Pen & Paper - Rollenspiel > Pen & Paper - Spielberichte

[Kult / Dread] Das Omega-Wort

(1/9) > >>

Bitpicker:
Die derzeitigen Diskussionen um Kampagnen und wie man sie beginnt haben mir die Idee eingepflanzt, ich könnte hier im Diary ja einfach mal schon das Entstehen einer Kampagne schildern und nicht erst mit dem eigentlichen Spiel einsetzen. Wenn das auch andere mal machen, kann man vielleicht schön die Unterschiede oder ggfs. Gemeinsamkeiten in der Vorbereitung beobachten.

Die Kampagne, um die es hier geht, wird das Kult-Setting und mein GeneSys-Regelwerk benutzen und wird auf die noch laufende Werwolf-Kampagne folgen. Natürlich bedeutet das Offenlegen des Entstehungsprozesses, dass sehr viel Information vorweggenommen wird, aber da meine Spieler dieses Forum nicht besuchen (hoffe ich wenigstens), macht das nichts.

Am Anfang der Kampagnenidee stand ein Fernsehbericht über Mumien, die irgendwo im Fernen Osten gefunden wurden und die sich als Fälschungen herausgestellt hatten. Nach einigem Reifenlassen entstand folgende Grundidee für die Kampagne:

Laut Kult-Setting ist der Demiurge (also quasi Gott) irgendwann im 19. Jahrhundert oder so verschwunden, hat aufgehört, sich um die Welt zu kümmern. Seitdem zerbricht die Illusion, in der die (ursprünglich ebenfalls göttlichen) Menschen leben und die sie Realität nennen, mehr und mehr. Was, wenn der Demiurg sich tatsächlich in die Welt begeben hätte, um in einem vergessenen Tempel bei einem obskuren Kult zu sterben und sich mumifizieren zu lassen, und wenn eine archäologische Expedition eben diese Mumie findet und zweifelsfrei erkennt, um was es sich handelt?

Lose Grundlage für weitere Recherche ist folgende Ausgangssituation: die Spielercharaktere sind Teilnehmer einer von der Universität Berlin durchgeführten archäologischen Expedition zu einem in einen Felsen gemeißelten Tempel im Osten der Türkei, der seit langem von einer Sandverwehung verdeckt worden war; Wetterveränderungen haben den Sand fortgeblasen und die Fassade des Tempels freigelegt. Das Gebiet wird von Kurden kontrolliert und ist während der andauernden Auseinandersetzung zwischen USA und Irak quasi Sperrgebiet; jetzt aber ist, nachdem bisher nur undeutliche Fotografien von der Fassade existierten, endlich eine offizielle Einladung für ein qualifiziertes Archäologenteam ergangen.

Die Spieler bekommen die freie Auswahl, welche Aufgaben in der Expedition ihre SCs haben, sie müssen sich nur untereinander einigen, damit es nicht fünf Expeditionsleiter gibt. Weitere Vorgabe ist die von Kult übernommene Angabe eines Dunklen Geheimnisses, wobei dies eher zur Stimmungsschaffung dient und nur bedingt ins Abenteuer einfließen wird, wenn es sich ergibt. Die einzige aus Kult entnommene Regel bezieht sich auf den Mechanismus der Mentalen Balance; für mein System habe ich die Skala von -500 - +500 auf -100 bis +100 herunterskaliert. In meinem System gibt es einen Stabilitätswert, der für das Weltbild des Charakters und dessen relative Festigkeit steht; das entsprechende Weltbild muss recht umfassend vorab definiert werden, weil alles, was der Charakter erlebt und diesem Weltbild widerspricht, einen möglichen Schock darstellt. Schocks wiederum verursachen Schaden, und dieser manifestiert sich in verlorener Mentaler Balance. Erfolge und Dinge, die das Weltbild festigen, können positive Balance bringen.

Was den Kult angeht, dachte ich an eine Gruppe von Männern auf der Flucht, die sich in dem Felsentempel (dessen Eingang vor über hundert Jahren noch frei lag, aber so abgelegen, dass man ihn einfach nicht bemerkt hat) versammelt hat, um irgend eine obskure, asketische Form des Islam zu leben. Zu diesen kommt der Demiurg, offenbart sich, gibt ihnen die Fähigkeit zur Einbalsamierung seines Körpers und stirbt. Die Männer reagieren sehr unterschiedlich auf den Tod Gottes: einige werden wahnsinnig und / oder suizidal, andere kümmern sich um ihre letzte Pflicht. Der Anführer der Gruppe schreibt diese letzte Offenbarung auf, seine verbliebenen Mitstreiter bleiben im Tempel mit der Mumie zurück, auf deren Brust ein Zeichen erscheint, eine magische Glyphe, die jeder, der sie sieht, sofort versteht: sie besagt, dass Gott tot ist. Diese Glyphe zu sehen, pflanzt dieses unbezweifelbare Wissen in das Gehirn des Lesenden. Er kann, sofern er diese Enthüllung übersteht, das Zeichen jederzeit reproduzieren, auch als Wort (das Omega-Wort aus dem Titel). Der Anführer verlässt als einziger den Tempel, übergibt seine Aufzeichnungen einer weisen (aber analphabetischen) Frau im nächstgelegenen Dorf, damit diese selbst oder ihre Nachfahren sie dann weitergeben können, wenn Leute einmal auftauchen sollten, die den Tempel betreten wollen. Der Anführer selbst ist aber durch das Wissen auch körperlich verändert worden (Effekt negativer Mentaler Balance): er ist unsterblich. Deshalb kann er als Beobachter und ggfs. Gegner auch später noch auftauchen.

Vorgesehen ist, dass die SC also den Tempel finden und sich noch vor der Entdeckung der Mumie einer Gruppe bewaffneter Kurden gegenübersehen, die ihnen das Manifest des Kult-Anführers übergeben; aber noch während der Lektüre des doch recht vagen Textes wird die Mumie entdeckt und der Spaß beginnt; beim Anblick des Zeichens entsteht Chaos.

Ab diesem Moment möchte ich den SC freistellen, was sie mit dem neu erworbenen Wissen (bzw. der Macht, jedem unmissverständlich klar zu machen, dass Gott tot ist) anfangen wollen. Natürlich werde ich auch einige Kulte usw. vorbereiten, mit denen die SC in Berührung kommen könnten, damit das Ganze nicht im möglichen Vakuum der Spielerlethargie verkommt. Denkbar ist auch, dass die SC entscheiden, dass die Glyphe zwar die Information von Gottes Tod einpflanzt, aber deshalb nicht unbedingt auch wahr sein muss; verstärkt wird das ggfs. durch die Entdeckung, dass in den Bandagen überhaupt kein Körper zu finden ist, obwohl nachweislich einer drin gewesen sein muss, als die Bandagen aufgebracht wurden. Zu guter Letzt: gibt es vielleicht auch ein Alpha-Wort als Gegenstück zum Omega-Wort, das Gott wiederweckt oder gar einen Menschen zu Gott werden lässt?

Das ist also die Vorgabe. Als nächstes folgt für mich die Recherche des historischen und geographischen Hintergrunds und die Anlage der Ist-Situation, also der NSCs, Interessengruppen usw.

Robin

Vale waan Takis:
Na das klingt ja mal extrem geil  :d

Bitpicker:
Im Rahmen unserer gestrigen Werwolf-Sitzung habe ich die Spieler über die genannten Charakteroptionen informiert, also

• Mitglied einer archäologischen Expedition, Fachgebiete aus dem Bereich Frühgeschichte des Nahen Ostens
• Ausformulierte Weltanschauung
• Dunkles Geheimnis

Mal sehen, was draus wird.

Auf der Rechercheseite habe ich mich dazu entschlossen, Bilder von Felsentempeln aus Petra als Vorlage zu verwenden (http://www.jadu.de/jaduland/asia/jordan/text/petra.html). Der Tempel selbst soll aus assyrischer Zeit stammen, wie im Umfeld auffindbare Scherben etc. nahelegen, die hier heimische Kultur war vielleicht eine noch unbekannte Nachfolgekultur der Gutäer. Mit GoogleEarth werde ich mir noch ein nettes Plätzchen für den Tempel suchen...

Der Tempel selbst ist allerdings irgendwann ausgeplündert worden, drinnen gibt es nur einfache Möbelstücke und Spuren des Aufenthaltes von Personen aus der (relativen) Neuzeit, also dem 'Kult'.

Als Zeit für den Kult und das Ableben des Demiurgen habe ich mir etwa das Jahr 1930 ausgesucht, da in dieser Zeit Kemal Atatürk gerade die -eher weltlich orientierte- Türkei auf den Trümmern des Osmanischen Reiches errichtet und dabei unter anderem die Orden und klösterlichen Gemeinschaften der Sufis verbietet. Solche Sufis eines besonders asketischen Zweiges haben sich in dem alten Tempel häuslich eingerichtet. Daraus folgt auch, dass der türkisch-sprachige Bericht des Kult-Führers mit arabischen Schriftzeichen geschrieben wurde, denn Türkisch wurde erst wenige Jahre später unter Atatürk auf lateinische Buchstaben umgestellt.

Das Ganze werde ich noch mit ein paar Details ausstatten und schriftlich festlegen, dann widme ich mich den KULT-Fraktionen, die für dieses Szenario passend sind.

Robin

Pendragon:
Hört sich auf alle Fälle total spannend. Gibt ja einige Intressengruppen nicht nur Kult Fraktionen die da mit was zu tun haben wollen.
Es ist echt beeindruckend zu sehen wie du deine Kampagnen vorbereitest :)

gruß Pendragon

Bitpicker:
Diese Woche hatte ich einen interessanten Fall von Synchronizität in Bezug auf die Omega-Wort-Kampagne. Bei der Lektüre der Beschreibung einer Nobilis-Kampagne im Internet ist mir ein Verweis auf eine obskure und mir vorher völlig unbekannte Glaubensgemeinschaft aufgefallen, die Yezidi.

Dies ist eine kurdische (!) Volksgruppe, die einem Glauben anhängt, der starke gnostische Züge hat: sie glauben an einen Großen Gott, der aber nicht für die Schöpfung der materiellen Welt verantwortlich ist, und an einen geringeren Schöpfergott, Melek Taus, der mit Luzifer identifiziert werden kann, ganz ähnlich dem Weltbild verschiedener gnostischer Sekten des Altertums (was prima zu Kult passt). Noch besser ist, dass die Yezidi allerdings im Gegensatz zu den Gnostikern diesen Melek Taus verehren und für gut halten, während die Gnostiker den Demiurgen oder niederen Schöpfergott in der Regel ablehnen. Aus der Sicht des Demiurgen in Kult dürften also die Yezidi so ziemlich die einzigen Rechtgläubigen sein, also genau das richtige Umfeld für die Inszenierung des eigenen Ablebens, ein letztes Erscheinen unter den Auserwählten.

Ich liebe es, wenn so etwas passiert. Deshalb finde ich die Realwelt als Setting auch viel spannender als jede fiktive Welt. Keine Fiktion ist so verrückt wie das Leben.

Es wird sich also bei den Männern im Tempel um Yezidi handeln, die sich vor Atatürks Schergen versteckt halten, als diese die Trennung von Staat und Religion in der Türkei recht gewaltsam durchsetzen.

Robin

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln