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[Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit

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Feuersänger:
Ihr demonstriert hier sehr schön, wie enorm die Ripple Effects sein könnten.

Gut, teilweise würde ich das nicht so kritisch sehen -- extreme Risikoaversion wäre freilich eine _denkbare_ Konsequenz, aber mE nicht zwingend. Ich sag mal so: auch heute hat zB ein 18jähriger potentiell ca 7 Jahrzehnte vor sich, trotzdem gibt es genügend Deppen die sich auf der Stelle mit krasse BMW an der nächsten Platane zerlegen. Das macht er nicht, weil er sich denkt "Och, ob ich heute sterbe oder in 70 Jahren, was macht das schon für einen Unterschied", sondern weil er einfach rein gar nichts denkt.

Dass aber bei dieser Art der Unsterblichkeit begehrte Posten selten bis nie geräumt werden, der Gedanke kam mir auch schon. Das wäre eben auch noch ein Motivator für die Expansion - nicht schlimm wenn Posten XY auf der Erde seit 100 Jahren von dem gleichen Typen besetzt wird, die gleiche Position gibt es draußen auf den Orbitalen noch zehnmal. Andererseits wäre natürlich auch denkbar, dass man alle soundsoviel Jahrzehnte seine Karriere wechseln _muss_.

Ein artverwandter Gedanke wäre, wie sich das mit Machtpositionen verhält. Schon bei den heutigen Autokratien halten sich ja die Machthaber über Jahrzehnte im Amt, und bei vielen bleibt nur die Hoffnung, dass sie ja irgendwann schon das zeitliche segnen werden. Aber wenn dann das auch noch wegfällt? Dann besteht die Gefahr, dass sich über die Zeit auf der ganzen Welt mit der Zeit Autokraten ansammeln wie Fussel in einem Sieb, denn wer sich einmal erfolgreich festgesetzt hat, bleibt dann wo er ist. Es sei denn, mit Gewalt - es kann also sein, dass sich dann eine Mentalität durchsetzt, bei der man nicht mehr passiv abwartet bis der Diktator von alleine das Zeitliche segnet, sondern viel früher auf die Barrikaden geht und nachhilft.

Aber so oder so: wie gesagt möchte ich mich so ungefähr auf das 23.Jh einschießen, und da wäre dann die Frage seit wann die Leonisation überhaupt zur Verfügung steht. Sagen wir mal, seit 2100. Das limitiert natürlich dann das maximale Alter in der Settinggegenwart. Wenn man zB definiert, dass die Behandlung spätestens mit 40 durchgeführt werden muss um was zu bringen, kann im Jahr 2250 niemand älter sein als 190. Die Perspektive ist freilich trotzdem eine andere, aber um den Hitzetod des Universums muss man sich erstmal noch keine Sorgen machen. Da wird lange lange vorher relevant, erstmal die Lebensspanne der lieben Sonne zu verlängern, indem man sie per Starlifting um ein paar % Masse erleichtert. Aber auch das würde erst in ein paar 100.000.000 Jahren akut (5 Milliarden Jahre kann man damit wiederum nicht warten).

Auch Expansion zu anderen Sternen wäre dann natürlich eine Möglichkeit - man braucht dann nichtmal mehr unbedingt Cryostasis oder Generationenschiffe, einfach nur Leute mit sehr, sehr viel Geduld.

Das alles ist aber zum fraglichen Zeitpunkt immer noch Zukunftsmusik. Ebenso wie 2250 vermutlich noch kein Megahabitat fertig sein kann - aber eine entsprechend imposante Baustelle könnte es geben.

Oder vielleicht ist die Leonisationsmethode ja zwar vorhanden, aber noch frischer als oben angesetzt, und die jetzt jungen Erwachsenen sind die ersten, die sie überhaupt bekommen können. Dann würden die ganzen Umwälzungen im Setting erst noch kommen. Das wäre natürlich bissl "easy way out".

Grundsätzlich und von etwaiger Unsterblichkeit unabhängig ist nämlich eh die Prämisse dieses Settings, dass sich ein auf Langfristigkeit ausgerichtetes Denken durchgesetzt hat. Politiker, die weiter denken als bis zum nächsten Wahltermin. Unternehmen/r, die einen weiteren Horizont haben als den nächsten Quartalsbericht. Langfristige Fahrpläne, die auch konkret so gemeint sind und nicht nur als "Bleib mir weg damit, da kann sich ein anderer Depp damit rumschlagen wenn ich meine Schäfchen im Trockenen habe". Also eine Gesellschaft, die - wieder, möchte ich sagen - willens und fähig ist, in Jahrzehnten und Jahrhunderten zu denken.

Und wenn ich so drüber nachdenke, ist dieser Paradigmenwechsel eigentlich gerade dann umso beeindruckender, wenn er nicht aus rein egoistischen Motiven stattgefunden hat ("Ich baue am Habitat mit, weil ich in 300 Jahren selber darin leben will"), sondern aus der Erkenntnis heraus, dass es das Richtige ist für die Generationen, die nach einem kommen. Ziemlich Kantianisch, quasi.

(Zu Ainors Beitrag schreibe ich gesondert was)

Feuersänger:

--- Zitat von: Ainor am 21.06.2025 | 01:23 ---Warum Habitate (ausser dass sie cool sind)?
Würde man nicht erstmal die Erdkruste besiedeln, und die Ozeane?
[...]
Und auch wenn die Erde wirklich komplett voll ist: danach wäre der Mars dran und dann (wo schon Expanse genannt wurde) der Asteroidengürtel. Und wenn man fst unsterblich ist kann man auch in andere Systeme fliegen.

--- Ende Zitat ---

Ich habe da für das Setting einen grob 10-Stufen-Plan entworfen, und zur Stunde (ca 2250) befindet man sich da ungefähr auf dem Weg zu Stufe 6: Energieversorgung mit Helium-3 sicherstellen. Dieses bekommt man vom Saturn, aber um bis dahin zu kommen, muss man erstmal eine Menge Infrastruktur etablieren: erst der Mond als Sprungbrett, dann Venus, dann Hauptgürtel und evtl Mars, dann endlich Saturn. Und überall dort braucht man eben Habitate (wenn auch kleinere) um die Leute unterzubringen.

Die Erde ist zwar nicht völlig durch, aber durch den Klimawandel und Raubbau einigermaßen hart gefickt. Der unmittelbaren Erwärmung begegnet man mit einem Sunshade in Form einer Streulinse am L1, aber die bis dahin bereits angerichteten Schäden (Abschmelzen der Gletscher, Übersäuerung der Ozeane etc) sind halt schon da und werden vermutlich Jahrhunderte benötigen um zu heilen.

Das war allerdings auch ein Grund, warum ich in meiner Planung von diesen Mega-Habs wieder weg bin: bis die fertig sind, dürfte sich auch die Erde wieder ganz gut erholt haben, sodass man die Habitate dann gar nicht mehr braucht. Jedenfalls nicht, solange die Bevölkerung nicht explodiert.

Mars ist in meinem Setting eher eine Randzone, eher so wie Australien zu Zeiten des British Empire, inklusive Sträflingskolonie. Mars hat als Wohnort viele Probleme, die man mit einem Orbital nicht hat oder zumindest viel einfacher in den Griff bekommen kann. Primärer Zweck der marsianischen Kolonie ist es, in Gewächshäusern Nahrung anzubauen, mit der die Kolonien im Hauptgürtel versorgt werden können. (Da es viel billiger ist, Lasten vom Marsboden aus ins All zu hieven als vom Erdboden.) Stahl und Glas kann man billig vor Ort herstellen, aber viel mehr halt auch nicht. Anderswo baut man Agri-Habs im All, die viel höheren Ertrag pro Anbaufläche versprechen als der ungemütliche Mars. Das sind dann noch alles so Feinheiten, die auch mit den unterschiedlichen Machtblöcken zu tun haben.

Aedin Madasohn:
was für eine Art Abenteuer willst du dann da spielen?

der Zusammenhang, dass durch Leonisation "genügend" fähige/qualifizierte "unterbeförderte" Menschen zur Verfügung stehen, um "da draußen" was "eigenes" aufzubauen, wurde ja schon genannt.

wer als Tausendsassa Elektriker aufgrund von Verrentungsstau nur die Planstelle Hausmeister-Untergehilfe ergattern kann, jetzt aber Facility-Senior-Tech-Chief-Master in der Saturn 3001 Station werden könnte (und dafür erstmal 20 Jahre Aufbauzeit investiert - schau dir an, wie groß die Pötte der Meyerwerft sind und die hauen so etwas im Jahrestakt raus, was könnte da nicht zuletzt auch durch Automatisierung, an Strukturen geschaffen werden) - der würde doch zugreifen?

zu Bevölkerungswachstum: ist sehr komplex und die Gründe, wo überall irgendwo/irgendwie die Geburtenrate einbrechen/brachen und was jemand darüber schreibt, was der Grund sein sollte... ;D

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)in Russland hat Putin das Problem erkannt, nämlich die Frauen sind zu dick! daher gibt es jetzt eine Strafsteuer auf zu dicke Frauen, weil die Kremelstatistiker...Satiriker haben hieb und stichfest ausgrechnet, dass dicke Russinnen weniger Kinder haben als schlanke  ;D
also, Aussterbegefahr erkannt, Gefahr gebannt! Strafsteuern sei dank!
die meinen das übrigens ernst...
sobald also McDonalds-FastFooder und Hüftspeckler-deep-state-Nahrungsindustrie besiegt sind, springt auch die Geburtenrate wieder an.
In Basilien rechnen die Statistiker übrigens ebensolche Zahlen aus...
 >;D
 kleiner realsatirischer Einschub

Ainor:

--- Zitat von: Feuersänger am 21.06.2025 | 02:02 ---Gut, teilweise würde ich das nicht so kritisch sehen -- extreme Risikoaversion wäre freilich eine _denkbare_ Konsequenz, aber mE nicht zwingend. Ich sag mal so: auch heute hat zB ein 18jähriger potentiell ca 7 Jahrzehnte vor sich, trotzdem gibt es genügend Deppen die sich auf der Stelle mit krasse BMW an der nächsten Platane zerlegen. Das macht er nicht, weil er sich denkt "Och, ob ich heute sterbe oder in 70 Jahren, was macht das schon für einen Unterschied", sondern weil er einfach rein gar nichts denkt.

--- Ende Zitat ---

Tjo. Momentan sind etwas 7,5% aller Tode nicht medizinisch. Das gäbe dann eine Lebenswerwartung von 1000 Jahren. Die extreme Risikoaversion kommt dann vielleicht nicht beim Einzelnen, aber bei der Gesselschaft: "Du willst Autofahren? Viel zu gefährlich!"


--- Zitat von: Feuersänger am 21.06.2025 | 02:02 ---Dass aber bei dieser Art der Unsterblichkeit begehrte Posten selten bis nie geräumt werden, der Gedanke kam mir auch schon.

--- Ende Zitat ---

Da gibt es einfache Lösungen. Präsidenten bekommen normalerweise nur 2 Amtszeiten. Und auch andere Organisationen haben Beschränkungen für ihr Führungspersonal.


--- Zitat von: Feuersänger am 21.06.2025 | 02:02 --- es kann also sein, dass sich dann eine Mentalität durchsetzt, bei der man nicht mehr passiv abwartet bis der Diktator von alleine das Zeitliche segnet, sondern viel früher auf die Barrikaden geht und nachhilft.

--- Ende Zitat ---

Auch diese "Problem" haben die Ägypter mit ihren Dynastien vor 5000 Jahren gelöst. Und Nordkorea zeigt dass es immernoch funktioniert. Ändert sich also nicht so viel. 


--- Zitat von: Feuersänger am 21.06.2025 | 02:02 ---Grundsätzlich und von etwaiger Unsterblichkeit unabhängig ist nämlich eh die Prämisse dieses Settings, dass sich ein auf Langfristigkeit ausgerichtetes Denken durchgesetzt hat. Politiker, die weiter denken als bis zum nächsten Wahltermin. Unternehmen/r, die einen weiteren Horizont haben als den nächsten Quartalsbericht. Langfristige Fahrpläne, die auch konkret so gemeint sind und nicht nur als "Bleib mir weg damit, da kann sich ein anderer Depp damit rumschlagen wenn ich meine Schäfchen im Trockenen habe". Also eine Gesellschaft, die - wieder, möchte ich sagen - willens und fähig ist, in Jahrzehnten und Jahrhunderten zu denken.

--- Ende Zitat ---

Tja, da ist die grosse Frage auf wann sich das "wieder" bezieht...


--- Zitat von: Feuersänger am 21.06.2025 | 02:39 --- Und überall dort braucht man eben Habitate (wenn auch kleinere) um die Leute unterzubringen.

--- Ende Zitat ---

Ich glaube es gibt einen grossen Unterschied zwischen Habitaten auf/in einem Planeten/Asteroiden und einfach nur im Weltraum.


--- Zitat von: Feuersänger am 21.06.2025 | 02:39 ---Die Erde ist zwar nicht völlig durch, aber durch den Klimawandel und Raubbau einigermaßen hart gefickt. Der unmittelbaren Erwärmung begegnet man mit einem Sunshade in Form einer Streulinse am L1, aber die bis dahin bereits angerichteten Schäden (Abschmelzen der Gletscher, Übersäuerung der Ozeane etc) sind halt schon da und werden vermutlich Jahrhunderte benötigen um zu heilen.

--- Ende Zitat ---

Und ins Weltall umzuziehen soll einfacher sein als sich damit zu arrangieren? Schiffe sind irgendwie einfacher zu bauen als Raumstationen. Die ISS kostet 100 Milliarden und hat 500 qm. Einen Keller dieser Grösse bekommt  kostet vielleicht eine Million, und das Fenster aufmachen kann man auf der ISS auch nicht. Ein Schiff mit 500000 qm kostet etwa 2 Milliarden.


--- Zitat von: Feuersänger am 21.06.2025 | 02:39 ---Mars ist in meinem Setting eher eine Randzone, eher so wie Australien zu Zeiten des British Empire, inklusive Sträflingskolonie. Mars hat als Wohnort viele Probleme, die man mit einem Orbital nicht hat oder zumindest viel einfacher in den Griff bekommen kann.

--- Ende Zitat ---

Ich bezweifele dass die so gross sind dass es einfacher ist jedes einzelne Gramm ins All zu bringen.
Aber gut, Entfernung mag ein Problem sein. Die ISS ist ja auch nicht auf dem Mond.


--- Zitat von: Feuersänger am 21.06.2025 | 02:39 ---Anderswo baut man Agri-Habs im All, die viel höheren Ertrag pro Anbaufläche versprechen als der ungemütliche Mars.

--- Ende Zitat ---

Warum haben sie viel höheren Ertrag wenn ich dasselbe Hab auf dem Mars aufstellen kann?


--- Zitat von: Aedin Madasohn am 21.06.2025 | 08:03 ---zu Bevölkerungswachstum: ist sehr komplex und die Gründe, wo überall irgendwo/irgendwie die Geburtenrate einbrechen/brachen und was jemand darüber schreibt, was der Grund sein sollte... ;D

--- Ende Zitat ---

Klar gibt es die Möglichkeit dass Gruppen mit niedrigen Geburtenraten verschwinden und Gruppen mit hohen Geburtenraten sich ausbreiten. Aber es soll ja keine Dystopie sein.

Chaos:
Ein weiterer Aspekt zum Thema Bevölkerungswachstum... man ist sich mittlerweile in der Psychologie ja bewusst, wieviel Schaden Vernachlässigung oder gar Missbrauch im Kindealter bei den Kindern anrichten kann, und wie groß das Risiko ist, dass diese Kinder im Erwachsenenalter das alles an die nächste Generation weitergeben. Dieses Wissen dürfte zur Zeit des Settings eher umfassender sein.

Könnte es also eine Art "Elternführerschein" geben, den man machen muss, und/oder einen "Eltern-TÜV", den man bestehen muss, bevor man eigene Nachkommen in die Welt setzt? Zum Einen zum Wohle der Kinder, zum Anderen zum Wohle der Gesellschaft, die ja auf die eine oder andere den Fallout von unfähigen oder unwilligen Eltern abbekommt. Da böte sich dann im Graubereich an, Strenge des TÜV und Schwierigkeitsgrad des Führerscheins als Stellschraube zu nutzen, um durch erlaubte oder verweigerte Fortpflanzung das Bevölkerungswachstum zu regulieren - natürlich vorgeblich alles streng nach objektiv wissenschaftlichen Kriterien.  Verschiedene Habitate könnten - vielleicht auch nur unter der Hand - damit werben, dass es bei ihnen leichter ist, TÜV und Führerschein zu bekommen, und so Fachkräfte anlocken, die Kinder haben wollen.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass bis dahin das Kinderkriegen schlicht nicht mehr das ist, was man als Erwachsene halt irgendwann mal macht. Es ist ja schon heute so, dass Paare, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, nicht mehr so schräg angeguckt werden wie noch vor 1-2 Generationen, und zur Zeit des Settings sollte sich diese Einstellung noch ein ganzes Stück weiter verschoben haben - vielleicht bis zu dem Punkt, an dem man ein bisschen schräg angeguckt wird, wenn man überhaupt Kinder hat?

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