte, flüsterte der Jüngling. „Hört ihr dieses Brummen? Es ist sehr leise und…“ Neire wollte den Satz beenden, doch Zussa schrie plötzlich auf. „Was ist Bargh? Irgendetwas griff nach meinem Fuß. Irgendetwas ist dort im Sand.“ Die junge Feuerhexe wischte sich den Schweiß aus ihrem von Sommersprossen bedeckten Gesicht. „Ja, auch ich habe etwas gespürt,“ sagte Neire. „Es war wie ein sanftes Streicheln.“ Neire stülpte sich wieder den Schattenmantel über und beugte sich hinab. Seine linke verbrannte Hand glitt durch den Sand. Die Körner waren fein und weiß. Seine Haut fühlte sich danach trocken an. Dann kam ihm der Gedanke. „Es ist kein Sand Zussa. Es sind gemahlene Knochen.“ Auch Zussa hatte sich hinabgebeugt und ließ eine Hand voll Staub hinabrieseln. Ihre grünen Augen funkelten rötlich im violetten Licht. „Ja, ihr habt Recht Neire. Es fühlt sich so an. Doch woher kommen die ganzen Knochen. Und wer hat sie so fein gemahlen.“ Bargh grummelte und bewegte Schwert und Schild. Er kniff immer wieder sein linkes Auge zusammen, um der Helligkeit zu begegnen. „Der Wind war es jedenfalls nicht. Die Hitze lässt einen kaum atmen hier. Von woher habt ihr das Geräusch gehört Neire?“ Eine verbrannte Hand formte sich dort, wo der Sand sich wie von selbst bewegte. „Dort… das Brummen kommt von dort.“ Bargh nickte und drehte seinen haarlosen, von alten Brandwunden vernarbten Schädel in die Richtung. „Dann folgt mir, wenn ihr es hören könnt, kann es nicht so weit weg sein.“

Sie marschierten nun schon eine Zeit durch die glühende Hitze. Der Knochenstaub war weich und das Gehen schwer. Zudem spürten sie das Brennen der weißen Substanz an ihren Füßen. Einmal hatten sie bereits Pause gemacht und gierig an ihren Wasserschläuchen getrunken. Neire hatte immer wieder gehorcht und ihnen die Richtung gewiesen. Als sie nun die gewaltige Düne erklommen hatten, offenbarte sich ihnen ein Blick über ein schier endloses Meer von wellenartigen Erhebungen. Doch sie alle sahen augenblicklich das große metallene Konstrukt zwischen den Sandbergen aufragen. Da war der Schimmer von Messing. Aus der Ferne konnten sie zwei Sphären erkennen, von denen eine größer war. Beide waren halb im Sand versunken. Über den Gebilden waren kleine kreisende Punkte zu sehen. Wortlos nickten sie sich zu und ging dann weiter auf die Sphären zu. Je näher sie kamen, desto lauter wurde das Brummen und Poltern. Es waren rhythmische, aber auch chaotische Geräusche. Sie konnten auch weitere Details der metallenen Gebilde beobachten. Die Sphären schienen aus vielen kleinen genieteten Metallplatten geschaffen zu sein. Vor einer der Sphären ragten hohe Wände auf, zwischen denen eine Treppe nach oben führte. Auch die kreisenden Objekte konnten sie nun besser sehen. Es waren drei Kreaturen von grauer Haut, schlankem Körper und ledrigen, löchrigen Schwingen. Ihre Arme und Beine endeten in messerscharfen Krallen. Graue Augen starrten aus einem halb menschlichen, halb Fledermaus-artigen Kopf. Bargh, Zussa und Neire gingen näher und hörten ein krächzendes und gackerndes Lachen. Zwei der Kreaturen schienen sich um einen Gegenstand zu streiten. Sie rissen danach, so dass das Objekt der Begierde schließlich zu Boden fiel. Es war der blutige Kopf eines Jungen, dessen eine Seite bereits gänzlich abgefressen war. Das Poltern und Rumoren aus dem Inneren der Sphäre übertönte fast gänzlich die krächzenden Schreie. Beide Gestalten setzten sich auf die Mauern und beobachteten ihre Schritte. Dann rief eine krächzend. „Menschlein… Menschlein… holt uns unser Essen.“ Dabei zeigte die Gestalt auf den Kopf des Kindes, der unweit von ihnen im Sand lag. Bargh blickte nach oben und antwortete mit tiefer, sicherer Stimme. „Sehen wir aus wie eure Diener?“ Als Antwort kam ein gackerndes Lachen, das disharmonisch im Rumpeln von Metall klang. Das violette Licht des konturenlosen Himmels brannte auf sie hinab, als eines der Wesen seine Stimme erhob. „Menschlein kann sprechen. Menschlein holen uns Futter… dort.“ Wieder zeigte die Kreatur auf den blutigen Kopf. „Holt es euch doch selbst!“ Die trotzige Antwort von Bargh brachte die geflügelten Wesen in Rage. Schon stürzten sich zwei hinab, während eine dritte sie anstarrte. Der Blick erzeugte Schmerzen bei Bargh, Neire und Zussa. Es war, als ob tausende kleiner Messer in ihr Fleisch eindringen würden. Doch Barghs Schwert Glrimringshert legte seine schützenden Schatten um sie und die Welle wehte über sie hinweg. Dann waren die Kreaturen bei ihnen und ein wilder Kampf entbrach. Neire beschwor sein Schattenfeuer und warf einen Strahl aus gleißender Magie auf die hockende Kreatur. Das Wesen wurde von Flamme und Düsternis dahingerafft und ein verkohlter Körper stürzte in den Sand. Zussa und Bargh töteten die zweite Kreatur, während Bargh die Dritte mit einem tiefen Schnitt in die Brust lähmte. Der dunkle Krieger baute sich über dem Wesen auf und zielte mit Glrimringshert in Richtung des Herzens. Schwarzes Blut pulsierte aus der Brustwunde des Wesens. „Sprecht! Wem dient ihr?“ Die Worte des Antipaladins Jiarliraes waren donnernd. Die Kreatur krächzte und hustete mehr schwarzes Blut. „Wir dienen ihr. Wir dienen der Göttin.“ Bargh zeigte auf die Stufen, die zwischen den Messingwänden nach oben führten. „Was befindet sich dort?“ Dem Tode nah, lachte die Gestalt. „Ihr Eingang zu allem was ist und allem was einst ihr gehören wird.“

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Neire torkelte und stach mit seinem Degen in das Rohr aus schwarzem Stahl. Um ihn herum war ein rhythmisches Dröhnen, ein Zischen von Dampf und ein Krachen von Metall. Die Luft war unerträglich warm und roch nach einer Mischung aus verbrannten Haaren, verkohltem Fleisch und kochendem Schwefel. Er erinnerte sich nicht daran zurück, wie er die Stufen in die Sphäre hinaufgeschlichen war. Alles war jetzt wie ein längst vergangener Fiebertraum. Das Hämmern hatte seinen Geist verwirrt und ihn an die grauenvollen Erfahrungen aus Nebelheim erinnert. Er war über die Treppe in ein Gemach gekommen, in dem eine hübsche Dunkelelfin mit silbernem Haar an einem Schreibtisch gesessen hatte. Wie in wilder Besessenheit hatte sie Runen auf Papyrus geschrieben, die Notizen aber zerrissen und durch den Raum geworfen. Der metallene Boden war bereits bedeckt gewesen von vielen zerknüllten Papierstücken. Neire hatte nicht nachgedacht, sondern sich in ihren Rücken geschlichen. Dann hatte er ihr seinen Degen von hinten in den Kopf gerammt. Die Klinge war in den Schädel gedrungen, doch er hatte nicht bemerkt, dass kein Blut, sondern Kristallschleim hervorgetreten war. Die Frau war in sich zusammengesackt. Als Zussa und Bargh in die Halle gekommen waren, hatte Neire sie angebrüllt. Tränen waren aus seinen Augen gerollt und er hatte sich die vernarbte Haut von seinem linken Arm gekratzt. Bargh hatte seinen Forderungen nachgegeben und ihm den Schlauch mit dem dunkelelfischen Schnaps gegeben. Gierig hatte Neire getrunken. Bis er die betäubende Wirkung gespürt hatte. Das Hämmern hatte ihn zwar immer noch gepeinigt, die Geräusche schienen aber viel weiter weg gewesen zu sein. So waren sie in das Innere der Sphäre vorgedrungen und hatten mehrere Gänge und Räume aus Messing erkundet. Über eine Treppe waren sie schließlich hinabgelangt, in eine glühende Halle. In einem riesigen Ofen hatte ein Feuer so heiß gebrannt, dass das Messing glühte. Sie hatten in anliegenden Räumen zusammengepresste Kohle entdeckt. Erst nach einer näheren Untersuchung hatten sie den Geruch von verbrannten Knochen, Fett und Fleisch feststellen können. Bargh und Zussa hatten die Halle wieder verlassen, während Neire zu einem Rohr getorkelt war, das aus dem Ofen herauskam. Dort konnte er das Rauschen und Zischen eines immerwährenden Stromes hören. Schließlich hatte Neire angefangen wie verrückt auf das Rohr einzustechen. Der Degen hatte sich bedrohlich gebogen, doch jetzt brach das Rohr auf. Aus dem Loch strömte ihm heißer Dampf entgegen, der nach Fäule und Verwesung stank. Neire hielt den Atem an und trat in die Hitze. Einen normalen Menschen hätte der glühende Dampf längst getötet. Doch er war kein normaler Mensch. Er war ein Kind der Flamme. Er packte das Rohr und begann zu reißen. Er spürte die Kraft der Runen seines Gürtels. Dann gab das Metall nach und er bog die Rohre auseinander. Der Druck schleuderte ihn fast weg. Die Geräusche waren ohrenbetäubend. Ein Zischen und ein Rauschen. Neire zog sich über die Apparaturen, rannte die Treppe hinauf und stieß die Tür hinter sich zu. Im Licht des Ganges, das durch die Risse in den Messingwänden brach, erblickte er Bargh und Zussa. Beide husteten und verzogen ihre Gesichter, da der Gestank bereits in den Tunnel gedrungen war. Ein Teil des chaotischen Krachens war weniger geworden, gar fast zum Erliegen gekommen. Neire zeigte sein rußverschmiertes Gesicht und lachte. „Rasch… lasset uns beten. Sie wissen jetzt, dass wir kommen.“ Gemeinsam knieten sie nieder und sprachen ihre alten Reime zu Jiarlirae. Um sie herum vibrierte das heiße Metall, getrieben durch die dämonische Magie verbrannter Seelen.

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Zussa, Neire und Bargh brachen durch das Messingportal. Boden und Wände schimmerten dort in metallenem Glanz, wo keine Patina das Messing bedeckte. Im Halbdunkel der durch glühende Risse im Metall erhellten Halle erkannten sie zwei riesige Kreaturen. Beide hatten pechschwarze Haut, die von silbernen, okkulten Tätowierungen bedeckt war. Ihre Gesichter waren die von nordischen Feuerriesen – von roten Bärten und Haaren bedeckt, doch jetzt in einer Verrücktheit verzerrt. Weißer Schaum lief aus ihren Mäulern und sie knirschen fortwährend mit ihren Zähnen. Als die Kreaturen sie sahen, fingen sie an zu brüllen. Dabei offenbarten sie ihre zerkauten und zersplitterten Hauer. Bargh stürmte den Kreaturen entgegen, die mit Streitkolben aus dunklem Eisen bewaffnet waren. Die Klinge Glimringshert drang tief in den Körper hinein. Neire und Zussa folgten und griffen die Kreaturen an, die keinen Schmerz zu empfinden schienen. Als sie die beiden zu Fall gebracht hatten, öffnete sich eine hohe Türe und zwei weitere Feuerriesen stürmten heran. Sie trugen zwei lange, schwarze Schwerter und auch sie hatten jeglichen Rest ihres Verstandes verloren. Sie traten nach Bargh; der dunkle Antipaladin strauchelte. Zussa und Neire huschten wie zwei flinke Schatten nach vorn und griffen die beiden Kreaturen von den Seiten an. So konnte Bargh zwei Schwertstreiche abwehren und sich wieder erheben. Gemeinsam töteten sie die beiden Riesen. Auf die warnende Stimme Neires begaben sie sich an eine der Türen des dahinterliegenden Tunnels. Neire hatte dort Schritte gehört, die sich näherten. Kaum hatten sie sich in Lauerstellung gebracht, da wurde die Tür aufgerissen. Dahinter erschienen drei Kreaturen, die ähnlich derer waren, die sie am Eingang in die Sphäre angegriffen hatten. Die Gestalten waren menschengroß, besaßen eine dunkle, lederne Haut und Schwingen zerfetzter Spannhaut. Ihre Extremitäten endeten in messerscharfen Krallen. Die Kreaturen starrten sie aus hasserfüllten Fledermausschädeln an, die im Entferntesten an menschliche Konturen erinnerten. Sie waren größer und muskulöser als die Kreaturen im Außenbereich. Bargh eröffnete ihren Angriff. Der Segen der Göttin war stark und er hackte einen Arm ab. Schwarzes stinkendes Blut strömte hervor und mit einem zweiten Streich ging das Wesen gurgelnd zu Boden. Gemeinsam töteten sie auch die beiden verbleibenden Geschöpfe. Hastig blickten sie sich um. Das rhythmische Poltern der Maschine war lauter geworden und erfüllte den Tunnel mit einem Dröhnen. Ihre Göttin Jiarlirae war bei ihnen und hatte sie gesegnet. Sie wussten, dass sie ihre Botschaft bringen würden – bringen müssten. Sie mussten das Tönen des übernatürlichen Uhrwerks beenden, koste es was es wolle.

Jenseher:
Sie hatten sich nach dem Kampf beraten. Neire Blickes waren jedoch wirr gewesen und er hatte getorkelt. Er hatte Zussa und Bargh angeschrien, dass sie die rhythmischen Geräusche beenden müssten – dass der monotone Krach und Lärm ihn verrückt machten. Tränen waren aus den Augen des Kindes der Flamme gelaufen, dessen Gesicht und Haare von einer öligen Schicht schwarzen Rußes bedeckt gewesen waren. So waren sie dem Geräusch nachgegangen, das Neire hauptsächlich aus dem metallenen Treppenhaus vernommen hatte. Neire war die Treppen vorangeschlichen, die sie in eine infernalisch brütende Dunkelheit geführt hatten. Jetzt verweilte er im Schutz seine Schattenmantels am Ende der Treppe und betrachtete die riesige Maschinenhalle. Flackernder Feuerschein aus kolossalen Metallöfen erhellte Messingwände und -boden spärlich. Überall war der Schmutz von Ruß und Kohle. Ein beißender Gestank von verbranntem Fett, Haaren und Haut erfüllte die Halle. Da waren aber auch Dämpfe von brennendem Schwefel und Pech, die das Atmen erschwerten. Zwischen flackernden Glutöfen und Messingröhren bewegten sich niedere Kreaturen. Sie waren menschenähnlich, jedoch fettleibig und von blasser, kränklich-gelber Haut. Wie in einem schlafwandelnden Taumel trugen sie Schaufeln der geköhlerten menschlichen Überreste in die infernalische Glut. Ihre deformierten Köpfe waren zu Boden gerichtet. Drei Riesen hatten sich in der Halle posiert und beobachteten die Dienerkreaturen mit einer Mischung aus Langeweile, Hass und Verrücktheit. Die nackten Oberkörper der Giganten waren von rituellen Narbenmustern in Spinnenform bedeckt. Ihre roten Haare schimmerten im Kontrast zu ihrer kohlenschwarzen Haut. Neire betrachtete die Szenerie nur kurz. Dann übermannte ihn der pochende Schmerz, den der Lärm in seinem Schädel hervorrief. Er schlich sich in den Rücken eines der Feuerriesen, der sich gerade nach einer der Dienerkreaturen gebückt hatte. Der Riese hatte ein rundliches Gesicht, bernsteinfarbene Augen und einen Pottschnitt von mittellangen roten Haaren. Er grunzte als er das Wesen packte und mit einer Hand hochhob. Der Riese öffnete den Mund und knirschte mit seinen Zähnen, die größtenteils bereits abgesplittert waren. Dann drückte er zu und der Brustkorb der kleineren Kreatur knackte. In dem Rumoren war kein Schmerzensschrei zu hören. Der Riese warf das Wesen durch die Öffnung einer der Öfen in die Brennkammer, wo Neire nur Flammen sehen konnte. In diesem Augenblick griff Neire an. Er stieß seinen Degen in den Rücken des Feuerriesen und ein Brüllen war zu hören. Der Riese begann sich zu drehen und starrte wild um sich. Er blickte nicht zu Neire hinab. Der Jüngling ließ seinen Degen tanzen und schnitt der Kreatur den Unterleib auf. Rückwärts in seinem Tode fallend begrub der Gigant zwei Kohlenschaufler. Dann zog sich Neire in die Schatten zurück. Das Blut und die Gewalt hatten ihn den pochenden Schmerz vergessen lassen.

~

„Neire, was tut ihr? Was wird passieren?“ Zussa stand neben Bargh, in den Schatten des Schwertes Glimringshert. Sie schrie gegen das Krachen und Klopfen von Metall, das eine Unterhaltung in gemäßigter Lautstärker unmöglich machte. Sie dachte zurück, an das, was sie in der Halle erlebt hatten. Ja, sie litt mit Neire, doch er musste wohl den Verstand verloren haben. Alleine war er vorgeschlichen und hatte die Riesen angegriffen, die in der Halle Wache gehalten hatten. Sie waren ihm zur Hilfe geeilt und hatten zwei der narbenbedeckten Monster niedergemacht, die in Neires Richtung gestürmt waren. Dann hatte Zussa die grauvolle Kreatur gesehen, die aus einer Tür am Ende einer metallischen Rampe erschienen war. Die Gestalt war vier bis fünf Schritt großgewesen und hatte eine Kreuzung zwischen Mensch und Tier dargestellt. Sie hatte vier muskulöse Arme gehabt, die in Klauen-artigen Scheren geendet waren. In ihrem Wolfsschädel hatten rote, hasserfüllte Augen gebrannt und es waren lange Beißzähne zu sehen gewesen. Die Kreatur hatte ihre faule Magie beschworen und die Körper der toten Feuerriesen und der Dienerkreaturen waren Richtung Decke gefallen. Die Magie hatten auch an ihr selbst gezerrt, doch Zussa hatte die schützende Schattenaura von Glimringshert gespürt. Dann hatte Neire einen Strahl aus Magmafeuer beschworen, der die Kreatur von innen gekocht hatte. Schließlich war das Wesen in einem Regen aus Blut und Körperteilen zerplatzt. Danach hatte Neire in seinem Wutrausch begonnen, die Kohleschaufler zu töten. Sie selbst, aber auch Bargh, hatten dem Jüngling geholfen, bis sie schließlich ein Vibrieren gefühlt hatte, das durch den Messingboden gegangen war. Ihre Haut hatte gekribbelt und sie hatte gespürt, dass das Zittern anders war, als das ständige Rütteln der Maschinen. Bereits dort hatte sie Neire angeschrien und ihm gesagt, dass sie glaube, sie seien in eine andere Welt gelangt. Der Prophet Jiarliraes hatte nur auf die Rampe gezeigt, wo die Überreste der zerfetzen Kreatur lagen. Bargh und sie selbst waren ihm gefolgt und hatten einen rechteckigen Raum gefunden, in dem sich eine Vielzahl von heißen Röhren befunden hatte. In einigen Rohren waren Öffnungen gewesen, die mit einem dunklen Kristall versehen waren. Durch das Glas hatte sie eine rötliche Flüssigkeit schimmern sehen. Auf einer anderen Seite des Raumes hatten sie ein Pult entdeckt, an dem sich zwei eiserne Räder und vier Messinghebel befunden hatten. Bevor sie sich hatten beraten können war Neire zu den Rädern gegangen und hatte begonnen zu drehen. Plötzlich war der Boden in Schwanken gekommen und sie hatte sich leicht gefühlt. Dann war sie mit aller Macht wieder auf den Boden gedrückt worden. Zussa war dann zu Neire getreten und hatte ihn gegen den Lärm angeschrien. Jetzt blickte sie Neire an, doch seine Augen schauten durch sie hindurch. Tränen hatten den Ruß auf seinem Gesicht verschmiert. Der Prophet Jiarliraes sprach zu ihr, doch sie konnte ihn nicht verstehen. Dann begann Neire das zweite Rad zu drehen. Zussa schrie Bargh an, dass er aufhören solle. Der große Krieger verharrte aber in seiner Aura der Dunkelheit. Mehrere metallene Explosionen erschütterten den Boden unter ihren Füßen, als Neire auch an den Hebeln zog. Dann hörte sie, dass die rhythmischen Stöße langsam weniger wurden. Nach einer Zeit trat Stille ein und der Jüngling sprach zu ihr. Neire lächelte sie an. Seine perfekten, weißen Zähne blitzten in seinem ölverschmierten Gesicht. „Endlich Zussa… diese Stille. Jetzt können wir wieder unserer Aufgabe nachgehen. Unsere Gebete an unsere hohe Herrin werden nicht unbeantwortet bleiben.“ Zussas Zorn über Neires Verhalten war nicht weniger geworden und wäre er nicht der Prophet Jiarliraes gewesen, hätte sie ihn hier und jetzt getötet. Sie stampfte mit einem Fuß auf dem Boden und sagte trotzig. „Oh, die Stille… ja, ist sie schön Neire? Wo zur Hölle sind wir? Sagt mir lieber das…“ Kaum einen Augenblick später hörte Zussa die Stimme in ihrem Kopf. Das Kichern war weit entfernt, kam dann aber schnell näher. Dann dachte sie, es wäre direkt hinter ihr. Sie drehte sich um, aber da war nichts. Auch Neire und Bargh schienen die Stimme zu hören, denn sie schauten erschrocken in andere Richtungen. Das Kichern verwandelte sich in eine liebliche Mädchenstimme, die sprach. „Recht hat sie, das Mädchen. Wo seid ihr bloß? Glaubt ihr euer Spiel gewonnen zu haben? Wo wollt ihr nur hin, wollt ihr nicht von mir getragen werden?“ Zussa erkannte die Stimme und fauchte in die brütende Hitze. „Habt ihr das auch gehört? Wer war das? Die gleiche Stimme wie im Tempel von Erelhei-Cinlu.“ Sie blickte erst Bargh, dann Neire an. Der Jüngling wischte sich gerade die Tränen von den Wangen und schien zu lauschen. Dann nickte er ihr zu und wies mit seinem blutverschmierten Degen in Richtung des Ausgangs. „Wir sind nicht allein Zussa, ich höre ihre Geräusche. Ihr höre aber auch IHRE Stimme wieder. Fest und deutlich. Sie sagt mir, dass der Sieg unser sein wird.“

Die Streiter Jiarliraes waren weiter durch Räume und Hallen aus Messing geschritten. Sie hatten stinkende Schlaflager der Riesen gefunden. Andere Kammern enthielten Fässer und Kisten. In einem weiteren Raum hatten drei Bilder gefunden, die eine Ritterburg, eine Vase und ein junges menschliches Mädchen abgebildet hatten. Zwei Bilder waren von Krallenspuren zerfetzt worden, doch das Bild der Vase war intakt gewesen. Aus einer anderen Kammer war ihnen der Gestank von Rindsviechern entgegengekommen. Der Messingboden war von verfaultem Heu und Exkrementen bedeckt gewesen. Augen von kränklichen Rindern hatten sie aus der Dunkelheit angeglotzt. Das Fell der Tiere war an einigen Stellen ausgefallen und die Haut offenbarte dort Geschwülste weißlicher Eiterbeulen. Aus den Nüstern lief gelblicher Schleim und die Tiere zeigten ihre verfaulten Zähne. Nicht wenige der Rindsviecher hatten zwei Schwänze, eines fünf Beine und ein weiteres nur ein einzelnes Auge in der Stirn. Sie hatten den Raum hinter sich gelassen und sich zu den doppelflügeligen Messingtüren begeben, die Neire dann nach Fallen untersucht hatte. Dahinter hatten sie eine große Kammer entdeckt, deren Boden von einer glühenden Metallverzierung in Form eines Spinnennetzes bedeckt war. Auf der gegenüberliegen Seite hatten sie ein weiteres doppelflügeliges Messingportal gesehen. Neire hatte auch dort nach Fallen gesucht. Nachdem der Jüngling Geräusche hinter diesem Portal gehört hatte, hatten sie sich Mut zugesprochen und Neire hatte das Portal geöffnet. Jetzt schauten sie in eine gewaltige Halle quadratischer Form. Boden, Wände und Decke waren aus kostbarstem Marmor, bläulicher und weißer Farben. Eine Vielzahl von Säulen trug die Decke. An den Wänden waren Bilder durch kleine bunte Steine dargestellt. Die Darstellungen zeigten eine Sumpflandschaft, durch die sich monströse Spinnen bewegten. Teils schauten Extremitäten verschlungener Menschen und Elfen aus ihren Mäulern. Die Blicke der Helden erforschte nicht lange die Feinheiten der Wandgemälde. Sie konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf die Mitte der Halle. Dort hatten sich eine Reihe von Kreaturen in einem dicken Spinnennetz versammelt. Mehrere Riesenspinnen besaßen behaarte Körper, aus denen Hals und Schädel eines dämonischen Wolfes wuchs. Umringt von diesen Kreaturen befand sich riesige schwarze Spinne, deren acht Extremitäten menschliche Arme darstellten, die in langen Krallen endeten. Mit einem Schmatzen und einem Schnattern, begann sich der deformierte Schädel der Riesenspinne zu öffnen. Unter einem Schwall von Schleim kam der Oberkörper der Frau einer hübschen Dunkelelfin zum Vorschein, die sie mir rötlich glühenden Augen anstarrte. Es war die Gestalt, die sie schon im Tempel in Erelhei-Cinlu gesehen hatten. Das grauenvolle Klappern ihrer Zähne erfüllte die Halle. Das Geräusch wurde von den Wolfsspinnen imitiert. In diesem Augenblick baute sich Bargh zwischen den geöffneten Portalflügeln auf und rief in die Halle: „Wir sind euer Ende. Jiarlirae ist mehr als alles andere, Jiarlirae über alles! Nur JIARLIRAE, nur JIARLIAE, nur JIARLIRAE!“ Wie auf Kommando setzten sich die Wolfsspinnen in Bewegung. Sie krochen geschickt durch die Netze. Neire beschwor seine Magie und glühende Magmakugeln explodierten mit einem Donnern in der weiblichen Spinnengestalt. Wie herabfallender Sand brach die Illusion in sich zusammen. Die Wolfsspinnen heulten und fletschten ihre Zähne, als sie sich in den Kampf stürzten. Es war ein Hauen und ein Stechen, was folgte. Sie hatten den Segen ihrer Herrin. Sie kämpften sich in einen Rausch heiliger Wut. Flamme und Düsternis waren mit Bargh, dem Drachentöter. Zussa, die Hand der Flamme, schwang ihren Säbel alter Chaosgötter. Jaulend gingen die Kreaturen zu Boden. Sie konnten der Macht von Jiarlirae nichts entgegensetzen. Dann trat wieder Stille ein. Keuchend und erschöpft von der Heftigkeit des Kampfes, drangen die Streiter in die Halle vor. Neire flüsterte ihnen aus den Schatten zu. „Hinter den Türen, ich habe ein Geräusch gehört. Doch ich weiß nicht hinter welcher Tür.“ Erst als sie näherkamen, sahen Bargh und Zussa das, was Neires feinen Augen nicht entgangen war. An der gegenüberliegenden Wand waren mehr als ein Dutzend Messingtüren zu erkennen. Sie lagen in der Dunkelheit und waren alle geschlossen. Hinter welchem Eingang nur versteckten sich die Diener der Spinnengöttin?

Jenseher:
Die Luft war stickig-warm und erdrückend. Da war der Geruch von moderndem Brackwasser sowie faulenden Pflanzen. Neire hatte das große, von Grünspan besetzte, Messingportal abgesucht und dann geöffnet. Danach war Bargh hindurchgetreten, hatte aber gesagt, dass die Wand des Ganges von der anderen Seite nicht zu sehen war. Neire, Zussa und Bargh hatten das Trugbild angezweifelt. Die Wand war langsam durchsichtig geworden und schließlich nicht mehr zu sehen gewesen. Jetzt standen die drei Auserwählten Jiarliraes vor der düsteren Landschaft eines toten Sumpfes. In der Ferne waren Trauerweiden zu sehen, die ihre laublosen Kronen geisterhaft in die Höhe streckten. Es waren keine Geräusche von Tieren zu hören. Nur Neire konnte die Dunkelheit weiter durchblicken. In großer Ferne schimmerten bronzenen Platten, die ihm zu erkennen gaben, dass sie sich immer noch im Inneren der metallenen Sphäre befanden. Das Kind der Flamme bemerkte aber zwei schlammige Inseln, von denen ein schwacher metallischer Glanz ausging. Er zeigte in die Richtung und zischelte. „Dort, ein Glitzern. Lasst uns nachschauen, was sich hier verbirgt.“ Neire streifte sich den Ring über, den er im Kerker König Isenbuks gefunden hatte. Schon schwebte er über Schlick und Brackwassertümpel hinweg. Geschützt durch seinen Schattenmantel verschmolz er schon bald mit der Dunkelheit. Bargh ließ Zussa auf seinem Rucksack platznehmen und schwang sich mit schweren Flügelschlägen seiner breiten Rabenschwingen in die Lüfte. Der Antipaladin flog in die Richtung, die ihm Neire gewiesen hatte. Schon bald aber waren die zischelnden Worte von Neire zu hören, den Bargh und Zussa nicht sahen. „Dort, schaut… Wellenbewegungen im Schlamm. Irgendetwas ist dort unten.“ Bargh und Zussa hörten die Brandung, dann sahen sie die Bewegung unter sich. Plötzlich folgte das dumpfe Tosen eines Strudels. Eine Kreatur brach aus den Fluten hervor, mehrere dutzend Schritte von Bargh und Zussa entfernt. Sie stieß sich mit riesigen schwarzen Schwingen hinauf, deren Häute die Blässe und die Konsistenz menschlicher Haut hatten. An den Rändern waren rote Färbungen zu erkennen. Das Wesen war über 20 Schritte lang und von schwarzen Echsenschuppen. Der Körper war von Geschwüren bedeckt. Aus tumorartigem Gewebe ragten wildes Fleisch sowie Knochen und Zähne auf. Der Kopf war von Hörnern bedeckt und messerscharfe Hauer ragten aus einem riesigen Maul. Bargh bewegte sich mit schweren Flügelschlägen der Kreatur entgegen. Zussa richtete sich auf. Dann sahen sie beide den Lichtschimmer von glühendem Magma neben sich. Sieben funkelnde Kugeln zogen ihre Bahnen wie Kometen. Sie brachen in den Bauch des Drachens. Der Schall von Donnergetöse kam später und die Explosion blendete Bargh und Zussa für einen Augenblick. Sie beide sahen, dass Blasen und Zysten aufgesprengt waren und sich die brennende Stelle eines Lochs im Rumpf des Wesens befand. Ein dumpfes Brüllen war zu hören, als die Kreatur um ihr Leben kämpfte. Der Drache begann zu trudeln. Dann stürzte der massive Leib in die Fluten des Moores. Unter den Wellen dunklen Schlammwassers versank das Monster dorthin, woher es gekommen war.

~

Zussa zitterte am ganzen Körper. Die Luft um sie herum war kalt. Überall glitzerten Schnee und Eis. obeliskenhaft ragten Säulen aus Eis auf, die die Landschaft unwirklich machten. Sie hatten sich nach ihrem Kampf zur Schlamminsel begeben. Dort hatten sie im Schlamm nach den Schätzen des Moordrachens gesucht. Bargh und Neire hatten gegraben. Sie selbst hatte sich auf einen Baumstamm gesetzt und zu Jiarlirae gebetet. Der faulige Gestank von verrotteten Pflanzen hatte sie angeekelt. Bargh hatte sie zuvor im Schlick abgesetzt und sie war tief eingesunken. Den Schlamm trug sie noch am Körper, doch die Kälte hatte den Morast gefrieren lassen. Nachdem die Schätze in Ortnors Labor verstaut worden waren, hatten sie sich zurückbegeben. Sie hatten eine andere Tür geöffnet, die sie in diese Frostwelt gebracht hatte. Neire hatte gesagt, dass er eine Kreatur gesehen hatte. Sie waren ihm gefolgt und Zussa sah nun, was er gemeint hatte. Am Rande einer Gletscherspalte stand ein Wesen, das dort hinabblickte. Auch diese Gestalt war über 20 Schritt groß. Eis und weiß-bläuliche Schuppen bedeckten den Körper. Sie hatte ihre riesigen Schwingen angelegt. Ihr Kopf war der eines Drachen. Aus dem Hals standen jedoch eine Menge verdrehter, knöcherner Hörner – angeordnet in Form einer Halskrause. Das Wesen hatte sie noch nicht bemerkt und schien in die Spalte zu beobachten. Vor ihr bewegte sich Bargh weiter. Zussa hörte die Stimme ihrer Herrin und sie wusste was zu tun war. Sie konzentrierte ihre Gedanken. Sie ließ ihrer Wut freien Lauf. In ihrem Dorf hatte sie die Kräfte noch nicht bündeln können. Das war schon lange anders. Zussa beschwor zwei Kugeln aus purem Feuer, die sie in Richtung des Gletscherdrachen schleuderte. Das Wesen zuckte herum und diamantblaue Augen starrten in ihre Richtung. Sie sah den Einschlag, hörte die Explosion und das Brüllen. Dann entfaltete das Wesen mit erstaunlicher Agilität seine Schwingen und stieß sich in die Lüfte. Zussa gefror das Blut in den Adern. Die Kreatur kam auf sie zu. Sie sah sich nach einer Deckung um, nach einem Loch oder einer Höhle. Doch hier war nichts. Sie wollte weglaufen, doch ihre Beine zitterten. Dann riss der Drache sein Maul auf und entfesselte seinen todbringenden Atem. Eine Welle von Kälte und Eissplittern erfasse sie. Sie warf sich zur Seite. Für einen Augenblick wurde ihr schwarz vor Augen und sie verlor das Bewusstsein. Ein ziehender Schmerz brachte sie wieder zurück. Sie vernahm den Geruch zerriebener Heilkäuter. Sie zitterte vor Kälte. Sie blickte in das schlammbesudelte, vernarbte und haarlose Gesicht von Bargh. Auch Neire war zu sehen. Bargh hielt sie mit seinen muskulösen Armen, während Neire Eissplitter aus ihren Wunden zog. Sie zog die Luft zwischen ihren Zähnen hindurch und unterdrückte einen Aufschrei. „Was… wo ist der Schneedrache?“ Neire lächelte ihr zu, während Bargh sie ausdruckslos anschaute. „Er ist tot. Meine schwarzen Künste konnten ihn nicht besiegen, doch Bargh hat ihn erschlagen.“ Zussa lächelte Bargh an und blickte in den roten Rubin, der sein rechtes Auge ausfüllte und mit dem Fleisch verwachsen war. „Ich wusste es… diese abscheuliche Kreatur des Frostes,“ sagte sie hasserfüllt. Nachdem Neire ihre Wunden mit Verbänden bedeckt hatte, ließ sie Bargh zu Boden und fragte. „Könnt ihr weiter Zussa? Eure Wunden waren tief. Ich kann Jiarlirae um Beistand bitten.“ Zussa schüttelte mit dem Kopf und sagte. „Nein, das werde ich selber tun.“ Sie wollte selbst die Kraft ihrer Göttin spüren. Sie wollte fühlen, wie stark ihre Herrin selbst in dieser fernen Welt war. „Habt ihr die Schätze dieser verdammten Kreatur bereits gefunden?“ Zussa blickte zuerst Neire dann Bargh an. Neire schüttelte mit dem Kopf. Dann antwortete er ihr. „Nein, wir haben uns um euch gekümmert, Zussa.“ Zussa grinste diabolisch und stieß Bargh zur Seite. „Wieso seid ihr dann noch hier? Ich kann auf mich selbst aufpassen.“

~

Bargh konnte den Propheten nicht mehr sehen, doch er sorgte sich um Neire. Hatte er zu viel vom Kind der Flamme gefordert? Nachdem sie den Schatzhort des Schneedrachens in einer Höhle der Gletscherspalte geplündert hatten, war das dumpfe Poltern der fernen Maschinen wieder losgegangen. Neire hatte dem nachgehen wollten, doch Bargh hatte gesagt, dass sie weiter gehen müssten. Als Neire nicht hören wolle, hatte Bargh ihn angebrüllt. Neire hatte nach dem Weinschlauch mit dem starken Dunkelelfenschnaps gefragt. Bargh hatte ihm das Getränk gegeben und Neire hatte den Rest hinabgestürzt. Danach war Neire voran getorkelt und sie hatten sein Kichern sowie seinen gebetsartigen Singsang gehört. Sie hatten hinter einer Messingtür eine Treppe nach oben gefunden. Neire hatte ihnen gesagt, dass er von dort Gesänge höre. Aber auch ein Wiehern, wie von Pferden. Das hatte zu den Hufspuren gepasst, die Bargh auf der Treppe und bei den Türen gesehen hatte, durch die sie gekommen waren. Neire hatte ihn zu einer Messingwand geführt, hinter der er selbst die Stimmen gehört hatte. Dann hatte Neire die geheime Tür aufgestoßen und er war in den Raum dahinter vorgedrungen. Bargh blickte in eine chaotische Kammer. Ihm kam der Gestank von Ruß, von Öl aber hauptsächlich von Alkohol entgegen. Humpen einer weißlichen Flüssigkeit standen auf einer Tafel, die von teils umgefallenen Stühlen umgeben war. Fässer und Felllager bedeckten andere Teile des Raumes. Er roch auch nach Tiergeruch, widerlichen Ausdünstungen und Schweiß. Im Gemach hatten sich einige Kreaturen versammelt, die ihnen den Rücken zugewandt hatten. Ihre kruden Speerwaffen, deren Spitzen in langen verdrehten Hörnern aus schwarzem Metall endeten, hatten sie an die Messingwände gelehnt. Sie waren so groß wie Bargh selbst, gingen aufrecht und hatten ein zotteliges Fell. Hörner wuchsen aus Schädeln, die eine Mischung von Ziegen und Pferden darstellten. Ihre unteren Extremitäten waren verdreht und endeten in Hufen. Aus ihren Hinterteilen hingen Schwänze hinab. Ein wieherndes Lachen kam Bargh entgegen, als sie ihr grausames Spiel spielten. Einen ihrer Art hatten sie an eine Wand gekettet. Der Reihe nach warfen sie lange Stilettomesser nach der Kreatur, aus deren Wunden dunkles Blut lief. Bei jedem Treffer waren chaotische Wellen dämonischen Wieherns zu hören. Bargh drang in den Saal hinein und rief: „Kniet euch nieder vor Jiarlirae oder sterbt. Abschaum!“ Die Gestalten zuckten herum, starrten ihn an und lachten ihn in ihrem Wahnsinn aus. Zwei nahmen Anlauf, senkten ihre Hörne und stürmten auf ihn zu. Bargh rammte den ersten Angreifer mit dem Schild zur Seite und wich dem zweiten aus. Die Hörner streiften über das Metall seines Feldharnisches. Dann brachte Glimringshert die Antwort seiner Göttin. Blut spritzte gegen die Wände, als er beide Pferdeleiber mit mehreren Hieben des schwarzen Schwertes tötete. Zussa war plötzlich neben ihm und auch Neire stellte sich im Kampf. Gemeinsam brachten sie auch die vier verbliebenen Kreaturen zu Fall. Das von Wurfmessern aufgespießte Opfer des Spiels wurde von Neire zuletzt getötet. Bargh wurde jedoch von Neire gewarnt. Der Jüngling zeigte auf eine Tür und sagte, er höre Geräusche von Flügelschlagen. Bargh postierte sich neben dem Messingportal. Als die Tür in der Wand zurückglitt schnellte er nach vorn und stach zu. Vor ihm waren zwei schwebende Kreaturen erschienen, die zerfetzte Lederschwingen besaßen. Sie hatten eine schwarze Haut und ihre Köpfe stellten eine Mischung aus Menschen sowie Fledermäusen dar. Bargh stieß Glimringshert in ihre Körper. Ihre rötlichen Augen funkelten und sie fauchten ihn aus Mäulern spitzer Zähne an. Er spürte Zussa an seiner Seite und gemeinsam töten sie die beiden Kreaturen. Bargh wendete sich seinen Mitstreitern zu. Er selbst war unverletzt geblieben und auch Neire und Zussa zeigten keine frischen Wunden. Kurz berieten sie sich, um dann die Gemächer der Dienerkreaturen zu erkunden. Neben verschimmelten Brotlaiben und verfaultem Fleisch fanden sie abgenagte Schädel und Knochen von Menschen und Menschen-ähnlichen Wesen. Aus einer Kammer mit Steinwänden drang der starke Gestank nach Verwesung. Dort fanden sie Schmuck und Münzen. Doch keine Türe führte sie weiter. Bargh achtete kaum noch auf das Getöse der Maschinen. Auch an die Vibration, die durch Boden und Wände gingen, hatte er sich gewöhnt. Irgendwo musste sich der Herr dieser höllischen Konstruktion befinden und um eines war er sich sicher. Sie hatten Jiarlirae auf ihrer Seite und sie würden siegen. Einen Gedanken wiederholte er gebetsartig: Flammen müssen züngeln und Schatten müssen tanzen für den Sieg.


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