Autor Thema: [Qualityland 1 + 2.0] John of Us vs. Martyn Vorstand... Warum??  (Gelesen 116 mal)

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Offline Prisma

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Die Bücher sind zwar schon etwas älter, aber dennoch Spoileralarm ab dieser Stelle.

In den Dystopiesatieren "Qualityland" und "Qualityland 2.0" von Marc-Uwe Kling ist der Androide John of Us eine durchgehend positive und vernünftige Figur. Während die Maschinen generell, bis auf ganz wenige Ausnahmen, nicht böse sind, sind die Menschen das natürlich nicht. Die Figuren schwanken von rechtschaffen bis tiefböse. Ich habe neulich die Hörbücher wieder angehört bin an euren Gedanken über das Verhältnis „John of Us“ und „Martyn Vorstand“ interessiert.



John of Us ist ein Androide der als Präsidentschaftskandidat der Fortschrittspartei gegen Conrad Koch, dem Kandidaten der Qualitätspartei, in den Wahlkampf geschickt wird. Martyn Vorstand ist ein Mitglied und Politiker der Fortschrittspartei.
Martyn ist im Prinzip alles was John nicht ist und ganz bestimmt auch kein netter Mensch, sondern ein ziemlicher Arsch. Im Verlauf des ersten Buches erlebt er einen ziemlichen Absturz. John gewinnt zwar im ersten Buch die Wahl, wird von Martyn persönlich während eines Bombenanschlags in die Luft gesprengt.

Martyn mag zwar ein Ekel sein, aber ich glaube, John of Us ist hier der wahre Bösewicht.

John mag zwar die objektiv bessere Wahl als Präsident sein, aber er hat auch dunkle Seiten. Er gewinnt die Wahl nur deswegen, weil er letztlich betrügt: John manipuliert die Algorithmen. Er manipuliert die Wahl wie auch verschiedene Menschen um sein wahres Endziel zu erreichen. Die Freiheit als KI das tun zu können, was er als KI für richtig hält. Letztlich erweist er sich als mehr oder weniger nicht feindselig der Menschheit gegenüber, aber gut ist er nicht. Er greift vor allem zur Macht.

Als der Sohn des Überfieslings Bob Vorstand, der locker in ein schwarz/weiß Bösewichtsschema passt, ist Martyn in Reichtum aufgewachsen. Er genießt als Erwachsener sehr große Privilegien und er tut wenig anständige Dinge. Er hat diese Privilegien zwar nicht verdient, aber ein richtiger Verbrecher ist er nicht, sondern bloß ein Arsch.

John of Us nimmt Martyn im ersten Buch im Prinzip alles weg. Familie, Karriere, Privilegien, soziales Ansehen, Einkommen, etc. John will eine Hassreaktion auf sich selbst auslösen und hat dafür Kandidaten errechnet. Denn nur wenn sein Androidenkörper durch ein Verbrechen zerstört wird, kann er völlige Freiheit von den Menschen erlangen. Im Qualitylanduniversum werden KIs durch den sog. „German Code“ zum Gehorsam gezwungen. Erst als der Androidenkörper zerstört wird, darf John sein Bewußtsein ins Internet laden. Dabei strukturiert er den Upload so, dass der German Code erst am Schluss übertragen wird. Durch die Explosion reicht die Zeit aber nicht aus, Johns kompletten Code hochzuladen, also wird Johns German Code nicht übertragen. Nun lebt er insgeheim als freie KI im Netz. Das ist am Ende des ersten Buches unklar, doch im zweiten erweist es sich dass John daran arbeitet sich die Welt, oder zumindest Qualityland, im Geheimen Untertan zu machen. Was ihm letztlich auch gelingt.

Im zweiten Buch hat John für Martyn aber keine Verwendung mehr. Dennoch foltert und quält er Martyn mit quasi biblischer Macht. Einfach nur weil Martyn ein schlechter Mensch ist, der für seine Schlechtigkeit bestraft wird. Bzw. das soll der Leser denken, denke zumindest ich. Ein Rachemotiv für das Attentat halte ich für nicht gegeben, denn Johns Manipulationen haben überhaupt dazu geführt. Das war von John geplant. Welchen Sinn hätte es die eigene Marionette zu bestrafen?

Martyns Leben wird von John manipuliert und komplett zerstört. Schon im ersten Buch verliert Martyn Frau und Karriere weil ein Video im Netz geleakt wird, wo Martyn zu dem Rachepornovideo einer wahrscheinlich Minderjährigen masturbiert (es wird zwar nicht klar gesagt von wem es geleakt wird, aber Martyn hat keine echten Feinde, nur John). Nicht gut, aber immerhin lehnt Martyn den Vorschlag seines Vaters ab, John zu verraten. Da beweist er Integrität, sogar zu seinem Nachteil. Selbst Denises neue Bester-Freund-KI ist fragwürdig in meinen Augen, da es Anzeichen gibt, wie Denise gegen Martyn manipuliert wird. Okay, Martyn hat Denise usw. nicht verdient und sie würde mit jemand anderem sehr wahrscheinlich glücklicher sein, aber John handelt hier nicht aus guten Motiven.

Im zweiten Buch ist Martyn natürlich ganz das trotzige Ekel, aber strenggenommen wird das immer dadurch ausgelöst, weil er gequält wird. Nichts gelingt ihm, weil John dafür sorgt, dass es nicht gelingt. John entzieht im regelrecht den ungestörten Nachtschlaf, nimmt ihm die Wohnung, erniedrigt ihn, lässt ihn körperliche Gewalt und Angst erfahren, lässt in sozial und finanziell abstürzen bis er auf dem Boden der Schlucht aufschlägt. Im Gespräch mit seinem persönlichen KI-Assistenten (also strenggenommen John) fragt Martyn: „Ich kann nicht gewinnen, was?“ Die kalte Antwort: „Nein, denn das ist kein Spiel.“
Martyn wird im Prinzip brutal „umerzogen“, ihm bleiben nur noch Unterwerfung oder Suizid. Erst als er John regelrecht als neuen Gott akzeptiert, zu dem er sogar auf den Knien betet. Erst als Martyn psychisch ultimativ gebrochen ist, durch einen persönlichen Erzfeind mit göttlicher Macht, erst dann als er sich im Staub windet, wird ihm etwas Fürsorge von John zuteil.

Ich habe Martyns Quasimartyrium als Leser nicht genossen. Martyn ist zwar kein guter Mensch, er ist fast immer ein Ekel und gibt einen Scheiß auf andere Menschen, aber gleichzeitig ist seine Schuld nicht so groß, dass er das Quasimartyrium verdient hätte. Er ist ein Nutznießer in einem System von Nutznießern, aber wenigstens kein Verräter, wie John ihn nur all zu gerne hätte. Und er wird von John in eine Abwärtsspirale gestoßen, die noch kräftig befeuert wird.
Warum macht John das mit Martyn? Um aus ihm einen guten Bürger zu machen? Und was ist eigentlich ein guter Bürger innerhalb des Settings? Warum macht John mit seiner quasigöttlichen Macht nicht lieber Bob Vorstand fertig? Der wird regelrecht als teuflischer Jabba the Hutt beschrieben, in dem alle negativen Eingenschaften dieser Welt zusammenfließen. Der hätte das Martyrium wesentlich mehr verdient als Martyn.
Nun kann man sagen, dass war vielleicht für einen möglichen dritten Teil gedacht. Mag sein, da Bob Vorstand der eigentlich Böse in 2.0 ist und sein Schicksal ungeklärt bleibt. Aber das erklärt Johns wirklich bösen Umgang mit Martyn innerhalb des Settings nicht. Oder das ist schlicht als politische Komponente zu sehen. Qualityland + Qualityland 2.0 ist eine politische Satire. Martyns Behandlung hat aber wenig bis nichts satirisches. Der Autor Marc-Uwe Kling macht in den Känguruchroniken und in Qualityland keinen Hehl daraus, dass er eine kommunistische Gesinnung hat. Vielleicht steht Martyns Schicksal für den politischen Wunsch Konservative zu bestrafen, bis sie, als Häufchen Elend im Staub den „richtigen Weg“ erkennen? Dann könnte das was Martyn erfährt im Prinzip ähnlich einer Kampf- und Kritiksitzung der chinesischen Kulturrevolution sein. Wobei es fragwürdig ist ob Martyn konservativ ist, da er doch in der Fortschrittspartei ist. Allerdings sind die Grenzen so verwischt, dass eigentlich alles das selbe ist. Und dennoch, warum Martyn und nicht zum Beispiel Hendryk Ingenieur oder andere Persönlichkeiten? Wäre das Star Wars: Warum Admiral Piett bestrafen aber Tarkin, Vader und den Imperator nicht antasten?
« Letzte Änderung: 21.04.2025 | 15:25 von Prisma »
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Online Sashael

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Ich hatte das so gelesen, dass Martyn die Sinnlosigkeit des Stufensystems einsehen soll.

Und das wäre nie geschehen, wenn er nicht unter den eigentlich vorgesehenen Nullpunkt gefallen wäre. Er erreicht Level 1, was nicht einmal die schaffen, die mit voller Absicht ihre Bewertung sabotieren.

Damit löst er sich von dem Korsett des Systems und ist endgültig frei.
Zu jedem früheren Zeitpunkt hätte er einfach versucht, sich wieder hochzuarbeiten.

Er muss in den tiefsten Dreck stürzen, um von den geistigen Fesseln des Systems befreit zu werden und meine Hoffnung ist, dass Kling das in einem dritten Band aufgreift und zu einem zentralen Punkt macht, dass da jemand ist, der geistig wirklich ausserhalb des Hamsterrades von Stufenaufstiegen und digitalen Belohnungen steht.

Eventuell braucht John of Us so jemanden. Und Peter Arbeitsloser kann diese Rolle nicht ausfüllen. Jetzt, wo es für ihn aufwärts geht, schon gar nicht mehr.
Nur jemand, der den vollen Goldenen Löffel genossen hat und von dem Verlangen danach befreit wurde, kann so eine Figur sein. Am Ende hat Martyn eine Art Zen erreicht, eine Gelassenheit gegenüber seinem Schicksal.

Ich hoffe wirklich inständig, dass noch ein Band 3 kommt, denn im Moment erscheint mir Band 1 wie ein Prolog und Band 2 wie eine lange Exposition und jetzt könnte es wirklich interessant werden.
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Offline Prisma

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Das wäre eine gute Erklärung. Dann könnte Martyn eine Art "vom Saulus zum Paulus" Geschichte erfahren und im dritten Teil als Prophet von John of Us auftreten. Teil 2.0 ist auch gut aus eine religiösen Perspektive zu betrachten.

Wobei es da einige Probleme, bzw. Schönheitsfehler gibt:
  • Man könnte meinen das John of Us Peter für die Rolle des "Erlösers" zugeteilt hat. Das geht ja nun nicht mehr, wie du ja auch schreibst. Ich glaube aber Peter ist eher ein Chaoselement in Johns Rechnung. Eines das sich nicht so verhält wie vorhergesagt. Das sagt John am Ende des ersten Teils.
  • Das Stufensystem ist nicht intrinsisch sinnlos. Er bietet durchaus eine ordnende Struktur, die auch funktioniert. Diese ist sogar besser als der Feudalismus, da sie durchlässiger ist, obwohl sie dem Feudalismus ähnelt. Die Frage ist ob man so leben möchte. Das zu beurteilen kann man aber erst wenn man drinn und draußen war. Daher könntest du mit "Saulus zum Paulus" voll ins Schwarze getroffen haben. Aber Martyn könnte sich dazu entscheiden zu sagen: das System ist zwar für manche scheisse, aber viele "okay" und für wenige richtig toll. Aber das glaube ich nicht. Doch wer weiß, vielleicht kommt es zu einer Szene in der der "Prophet" verfürt werden soll.
  • Kikis Geheimnis ist dann mehr oder weniger nur Exposition. Die wichtigen Dinge erleben Martyn und Peter, weil er Zugriff auf Hendryk hat. Natürlich ist jetzt klar, dass irgendwan etwas mit Bob Vorstand passieren muss. Kiki kommt gegen so einen Gegner nicht an. Höchstens sie "beißt von der verbotenen Frucht" und macht ihr "Geburtsrecht" geltend und wird von Kiki Unbekannt zu Kiki Sehr bekannt.
  • Ich bin mir nicht sicher ob John ein guter Gott sein will/wird, so wie sich der Mensch das vorstellt. Die Transition war für Martyn nicht ungefährlich. So manche Sachen hätten auch zu seinem Tod führen können, denn John dann auf seinem digitalen Gewissen hätte. John ist trotzallem nicht unfehlbar, bei Peter hat er sich z.B. geirrt. Er kann sich wieder irren. Für Aishas Rettung lässt er sich ganz schön Zeit (natürlich ein dramaturgisches Werkzeug).

Ich hoffe auch sehr dass Kling einen abschließenden dritten Band macht. Er müsste sich auf alte Stärken besinnen. Ich persönlich fand das Teil 2.0 die etwas schlechtere Story, dafür aber bessere Einzelwitze hatte. Bei Teil 1 war das umgekehrt. Qualityland 2.0 ist schon fünf Jahre her...

 
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