Die warmen Lichter des nächtlichen Fat Chance Saloon fallen den Wild Cards entgegen, als sie gemeinsam die hölzernen Treppenstufen hinauf steigen.
„Wenn wir dem Klüngel in dem verrammelten Herrenhaus den Kampf ansagen wollen, können wir‘s auch gleich richtig machen, Pardners!“, sagt Byrd fröhlich.
„Da hoffe ich bei Gott nicht, dass Sie meinen, mit einem Glas Bier oder Schnaps in der Hand!“, lässt sich Bill Dano vernehmen.
„Nee“, sagt Mister Byrd, „aber mit dem Rückhalt durch unsere lieben Mitbürger! Es ist Freitagnacht, der Fat Chance Saloon dürfte noch ordentlich voll sein. Und bestimmt haben die Schürfer Bock auf eine gute Geschichte! Brandheiße Neuigkeiten für alle, und immerhin haben Rex und May B. heute Vormittag ja auch schon Vorarbeit geleistet, indem sie allerorts klar gemacht haben, was für eine Klapperschlange Ivor Curwen in Wirklichkeit war!“
Joycelyn sieht ihn an, „Oh, ich verstehe! Und Du willst, dass ich wieder davon berichte, was in der Zwischenzeit draußen im Maze geschehen ist!“
Byrd nickt enthusiastisch, „Wenn wir gegen die Curwens und Whateleys gewinnen wollen, dann brauchen wir immerhin die Mithilfe der Siedler! Schwuppdiwupp haben wir die Gesellen wieder aus unserem schönen Gomorra rausgeschmissen. Geteert und gefedert! Dafür müssen die lieben Nachbarn aber erfahren, woran sie sind, nicht?“
Mallory Kentrall verharrt vor der Schwingtür und sieht bestürzt ebenfalls Byrd an: „Mister Byrd! Derartiges gestatte ich auf keinen Fall! Ich habe Ihnen mein Netzwerk offen gelegt im festen Vertrauen darauf, dass ich mich auf Ihr Stillschweigen verlassen kann!“
Der Gunslinger winkt fröhlich ab, „Joycelyn wird natürlich keine Silbe verlieren über Sie oder den Court, Miss Kentrall. Nicht wahr. Wir haben ja unsererseits kein Interesse, von denen weiterhin durch die Prärie gehetzt zu werden.“
„Der Court hat Sie durch die Prärie gehetzt?!“, fragt die Kentrall ungläubig.
Shadrack raunt warnend, „Ich sagte doch, der Court ist nicht das, was man Ihnen suggeriert hat, Kentrall. Sie wissen vermutlich nichts von den Geschäften des
Royal Court. Sie wissen womöglich nicht mal, dass es einen derartigen inneren Zirkel gibt. Was für eine Karte sind Sie in deren Struktur, Kentrall? Eine kleine Vier, oder Fünf?“
Miss Kentrall wird blass um die Nase vor Wut, „Das geht Sie ja wohl nichts … woher wissen Sie überhaupt … ich habe die Interessen meiner Organisation zu schützen …!“
May B. knurrt ärgerlich, „Hören Sie Rex eigentlich nicht zu, Kentrall? Die verdammten Whateleys haben hier in der Stadt Besseres zu tun als vor dem Court zu buckeln! Und in jedem Fall müssen wir die Stadt vor ihnen warnen“, und sie geht durch die Schwingtür ins Innere.
„Seht Ihr, endlich hat auch May B. Wickett geschnallt, dass man immer gut daran tut, mir zuzuhören“, sagt Rex mit großer Genugtuung, „Miss Kentrall, danke für die fabelhafte Zusammenarbeit!“, tippt sich mit wölfischem Grinsen an den Zylinder, und folgt der Hexe in den Saloon.
„Na kommen Sie, es ist eine Freude, Joycelyn Lancaster beim Erzählen zuzuhören!“, sagt Byrd versöhnlich zu Miss Kentrall, und schiebt sie mit nach drinnen, bevor sie sich weiter auf ihre Empörung konzentrieren kann.
Drinnen geht es tatsächlich noch hoch her, mit vollen Humpen wird angestoßen und wacker ausgesoffen. Caterwowlin’ Willie malträtiert im Hintergrund das alte Piano so lautstark er kann. Als Joycelyn herein rauscht, setzt einiges freudiges Gejohle ein, und mehrere Stammgäste verlangen zu wissen, wann die Sängerin wohl ihre Auftritte vom Old Moon Saloon endlich hierher in den Fat Chance Saloon verlegt.
Um die Menge in dieser Location zusammenzurufen und ihre Aufmerksamkeit auf Joycelyns Darbietung zu lenken, muss (laut meinem Abenteuer-Generator) das Aufgebot den Saloon beeinflussen. Die Karten geben leider vor, dass just heute Abend eine neutrale andere Fraktion der Stadt die Location im Griff hat, und das sind die Law Dogs. Die Deputies Templeton, Fremont, Hendricks, Flatbush, und diverse andere Sternträger schlendern bestens gelaunt zwischen den Tischen umher, und lassen ihren Sieg bei einer Schießerei am Stadtrand feiern, die wohl heute Abend stattgefunden hat. Wer zwischen den Zeilen liest, bekommt mit, dass der Zweck des Hierseins der Hilfssheriffs außerdem darin besteht, die vielen verdeckten Sweetrock- und Blackjack-Sympathisanten unter den Saloongästen zu bedrohen.
„… Ihr könntet die nächsten sein, mit denen Sheriff Coleman kurzen Prozess macht!“, heißt das, raunt May B. den anderen zu, als sie von der Bar aus das bierselige Treiben beobachten.
„Oh meine liebe Güte“, sagt Joycelyn, „wie sollen wir uns denn hier drin heute Abend Gehör verschaffen? Hier wird ja jedem über den Mund gefahren, der keinen goldenen Blechstern angeheftet hat!“
Stimmt, die Ereignistabelle sagt, dass der Versuch, den Fat Chance Saloon zu beeinflussen derzeit mit -6 gemacht wird, das ist bockschwer.Luca Byrd stiefelt dennoch unbeirrt zu dem Tisch, wo gerade Deputy Templeton steht, und stößt mit dem Fettwanst an, und macht sich daran, ihm die Schau zu stehlen. Egal, wie laut und lustig er dabei wird, sein
Persuasion-Wurf reicht nicht aus, die Hilfssheriffs geben heute Nacht ganz klar das Thema vor.
May B. wird kurz darauf bei der Bar von dem jungen Banditen beschimpft, der neulich bereits von ihr eingeschüchtert wurde, drüben im Old Moon Saloon. Diesmal hat er den Rest seiner Gang dabei, welche die Hexe umringen. Erst werden sie fies, dann anzüglich! Ein
Quick Encounter muss bestanden werden, um die Galgenvögel zu vertreiben, und mein Aufgebot bekommt nicht genügend Erfolge zusammen. Das bedeutet, die Gemüter eskalieren weiter, und am Ende fordert der Cholerischste aus der Gang, ein gewisser Red-Handed Ed, die Hexe zu einem Duell heraus!
Red-Handed Ed ist schnell mal angepisst„… Genug von Euch und Euren Hackfressen und den großen Tönen, die Ihr spuckt!“, schreit Ed, „Du da, Halbblut-Schlampe! Ich fordere Dich heraus! Wir gehen mit unseren Ballermännern raus auf die Straße, und zwar sofort, und wenn Du glaubst, einen Funken Ehre in Deinem dreckigen Halbblut-Leib zu haben, dann versuchst Du nicht, Dich da raus zu wieseln!“
Die Stimmung im Barbereich wird äußerst angespannt — in Gomorra wird ein Aufruf zum Duell sehr ernst genommen. Alle Blicke wandern zu Eds Gegnerin herüber.
„Halbblut-Schlampe …?“, fragt May B. bebend vor Zorn, sie hat auch schon ein paar Schnäpse intus, „das sind ja gleich zwei Beleidigungen die ich nicht mag in einem Satz. Hey, willst Du nicht noch eine dritte drauflegen?“, und alle Umstehenden sehen sie wartend an, und in die entstehende Stille sagt die Hexe, „
Achtlos. So bin ich nämlich, wenn ich über den zerlöcherten Kadavern meiner Duellgegner stehe! Ich würdige sie keines Blickes mehr, wenn ich gewonnen habe. Los, nichts wie raus, auf die Straße!“
Die Besoffenen johlen und hauen sich gegenseitig auf die Schultern, jetzt gibt es was zu sehen, Red-Handed Ed erntet einiges an Anfeuerung.
„Das ist riskant, May B.!“, raunt Luca der Hexe zu, „Du kannst mich oder Shadrack benennen als Deinen Vertreter! Wir waren beide früher schon mal in Duellen!“
„Bullshit“, raunt May streitlustig zurück, „das ist
mein Kampf! Den Kerl rauche ich in der Pfeife!“
Die Wild Cards folgen besorgt den grimmigen Duellanten durch den Schankraum, an den immer noch lautstark feiernden Deputies vorbei, auf die staubige, nächtliche Straße vor dem Fat Chance Saloon. Gut, dass die Gesetzeshüter derartig abgelenkt sind, sonst würde die kleine Angelegenheit noch komplizierter werden.
Geilo, man kann hier mal die fancy Duell-Regeln aus dem Deadlands-Grundbuch verwenden (Seite 47)! May und Red-Handed Ed bekommen vorab eine sogenannte Hole Card als ihre Aktionskarte für die dritte Kampfrunde, da werden erst die Pistolen gezogen. In den ersten zwei Runden können diese Hole Cards noch verändert werden. (May B. bekommt eine Kreuz Neun, Ed eine popelige Karo Vier, sieht also gut aus für die dritte Runde!)Warum auf High Noon warten, wenn man die Dinge auch nach Mitternacht erledigen kann?Runde 1: Die Hexe zerreibt ein paar getrocknete Kräuter aus ihrer Westentasche unter ihrer Nase, und konzentriert sich auf
Boost Intimidation. Sie hat nur einen W4, und sie will Red-Handed Ed nächste Runde einschüchtern.
„Ich hab‘ schon härtere Gegner umgepustet als schwache Weiber wie Dich“, zischt derweil Ed voller schneidendem Spott.
May B. beginnt nervös zu werden, Schweißperlen erscheinen auf ihrer Stirn. Damit zieht Red-Handed Ed seine
Hole Card neu, und verbessert sie zu einem Karo Buben. Oh-oh!
Runde 2: „Wenn ich Du wäre, würde ich jetzt wegrennen, wie Dein Kumpel neulich“, knurrt die Hexe. Trotz ihres geboosteten
Intimidation-Würfels erzielt sie jedoch keinen Erfolg.
Ed grinst schief und seine Hand über seinem Pistolengriff zuckt, er versucht dadurch seine Gegnerin glauben zu machen, er würde voreilig ziehen, und sie aus dem Konzept zu bringen. Dies ist ein
Taunt gegen May’s
Smarts. Sie bleibt jedoch cool, ihre Finger bewegen sich nur ganz langsam über dem Griff ihres Colt Army.
„Putzen Sie ihn weg, May B.!“, erklingt Joycelyns zitterige Stimme aus der Traube von Umstehenden.
„Na ist doch klar, May B. lässt sich doch keinen Scheiß erzählen“, bekräftigt Byrd leichtmütig, und beide erzeugen einen +1-Supportbonus für die Mitstreiterin.
Runde 3: In dem Moment zieht Red-Handed Ed wirklich, und die
Hole Cards werden verwendet. Den Karo Buben konnte ich Ed nicht mehr abnehmen, also ist er schneller als May B. mit ihrer Kreuz Neun. Im Duell dürfen keine Bennies zum Absorbieren verwendet werden, sprich, wenn er unsere Heldin abknallt, dann ist sie auch unwiderruflich mausetot! Er drückt ab, ein Schuss peitscht durch die Nacht, und — die Hexe wurde verfehlt. In dem Moment hat auch sie gezogen, und durchlöchert ihren Duellgegner präzise in der Körpermitte. Red-Handed Ed ist also heute Nacht nicht derjenige, der mit blutigen Händen dasteht, und wie in Zeitlupe wankt er, dann fällt er nach hinten um in den Straßenschmutz. Die Kerle aus seiner Gang flüchten, die anderen Gaffenden in der Menschentraube beginnen besoffen zu johlen und May B. hochleben zu lassen.
Byrd klopft stolz wie Lukas der Hexe auf die Schulter, als sie den Rauch von ihrer Pistolenmündung pustet und sich den Schweiß von der Stirn wischt, „Sehr guter Schuss, Pardner! Wir machen jetzt auch besser, dass wir wegkommen, so mit dem Templeton und der Hendricks und den ganzen Law-Dog-Besserwissern da drinnen“, und er zeigt mit dem Daumen über die Schulter auf die Schwingtür.
May sieht ihn an und zieht provokant eine Augenbraue hoch: „Machst Du wieder Witze? Wir gehen da jetzt wieder rein, und reißen den Abend an uns! Gibt wohl kaum was, das einem mehr Rampenlicht verschafft als ein gerade gewonnenes Duell um die Ehre!“
Damit wendet sie sich kurzentschlossen um, stiefelt großspurig in den Saloon, schießt salute in die Schankraumdecke, und ruft, „Hey Ihr Pappnasen, aufgepasst, es gibt
schon wieder was zum Feiern!“
Die Hexe darf nach Abwicklung ihrer Begegnung auch versuchen, die Location zu beeinflussen, immer noch mit -6. Ich versuche es mal, und siehe da, sie würfelt tatsächlich so hoch, dass es klappt!Die Law Dogs wollen zwar erstmal mit ihr klären, was das Duell rechtlich für Konsequenzen hat, und vor der Tür wird der zusammengeschossene Red-Handed Ed bestaunt. Aber die Schaulustigen sind ganz klar auf May B.s Seite, dies war ein faires Duell um die Ehre, und obendrein hat Ed auch noch zuerst gezogen. Das Halbblut hat in Notwehr gehandelt, finden alle, und das Gesetz des Westens sagt demnach, dass sie im Recht ist.
Damit ist dann quasi die Bühne bereitet für weiteres Geschichtenerzählen. Joycelyn ergreift ihre Gelegenheit, und schart die Saloongäste um sich, und lenkt von dem Duell eben das Thema sehr geschickt um, zu Ivor Curwen und dem Dragon‘s Nest Strike. Sie berichtet von seinen Geschäftsinteressen, wie er die guten Leute von der Temperance Army ausgenutzt hat, dem Unwetter über der Felseninsel mit dem Strike, der heutigen beschwerlichen Reise dorthin, und dem Eindringen in die Mine voller Walkin‘ Dead, Phantomen, und schließlich Lavamännern!
Joycelyn erzielt (trotz dem Abzug durch Gomorras Furchtlevel) ein
Raise — die Saloonbesucher hängen gebannt an ihren Lippen, während sie berichtet. Zumindest in dieser Nacht glauben sie alle miteinander an das Übernatürliche, an die Schatten des Reckoning über Gomorra, und ebenso daran, dass mit Mut und Tollkühnheit alles erreicht werden kann, um diese Schatten zu bannen. Man sieht es an ihren Gesichtern. Eine ganz feierliche Stimmung macht sich schließlich breit. Charlie Landers schenkt unseren Helden Gratis-Drinks aus, Joycelyn lässt sich noch ein Weilchen ausfragen und bringt dann lieber ein paar ihrer berühmten Lieder, Bill Dano erhält Gelegenheit, mit Inbrunst über die Sündigkeit des Trinkens aufzuklären, und sogar John Bloody Knife findet Gehör bei den Bleichgesichtern, und warnt sie eindringlich vor den neu zugezogenen Whateleys.
Das Furchtlevel von Gomorra sinkt dadurch auf drei! Es wird angesichts der dramatischen Verhältnisse in dieser Stadt nicht lange auf diesem Level bleiben, aber dennoch können die Städter die Atempause genießen, so lange sie eben andauert. Jedenfalls haben unsere Helden sich damit einen neuen
Conviction-Punkt verdient.
☆
In einer der hintersten Ecken sitzt Luca Byrd an einem kleinen Ecktisch, beide Backen voller Bohnen und mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht, er schaut drein wie ein Schuljunge, der einer Festtagsparade zusieht.
Plötzlich steht May B. an seinem Tisch, und stützt bedrohlich die Hände auf die Platte, ihre Augen funkeln Luca Byrd angriffslustig an: „Warum machst Du das? Was hast Du davon, Joycelyn für Dich vorzuschicken?“
„Wie meinen?“, fragt Byrd unschuldig, und schiebt noch einen Löffel gebackene Bohnen hinterher.
„Stell‘ Dich nicht dämlich, Mann! Du ermunterst sie immer, das Rampenlicht zu suchen! Und Du selbst, Du bist selber doch auch spitze darin, Leute zu belabern, aber Du sitzt dann immer nur im Hintergrund, wenn öffentlich erzählt wird! Ich will wissen, warum!“
Byrd kichert glücklich, kaut vor sich hin, und schenkt May einen Whiskey aus der Pulle ein, die auf seinem Tisch steht, schaut sie auffordernd an.
„Ja, ja“, sagt die Hexe, setzt sich dazu, und sagt, „prost! Auf meinen Sieg über Red-Handed Ed!“
Luca nickt glücklich, und beide trinken aus.
May B. gestikuliert mit dem Zeigefinger, von wegen ‚warte mal‘, schlüpft aus ihrem Cowboystiefel, und legt dann Luca ihren entblößten Fuß auf den Oberschenkel, deutet lächelnd darauf.
Nichtsahnend schaut der Gunslinger auf das Knöcheltattoo.
„Ach ja, das, da war ja noch was!“, sagt er mit vollem Mund, als er begreift, dass er in die Falle gegangen ist.
May B. würfelt
Spellcasting, und erzielt ein
Raise für ihre
Beguile-Kraft.
Byrds blaue Augen leuchten vor Begierde, als er vom Tisch aufspringt und mit vollem Mund sagt, „May B., mein Täubchen — da hinten wird doch auch getanzt, lass‘ uns tanzen!“
Die Hexe kichert berechnend, und entgegnet, „Bleib‘ erstmal noch sitzen. Ich hätte da eine Frage, die Du mir beantworten kannst!“
Byrd wirft sich wieder in seinen Stuhl und fasst May bei den Schultern: „Alles, Täubchen, Karamell-Bonbon,
alles! Gute Güte, so ist das also, von Dir behext zu sein? Das ist ja großartig! Habe mich schon oft mopsfidel gefühlt, aber lange nicht mehr
derart mopsfidel! Ich würde alles für Dich machen!“
„Ja, alles!“, grinst May B. gemein, „also sag‘ mir als erstes mal …“
„Wow, ich bin so verknallt! Ich will mich mit Dir im ersten Herbstlaub aalen und meinen Kopf in Deinen weichen, nachtschwarzen Haaren vergraben! Der
Sternenhimmel, May B., ich will …“
„Halt‘ mal die Schnute, erstmal willst Du meine Frage beant—“
„Ich will Dir die Sternlein vom Himmel pflücken, und Dir Zehenringe für Deine liebreizenden kleinen Zehen daraus machen! Ich will die güldenen Reichtümer der Pharaonen aus den Scheiß-Pyramiden klauen, um sie Dir zu Ostern zu schenken! Die Köpfe Deiner Feinde will ich …“
May B. gibt Byrd eine Watschen, und zischt, „Und ich hätte gedacht, Ernest Amblin war nervtötend, wenn behext! So Freundchen, jetzt halt den Rand und pack‘ aus: Was soll der Eiertanz, wenn Du Joycelyn in die Öffentlichkeit vorschickst, vor Menschentrauben und zu Zeitungsjournalisten?“
Byrd zögert und schaut verzückt mit funkelnden Augen sein Gegenüber an.
„Du würdest mir solch eine
Freude machen, darauf zu antworten!“, sagt die Hexe mit rauchiger Stimme, und mit gekonntem Augenaufschlag.
„Dir kann ich‘s ja sagen, oh Tausendschöne: Hat mich mal ein oller Vorgesetzter in der Südstaatenarmee drauf gebracht! Musste ihm damals schwören, dass ich‘s auch nicht leichtfertig weitersage!“
„So?!“
„Ja, mein Herzblatt! Ach, Du bist so hinreißend, wenn Du mir Sachen aus der Nase ziehst, die ich geheim zu halten pflege! Major Watton! Er war mit bei der legendären Schlacht von Gettysburg gewesen, musst Du wissen. Er hat mir mal anvertraut, wie er hinterher, kurz nach der Schlacht, mit seinem damaligen Regiment eine Horde jener Soldaten eingekesselt hatte, die einfach nicht tot bleiben wollten. Du weißt schon, die ersten Walkin‘ Dead, die die Welt damals zu sehen gekriegt hat! War auch ein schönes Stück Arbeit, die Mistdinger wieder zusammenzuschießen! Als Major Watton und seine paar Überlebenden jedenfalls hinterher in die nächste Siedlung zurück kamen, haben sie allen davon erzählt. Damals, so kurz nach Gettysburg, da gab‘s die Schweigepflicht noch nicht; die Texas Rangers waren ja auch noch gar nicht als Geheimpolizei eingesetzt worden. Das war laut dem ollen Watton das erste Mal, dass er es beobachten konnte.“
„
Was beobachten?“
„Mein Püppchen, die Soldaten brauchen hohe Moral, um dem Feind zu begegnen. Die Menschen brauchen Mut, um dem Reckoning zu trotzen! Das ist nicht nur blosse Psycho-Lologie, das ist vielmehr … ich kann das nicht gut erklären. … Guter, alter Major Watton. Ist kurz darauf versetzt worden, und in dem Winter an der Mason-Dixon-Line erschossen worden, Gott hab‘ ihn selig. Aber er schwor darauf, dass seine Beobachtung stimmt. Ich glaube, der alte Knabe war damals einer der ersten, der dahinter gekommen war, so kurz nach dem Reckoning!“
Luca nimmt May B.s Gesicht zwischen die Hände, und küsst sie leidenschaftlich. Sie küsst zurück, obwohl sein Atem unangenehm stark nach Schnaps schmeckt.
Dann macht sie sich wieder los von ihm, und sieht ihn streng an: „Warum machst Du solch ein Geheimnis daraus? Warum kneifst Du selber immerzu im letzten Moment, statt Dich namentlich nennen zu lassen? Ich denke, Du willst nichts so sehr, wie Dir hier draußen im Westen einen Namen zu machen als Gunfighter!“
Byrd schaut liebestrunken die Hexe an, und murmelt, „Das müsstest Du doch am besten wissen! Black River, der Court, die Ravenites, die Whateleys! Wir für unseren Teil forschen die Reckoners aus … und die Reckoners für ihren Teil forschen uns
zurück aus!“