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OSR vs. taktische Tiefe

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flaschengeist:
Einfachheit und Taktik im "brettspieligen" Sinne (also klar verregelte Optionen im Kampf) sind aus meiner Sicht Gegensätze. Je mehr solche Optionen, desto komplizierter, je weniger Optionen, desto weniger taktisch. Da ich persönlich brettspielige Taktik als Teil meines Rollenspielerlebnisses sehr schätze, ist es ein Minuspunkt für mich, wenn Systeme allzu simple Kampfregeln haben.
Regelimprovisationen sind für mich aus vielen Gründen nicht die bessere Alternative. Ich nenne mal nur einen Aspekt: Regelimprovisationen kosten Zeit und unterbrechen damit den Spielfluss. In eine Hausregel gegossen kosten sie zwar irgendwann keine Zeit mehr, aber transformieren dafür über die Zeit das Spiel in ein nicht mehr simples System. Und meiner Erfahrung nach kommt in so einem Designprozess schlechtere Qualität heraus als bei einem von Anfang an auf hinreichend Optionen hin entwickelten Regelsystem.
Belasse ich es deswegen bei immer neu spontanen Rulings, werden selbige hingegen über die Zeit zwangsläufig inkonsistent. Außerdem funktioniert so Taktik im brettspieligen Sinne nicht, denn auf unverlässliche Optionen lässt sich keine Taktik aufbauen.
Weiterhin ist es bei spontanen Rulings unvermeidbar (da teils unbewusste Prozesse maßgeblich sind), dass selbige durch meine eigene Stimmung sowie meine Beziehung zum handelnden Spieler beeinflusst werden. Bei langjährigen Gruppen, die sozial zudem sozial hoch funktional sind, kein Problem. Meiner Erfahrung nach würde allerdings nur noch wenig Rollenspiel stattfinden, wenn nur langjährige und sozial hoch funktionale Gruppen zusammen unser gemeinsames Hobby pflegten. Anders ausgedrückt: Eine Lösung, die nur unter in der Realität eher seltenen Randbedingungen gut funktioniert, ist suboptimal. Klar, wenn mein Haus auf dem Berg liegt und keinen Keller hat, dann kann ich auf eine Versicherung gegen Flutschäden verzichten. Als allgemeinen Ratschlag für Hausbesitzer wäre die Empfehlung hingegen untauglich. In diese Kategorie fallen z.B. auch Initiativesysteme, bei denen die Spieler aushandeln, wer als nächstes dran ist. Super einfache Regel aber bei einer nicht sozial hoch funktionalen Gruppe dauert es in der Praxis immer länger als etwas kompliziertere, klare Regeln.

nobody@home:

--- Zitat von: Haukrinn am 11.05.2025 | 08:11 ---Ich war „in jungen Jahren“ wirklich Hardcore-Simulationist bis ich für mich gemerkt habe dass zu viele Regeln diese taktische Tiefe weder bieten noch umfassend abbilden können. Abstraktere Regeln können das. Wenn man sich darauf einlässt.
--- Ende Zitat ---

Bei dem Punkt geht mir gerade noch durch den Kopf, daß Hardcore-Simulation weitgehend unabhängig vom Regelumfang das taktische Element auch schon aus reinen Plausibilitätsgründen einschränken könnte. Denn: in einem "richtigen" Kampf stehen natürlich Freund wie Feind nicht höflich still, während ich mir gemütlich meine beste Option aus einem Menü aussuche, sondern da geht es potentiell buchstäblich Schlag auf Schlag und manche Möglichkeiten lassen sich überhaupt nur dann ausnutzen, wenn sich spontan gerade eine Gelegenheit dazu bietet, und nicht einfach nach Belieben auf Wunsch. Wollte ich das halbwegs ernsthaft abbilden, dann müßten die Regeln also auf welche Weise auch immer auch dafür sorgen, daß ich als Spieler oder SL gar nicht erst in jeder Runde tatsächlich die vollen drei Dutzend (oder so) mechanisch unterschiedlich abgehandelten Manöver, die sie vielleicht als theoretisches Gesamtangebot für meinen Charakter vorsehen, komplett zur Auswahl habe...

Galatea:

--- Zitat von: gilborn am 11.05.2025 | 06:46 ---Ja, den Punkt hat YY auch schon rausgearbeitet.
Meine Antwort darauf zitiere ich mal hier:Danke für den Hinweis, sehr schön :d
--- Ende Zitat ---
Stimmt, und im RPG hat man noch das Problem, dass tote Charaktere meist nichts mehr lernen.



--- Zitat von: gilborn am 11.05.2025 | 06:46 ---Mit dem Erfolg, kann man sich also Schaden, Parade, Initiative kaufen, mit Schaden widerum kann man sich Zusatzeffekte kaufen.
Und der Bietmechanismus geht auch schnell von der Hand? Ich hätte die Vermutung, dass das bei zauderhaften Spielern eher zu Paralyse führt.
--- Ende Zitat ---
Die meisten Zusatzeffekte "kauft" man sich tatsächlich über Initiative.

Am Anfang sind manche Spieler etwas zögerlich bei der Verteilung, aber wenn man mal halbwegs einschätzen kann, was so typische Werte sind, die einem "entgegenkommen" geht das eigentlich recht fix.
Da kann auch ein simulierter Übungs-/Trainingskampf viel helfen, statt die Spieler ohne Orientierung direkt ins kalte Wasser zu werfen.

Ich denke mir halt immer, wenn ich was in die Richtung lese wie "mein System hat 4 Stances" ist man oft an dem Punkt, wo eine komplett flexible Lösung wieder einfacher und flüssiger wird.


Ein "Nachteil" des Systems (den ich eigentlich nicht als Nachteil empfinde) ist, dass professionelle Kämpfer mit ahnungslosen Noobs im Nahkampfduell ziemlich den Boden aufwischen. Überzahl kann das kompensieren (da wird dann auch die Werteverteilung der einzelnen Kampfteilnehmer SEHR interessant), aber generell ist es keine gute Idee, sich mit einem deutlich überlegenen Gegner im Nahkampf anzulegen.

Im Fernkampf ist dagegen auch ein untrainiertes Kind mit Maschinenpistole (x2 Schadensmultiplikator, +2 Angriff bei Feuersalve) auf kurze Entfernung eine echte Bedrohung, da die meisten Charaktere nur so 10-12LP haben (wenn das Kind ein bisschen Glück hat, 2 Erfolge würfelt (plus die 2 durch Feuersalve) und die alle in Angriff legt (und keine durch Entfernungs- oder Deckungsabzüge verliert) sind das halt mal kurz 8 Schaden, das reicht locker um die meisten ungerüsteten Charaktere weit unter 50% zu bringen).

Sich ohne Panzerung in ein Feuergefecht zu begeben ist fast schon Selbstmord, generell reichen im Fernkampf in der Regel 1-2 gute Treffer auf kurze Entfernung um un- bis schwach gerüstete Ziele zeitweise oder permanent handlungsunfähig zu machen (Rüstung und Deckung sind EXTREM wichtig), und was ein festmontiertes MG (festmontiert = kein Abzug beim feuern auf mehrere Gegner) mit weichen Zielen macht, uiuiui...

YY:

--- Zitat von: gilborn am 10.05.2025 | 23:36 ---Das hört sich cool an, werde ich mir mal anschauen. Du darfst auch gerne noch ein paar vertiefende Worte darüber verlieren wie es dort genau abläuft ;)

--- Ende Zitat ---

(Nur in Spoilern zur Sortierung)

AFF/Stellar Adventures:

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)Im Kampf sagt jeder ein Ziel an, dann würfeln alle und wer höher als sein Ziel gewürfelt hat, landet einen Treffer. Gleichstand bedeutet im Nahkampf keinen, im Fernkampf einen beidseitigen Treffer.
Normalerweise spart man sich damit jede Notwendigkeit, eine Reihenfolge festzulegen. Wo es doch mal notwendig ist, ergibt sich die Abfolge insbesondere bei der Frage Nah- oder Fernkampfangriffe zuerst i.d.R. aus der Situation heraus.

Wahlweise kann man Fernkampf nicht als "echten" vergleichenden Wurf, sondern als Wurf gegen einen Mindestwurf handhaben. Dann gibt es unter guten Schützen entsprechend viel mehr Doppeltreffer.


Die Kampfoptionen sind dann u.A. "all-out-attack" mit einem Abzug auf den Kampfwurf, aber einem Schadensbonus oder "defensive stance" mit einem Bonus auf den Kampfwurf, aber ohne eigenen angerichteten Schaden im Erfolgsfall. Entwaffnen erfordert einen erfolgreichen Angriff und einen folgenden LUCK-Wurf (LUCK ist in AFF ein Attribut, das sich ständig verändert - ähnlich wie in Mong. Traveller).

Im Fernkampf kann man etwa viel schießen und für den wesentlich höheren Munitionsverbrauch besser treffen und mehr Schaden anrichten oder auf eine Aktion verzichten und nächste Runde besser treffen.

Regelmäßig relevant ist "Quickshot": man legt einen Abzug fest und agiert dafür vor allen anderen. D.h. wenn ein Gegner von diesem Angriff ausgeschaltet wird, kommt dessen Angriff nicht mehr zum Tragen wie sonst üblich. Der Abzug kann auch -1 betragen, aber wenn mehrere diese Option nutzen, agieren sie in der Reihenfolge vom höchsten zum niedrigsten Abzug (!), da muss man also abwägen, wie sehr man sich beeilen kann, ohne die Trefferchancen zu sehr zu senken.

Einige Optionen lassen sich kombinieren, andere widersprechen sich; das ist i.d.R. selbsterklärend.


The One Ring 2e:

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)Es gibt drei Nahkampfhaltungen und eine Fernkampfoption.

Die Fernkampfoption setzt voraus, dass man genug Nahkämpfer hat, um den Gegner zu binden. Dann kann ganz normal geschossen werden. Die Sonderaktion ist prepare shot und erzeugt einen Bonus auf den Angriffswurf der folgenden Runde.

Die Nahkampfoptionen sind

Forward: Angriffsbonus für einen selbst und die Gegner. Sonderaktion: intimidate foe; je nach Erfolgsgrad werden unterschiedlich starke Gegner in Angst versetzt und gelten eine Runde lang als angeschlagen.

Open: Keine besonderen Auswirkungen. Sonderaktion: rally comrades; verschafft je nach Erfolgsgrad den eigenen Kameraden in verschiedenen stances Bonuswürfel, d.h. bei einem normalen Erfolg gibt es den Bonus nur für die in forward stance, bei einem etwas besseren Wurf auch für jene in open stance und bei einem sehr guten Wurf für alle Nahkämpfer.

Defensive: Abzug für einen selbst und für die Gegner. Sonderaktion: protect companion. Es wird ein Kamerad ausgewählt, bei dem der nächste gegnerische Angriff je nach Erfolgsgrad einige Würfel verliert.


Auf den ersten Blick denkt man bei dem Prinzip, dass sowohl der Gegner als auch man selbst einen Bonus oder einen Abzug bekommt: Das ist doch ein Nullsummenspiel. Aber je nach Gesamtsituation ist man eben eher darauf angewiesen, durchzuhalten oder umgekehrt ordentlich Schaden auszuteilen.

Die Sonderaktionen sind Fertigkeitswürfe, d.h. je nachdem, wie man da aufgestellt ist, wird man vielleicht eine Kampfhaltung auch mal nur deswegen einnehmen, weil man die zugehörige Sonderaktion verlässlich durchbringt.


--- Zitat von: gilborn am 11.05.2025 | 06:46 ---Wie begegnet der Rest dieser Thematik? Wie hegt ihr die aus dem Kraut schießenden Hausregeln ein?
Bug oder Feature?
Oder gibts das Thema gar nicht?

--- Ende Zitat ---

Grundsätzlich bin ich da bei flaschengeist: Wenn ich ein einigermaßen regelmäßig auftauchendes Manöver oder eine taktische Zielsetzung (sagen wir mal: Entwaffnen) habe, dann muss ich das auch konsistent regeln und kann es bei gleicher Ausgangslage nicht heute so, nächste Woche aber ganz anders handhaben.

Ich mache mir also vorher Gedanken, ob ich das Kampfsystem maximal abstrakt haben will und darunter dann eben alles an taktischem Kleinkram subsumiere oder ob ich einige wenige Aspekte gesondert verregeln will.
Als Richtschnur dient mir dabei die Frage nach langfristigen Auswirkungen. Eine Riposte, eine Finte oder ähnliches interessieren mich bei langen Kampfrunden nicht, weil sie schlicht im normalen Angriffswurf mit dargestellt sind.
Aber ob jemand z.B. entwaffnet oder in einen Ringkampf verwickelt wird - das hat Auswirkungen über eine Kampfrunde hinaus und ist mMn auch nicht zufriedenstellend mit dem Standardergebnis HP-Verlust abzuhandeln wie etwa eine erfolgreiche Finte.


Will ich es möglichst einfach und schnell haben, gibt es also entweder gar keine taktischen Optionen oder es gibt ein generisches Sondermanöver mit einem Abzug X und einer Auswahl an Effekten (an der Stelle würde ich mit Verweis auf Zed #22 sagen: dann sollte es auch nicht zig verschiedene Schadenszauber mit minimalst verschiedenen Auswirkungen geben, sondern einen levelbasierten Schadenseffekt und fertig).

Darf es etwas komplexer sein, dann werden die üblichen 4-5 Sachen standardisiert verregelt, sofern das nicht schon der Fall ist - viele OSR-Regelwerke, die nicht getreue Reproduktionen älterer D&D-Editionen sind, machen das nämlich ziemlich oft ganz brauchbar.

Eiserne Maske:

--- Zitat von: gilborn  ---
--- Zitat von: Eiserne Maske am 10.05.2025 | 09:54 ---Jedenfalls, 2 mir bekannte Beispiele für Spiele aus der "OSR-Familie", welche etwas komplexere Kampfsysteme haben, sind Fantastic Heroes & Witchery sowie Journeyman, Expert, Master - Advanced Fantasy. 

--- Ende Zitat ---

Falls du noch mitliest:
Das was für mich interessant wäre: sind sie auch einfach?

--- Ende Zitat ---

Es sind eben Baukasten-Systeme, die den Anspruch haben, für möglichst viele Spielsituationen eine regeltechnische Auflösung anzubieten. So ähnlich wie OSRIC: Dem OSR-Gedanken versuchen diese Spiele gerecht zu werden, indem besagte Regeln für sich genommen tatsächlich denkbar einfach gehalten werden. Die jeweiligen Kampfregeln sind letztlich aber doch nur ein paar Spezialmanöver ähnlich wie D&D-Feats, ich denke mal, das wird dich nicht weiter interessieren.

Nachdem ich deine Ausführungen gelesen habe, habe ich jetzt den Eindruck, dass du quasi am liebsten einen vierten Weg gehen würdest:


--- Zitat von: gilborn ---Gesucht wäre nun das Igo des Rollenspiels - einfach zu lernen, schwer zu meistern.
Damit meine ich nur bedingt das Brettspielartige, sondern: einfach Kernregeln, die mannigfaltige Entscheidungsmöglichkeiten bieten.
(...)
Ja, deshalb würde ich ein Spiel suchen, das ab Werk einfach inhärent bestimmte Entscheidungen drin hat - damit das Optimieren einfach wegfällt, weil es jeder hat. Gleichzeitig sollte es natürlich die taktische Spieltiefe dann auch bieten.

--- Ende Zitat ---

Du suchst ein Kampfsystem, das kein Erzählspiel (Fate) ist, kein narratives Framing mit improvisierten Regeln (OSR-Spiele) betreibt, keine "kodifizierten" Spezialregeln hat (D&D Feats/Skills/Proficiencies), sondern das berechenbar ist - quasi ein Kampfsystem, welches auf einen Algorithmus reduziert ist. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, so ne Art Pseudocode der Rollenspielkampfregeln.

So ein bisschen geht der Kern des ORE-Systems mit dem Width-/Height-Mechanismus in diese Richtung, bloß sieht man ja an den ganzen Erweiterungs- und Fortgeschrittenen Regeln in REIGN, dass am Ende so ein Kampfsystem doch wieder einer großen Menge an Erläuterungen bedarf. Und schon ist man wieder in derselben Bredouille wie zu Anfang.

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