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"Anybody home?" - von entvölkerten Fantasywelten

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nobody@home:

--- Zitat von: Raven Nash am 27.09.2024 | 08:58 ---In vielen Bereichen der Geschichtswissenschaft kann auch der Experte nur Schätzungen liefern, weil die Quellenlage entweder zu schlecht, zu ungenau oder zweifelhaft ist. Bevölkerungszahlen unterliegen grundsätzlich zum einen mal dem Faktor, dass sie überhaupt erhoben wurden, zum anderen, zu welchem Zweck und von wem. Zumeist ging's um Steuern, und da wurden gerne mal geringere Zahlen pro Haushalt angegeben. Beim militärischen Zensus wiederum fielen alle Frauen, Kinder und Greise raus.
Dazu kommt, dass es selten ein zentrales Register gab, sondern das lokal verwaltet wurde.

Daraus dann wirklich belastbare Zahlen abzuleiten ist extrem schwierig und selten auf Dauer haltbar. Je weiter man in der Geschichte zurück geht, umso schlimmer wird das. Da lassen sich Fakten oft kaum von Erzählungen unterscheiden.
Da braucht es dann die Archäologie, die Sachbeweise liefert - soweit solche vorhanden sind.

--- Ende Zitat ---

Das illustriert ganz gut ein Grundproblem, das zur "Entvölkerung" von Fantasywelten mit beitragen mag, ohne daß es auch nur jemand bewußt merkt: jede Beschreibung kann immer nur eine Zusammenfassung sein (denn es ist ja nicht nur, daß ein einzelner Mensch gar nicht alles auf einmal wissen und bedenken kann, sondern auch, daß der Platz und die Zeit für die Wiedergabe dessen, was erzählt oder beschrieben werden soll, grundsätzlich begrenzt sind), und was nicht direkt erwähnt wird, dessen bloße Existenz ist später leicht zu übersehen oder zu vergessen. Und das fängt schon bei den "reinen" Tatsachenberichten an und wird im Reiche der Fiktion, wo die "interessanten" Sachen alle erst noch kreativ erfunden werden wollen, bestimmt nicht besser...

Habe ich also z.B. jemanden, dessen Mittelalterbild in erster Linie von Filmen und Romanen geprägt ist -- was erstens wahrscheinlicher ist als das ausgiebige Wälzen von historischer Fachliteratur, insbesondere nach Ende der Schulzeit, und zweitens ja auch direkt viele Vorbilder fürs Fantasy-Rollenspiel liefert --, dann unterschätzt der die Bevölkerungszahlen möglicherweise einfach schon deswegen, weil ihm die Welt von damals dort praktisch immer schon so präsentiert worden ist! Es gibt halt nur so-und-so-viele Rollen mit Sprechtext (zumal der Verfasser sich die erst mal alle aus den Fingern saugen muß), größere Menschenmassen findet man nur zu seltenen Anlässen und dann ohne Zahlenangaben (schnell, wieviele Zuschauer hatte das Bogenschützenturnier, zu dem sich Robin Hood in Maske Zutritt verschafft hat, und wieviele Komparsen können wir dafür finden?), und Leute, die eigentlich auch existiert haben müßten und vermutlich auch gleich den größten Teil der Bevölkerung stellen, aber für die Handlung schlicht keine Rolle spielen, fallen gerne mal komplett unter den Tisch...und so addieren sich die möglichen Fehlerquellen fröhlich auf.

Nazir ibn Stonewall:

--- Zitat von: nobody@home am 26.09.2024 | 12:53 ---Für unser Fallbeispiel gilt bei allem dicken Fell meinerseits, daß das Liebliche Feld in der Tat nach einer Gegend klingt, deren Einwohnerzahl sich problemlos spontan verfünf- bis -zehnfachen lassen sollte -- je nachdem, wie groß sie auf dem Minikontinent Aventurien nun genau ausfällt.

--- Ende Zitat ---
Ich hab das mal kurz mit Reich des Horas (von 2010, hatte die Einwohnerzahlen bereits drastisch erhöht) nachgesehen. Das Liebliche Feld wird dort mit ca. 800.000 EW angegeben. Dieses Gebiet umfasst auf der Karte grob eine Fläche von 140 x 180 km = 25.200 km². Das macht etwa 32 EW/km².
Chababien, das eher so Süditalien entsprechen mag, hat dann nochmal so 6000 km², aber nur noch 110.000 EW, also noch 18 EW/km².

Feuersänger:

--- Zitat ---[...] unterschätzt der die Bevölkerungszahlen möglicherweise einfach schon deswegen, weil ihm die Welt von damals dort praktisch immer schon so präsentiert worden ist!
--- Ende Zitat ---

Da ist sicherlich was dran. Das betrifft ja auch nicht nur MA; spontan denke ich da an die itv-Serie "Sharpe", in der Schlachten aus den napoleonischen Kriegen mit sowas wie 100 Komparsen nachgestellt werden, wo real bis zu 100.000 Soldaten involviert waren. Das ist schon irgendwie niedlich wenn so ein kleines Fähnlein aus 20, 30 Leuten ein ganzes Regiment darstellen dürfen. Und in Zeiten vor CGI gilt das ja für Fantasy-, Sandalen- und Mittelalterfilme erst recht. Ich kenn nun freilich nicht jeden einzelnen dieser Filme, aber würde mich nicht wundern, wenn LOTR der erste war, der wirklich (dank CGI) abertausende von Kämpfern aufs Schlachtfeld gesetzt hat.

Vergleicht man das mit historischen Schlacht-Größen, geht es freilich wild durcheinander. Eine römische Legion der hohen Kaiserzeit hatte eine Sollstärke von 4800 (da natürlich eine Zenturie 80 Mann stark war, logisch, wie könnte es anders sein), und es waren zT mehrere Legionen an einer Schlacht beteiligt (siehe Teutoburger Wald).
In spätrömischer Zeit dann nur noch mobile Einheiten mit 1000 Mann pro Legion, aber 451 auf den Katalaunischen Feldern ist die Rede von 40.000 auf Weströmischer Seite (Achtung: "Schätzung").
Dann 732 bei Poitiers laut Wikipedia 15.000 vs 20.000 (Ende der islamischen Expansion).
Zeitsprung nach 1066, das Schicksal Englands wurde in zwei Schlachten mit wohl jeweils 7-10.000 Mann pro Seite entschieden.
1346 Crécy wohl so ungefähr 10.000 vs 20.000.

Naja so geht das halt die ganze Zeit so hin und her. Die berühmtesten Schlachten sind natürlich auch meistens die größten ihrer Zeit. Es ist aber schon auffällig, dass viele dieser Schlachten einen Maßstab hatten, gegen den sich die Schlacht auf den Pelennorfeldern wie ein Kindergeburtstag ausnähme, und da wurde nicht das Schicksal der ganzen Welt entschieden (und oft nichtmal dieser eine jeweilige Krieg).

Raven Nash:

--- Zitat von: Feuersänger am 27.09.2024 | 11:44 ---Naja so geht das halt die ganze Zeit so hin und her. Die berühmtesten Schlachten sind natürlich auch meistens die größten ihrer Zeit. Es ist aber schon auffällig, dass viele dieser Schlachten einen Maßstab hatten, gegen den sich die Schlacht auf den Pelennorfeldern wie ein Kindergeburtstag ausnähme, und da wurde nicht das Schicksal der ganzen Welt entschieden (und oft nichtmal dieser eine jeweilige Krieg).
--- Ende Zitat ---
Die Schlacht auf den Pelennorfeldern ist in die selbe (historische) Kategorie zu tun wie Hastings. Und das passt dann auch in etwa wieder.

Die Schlachten des 2. ZA müssten in etwa denen von Rom entsprechen. Ist ja nicht so, als hätte Tolkien bei der realen Geschichte geklaut...  ;)

Feuersänger:
Nuja. LOTR ist ja meines Erachtens eher an die Völkerwanderungszeit oder FrüMi vllt so bis 800 angelehnt. Auch wenn es da logischerweise keine 1:1 Entsprechung geben kann. Der Vergleich Hastings/Pelennor geht mE ein wenig fehl, weil es halt bei dem einen um die Herrschaft über ein kleines Inselchen in der Nordsee ging und beim anderen um das Schicksal zumindest von ganz "Europa", auch was Kultur und Lebensweise angeht (im Falle von Saurons Sieg wäre es ja nicht damit getan dass jetzt jemand anders die Steuern einsammelt).

Ich war kurz versucht, Pelennor eher mit Tours/Poitiers zu vergleichen, da könnte man auch sicher Argumente für finden, aber wenn ich weiter drüber nachdenke, gelange ich eher zu dem Eindruck, Tolkien hat bei Pelennor eher an Châlons gedacht. Da ist die Bezeichnung der Schlacht - "Pelennor Fields" - "Katalaunische Felder" mE schon mehr als nur ein Hinweis. Auch erinnert Tolkiens Beschreibung der Orks eher an zeitgenössische Beschreibungen der Hunnen, nicht aber der Mauren.

Und da ist dann halt wieder, wie gesagt, der Maßstab der Fantasyschlacht nur ca 1/4 bis 1/3 der historischen Vorlage.

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