Autor Thema: Habt Ihr schon mal ein Flow-Erlebnis beim Rollenspielen gehabt? Wie oft?  (Gelesen 2481 mal)

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Offline Koruun

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Zitat
Einen Flow kann man auch alleine erleben.
Ich würde ihn mit "Selbstvergessenheit" beschreiben. Man geht "vollkommen in einer Sache auf."
Klar, der eigentliche Begriff steht auch sicher in den meisten Fällen für Tätigkeiten, die alleine getan werden.
Ich editiere dann mal meinen Post, damit das präziser ist.
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Offline Issi

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Klar, der eigentliche Begriff steht auch sicher in den meisten Fällen für Tätigkeiten, die alleine getan werden.
Ich editiere dann mal meinen Post, damit das präziser ist.

Im Rollenspiel würde man dann wahrscheinlich von einem "Gemeinschafts Flow" sprechen.
Was glaube ich nur dann funktioniert, wenn alle SPL von der Situation genügend "gefesselt" sind.

Offline Boba Fett

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Flow beutet für mich: wenn beim Rollenspiel die Realität (man sitzt am Tisch und spielt ein Spiel) in den Hintergrund rückt und man durch die eigene Vorstellung die Bilder im Kopf sehr eindrücklich erlebt und dabei in der Lage ist spontan und intuitiv seine Rolle "in character" zu erleben und in ihr zu agieren.

Passiert mir Flow? Ja, hatte ich. In den letzten 35 Jahren entsprechend oft und auch jetzt immer noch mal.
In unterschiedlichsten Systemen, auch regelschweren. Deswegen fokussiere ich jetzt weniger auf ein System, sondern mehr auf Faktoren:

Flow hängt bei mir ganz oft von folgenden Faktoren ab:

1. möglichst wenig Metagaming. Je weniger Ressourcen (Gummipunkte, Lebenspunkte, Astralkonto, ....) ich verwalten muss, desto besser. Ganz schlimm: Ressourcen, die man sich gegenseitig zuschustern kann.
Wenn ich drüber nachdenken muss, ob ich den erspielten (erwürfelten) Vorteil einem Mitspieler (und wem) zu teilen kann/darf/muss, bin ich "raus". Battlemap, Miniaturen und taktische Überlegungen aus der "Vogelperspektive" sind oft auch eher hinderlich. Bewegungsweite und Reichweite sind ja auch Metagaming-Ressourcen in Verbindung mit der Battlemap.
(klingt so als würde ich das verteufeln. Nee, ist nicht der Fall. Ich habe auch viel Spaß mit Battlemap und Taktieren. Aber das ist dann eben eine andere Art von Rollenspiel... ich finde Gefallen an beidem)
2. der richtige Charakter (ich muss mich in meiner Rolle "wohlfühlen". Je mehr "ich" in der Rolle, desto besser. Je fremder mir die Rolle erscheint, desto weniger kann ich sie intuitiv führen/spielen.
3. der richtige Spielleiter. kurz gesagt: der muss es einfach drauf haben, muss seine Regeln beherrschen, muss für möglichst wenig Ablenkung ("ich schlage die Regel eben noch mal nach", "wie hiess der NSC noch gleich") sorgen. Je flüssiger das Spiel läuft, desto besser.
4. ich muss die Spielregeln gut beherrschen und eigentlich nicht über die Abwicklung von Proben oder so nachdenken. Und vermutlich genau da plädieren dann viele Leute für regelarme Systeme. Halte ich nicht für notwendig. Man kann auch mit regelschweren Systemen Flow erleben. Man muss nur auch da eben die Regel gut beherrschen, was eben mehr Investition erfordert.
5. die richtige Stimmung. ich mein jetzt nicht schummrige Beleuchtung und Musik (auch wenn das manchmal (!) hilft, ebenso oft stört), sondern die Gruppe, ich selbst, die Abenteuersituation, etc. muss passen
6. die richtige eigene Verfassung. Nicht zu müde, aber auch nicht zu aufgekratzt (Koffeein und Zuckerschock), nicht zu albern, nicht zu gestresst...
7. Wenn die Spielsituation spannend, bedrückend, ... intensiv wird, klappt es bei mir mit dem Flow besonders gut und oft.

Den letzten wirklich intensiven Flow hatte ich (kurz vor Corona) in einem SciFi Homebrew in dem die Charaktergruppe eine "Pitch Black" Horror Situation über 80 Tage Spielzeit überstehen musste (das ging entsprechend auch mehrere Sitzungen lang). Die Monster wurden von Energiequellen angezogen und kamen "aus dem Nichts" und waren auch nur mit wenig zu verletzen. Mit abgedunkeltem Spielraum, sehr unterschwelliger Musik und wirklich sehr tollen Szenen und Ereignissen, war das einer meiner intensivsten Situationen seit langem. Als dann die Sonne wieder "erschien" und wir mit dem Raumschiff abflogen und der Spielleiter die Beleuchtung wieder "hochdimmte" war das ein wirklich erhellendes und erleichterndes Gefühl.
Flow ist mir in dem Rollenspiel und mit diesem Spielleiter bisher ziemlich leicht gefallen. Und das Regelwerk ist kein Leichtgewicht.

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« Letzte Änderung: 7.08.2022 | 12:27 von Boba Fett »
Kopfgeldjäger? Diesen Abschaum brauchen wir hier nicht!

Offline Yney

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Ein wundervolles Thema!

Flow, wie hier bezeichnet sind für mich die Momente, die ich als „Das Spiel spielt sich selbst“ beschreibe. Wenn man nach einer Begebenheit im Spiel einander am Spieltisch anschaut und keiner so richtig erklären kann warum und wie es nun dazu kam. Für mich persönlich sind das die besten Momente. Wenn wir alle miteinander wirklich in der Welt versinken.

Wichtig scheint mir dabei zu differenzieren (was ja weiter oben bzgl. Alkohol schon angedeutet wurde): Man hat sehr wohl noch die Kontrolle. D.h. es ist kein suchtähnlicher oder deliriumartiger Zustand, sondern einer, in dem man sich mit den anderen treiben lassen kann, aus dem man aber bei Bedarf auftauchen kann. Insofern stimme ich auch obigen Anmerkungen zu: Ohne Vertrauen kann das nur schwerlich klappen.

Zu meinem großen Glück passieren mir mit meinen Spielern solche Momente immer wieder mal (mehr oder weniger intensiv – mal länger mal kürzer, aber nie eine ganze Sitzung lang). Viele dieser Momente sind zutiefst persönlich auf ihre ganz eigene Art und daher kein Stoff, den ich hier erzählen möchte, aber eine Situation kann ich herausgreifen, die uns alle berührt hat, aber nicht so privat ist:

Einmal standen meine Spieler einem Werwolf gegenüber, damals einem solchen Wesen haushoch unterlegen. Die Kreatur holte sie im Mondschein auf einem Feld ein und die Frage war eigentlich - wie kommt man mit einer geschickten Flucht doch noch aus der Sache heraus. Der Zwerg in der Gruppe war schwer durch den Werwolf verletzt – die Möglichkeiten damit begrenzt. Auf einmal stellt sich sein halbelfischer Freund dem Biest entgegen und liest ihm die Leviten, die Hände in die Hüften gestemmt. Und der Werwolf … zieht Leine.
In dieser Welt* ist das Werwolfdasein ein Fluch und selbst in Werwolfgestalt ist die Persönlichkeit des Menschen im Tier nicht vollkommen abgeschaltet. Diese Kreatur hatte eine Hintergrundgeschichte und einen Grund für ihren Zorn, der sich eben in Wolfsgestalt manifestierte.
Irgendwie traf jener Halbelf den genau richtigen Ton und das Monstrum reagierte „wie von selbst“, trollte sich und beging nach einigen weiteren Ereignissen Selbstmord.

Warum es dazu kam? Wie der Halbelf das hinbekommen hat?
Ich habe das Biest gespielt, ja, aber ich habe nicht die geringste Ahnung – es ist einfach passiert.

Harte Regeln können diesem Flow im Weg stehen, denke ich. Das ist einer der Gründe, warum für die Art Rollenspiel die ich gerne betreibe die Regeln Leitplanke und Orientierung sein sollen und nicht in Beton gegossene Wände. Die Möglichkeit für Momente wie diese erklären vielleicht, warum ich mit solchen Mechaniken wie Prüfwürfen auf Überreden o.ä. nichts anfangen kann (keine Kritik, sondern persönliche Präferenz).

*Bei Interesse:
Das geschah in einer älteren Version von Feenlicht - nach der großen Überarbeitung zu dem, was es heute ist, wären Werwölfe undenkbar. Aber damals war Feenlicht noch ein (sehr entfernter) Verwandter von D&D und Midgard.

Online Zed

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Flow, wie hier bezeichnet sind für mich die Momente, die ich als „Das Spiel spielt sich selbst“ beschreibe.
Genau, und auch Koruuns Beschreibung deckt sich mit dem, was ich "Flow" nennen würde. Immersion ist etwas, dass jede/r Spieler/in für sich haben kann, auch unabhängig von anderen aus der Gruppe, aber Flow im Rollenspiel geht nur mit anderen Menschen gemeinsam. Über die Voraussetzung "Vertrauen" habe ich bislang nicht nachgedacht, aber stimmt, Flow mit Fremden oder Arschlöchern ist eher unwahrscheinlich.

Yney, ja, aufgrund hervorragender Plädoyers Gegenspiel-Figuren zu bekehren, die ich als SL für so-gut-wie-unbelehrbar gehalten habe - das ist meiner Gruppe und mir auch schon passiert  :) - unvergessliche Momente.

Boba, Deine Punkte würde ich als sehr hilfreich für Flow sehen, aber nicht alle als notwendige Voraussetzung.

Regelleicht und regelschwer: Als DnD-3.5 Spielleiter erlebe ich Flowmomente mit der Gruppe eigentlich nur in Nicht-Kampfsituationen. Ich kann mir gut vorstellen, dass in regelleichteren Systemen die Chance größer ist, Flow auch in Kampfsituationen zu erleben.
« Letzte Änderung: 7.08.2022 | 13:08 von Zed »

Offline Issi

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Dann beschreibt die Definition der Psychologie( Flow -höchster Zustand der Konzentration und Versunkenheit in eine Tätigkeit) vermutlich nicht ausreichend genug, was in diesem Strang gemeint ist.

Ich würde es wahrscheinlich eher "Verbindung" nennen. Vielleicht sogar "Auflösung."
(Wahrscheinlich beides gleichzeitig)

Man lässt sich quasi spielen.
Ist mehr oder weniger Zuschauer seiner eigenen Figur, und wird selbst überrascht, von dem was sie macht?

Kenne ich auch von anderen kreativen Tätigkeiten.
(Klappt auch mit Problemspielern  ~;D)
« Letzte Änderung: 7.08.2022 | 14:12 von Issi »

Offline Olibino

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Erlebt ihr Rollenspiel-"Flow" nur am Spieltisch, also in persona, oder auch bei Onlinerunden?

Diesen "Zustand" beobachte ich nämlich, wenn, dann nur offline. Würde mich interessieren, ob ich da der einzige bin.
Ich habe den Flow-Zustand auch schon ein paar mal erlebt, und das waren auch bei mir fast immer Onlinerunden.

Ich denke da gibt es 2 Gründe:
a) Es gibt objektiv weniger Ablenkungen. Keine Kindergeräusche aus dem Nachbarzimmer. Keine Chipstüten auf dem Tisch. Man hört durch die Kopfhörer und schaut auf den Monitor und kann alles andere leichter ausblenden

b) Es müssen viele Dinge zusammenkommen (Boba hat ja eine schöne Liste erstellt). Insbesondere denke ich die richtigen Leute. Und direkt am Spieltisch ist die Anzahl in Frage kommender Menschen sehr begrenzt, da geht man dann Kompromisse ein. Dann hat man vielleicht jemanden in der Runde der gerne über Regeln diskutiert. Und schon gibt es keinen Flow. Online dagegen hat man alleine schon über das Spielsystem (Stichwort Regelleicht) die Möglichkeit Leute zu finden wo es einfach gut paßt.

Offline Yney

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Nachtrag (nach deinen Worten, Olibino):
Bei mir geschah das immer am Spieltisch (schlicht weil ich nie wirklich effektiv online gespielt habe) und hat dort meiner Ansicht nach genau deswegen funktioniert.
Das ist aber nun kein Widerspruch, denn wir haben fast immer sehr "konzentriert" (das Wort passt bei einem Freizeitvergnügen nicht ganz) gespielt und Ablenkung hielt sich in Grenzen. Und ich denke die Tatsache, dass meine Gruppen immer klein waren (2-4 Spieler) war dem sicherlich zuträglich. Und die unisono hier genannte Eigenschaft war immer gegeben: Es waren immer gute Freunde, mit denen so etwas geklappt hat.

Und dein b), Olibino weckt bei mir den Gedanken an eine stark anwachsende Kurve. Je mehr Personen, um so mehr Interaktionskanäle und damit um so mehr Chancen für Ablenkung. Dass bei sechs Spielern plus Spielleitung der Flow aufkommt ist denke ich recht unwahrscheinlich.
Dazu erweiternd fällt mir auch gerade rückblickend auf: Es waren in all diesen Momenten Spieler, die einander problemlos diese Momente gegönnt haben (Spotlight trifft es nicht wirklich), wenn sie evtl. gerade mal nicht direkt beteiligt waren. Da war dann jemand auch vollkommen zufrieden damit, den anderen beiden oder dreien zuzusehen, wie sie miteinander unbewusst eine Geschichte weben. Wenn in so einem Moment jemand auch nur ungeduldig auf seinem Stuhl hin und herwackelt, platzt die Seifenbalse ganz schnell.