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[Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")

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Timberwere:
Ach so meinst du das. Ohne die Erklärung las sich das für mich mehr so als rückblickende Reminiszenz.

Timberwere:
02. Dezember

Wir haben um eine offizielle Audienz bei Tanit angehalten und sie auch gewährt bekommen. Hurricane fuhr uns auf ihre Insel, wo uns die beiden Sturmriesen Juan und Pepe sowie einige Stormsprites in Spiralen den felsigen Pfad hinaufführten. Oben auf den Klippen befindet sich der größte Teil von Tanits Palast vermutlich auch im Nevernever, aber dorthin lud die Herzogin des Winters uns nicht ein, sondern empfing uns draußen im Freien in einer Art Amphitheater, die eigens diesem Zweck zu dienen schien.

Tanit verhielt sich kühl und höflich, während ich selbst meinen Sommermantel strikt unter Kontrolle hielt und eisern diplomatisch blieb. Immerhin habe ich nichts gegen Tanit.
Unseren Vorschlag, einen neuen Zugang zur Insel der Jugend zu schaffen, und zwar mit mehreren Toren auf mehreren Inseln, fand die Herrin der Stürme grundsätzlich gut und schlug zusätzlich noch vor, dass jedes Tor von einem der Höfe gestellt werden solle. Das klingt tatsächlich sinnvoll, das werden wir im Hinterkopf behalten.

Wir fragten sie nach den übrigen Ankerinseln neben der Insel der Jugend, um sicherzustellen, dass die Kollateralschadeninsel keine davon ist. Das ist sie nicht, zum Glück, aber Tanit fand den Gedanken etwas beunruhigend, dass wir der Insel einen Namen gegeben haben, wie scherzhaft der auch gemeint gewesen sein mag. Denn wenn etwas einen Namen hat, dann verändert es sich, und wer weiß, wie diese Veränderungen bei einem Namen wie ‘Kollateralschadeninsel’ wohl aussehen?
Also will sie jemanden hinschicken, der sich das Ganze einmal ansieht; das kann ja sicherlich nichts schaden.

Die drei Ankerinseln gehören jeweils einem der Höfe: Die Insel der Jugend dem Wyld, die Insel der Trauer dem Winter und die Insel der Stürme dem Sommer. Wobei das noch nicht so ganz geklärt sei, ob die Insel der Stürme nun dem Sommer oder dem Winter gehöre, sagte Tanit, aber das sei eine andere Geschichte. Auf meine Nachfrage bestand sie aber darauf, dass ich diese Geschichte von Pan hören solle, es sei nicht an ihr, davon dem Ritter des Sommers zu erzählen.
Natürlich, erklärte ich sofort: Alles habe ja immer zwei Seiten, und ich würde gerne beide Seiten der Medaille hören, also irgendwann später dann vielleicht?
Eigentlich hatte ich es nur höflich-diplomatisch gemeint, aber Tanit starrte mich finster an. “Das hier ist meine Insel, Ritter des Sommers, also wäre es gut, du würdest mich das letzte Wort haben lassen.”
Seufz. Feen. In einer kapitulierenden Geste hob ich beide Hände und sagte nichts weiter.

Am Ende, als alles andere bereits besprochen war, trat Totilas vor. Er hielt den Kopf gesenkt, und sein Haar wirkte viel stumpfer als sonst – er hatte tatsächlich Asche auf seinem Haupt verteilt. Dazu die einfache, graue Kleidung, die er trug, und er gab wirklich ganz das Bild eines reuigen Büßers ab. Tanits Ritter zückten bereits ihre Schwerter und wollten Totilas entgegentreten, aber die Herzogin hielt sie zurück und bedeutete unserem White Court-Freund, näherzutreten.
Von dem, was sie besprachen, bekamen wir nichts mit, weil Tanit einen schützenden Schirm aus Wind um sie herum wirkte, der alle Geräusche drinnen hielt, aber es sah sehr bedeutsam aus und nicht so, als wolle die Winterherrin ihm gleich den Kopf abreißen. Dann nickte Totilas ernsthaft, verneigte sich und trat zurück, und wir wurden wieder den Felsen hinuntergeführt.

Zurück in Miami besprachen wir ausgiebig, wie der neue Zugang zur Insel der Jugend genau aussehen könnte. Dabei kamen alle möglichen Vorschläge auf und wurden wieder verworfen, aber nach längerem Hin und Her einigten wir uns schließlich auf folgende Lösung:
Das erste Tor wird das des Sommers. Wir platzieren es auf einer sommerlichen, palmenbewachsenen Insel mit Urlaubsflair; das Tor selbst wird ein Kreis aus Muscheln, die in einen flachen Felsen eingelassen sind. Um durch das Tor zum nächsten Ort zu kommen, muss man eine bestimmte Tonfolge in ein Muschelhorn blasen und ein Sommergedicht aufsagen. Nur zwei Zeilen davon sollen das Tor wirklich aktivieren, aber zur Tarnung will ich diese beiden Zeilen in einem etwas längeren Gedicht verstecken.

Das Wintertor wird sich im Überhang eines Felsens befinden, auf einer entsprechend kalten und sturmumtosten arktischen Insel. Sowas haben wir vor Miami zwar nicht, aber spätestens im Nevernever sollte sich so etwas auftun lassen. Um das Tor aufzuschließen, muss man einen aus Eis geformten Schlüssel aus einem Teich mit Eiswasser fischen. Wenn man weiß, was man tut, ist das zwar alles andere als angenehm, aber möglich. Nur wenn man nicht ganz genau weiß, wo in dem Becken man den Schlüssel zu suchen hat, dann friert man sich die Hand ab, weil das Wasser einfach so kalt ist. Wärmt man sich vorher die Hand auf, um das zu vermeiden, schmilzt der Schlüssel, trägt man Handschuhe, kann man den Schlüssel gar nicht erst ertasten, also muss man mit der bloßen Hand hinein. Auf diese Idee bin übrigens nicht ich gekommen, wie man sich vorstellen kann; das war Hurricane, der unserer kleinen Runde als Vertreter des Winters beiwohnte.

Für das Wyld war George bei der Besprechung dabei, und er dachte sich mit unserer Unterstützung folgendes aus: Nach Durchqueren des Wintertors landet man in einer sehr traumartigen Struktur aus grauen Gängen, einem richtiggehenden Labyrinth, an dessen Ende ein von einer Bürolampe beleuchteter Schreibtisch steht. Hier muss man ein Antragsformular ausfüllen und über eine altmodische Gegensprechstelle Sergeant Book kontaktieren – bzw. den jeweiligen Hüter der Insel der Jugend, nicht notwendigerweise Sergeant Book. Wenn der Hüter damit einverstanden ist, den Ankömmling zu treffen, dann öffnet sich eine Tür, und derjenige kann einfach hindurchgehen und landet auf der Insel der Jugend. Ist Book nicht bereit, den Besucher zu empfangen, dann geht die Tür gar nicht erst auf, aber dafür öffnet sich am rückwärtigen Ende des Ganges eine andere Tür, durch die man zurück zum Startpunkt auf der Sommerinsel gelangt.

Soweit die Planung. Jetzt müssen wir sie nur noch in die Tat umsetzen. Wir müssen zwar alles selbst machen, denn je weniger Leute von dem neuen Weg auf die Insel wissen, umso besser, aber das geht schon. Es muss ja nicht alles innerhalb eines Tages geschafft sein.

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03. Dezember

Ich muss dringend über Sir Diarmuid nachdenken, den Feenritter, der plötzlich kein Eidbrechermal mehr trägt. In den letzten Tagen war zu viel zu tun, aber jetzt kann ich das nicht mehr auf die lange Bank schieben. Ihm hatte ich ja eine Strafe angedroht, die „schlimmer als der Tod“ sei, aber bisher ist mir dazu noch nichts eingefallen. Es geht mir auch gar nicht so sehr um „schlimmer als der Tod“ - diese Drohung habe ich einfach im Affekt ausgesprochen - sondern eben darum, den Mann angemessen zu bestrafen. Aber was ist 'angemessen'? Und vor allem um eines mache ich mir Sorgen: Wenn er wirklich unter dem Einfluss der Outsider steht, kann er dann vielleicht von dort im Gefängnis wiederum auch andere beeinflussen? Es bringen ihm Leute sein Essen; es haben Leute dort Wachdienst... werde ich schon paranoid oder sind das alles potentielle Kontaktpunkte und Gefahrenherde?

Ich muss mit den Jungs darüber reden. Vielleicht haben wir gemeinsam eine Idee.

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04. Dezember

Oh Dios. Auf eine angemessene Strafe kam ich auch mit Hilfe der Jungs nicht. Aber dafür zu der Entscheidung, dass Sir Diarmuid hingerichtet werden muss. Die Gefahr, dass er unbemerkt irgendeinen Outsider-Einfluss ausweitet und so Pans Palast korrumpiert, ist einfach zu groß. Die anderen hielten diese Sorge nämlich für überhaupt nicht paranoid, sondern für durchaus angebracht.

Die Frage war nur, ob – auch wenn die Sorge darum berechtigt war – er auch wirklich einem dämonischen Einfluss unterlag. Aber wie das herausfinden? Roberto weigerte sich, den Ritter mit dem zweiten Gesicht zu betrachten, weil er sich nicht dem aussetzen wollte, was er dabei sehen – und dann nie wieder vergessen – könnte, und das waren völlig legitime Bedenken. Also nicht über die Sight. Aber ich fragte George, der inzwischen als offizieller Anführer des Wyld in Miami auch außerhalb des Nevernever materialisieren kann und den ich zu diesem Zweck kontaktierte, ob Sir Diarmuid träume. Das tut er nicht – das tut keine Fee, wie George mir erklärte – aber es schwebe irgendetwas um ihn herum, das derart unangenehm sei, dass George ihn nicht anrühren wollte, selbst wenn er träumen könnte. Das war mir Bestätigung genug für den befürchteten Outsider-Einfluss. Mierda.

Mich betrachtete Roberto übrigens auch in der Sight. Immerhin hatte ich bei den Verhören einige Zeit mit Sir Diarmuid verbracht, und wenn dieser Einfluss so perfide unauffällig ist, wer weiß, ob ich nicht auch schon was davon an mir hatte? Da war aber nichts, zum Glück, und ich gebe zu, ich war schwer erleichtert. Ja, paranoid, ich weiß, aber sicher ist sicher. Vielleicht war das ein bisschen so wie bei einem AIDS-Test: Nein, man rechnet nicht wirklich damit, dass der Test positiv ausfällt, aber wenn man dann die Bestätigung hat, dass nichts ist, fällt einem doch ein Stein vom Herzen.

Totilas war derjenige, der mir den entscheidenden Punkt wieder ins Gedächtnis brachte. „Was ist dir wichtiger? Dass er keine Gefahr mehr darstellt oder dass er bestraft wird?“
Und natürlich hatte er recht. Dieses ganze Suchen nach einer 'angemessenen Strafe' war im Endeffekt eigentlich nichts als egoistisch. Nach meiner Drohung von wegen 'schlimmer als der Tod' wollte ich mich einfach nur nicht lächerlich machen, nicht das Gesicht verlieren dadurch, dass mir keine Strafe einfiel, die wirklich schlimmer war als der Tod. Aber das ist albern. Hier geht es um Wichtigeres als darum, ob ich vor einem korrumpierten Feenritter das Gesicht verliere oder nicht. Die Gefahr, die Sir Diarmuid darstellt, ist viel zu groß für solche kleinlichen Bedenken. Ich werde ihn hinrichten müssen.

Erst überlegten wir eine ganze Weile hin und her, mit welcher Berechtigung: Ob es vielleicht eine Gerichtsverhandlung geben sollte, bei der wir Sir Diarmuids Veränderung vielleicht offenlegen könnten, beweisen könnten, dass er gelogen hat, oder ihn gar während der Tat bei einer Lüge ertappen? Aber das wird kaum möglich sein, fürchte ich. Feen können sich dieses Konzept einfach nicht vorstellen; es geht beim besten Willen nicht in ihren Kopf.
Als wir Sir Anders danach fragten, ob er sich an Sir Diarmuids Eid Pan gegenüber erinnern könne und daran, ob er den abgelegt habe, war er völlig verwirrt und misstraute eher seiner eigenen Erinnerung als in Betracht zu ziehen, dass Sir Diarmuid zu einer Lüge fähig gewesen sein könnte. Ihm die Lüge nachweisen wird also nicht gehen; bei einer Gerichtsverhandlung würde er sich einfach weiter darauf herausreden, dass er nie einen Eid abgelegt habe, und niemand könnte ihm das Gegenteil beweisen.

Aber dann fiel uns ein, dass es eine solche Gerichtsverhandlung ja gar nicht braucht. Eidbrecher ja oder nein, das Mal losgeworden hin oder her, Sir Diarmuid hat Pans Bann missachtet, und das ist bereits Legitimation genug für ein Todesurteil.
Aber bevor wir – bevor ich – das vollstrecke, habe ich noch eine andere Sorge. Und ja, auch das mag wieder paranoid sein, aber: Ist denn sichergestellt, dass der Outsider-Einfluss im Moment der Hinrichtung nicht durch die Gegend explodiert und sich schön gleichmäßig auf alle Anwesenden verteilt?
Wir wissen einfach zu wenig über diesen ganzen Outsider-Kram, und sich zu viel damit zu beschäftigen, stellt ja auch schon einen Bruch der magischen Gesetze dar. Nur: Wieviel ist zu viel? Woher ¿por demonios soll man solche Dinge wissen und beachten, wenn man sie nicht herausfinden darf?

Wir wissen zu wenig darüber. Und es gibt kaum jemanden, dem wir in einer solchen Angelegenheit vertrauen können. Aber vielleicht kann Jack White Eagle uns weiterhelfen.

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Zurück aus der Kommune. Jack war gerade dabei, mit einem Ritual den Threshold um das Gelände hochzuziehen, danach aber gerne bereit, mit uns zu reden. Und tatsächlich fand er, die Gefahr bestehe durchaus, dass der Einfluss sich mit Sir Diarmuids Tod ausbreiten könnte. Na gut, dann müssen wir eben Vorkehrungen treffen. Jack sagte auch noch, diese ganze Sache mit den Outsidern mache ihm Sorgen. Bis vor ein paar Jahren hätte kaum jemand gewusst, dass sie überhaupt existieren, und jetzt hätten sie keine Scheu, ganz offen zu operieren. Er bat uns, die Augen offenzuhalten, und versprach, sich ebenfalls zu melden, wenn er etwas herausfinden sollte.

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14. Dezember

Es ist getan, Dios perdoname. Nachdem Pan das Todesurteil noch einmal hochoffiziell verkündet hatte, vollstreckte ich es. Ich weiß nicht so richtig, was das über mich aussagt – dass ich dazu imstande war, meine ich. Und dass ich jetzt gar keine so starken Schuldgefühle habe, wie ich dachte, dass ich sie haben würde. Beim Ritual der Elemente letztes Jahr im Sommer anwesend zu sein, ging ja schon in diese Richtung, aber das waren Freiwillige. Und da war ich nicht selbst derjenige. Aber ich hätte mir auch nicht mehr in die Augen sehen können, wenn ich dieses Urteil jetzt nicht selbst vollstreckt hätte. Ich will mich auch nicht darauf hinausreden zu sagen, Sir Diarmuid war 'nur eine Fee, und Feen haben ja keine Seele'. Fee oder nicht, Seele oder nicht, er war ein denkendes, fühlendes Wesen, und ich wünschte von Herzen, es hätte eine andere Lösung gegeben. Vielleicht hätte es das sogar, aber ich habe beim besten Willen keine gesehen. Also habe ich getan, was ich glaubte, dass getan werden musste. Ob es mir leichter fiel, diese Entscheidung zu treffen, weil ich den Mantel des Sommerritters trage? Ich weiß es nicht. Vielleicht. Aber nein, ich glaube, das war tatsächlich einfach Ricardo Esteban Alcazár, der diese Entscheidung getroffen hat und – glaube ich – auch ohne Sommerrittermantel so getroffen hätte.

Jedenfalls, philosophische Selbstbetrachtungen beiseite: Sir Diarmuid wurde in einem Schutzkreis platziert, damit der Einfluss an dessen Wänden abprallen sollte, statt sich im Raum zu verteilen; ich selbst blieb außerhalb des Kreises und vollführte die Hinrichtung mittels Pfeilschuss. Auf die geringe Entfernung war das zielgenaue Setzen des Schusses  zum Glück kein großes Problem, aber ich habe in den letzten Tagen auch eigens geübt. Ich wollte den Ritter ja nicht unnötig leiden lassen.
Wie erwartet, höhnte Sir Diarmuid, dass es ja wohl nun nichts sei mit der Strafe „schlimmer als der Tod“, aber ich ließ ihn reden. Ich will nicht behaupten, dass der Hohn völlig an mir abprallte, aber das war etwas, das ich ertragen musste. Wie gesagt: Ich wünschte, es hätte eine andere Lösung gegeben – oder mir wäre eine andere Lösung eingefallen – , aber da dem nun einmal nicht der Fall war, musste es sein.

Anschließend untersuchten wir Pans Hof. Den gesamten Hof und alle Höflinge. Also Roberto, genauer gesagt: Er musste die Untersuchung durchführen, weil er ja derjenige mit dem Zweiten Gesicht ist. Dabei stellte sich heraus, dass tatsächlich jemand beeinflusst worden war, und zwar die Nymphe Saltanda. Zum Glück war sie die einzige von allen Leuten Pans – sie hatte wohl ziemlich viel Zeit mit Sir Diarmuid verbracht; sie meinte, und er sei so eine tragische Figur gewesen, der edle Ritter, den man zu Unrecht eingekerkert habe, und er habe ihr so leid getan.

Roberto sagte, in der Sight habe Saltanda ausgesehen wie eine Weizengarbe, die aber von Mutterkorn befallen sei. Die Nymphe musste also mittels eines Rituals gereinigt werden – und was für ein Ritual eignet sich am besten bei einer Nymphe? Richtig, Römer und Patrioten: ein tantrisches.
Edward sollte die eigentliche Magie wirken, Roberto ihn – wie ja inzwischen schon mehrfach erprobt – durch ihre immer noch bestehende magische Verbindung dabei unterstützen. Und Totilas sollte die Nymphe, die eigentlich gar keine Lust darauf hatte, gereinigt zu werden, weil sie fand, das habe sie gar nicht nötig, derweil entsprechend „ablenken“.

Da mussten Alex und ich aber nicht dabei sein, herzlichen Dank. Wir hielten lieber draußen vor der Tür Wache, um sicherzustellen, dass niemand kam, um die Ritualwirker zu stören. Und stellten auf taube Ohren, oder besser, das Ritual sollte in einem Kreis stattfinden, aus dem auch keine Geräusche dringen sollten, wofür zumindest ich nicht undankbar war. Ja, nennt mich prüde, Römer und Patrioten, aber ich erinnerte – erinnere – mich nur allzu gut an meinen Fehler mit Saltanda.

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15. Dezember

Lidia hat eben angerufen. Sie meinte, Monica hätte gesagt, ich hätte so bedrückt gewirkt, als sie heute bei 'Jandra zum Spielen war. Demonios, und ich hatte gedacht, ich hätte mir nichts anmerken lassen. Aber ich fand es sehr nett, dass Lidia angerufen hat, und wir haben uns fast eine Stunde lang unterhalten. Ich habe ihr natürlich nichts von Sir Diarmuid erzählt, aber trotzdem hat mich das Gespräch ziemlich aufgemuntert.

Vielleicht gehen wir am Wochenende ins Kino.

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16. Dezember

Totilas hatte die Idee, dass wir uns mit Cleo duMorne unterhalten könnten. Sie weiß immerhin auch einiges über die Outsider und kann uns vielleicht mit Informationen weiterhelfen. Wir haben ihr über Oliver Feinstein die Nachricht zukommen lassen, dass Richards Sohn sie gerne sprechen möchte. Treffen im Buchladen.

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Abends. Oh Mann. Das war... aufschlussreich. Und übel, irgendwie. Falls ich noch irgendwelche Zweifel daran gehabt haben sollte, dass Totilas in seiner neuen Aufgabe als Anführer des White Court von Miami gelernt hat, seine Karten sehr eng an der Brust zu spielen, dann wären sie spätestens jetzt ausgeräumt.

Wir trafen Cleo wie geplant im Buchladen. Sie war scheu wie immer, beantwortete unsere Fragen aber vergleichsweise bereitwillig. Ich sage 'vergleichsweise', weil sie über die Outsider eigentlich am liebsten überhaupt nicht sprechen wollte. Sie erklärte, sich auch nur mit dem Thema zu beschäftigen, könnte selbst schon einen Einfluss auf jemanden haben, was auch der Grund für das strikte Verbot durch die Gesetze der Magie sei. Ach seufz. Ich habe es ja vor ein paar Seiten schon mal geschrieben: Wie zum Nether soll man sich zu schützen wissen, wenn man nichts darüber herausfinden darf?

Als wir in den Laden kamen, las Cleo gerade in Faerie Storm. Von sich aus hätte sie sich natürlich niemals getraut, mich zu fragen, aber als ich ihr anbot, ob ich ihr das Buch vielleicht signieren solle, leuchteten ihre Augen richtiggehend auf.

Und dann waren wir mit unserem Gespräch fertig, und Cleo wollte aufbrechen. Aber ehe sie gehen konnte, sagte Totilas: „Cleo, warte“, und fuhr fort: „Ich muss dir von Tanit etwas ausrichten.“  Die junge Magierin hatte es plötzlich sehr eilig, sprang auf und wollte richtiggehend flüchten, aber Totilas sprach eilig weiter. „Ich muss dir von Tanit sagen: Die Zeit ist gekommen.“
Diese Worte ließen Cleo in sich zusammensacken wie eine zum Tode Verurteilte. Unter ihrer braunen Haut wurde sie kreidebleich, und ihre großen Rehaugen traten noch stärker hervor. Aus ihnen sah sie Totilas an, als habe der ihr höchstpersönlich ein Messer zwischen die Rippen gestochen. „Von allen hätte ich das erwartet... aber nicht von Richards Sohn...“

Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck der Entschlossenheit an, und sie straffte sich, als müsse sie jetzt sofort den Gang zum Henker antreten. „Ich habe so darauf geachtet, mich nicht rufen zu lassen... Aber jetzt muss ich gehen... Lady Tanit wartet...“
Ohne ein weiteres Wort stolperte sie aus dem Buchladen. Sogar das signierte Faerie Storm ließ sie liegen. Oh Mann. Mierda.
Alex, der Gute, reagierte als erster. „Ich bleibe bei ihr“, sagte er, griff sich das Buch und ging Cleo nach.

Und da stehen wir jetzt. Alex ist schon etliche Stunden fort, und ich hoffe, es geht ihm gut. Und Cleo natürlich auch. Oh, Mierda.

Bad Horse:
Yay! Sehr schönes Diary, ich bin schon sehr gespannt, wie es weiter geht!  :D

Timberwere:
17. Dezember, mittags

Alex hat sich eben erst wieder gemeldet, aber Cleo und ihm geht es gut. Also soweit es ihr bei der Herrin der Stürme gutgehen kann, aber ausführlicher konnte er am Telefon erst einmal nicht werden. Aber wir treffen uns gleich, dann wird er hoffentlich erzählen.

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Also. Cleo wollte eigentlich sofort los, aber Alex konnte die junge Magierin überzeugen, dass genug Zeit war, um einige Sachen zu packen und sich zu sammeln. Währenddessen erzählte sie ihm, was es mit Tanits Ruf eigentlich auf sich hatte, das schien ihr ein Anliegen zu sein. Tanit hatte ihr geholfen und ihr längere Zeit lang Zuflucht gewährt, als Lafayette duMornes Sohn Justin ihre Mutter und sie gejagt - oder besser einen Outsider hinter ihr hergejagt - hatte, und sich zur Gegenleistung bei Cleos magischer Kraft versprechen lassen, dass Cleo ihr dienen werde, wenn Tanit sie rufe. Cleo sei sich dessen bewusst gewesen, dass die Winterherzogin sie schon seit einer ganzen Weile rufen wolle, aber bisher sei es ihr immer gelungen, die Nachricht nicht entgegennehmen zu müssen. Bis gestern eben. Stimmt, das hatte Richard damals erzählt. Justin duMorne hatte sich mit einem Outsider eingelassen und seine Tochter nur gezeugt, damit er irgendwelche Experimente mit ihr machen konnte, deswegen war Cleos Mutter ja mit ihr geflohen und deswegen war Cleo ja auch so gut im Verstecken und Untertauchen.

Jetzt jedenfalls war es also an der Zeit für Cleo, ihr Versprechen einzuhalten, wenn sie ihre Magie nicht verlieren wollte. Alex begleitete sie nach Hause, damit sie einige Dinge zusammensuchen und zwei Briefe schreiben konnte, einen an Richard, einen an Spencer Declan, die sie Alex zu überbringen bat, dann brachte er sie auf den Cayo Huracán. Tanit empfing Cleo mehr als kühl, weil die ihr so lange ausgewichen war, und schickte sie ziemlich sofort in den Nevernever-Teil ihres Palastes, ohne ihr Zeit für lange Verabschiedungen zu lassen. Aber immerhin gelang es Alex noch, Cleo das vergessene Exemplar von Faerie Storm zurückzugeben, was ihr wohl ziemlich viel bedeutete.
Er versuchte auch, Tanit zu fragen, wie lange Cleo ihre Schuld würde abarbeiten müssen, aber darauf war Tanit nicht bereit zu antworten.

Mierda. Ich hoffe, der Kleinen wird es dort einigermaßen gehen. Ich denke – ich hoffe! – nicht, dass Tanit sie misshandeln wird, aber es ist eine Gefangenschaft, ganz gleich, wie gut man Cleo dort behandelt.

Ach ja, und sagte ich schon, dass das Eidbrechermal bei Totilas in dem Moment verschwand, als Cleo Tanits Botschaft überbrachte? Konnte man sich vermutlich schon denken, aber ja, die Übergabe der Nachricht war ganz klar das, was die Winterherzogin von unserem White Court-Freund verlangt hatte. Als wir ihn hinterher darauf ansprachen, erklärte er, er habe uns nichts sagen können, weil Tanit ja diesen Schweigeschirm um sie gezogen habe und er sich ja beim letzten Mal schon bei ihr in die Nesseln gesetzt habe, weil er etwas verriet, das sie im Vertrauen erzählt habe. Nun ja. Beim letzten Mal hatte er sein Wort gegeben, niemandem etwas zu sagen, und dieses Wort eben gebrochen. Da gibt es schon einen deutlichen Unterschied, es sei denn, Tanit hätte ihm auch diesmal ein ähnliches Versprechen abgenommen. Aber gut. Jetzt ist es so gelaufen, und Tatsache ist tatsächlich, um die Eidbrecheraura loszuwerden, musste Totilas Cleo diese Nachricht überbringen. Dass Totilas' Rehabilitation die arme Cleo in diese Zwangslage bringen würde, das war natürlich vorher nicht vorherzusehen. Oder vielleicht konnte Totilas sich auch etwas in der Art denken, zog seine Aufgabe aber trotzdem durch. Demonios. Ich kann der Kleinen nur von ganzem Herzen alles Gute und viel Kraft wünschen.

Eigentlich habe ich nach all dem nicht viel Lust, heute abend wie geplant mit Lidia ins Kino zu gehen. Aber ich kann sie jetzt nicht hängen lassen. Verabredet ist verabredet. Okay, Alcazár. Gute Miene machen. Du willst Lidia nicht auch herunterziehen.

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Abends.

Wir waren in La La Land, und es war tatsächlich richtig schön. Wir hatten noch überlegt, ob wir lieber La La Land oder den neuen Star Wars-Spinoff schauen sollten, aber ich glaube, das Musical war die richtige Entscheidung. Lidia sagte mir auf den Kopf zu, dass etwas nicht in Ordnung sei, und sie ist ja genug über die Magie und dergleichen im Bilde, dass ich ihr ungefähr erzählen konnte, um was es ging. Nicht in allen Details, aber genug über das grundlegende Dilemma.
Und der Film war tatsächlich sehr nett. Einfach rundum erfreulich, und das, obwohl ich mit Musicals normalerweise nicht so viel anfangen kann.

Und ich habe mit Lidia verabredet, dass Monica und sie an Weihnachten zu uns kommen. Jandra und Monica hätten sich ohnehin zum Spielen getroffen, da können wir auch gleich gemeinsam feiern.

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19. Dezember

Ich habe Pan nach den Ankerinseln gefragt. Wie er es erzählte, gehörten die Ankerinseln einst alle drei dem Sommer, aber die Insel der Tränen schenkte Pan dem Winter, weil er fand, Trauer und Sommer passten nicht zusammen, und die Insel der Jugend habe er vor einigen Jahren bei einem Kartenspiel an Sergeant Book verloren. Was nun die Insel der Stürme angehe, so sei das ein strittiger Punkt mit Tanit. Die Winterherzogin habe behauptet, sie sei ja die Herrin der Stürme, also sollte die Insel viel eher ihr – und damit dem Winter – gehören. Und in diesem Streit habe er ihr versprochen, er werde ihr die Insel schenken, wenn sie sie so gerne haben wolle – als Hochzeitsgeschenk. Aber da Tanit sich ja weigere, ihn zu heiraten, war es das eben bisher mit der Inselübergabe. Wenn sie denn doch mal irgendwann heiraten würden, dann gerne. Tanit allerdings behaupte, er habe ihr die Insel ohne Heiratsbedingung, sondern einfach so zum Geschenk gemacht, und damit gehöre sie schon dem Winter.

Ooookay. Das ist, glaube ich, ein Thema, bei dem ich mich heraushalte. Sollen das die beiden mal schön untereinander klären, dazu brauchen sie ihre Ritter nicht. Wobei ich persönlich ja der Ansicht bin, eine Insel pro Feenfraktion ist nur fair. Der Gedanke, die Insel der Stürme an den Winter abzugeben, gefällt mir also nicht so recht. Aber das ist ziemlich sicher der Sommermantel, der da spricht, glaube ich.

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24. Dezember, morgens

Heute werde ich nicht viel zum Schreiben kommen – Baum schmücken, kochen, Alejandra beschäftigen... Aber ich freue mich auf die Feiertage, muss ich sagen.

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25. Dezember, morgens

¡Feliz Navidad, allerseits! Das war schön gestern. Gut zu Abend gegessen, Alejandra und Monica durften mit in die Christmette – das ist für sie immer wieder etwas Besonderes, um kurz vor Mitternacht noch raus zu dürfen – und haben dann Pyjamaparty halten dürfen. Lidia hat im Gästezimmer übernachtet, bevor hier Ideen aufkommen, Römer und Patrioten. Aber ja. Es gab einen Kuss. Jetzt zufrieden?

Außer mir schläft alles noch. ich habe gerade  aufgeräumt und klar Schiff gemacht, und vielleicht habe ich gleich noch ein bisschen Zeit, bevor es hier wieder rund geht. Ich muss – möchte, vor allem, aber muss auch, wenn ich ehrlich bin – endlich mal anfangen, meine Outline-Gedanken in erste Romanseiten zu gießen. Und, wenn ich noch einmal ehrlich bin, mich auch ein bisschen ablenken. Da ist dieser Kuss, der mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirrt.

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25. Dezember, abends

Natürlich hatte ich keine Zeit. Nicht viel später wachten alle auf, und dann begann die übliche Weihnachtshektik. Die Mädchen, die am liebsten den ganzen Tag miteinander verbracht hätten, waren ein bisschen traurig, dass sie sich mittags trennen mussten, weil wir zu unseren jeweiligen Familien fuhren, aber das gemeinsame Spielen läuft ja nicht weg.
Und Lidia und ich haben beschlossen, auch Silvester gemeinsam zu feiern.

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28. Dezember

Irgendwer hat gepetzt. Entweder war es Alejandra, oder Yolanda hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich reinzureiten. Mamá wollte heute wissen, wann ich ihnen denn meine neue Freundin vorstellen würde. Ach seufz. Da ist doch noch gar nichts spruchreif. Wir waren auf einigen Dates, zugegeben. Wir haben uns geküsst, auch zugegeben. Aber ich würde die weitere Entwicklung gerne ohne die neugierigen Augen meiner Eltern geschehen lassen, wenn das irgendwie möglich ist, herzlichen Dank.

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01. Januar, abends

¡Feliz Año Nuevo, Römer und Patrioten!

Das Eltern-Vorstell-Problem haben wir gelöst, weil Mamá und Papá so nett waren, nicht nur auf Alejandra, sondern auch auf Monica aufzupassen, damit Lidia und ich ausgehen konnten. Yolanda war für Silvester ohnehin nicht verfügbar – ich tippe auf Marshall Raith, so sehr, wie mein Schwesterchen herumgedruckst hat und nicht mit der Sprache herausrücken wollte, wo ich doch eigentlich überhaupt nicht in sie gedrungen war. Oder zumindest finde ich, mein „Viel Spaß an Silvester; was machst du eigentlich?“ war eine ganz gewöhnliche Frage, wie man sie auch einem Arbeitskollegen hätte stellen können. Das ich darauf ein „Also, ähhm, also, weißt du, ja...“ bekommen würde, was eigentlich sonst überhaupt nicht Yolandas Art ist, lässt mich zwei Dinge vermuten. Entweder ich habe sie wirklich auf dem falschen Fuß erwischt, oder das war reine Absicht, um mich aus dem Konzept zu bringen. Also wirklich.

Jedenfalls brachten wir die Mädchen bei meinen Eltern vorbei, und ich möchte schwören, die stubsten einander in die Seiten wie Teenager, als sie Lidia erklärten, es sei eine große Freude, sie kennenzulernen, und uns dann einen schönen Abend und eine schöne Party wünschten. Und nein, nein, es sei gar kein Problem, auf die Kinder aufzupassen, sie hätten ohnehin nicht groß etwas geplant, vielleicht mit den Nachbarn anstoßen, alles gar kein Ding, und natürlich würden die Mädchen bei ihnen übernachten, es sei uns und ihnen doch nicht zuzumuten, sie nachts wieder abzuholen... Aha. Verstehe schon. Es war mir gelinde peinlich, aber Lidia nahm es mit Humor.

Und ja, nach der Party blieb sie tatsächlich über Nacht. Und zwar nicht im Gästezimmer. Und dann auch noch den Rest des Tages. Wir haben die Mädchen erst am frühen Nachmittag abgeholt und waren dann noch eislaufen mit ihnen. Seltsam, wie ich das hier so aufschreibe, klingt es ganz fürchterlich bieder und langweilig, aber es hat sehr viel Spaß gemacht. Bis auf die kleine Tatsache, dass es das erste Mal war, dass ich mich im Schlittschuhlaufen versucht habe, seit ich Pans Ritter bin – und dass mir diese große Eisfläche diesmal deutlich unsympathischer war als früher immer. Aber da musste der Sommerrittermantel jetzt durch – hier ging es um Spaß mit der, traue ich mich, es zu sagen? Familie.

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[es folgen diverse weitere Einträge privater Natur]

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18. März

Heute hat mich Saltanda, die Nymphe, angesprochen, als ich bei Pan im Palast war. Sie war ganz aufgeregt, denn sie ist schwanger. Das ist bei ihr nun nichts Neues; sie erklärte, von Satyren sei sie schon sehr oft schwanger gewesen, aber diesmal fühle es sich anders an, und es gehe auch viel langsamer und alles.
Langer Rede kurzer Sinn: Das dürfte wohl das Ergebnis von Totilas' 'Ablenkung' bei dem Reinigungsritual im Dezember gewesen sein. Sieh an, unser White Court-Kumpel wird Vater.

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18. März, später.

Jahaaa. Denkste. Als ich Totilas die Mitteilung machen wollte, stellte sich heraus, dass er tatsächlich nicht der einzige ist, der als Vater in Frage kommt. Es war ein tantrisches Reinigungsritual, Römer und Patrioten, und wie es sich herausstellte, haben weder Edward und Roberto sich mit Ritualwirken begnügt. Oder besser gesagt, das Ritualwirken nahm eben entsprechende Formen an.

Natürlich wollten die drei nun Gewissheit haben, wer von ihnen denn nun der Vater sei, also führte Edward ein Ritual zur Bestimmung heraus. Natürlich – Edward nutzt ja jede Gelegenheit, die er nur bekommen kann, um irgendwelche Rituale zu ziehen. Aber zugegeben: Es ist ja auch die Frage, ob und inwieweit ein schnöder Gentest bei einer Nymphe überhaupt von Erfolg gekrönt wäre.

Ein Ergebnis jedenfalls hatten sie relativ schnell: Roberto ist der Vater des Kindes. Oh-hah. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dee das gefallen wird. Falls sie es erfährt, versteht sich. Von mir aber jedenfalls nicht. Das würde, auch wenn ich dank Lidia über Dee endlich hinweg bin, viel zu sehr wie billiges Rachenehmen an Roberto wirken, auch und gerade, weil wieder Saltanda involviert ist.

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22. März

Von mir hat Dee es zwar nicht erfahren, aber erfahren hat sie es. Roberto selbst hat es ihr erzählt – und so dreckig, wie es ihm jetzt geht, hat es ihr genausowenig gefallen, wie ich dachte, dass es das würde.

Ich habe nicht so ganz in jedem letzten Detail mitbekommen, wie das genau ablief, aber aus dem, was Alex, der seine Schwester besänftigen musste, angedeutet hat, reime ich mir folgendes zusammen:
Roberto war tatsächlich sehr glücklich darüber, dass er Vater werden würde, und er muss in dieser Stimmung und völlig aufgeräumt wohl Dee diese Eröffnung gemacht haben. Bei einem romantischen Abendessen zur Feier des Anlasses, wohlgemerkt. Das hat Dee wohl gar nicht gut aufgenommen, und entweder, sie hat gleich mit ihm Schluss gemacht, oder sie hat ihm das Ultimatum gestellt, falls er wirklich bisher nicht verstanden habe, dass sie monogam veranlagt sei, dann solle er es bitte jetzt verstehen und sich jetzt darauf einlassen. Das konnte oder wollte Roberto aber nicht, also war es das.
Mit Edward hat Roberto sich deswegen auch auf's Heftigste gestritten, nachdem er sich betrunken hatte und dann mit Edward reden wollte. Edward wurde so wütend, dass er Roberto aus seinem Haus warf, aber er sagte wenigstens noch Totilas bescheid, dass der ihn einsammeln und auf ihn aufpassen sollte.

Tío.

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23. März

Ich hatte ein langes Gespräch mit Edward. Der sagte, die ganze Sache sei ihm wegen Cherie so nahe gegangen. Bei ihr habe er gewusst, dass sie mit anderen Männern schlafen muss, um am Leben zu bleiben, und das habe Edward ja auch gewusst und akzeptiert, aber trotzdem habe es ihm verdammt wehgetan, und Cherie habe verstanden, dass ihm das verdammt wehgetan habe.
Dass Roberto jetzt so überhaupt nicht verstehen wollte oder konnte, dass es sehr wohl einen Zusammenhang dazwischen gibt, ob man einerseits fest mit jemandem zusammen ist und andererseits mit anderen Leuten ins Bett geht, das machte Edward schlicht fuchsig. Aber tatsächlich hatte er sich deutlich besser unter Kontrolle als noch vor einem Jahr. Da hätte er sich vielleicht nicht beherrschen können und Roberto eine runtergehauen statt ihn nur rauszuwerfen.

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24. März

Heute habe ich auch mit Roberto geredet; das war mir wichtig. Nicht, um schadenfroh zu sein, sondern weil ich ihm einfach etwas sagen wollte. Und zwar, dass es mir wirklich leid täte und dass ich es ihm wirklich gewünscht hätte, dass das mit ihm und Dee hält. Ich gab auch zu, dass das vor einem Jahr noch anders gewesen wäre, aber jetzt eben nicht mehr.
Und das war die reine Wahrheit. Vor einem Jahr war ich über Dee noch nicht hinweg. Nein, vielleicht war ich sogar vor einem halben Jahr noch nicht komplett über Dee hinweg. Vor einem Jahr oder einem halben Jahr hätte ich vermutlich versucht, Dee zurückzugewinnen, nachdem sie mit Roberto Schluss gemacht hätte. Aber inzwischen sind die Dinge tatsächlich anders, und deswegen hätte ich mir tatsächlich gewünscht, dass das zwischen Dee und Roberto geklappt hätte, denn Roberto ist mein Freund, und Dee hat mir nie etwas vorgemacht, und beiden wünsche ich, dass sie glücklich werden.

Roberto dankte mir mit ernster Miene, und ich konnte ihm ansehen, dass er erkennen konnte, dass ich es ehrlich meinte. Aber ich glaube, Roberto ist tatsächlich nicht der Typ für eine monogame Beziehung, oder zumindest jetzt nicht. Wenn er sich binden soll, dann muss das jemand sein, der oder die ähnlich offen denkt wie er. Ich weiß nicht, ob er jemals so jemanden finden wird. Aber wünschen würde ich es ihm.

Timberwere:
Ricardos Tagebuch: Turn Coat 1

21. Juli

Ich bin es endlich angegangen. Oder besser, Edward, Roberto und ich sind es endlich angegangen. Dank der Ritualkünste der beiden ist Jade ist jetzt als Füllfederhalter getarnt. Nicht so ein hässliches, klobiges, protziges Ding, wie man sie zu oft sieht, sondern ein richtig hübsches, stilvolles, klassisches Schreibgerät zum Aufziehen aus dem Tintenfass statt mit Patronen: relativ schlank, oder zumindest nicht so bauchig, wie Füllfederhalter sonst gerne mal sind, tief-dunkelgrün mit leichtem Marmoreffekt und ein paar wenigen goldenen Applikationen. Ausprobiert, ob man damit richtig schreiben kann, habe ich noch nicht.*
Meine eigene Aufgabe bei der Aktion war es, die Klinge festzuhalten und etwas von meiner Sommermagie in das Ritual zu gießen – und es ist seltsam, aber ich glaube, dass die Prozedur tatsächlich eine Verbindung zwischen Jade und mir geschaffen hat, oder besser gesagt: die Verbindung, die seit meinem Amtsantritt ohnehin schon da war, hat sich nochmal vertieft. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es kommt mir so vor, als könnte ich Jades Anwesenheit jetzt tatsächlich spüren, als hätte ich sowas wie ein unbewusstes Wissen darum, wo sie sich gerade befindet. So, wie ich zum Beispiel meine Uhr am Handgelenk spüre, aber eben auch dann, wenn Jade gerade ganz woanders ist. Eigenartig. Aber egal, jedenfalls kann ich sie jetzt auf Wunsch, bzw. unter Einsatz eines kleinen bisschens Magie vom Schwert zum Füllfederhalter befördern und umgekehrt.

* Später: Man kann tatsächlich! Haha. Sehr cool.

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13. August

Jack White Eagle hat uns zu einer Feier in die Kommune eingeladen. Eine ‘Namensparty’, wie er sagte. Haben Joelle und Bob ein Baby bekommen? Eigentlich nicht; nicht, dass ich wüsste, zumindest. Hm. Na, wir werden ja sehen, wessen Nachwuchs es ist.

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Haha. Gar kein Nachwuchs. Jack selbst wollte einen neuen Namen. Er befand, das sei sonst zu verwirrend mit ihm und dem Bösen Jack, oder Luftballon-Jack, oder Jaaaaaaack, oder wie auch immer wir den nennen wollen, und überhaupt laufe er (also White Eagle) schon wieder viel zu lange als Jack herum, und es sei mal wieder an der Zeit für etwas Neues.



Das ging über dem, was danach kam, dann fast ein bisschen unter, aber erst einmal war die Party sehr lustig. Jack war für alle Vorschläge offen, behielt sich aber die letztendliche Entscheidung vor, ebenso wie das Recht, am Ende einen ganz anderen Namen zu wählen, der nicht von einem Partyteilnehmer käme.

Einige Vorschläge schmetterte Jack schon gleich von vorneherein ab, Jacky McJackface zum Beispiel (verständlich - ich glaube aber auch nicht, dass der Vorschlagende ganz nüchtern war, als er den Vorschlag machte.). Auch heißen wie ein US-Präsident wollte Jack nicht, womit schon einmal eine ganze Menge Optionen wegfielen (wobei ich zugegebenermaßen nicht glaube, dass Millard, Woodrow oder Rutherford in die engere Wahl gekommen wären, selbst wenn sie nicht vom Präsidentenmakel befleckt gewesen wären. Bei Ulysses und Herbert habe ich auch Zweifel, und über Donald decken wir besser gleich den Mantel des Schweigens). John Doe kam nicht in Frage, weil Jack früher schon mal so geheißen habe (ganz abgesehen davon, dass es auch schon Präsidenten namens John gab), ebensowenig Timmy oder Kenny, einfach wegen der zu erwartenden blöden Sprüche. Dick fiel aus demselben Grund flach, dazu alle Namen mit echter oder vermeintlicher indianischer Etymologie.

Bob schlug “Bob” vor, aber das wollte Jack nicht, weil das ja dieselbe Verwirrung geben würde wie mit dem bösen Jack - oder sogar noch mehr, weil Bob ja auch in der Kommune wohnt und viel mehr Berührungspunkte mit White Eagle hat. Das sah Bob ein und verlegte sich stattdessen auf “Tom”, was auch auf Jacks Liste kam. Von Scarlets Ideen - alles Baumnamen wie Hickory, Filbert, Chestnut und Acorn, aber sie ist ein Wer-Eichhörnchen, da war das eigentlich klar - blieb Hazel übrig.
Irgendjemand aus der Kommune warf (vermutlich unter dem Einfluss des selbigen) den Namen Cannabis Jones in den Ring, und der schaffte es tatsächlich auf Jacks Liste. Sage nochmal einer, der Mann habe keinen Humor.
Von Totilas kamen Alan und Trent, Edward warf Anthony ins Rennen, und Alex sprach sich für einen vornehmen britischen Namen wie Kenneth, Leonard oder Wilbur aus. Roberto blieb mit Steve und Alexander namenstechnisch zunächst eher auf dem Teppich, bevor er die Dreifachkeule Alvin Simon Theodore - also alle drei zusammen, wohlgemerkt, nicht etwa jeden der Namen als einzelnen Vorschlag - auspackte. Ich selbst hatte erst an Jeremy gedacht, dann aber später, als das Fest schon eine ganze Weile lief und schon unzählige Namen gerufen worden waren, noch Byron hinterhergeschickt.

Wie gesagt, es war eine lustige Party. Die Vorschläge flossen ebenso frei wie das Bier; es wurde geredet und gelacht und über die Namen diskutiert. Es waren jede Menge Gäste da, darunter auch unsere alten Bekannten Lila und Danny, die sich in Begleitung einer etwa gleichaltrigen blonden Frau befanden. Wir hatten ihnen kurz hallo gesagt, aber ansonsten an dem Abend noch nicht viel mit ihnen zu tun gehabt.

Irgendwann fiel uns auf, dass sich drei Gestalten durch die Partygesellschaft bewegten, die nicht so richtig dorthin zu gehören schienen. Lange, schwarze Staubmäntel, geschnitzte Stäbe mit deutlichen Gebrauchsspuren, harte Gesichter und zahlreiche Narben, zwei Männer und eine Frau, die Männer beide weiß, die Frau schwarz. Sie waren ziemlich eindeutig Soldatentypen, die schon eine Menge gesehen hatten, und sie waren sehr eindeutig Magier. Ratsmagier, wie es aussah.
Die drei Magier bewegten sich zielstrebig durch die Party und befragten die Gäste. Sie mussten irgendjemanden suchen, denn sie zeigten ein Foto herum. Zuerst landeten sie bei Edward, der sich in diesem Moment gerade nicht bei uns befand - wir müssen ja nicht immer aufeinander hängen. Tatsächlich hatten wir uns aufgeteilt, und nur Roberto und ich standen gerade zusammen. Er antwortete knapp und offenbar mit einer Verneinung, aber als die drei weitergingen, machte Edward sich zwar unauffällig, aber sehr zielstrebig, auf in Richtung Danny, Lila und ihrer Begleiterin, und dann konnten wir sehen, wie Edward mit der jungen Blonden sprach und sie unauffällig vom Gelände lotste. Roberto und ich hatten beide denselben Gedanken: Edward Zeit verschaffen. WIr teilten uns auf, und als die Ratstypen jeweils zu uns kamen, versuchten wir, sie möglichst lange mit Gegenfragen aufzuhalten. Wer das auf dem Foto überhaupt sei, den sie da suchten? Enid Campbell, sagten sie. Sie sei eine Warlock, und sie habe etwas gestohlen. Und wer sie selbst, also die Fragesteller, überhaupt seien? Vom weißen Rat, war die Antwort. (Das wussten wir in dem Moment noch nicht, aber Edward stellte ihnen so ziemlich dieselben Fragen wie wir, und er trieb es noch weiter. Ich wäre so gern dabei gewesen; allein Edwards Erzählung hinterher ließ mich schon laut loslachen. Auf die Antwort, dass sie Mitglieder des White Council seien, fragte Edward nämlich als nächstes: “Also Wardens?” “Quasi”, bekam er zu hören. “Wie, quasi?” bohrte Edward nach. “Ich zahle meine Steuern an den weißen Rat, also bin ich quasi im weißen Rat, also bin ich quasi ein Warden?” Das machte die Quasi-Wardens erst einmal sprachlos, und ich muss auch schon wieder fast lachen, wo ich es aufschreibe.)

Wie gesagt, um Zeit zu gewinnen, stellte ich ihnen noch einige weitere Fragen: was die Warlock denn gestohlen habe (wollten sie nicht sagen), warum sie ausgerechnet hier nach ihr suchten (aufgrund von Hinweisen. Was? Naain! Ohoo!), seit wann Diebstahl denn auch zu den Gesetzen der Magie gehöre (gar nicht, aber Campbell sei eben auch eine Warlock). Roberto hingegen trieb das Spiel sogar noch weiter und nutzte seinen wandelbaren Liberace-Mantel, um sich gleich mehrmals von den Quasi-Wardens befragen zu lassen. Irgendwann fiel es einem auf, aber diese Kurve bekam Roberto mit einem geschickten Einsatz von ‘Willst du jetzt etwa behaupten, alle Kubaner sehen gleich aus?!’ umschifft. Da er laut genug sprach, dass ich es auch von dort hören konnte, wo ich gerade stand, schlug ich in dieselbe Kerbe. Schnell stellte ich mich neben ihn, deutete erst auf Roberto, dann auf mich selbst, und fragte empört: “Er und ich sehen also gleich aus, ja?”

In der Zwischenzeit hatte auch Jack die ungeladenen Partygäste bemerkt und Warden Declan angerufen. Der mag ein Arsch sein, aber es dauerte gar nicht lange, bis er auf dem Plan erschien. Dem Warden gegenüber verhielten die drei jungen Magier sich höflich und respektvoll, und Declan fuhr dann gemeinsam mit ihnen weg, vermutlich, um sich mit ihnen anderenorts zu besprechen.

Alex rief Edward an, um ihm bescheid zu geben, dass Declan aufgetaucht sei und die drei Quasi-Wardens irgendwohin mitgenommen habe. Anschließend verabschiedeten wir uns noch kurz von Jack, der sich erfreut darüber zeigte, dass seine Steuern sich endlich einmal bezahlt gemacht hatten, und fuhren dann los, um uns mit Edward und dem blonden Mädchen zu treffen.
Bisher war Edward erst einmal mit ihr herumgefahren, um in Bewegung zu bleiben, aber wir wollten uns ja in Ruhe unterhalten, das war während des Fahrens vielleicht nicht so ideal. Aber auf unseren Dampfer konnten wir sie nicht bringen, der soll immerhin so geheim bleiben, wie es geht. In der Stadt selbst, z.B. im Dora’s oder im Buchladen, wollten wir uns allerdings auch nicht sehen lassen, weil ja die Quasi-Wardens immer noch nach der jungen Frau suchten. Und vor allem, gestand Enid, kennten ihre Verfolger ihren Wahren Namen, was auch der Grund war, warum sie ihr so dicht auf der Spur bleiben und sie überall aufspüren konnten. Aber Alex konnte von einem seiner zahllosen Bekannten ein Boot ausleihen, das taugte gut für unseren Zweck. Gerade, weil fließendes Wasser ja Magie abhält und demzufolge auch Suchzauber behindern oder gar ins Leere laufen lassen dürfte.

Die junge Magierin - Enid Campbell - erzählte uns erstaunlich bereitwillig, was denn eigentlich los war. Einiges oder das meiste davon musste sie Edward gegenüber vorher wohl auch schon angesprochen haben, so wissend, wie er zu ihrer Erzählung nickte, aber sie schien keinerlei Probleme damit zu haben, das alles noch einmal zu berichten. Vielleicht tat es ihr einfach gut, es sich von der Seele zu reden.
Enid sei Ratsmagierin, erzählte sie, aber keine Warden - oder zumindest keine offizielle, sondern eher eine Soldatin. Zusammen mit den drei anderen habe sie eine Einheit gebildet, die im Krieg des White Council gegen die Rotvampire gekämpft habe, gegen Warlocks vorgegangen sei und auch sonst grundsätzlich die Aufgaben und Funktionen eines Warden übernommen habe, ohne wirklich zu Wardens ernannt worden zu sein.

Enids Bericht zufolge war sie anfangs noch jung und idealistisch, aber sah sie im Laufe der Zeit eine Menge gesehen und eine Menge erlebt, was sie völlig desillusionierte und ihr eine posttraumatische Belastungsstörung einbrachte. Der Begriff ‘PTSD’ fiel dabei nicht, wohlgemerkt, aber es wurde aus Enids Beschreibung doch relativ deutlich, dass sie darunter zu leiden schien. Ihr wurde alles zu viel, und sie sehnte sich einfach nur nach einem bisschen Ruhe und Frieden. Dann hatte die Gruppe vor kurzem einen Einsatz, bei dem es darum ging, einen Warlock auszuschalten. In dessen Residenz fand Enid die Notenblätter eines Musikstücks, das mit ‘Sinfonia de la Tranquilidad’ überschrieben war und den Namen einer gewissen Carmen Sosiego trug. Trotz des Namens war es aber keine Symphonie, sondern lediglich für Orgel komponiert.
Da Gelassenheit und Ruhe für Enid in diesem Moment einfach himmlisch klangen und da in dem Raum, wo sie die Noten fanden, eine Orgel stand, setzte sie sich hin, um das Stück zu spielen, wurde aber von ihren Gefährten unterbrochen. Wie alle Besitztümer des Warlocks sollte auch die Partitur der Sinfonia vernichtet werden, aber das kam Enid falsch vor. Also setzte sie sich mit dem Musikstück von ihrer Truppe ab, weswegen ihre Exkameraden ihr seither als Verräter und Warlock hinterherjagen.

Natürlich wollten wir sofort wissen, ob sie denn wirklich ein Warlock sei. Das ließe sich nicht mit Sicherheit sagen, gab Enid zu - aktiv ausschließen könne sie es nicht, weder für sich selbst, noch für ihre drei Kameraden. Als Soldaten hätten sie viel erlebt… und viel getan. Er sei durchaus möglich, dass sie im Kampf als Kollateralschaden auch das eine oder andere Gesetz der Magie überschritten hätten, aber das sei schwer zu sagen. Bei dem Kampf gegen den Warlock in seinem Schloss zum Beispiel hätten sie das Bewusstsein der Leute beeinflusst, die dort von ihm mittels geistiger Kontrolle unterjocht und in Sklaverei gehalten worden seien. Das sei ja ein Bruch der Gesetze, aber in dem Moment das geringere Übel gewesen, denn hätten sie die Leute erschießen sollen?

Die Musiknoten hätten sie jedenfalls angesprochen, und als sie das Stück spielte, habe sie eine so herrliche Ruhe im Kopf gehabt. Hätten die grausigen Bilder vor ihren Augen endlich einmal aufgehört, aber vor allem die Geräusche. Die Explosionen, die Schüsse, die Schreie - aber gar keine Musik mehr, und dabei sei sie früher sehr musikalisch gewesen, habe sogar Berufsmusikerin werden wollen, ehe sie zum weißen Rat kam.

Das alles klang uns ganz entschieden danach, dass hier Magie im Spiel sein musste - entweder auf den Noten selbst oder auf der Musik, die auf ihnen basiert.
Enid gab die Partitur nur sehr ungern aus der Hand, ließ sich dann aber doch überzeugen, damit Roberto sie in der Sight untersuchen konnte.

Weder die aufgezeichneten Noten noch das Papier wiesen jegliche Anzeichen von Magie auf - die Musik selbst, die Melodie, hingegen schon. Denn als Enid kurz einen Ausschnitt daraus summte, kam es mir so vor, als würden alle anderen Geräusche daneben verstummen oder zumindest verblassen.

Dann wollte Enid gerne ihre Noten zurückhaben und vor allem weiterziehen. Die Idee eines Bootes gefiel ihr, und sie meinte, sie wolle versuchen, möglichst oft auf dem Wasser zu bleiben. Aufhalten konnten wir sie natürlich nicht, wie sie weiter vorgehen wollte, war allein ihre Sache, und auch die Noten bekam sie selbstverständlich zurück. Diese allerdings fotografierten wir erst noch ab, damit wir das Stück noch weiter analysieren können.

Sobald wir wieder an Land waren und uns von Enid getrennt hatten, versuchten wir, etwas über die Komponistin der Sinfonia de la Tranquilidad herauszufinden. Sonderlich viel war es nicht: Im Netz gab es lediglich einige Erwähnungen des Namens Carmen Sosiego in Verbindung mit Konzertprogrammen aus den 1920ern, wo die Dame als Pianistin genannt wurde. Oliver Feinstein konnte uns sagen, dass Carmen Sosiego wohl eine Ratsmagierin war oder ist, wusste viel mehr als das aber auch nicht. Immerhin allerdings kam Edward bei der Bestätigung, dass Sosiego dem Weißen Rat angehört oder angehörte, auf die Idee, unsere österreichische Bekannte Vanessa Gruber zu fragen. Die war zwar in dem Moment nicht zu erreichen, aber Edward hinterließ ihr eine Nachricht, sie möge sich doch bitte melden.

Und das war es auch schon. Über dem Gespräch mit Enid und den Nachforschereien war es so spät, dass wir nicht mehr auf die Party zurückfuhren. Ich glaube, ich muss Jack morgen mal anrufen, für welchen Namen er sich denn nun eigentlich entschieden hat.

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14. August

Ms. Gruber hat sich gemeldet, und tatsächlich konnte sie uns einige Informationen zu Carmen Sosiego geben. Sie war eine Ratsmagierin, ja, und als ziemlich exzentrisch bekannt, aber keine Warlock, auch wenn sie sich in durchaus offenem Widerspruch zum Weißen Rat befand und wohl auch durchaus die eine oder andere Grauzone streifte. Genauer gesagt, habe sie wohl versucht, die Grenzen der Magie auszuloten und auszuweiten - was sie eben auch an besagte Grenzen brachte. Wie die Konzertprogramme schon vermuten ließen, lebte sie in den 1920ern, sei aber irgendwann um diese Zeit gestorben oder verschwunden, so genau wusste Vanessa das nicht.

Ein Warlock sei Sosiego also nicht gewesen - aber dennoch gebe es die Order, all ihre Schriften - also auch ihre Musikstücke - unverzüglich zu verbrennen, wenn man auf sie stoße. Ähnliche Befehle hätten die Wardens auch in Bezug auf die Werke anderer Personen - Warlocks und Schwarzmagier zumeist, so zum Beispiel ein Nekromant namens Kemmler, der im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Nazis gestanden hatte.
Natürlich wollte Vanessa wissen, ob wir etwa in den Besitz einer von Sosiegos Schriften gekommen seien, was wir aber ehrlich verneinen konnten. Ebenso ehrlich gestand Edward aber, dass wir zwar einen Blick auf eines ihrer Werke geworfen hätten, es allerdings nicht in unseren Besitz gebracht hätten. Denn die Fotografien auf Robertos Handy… sind Fotografien, keine Schriften. Nichts, das man verbrennen könnte. Also nicht gelogen.

Mit der Aussage gab Vanessa sich zufrieden, warnte uns aber noch vor einem gewissen Donald Morgan, einem verräterischen Warden, mit dem der Rat wohl gerade große Probleme hat und den sie mit höchster Priorität jagen. Falls wir etwas über ihn und seinen Aufenthaltsort erfahren, sollen wir Vanessa und Spencer Declan warnen, Morgan selbst aber auf gar keinen Fall in die Quere kommen. Der Mann sei extrem gefährlich.
Alles klar, das sollte sich machen lassen. Wer auch immer dieser Morgan sein mag, dass er dem Rat so großen Respekt einjagt.


Ach ja. Es wurde Byron.

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