Autor Thema: Mechanik in Rollenspielen - Oder: Zum Anspruch und Kunstbegriff von RPGs  (Gelesen 10208 mal)

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Offline Oberkampf

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Meinetwegen kann alles mögliche Kunst sein, aber ich bin froh, wenn ich weiter auf den Niveau eines Groschenromans spielen kann. Einer Gruppe, die an sich oder andere irgendeinen künstlerischen Anspruch im Rollenspiel stellt, würde ich lieber aus dem Weg gehen.
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Offline D. Athair

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Ich schlüssel das nochmal auf.

Viel wichtiger scheint mir dein anderer weiter oben genannter Punkt zu sein: Kunst muss sich in gewissem Maß ihrer selbst bewusst sein.
Schön formuliert.

Bei der Schauspielerei z.B. steht der gesprochene Text im Regelfall vollkommen fest. Dennoch findet ein schöpferischer Prozess statt - nur eben außerhalb der Vorgaben (grob gesagt im "Ausdruck").
Auf diese Art von Kunst lege ich beim Rollenspiel keinen Wert. Ist für mich beim RSP ein Handwerk.

Der Punkt "Vorgaben" ist aus meiner Sicht also ein Holzweg.
Hast du gut darlegen können. Das ist er. Zumindest in Bezug auf manche Kunstformen und in Bezug auf Spielphilosophien. Der Punkt "Vorgaben" stimmt jedoch, wenn man mit mir ergebnisoffene Exploration (ganz egal ob man das mit Everway, Prince Valiant, Renaissance Deluxe, Urchin oder LotFP) als definierendes Merkmal von Rollenspielen annimmt. (Oder jedenfalls von Rollenspiel, das Spaß macht.)

... und Danke für's das Mimen eines Brutkasten.  ;)
Meine Gedanken sind dazu noch nicht fertig ausgebrütet.



Meinetwegen kann alles mögliche Kunst sein, aber ich bin froh, wenn ich weiter auf den Niveau eines Groschenromans spielen kann.
Kunst ist doch keine Frage des Niveaus.  :-\
« Letzte Änderung: 5.10.2014 | 23:02 von Strohmann-Hipster »
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Offline Fredi der Elch

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Die konkrete Frage die Strohmann hier aber stellt, bleibt damit unbeantwortet. Wenn es hier um "Erzählkunst" geht, also das kreative Erfinden von Geschichten und genau der Aspekt des kreativen Prozesses entfällt dabei, ist es dann noch "Erzählkunst"?
Hallo, Zirkelschluss? Wenn du Erzählkunst definierst als kreatives Erfinden von Geschichten und dann kein Prozess kreativen Geschichtenerfindens stattfindet, ist es dann nach der Definition noch Erzählkunst? Hmmmm, lass uns mal gemeinsam überlegen... ::)

Der Punkt "Vorgaben" stimmt jedoch, wenn man mit mir ergebnisoffene Exploration (ganz egal ob man das mit Everway, Prince Valiant, Renaissance Deluxe, Urchin oder LotFP) als definierendes Merkmal von Rollenspielen annimmt. (Oder jedenfalls von Rollenspiel, das Spaß macht.)
Du schränkst aus meiner Sicht in deiner impliziten Definition sowohl "Ergebnis" als auch "Offenheit" in Bezug auf Rollenspiel unzulässig ein. Oder zumindest wirkt es für mich so, denn eigentlich hast du ja "ergebnisoffen" überhaupt nicht definiert. ;) Was kann denn aus deiner Sicht das "Ergebnis" von Rollenspiel sein? Und wann ist das "offen" und wann nicht mehr? Ich vermute, dass du, sobald du versuchst, das in deinem Sinne zu definieren, bei demselben Zirkelschluss landen wirst, den ich oben kritisiert habe.

P.S.: Was dir persönlich am Rollenspielen Spaß macht, kann keine Grundlage von allgemeinen Definitionen über Rollenspiel sein, meinst du nicht auch? ;)

P.P.S.: Ich "brutkaste" gern. Im Dialog lassen sich Ideen immer besser entwickeln als allein. :)
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Zitat von: 1of3
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Offline D. Athair

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P.S.: Was dir persönlich am Rollenspielen Spaß macht, kann keine Grundlage von allgemeinen Definitionen über Rollenspiel sein, meinst du nicht auch? ;)
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Du schränkst aus meiner Sicht in deiner impliziten Definition sowohl "Ergebnis" als auch "Offenheit" in Bezug auf Rollenspiel unzulässig ein. Oder zumindest wirkt es für mich so, denn eigentlich hast du ja "ergebnisoffen" überhaupt nicht definiert. ;) Was kann denn aus deiner Sicht das "Ergebnis" von Rollenspiel sein? Und wann ist das "offen" und wann nicht mehr? Ich vermute, dass du, sobald du versuchst, das in deinem Sinne zu definieren, bei demselben Zirkelschluss landen wirst, den ich oben kritisiert habe.
Jein. Oder: Ergebnisoffen heißt ... letztlich, dass der Spielrunde keine Vorgaben von außen gesetzt sind, mit denen sie nicht umzugehen weiß. Nicht ergebnisoffen wäre eine Runde, die sich mit falschen Vorstellungen an ein Spiel wagt. (Weiter mag ich das nicht ausführen, weil ich keine Möglichkeit sehe meine Präferenzen vom Allgemeingültigen so zu trennen, dass es verständlich wäre.)

Was allerdings festzuhalten ist, dass Rollenspiel als Kunst - je nach der Ebene auf der Kunst stattfindet (das kann auch beim Erstellen von Karten durch den Gruppenkartographen) sein - verschiedene Voraussetzungen hat. Schauspielkunst, Geschichtenerzählkunst, ...

Die Wahl von Regeln und Erzählfluss - die ich als ersten Schritt (unsauber) Metaebene genannt hatte, wird auch beeinflusst von der "Kunstart", in der man sich versuchen möchte. Aber auch der Stoff (und v.a. Techniken) werden davon beeinflusst. (Insofern stimmt das mit dem Holzweg und den Voraussetzungen, weil die zu eng waren um allgemeingültig zu sein.) Das wäre Zweitens.
Beim Investment ist eigentlich nur wichtig, dass die Spieler ins Spiel - in Erzählung UND Mechanismen eintauchen. Zu viel Meta kann da schaden.
Eine Reflexions-/Metaebene wird erst als viertes wieder wichtig. Wo Rollenspielkunst als das erkannt und gewürdigt wird.


Rollenspiel als Kunst könnte man vielleicht nach dem 4-Schritt operationalisieren:

Situationsanalyse (Welche Regeln beflügeln unsere Erzählung? Lassen sich unsere Erzählungen - da können auch schon Themen oder Genres, .. aufblitzen - in den angedachten Regeln abbilden? Auf welcher Ebene und in welcher Form wollen wir uns künstlerisch betätigen?)
Planung (Was soll der Stoff sein. Gibt es von den obigen Entscheidungen her Einschränkungen. Gibt es besondere Darstellungsformen, -kriterien auf die wir achten wollen.)
Durchführung (Welche Störfaktoren müssen wir als Grundlage ausblenden? Gibt es hilfreiche Techniken oder nicht? UND DANN: Let it flow!)
Reflexion (Begutachtung. Welche Schlüsse ziehen wir aus dem Spiel? Welchen Wert hat das erlebte? Was spiegelt sich darin wieder? War das künstlerische Tun Kunst oder ein kunsthandwerklicher/gestalterischer Prozess?)
« Letzte Änderung: 6.10.2014 | 00:13 von Strohmann-Hipster »
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Wellentänzer

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Moment eben. Da wird so einiges durcheinander geworfen. Meine Schuld vermutlich, denn die Gedanken hatte ich schnell aufschreiben wollen und dann zu wenig Zeit zur Moderation. Danke. Hier noch mal der entscheidende Absatz:

„Dadurch ist meiner Ansicht nach die Auffassung begründbar, dass in Runden mit geringer Mechanik durchaus ein höherer Anspruch im Sinne einer ganzheitlicheren Belastung der Beteiligten einhergehen kann. Auch kann in Runden mit enorm geringer Mechanik durchaus einmal etwas entstehen, was die Beteiligten als „Kunst“ auffassen. Das wiederum lässt sich in Runden mit hoher Mechanik schwerlich nachvollziehen.“

Das ist eine auf mich plausibel wirkende Begründung für den aus meiner Sicht erstaunlichen Umstand, dass ganz bestimmte Runden für sich einen höheren „Anspruch“ des Spiels reklamieren. Oft sind das Leute, die wenig mit stark verregeltem oder formalisiertem Spiel (sprich in meiner etwas unscharfen Terminologie: mechanisch) anfangen können.*

Das waren jedenfalls meine Gedanken, als ich mich als SL wieder für Vampire erwärmte. Ich finde Vampire, so wie ich es kennengelernt habe, erheblich anspruchsvoller als alle anderen mir bekannten Rollenspiele. Wenn ich das mit anderen Runden vergleiche, stelle ich tatsächlich eine ganzheitlichere Belastung fest. Da frage ich mich: wieso eigentlich? Meine vorläufige Antwort: der Grad der Formalisierung ist relativ gering, alles ist möglich und insbesondere wird ein Kompetenzspektrum angesprochen, welches im Vergleich zu den Alternativen größer ist. Ich will mich dabei nicht darauf versteifen, dass das, was wir da so zustandebringen, „Kunst“ ist. Hab ich nie behauptet und würde ich auch nicht tun. Auch würde ich in Runden, die so etwas von sich behaupten, gar nicht erst mitspielen (außer die Leute beeindrucken mich WIRKLICH).

Aber das Phänomen finde ich evident. Zudem betrifft es offenkundig nicht nur mich. Es ist zwar alles andere als „en vogue“, das Wörtchen Anspruch im Zusammenhang mit Rollenspielen zu äußern. Egal. Natürlich kann auch der Prozess des Erschaffens von Regeln oder die Anwendung von Mechaniken kunstvoll sein. Mir ist aber noch nie jemand untergekommen, der das behaupten würde. Beim Anspruch des Actual Play ist das aber anders. Da kenne ich viele, viele Beispiele von Leuten, die bei Spielen mit geringer Mechanik von einer Steigerung des Anspruchs beruchten. Nun kann man meinetwegen behaupten, dass all diese Leute prätentiöse, ahnungslose Vollidioten sind. Oder man tut diese Leute als Verblendete ab, die sich nie von der Kiesowschen Besserspielerdoktrin haben lösen konnten. Das leuchtet mir aber ehrlich gesagt nicht hinreichend ein.

Wie sich das nun genau mit den Indies verhält, daran knabbere ich ehrlich gesagt noch. Könnte es beispielsweise sein, dass sich damit kurzfristig ähnliche Erlebnisse hohen Anspruchs verbinden, die über die Zeit jedoch aufgrund der engeren Fokussierung verhallen?

Eventuell wäre das hier beschriebene Phänomen auch eine Erklärung für den höheren Frauenanteil in Runden mit geringerer Mechanik. Es gibt ja diverse Geschlechterunterschiede in Sachen Emotionalität. Aber das ist ein anderes Thema

Soweit erst einmal weitere Gedanken. Viel Zeit hatte ich leider wieder nicht für gesammeltere Betrachtungen. Vielleicht empfinden das ja einige  Leute als hilfreich. Fänd ich schön. Reine Motzer wirds ansonsten immer geben. Das ist das Netz. Schicksal. Muss nun ins Bettchen. Vielleicht schaffe ich morgen oder Dienstag noch mehr. Danach wird’s erst mal wieder eng leider.

*: Ob es sich beim formalisierten Spiel nun um GURPS, D&D4, FATE, Fiasko oder DogsitV handelt: geschenkt. Überall werden dort Korridore intellektualisiert-formalisiert eröffnet, welche das Spiel mittels einer  logisch-mathematischen Herangehensweisen auf Kosten anderer Lösungsmöglichkeiten beschneiden. Das betrifft insbesondere Handlungen + deren Konsequenzen in „klassischen Rollenspielen“ inklusive FATE sowie mögliche Ereignishorizonte + Konfliktlösungsmechanismen im Falle der allermeisten Indies. Dadurch wird die kognitive Belastung der Beteiligten einseitiger angesteuert als in einem weniger formalisierten Rahmen.

Offline D. Athair

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Schlüssel dein Vampire-Erlebnis nach dem genannten 4-Schritt auf.
Meine Vermutung wäre, dass sich, wenn du Vampire mit deiner Gruppe/deinen Leuten spielst, auf viele der Fragen organische Antworten ergeben.
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Wellentänzer

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In unserer Spielrunde produzieren wir nach meiner Ansicht nichts, was ich als Kunst bezeichnen würde. Es geht mir auch gar nicht darum zu ergründen, ob irgendeine Rollenspielrunde "Kunst"  produziert oder nicht. Das ist mir vollkommen wuppe. Ich möchte wissen, weshalb diverse Leute bestimmte Spielrunden als "anspruchsvoller" wahrnehmen als andere. Ich erkläre mir das durch eine ganzheitlichere, intellektuelle Auslastung. Das liefert für meine Spielerfahrungen jedenfalls relativ solide Erklärwerte. Nicht mehr und nicht weniger.

Offline 1of3

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Du begehst hier einen Denkfehler. Man kann so ziemlich alle Dinge mit erheblichem Anspruch tun. Dinge können dabei keinen Anspruch haben. Leute können Ansprüche über das Tun von Dingen stellen, entweder an sich selbst oder an andere.

Wenn du also sagst: "Gewisse Leute {who?} behaupten Vampire habe einen höheren Anspruch", so bedeutet das: Diese Leute {who?} stellen einen höheren Anspruch an sich, wenn sie Vampire spielen. Das ist ja ganz hervorragend für diese Personen, aber das sagt überhaupt nichts über Vampire aus. Ich würde überhaupt keinen Anspruch an mich stellen, wenn ich Vampire spielte. Ich fühle mich von dem Spiel in keiner Weise angesprochen.

Was du hier beschreibst, lässt sich aber ziemlich gut mit Flow erklären, also Anforderungen in akzeptablem Bereich, in welchen man aufgehen kann. Wer überfordert oder unterfordert ist, wird das nicht erleben. Ebenso wer nicht instrinsich motiviert ist. Es ist denn auch recht verständlich, dass wer Flow erleben, sich also der Sache hingeben kann, sich dabei "ganzheitlich" gefordert zu fühlen meint.

Und ja, sehr komplexe Spiele sind demnach womöglich für weite Kreise ungeeignet, diesen Zustand zu erreichen. Ich suche z.B. immer nach Leuten, die vernünftig Capes spielen können: Den meisten Versuchspersonen schwirrte ziemlich schnell der Kopf und das Spiel passierte nicht. Ich hatte damit aber auch schon absolut großartige Runden, wenn nämlich Leute damit umgehen konnten.

Offline Turning Wheel

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Viel wichtiger scheint mir dein anderer weiter oben genannter Punkt zu sein: Kunst muss sich in gewissem Maß ihrer selbst bewusst sein. Wenn niemandem auffällt, dass etwas Kunst ist, ist es auch keine. Eine gewisse Metaebene mit Reflektion muss sein. Das muss nicht im Spiel stattfinden, aber irgendwann muss mal irgendjemand den künstlerischen Aspekt reflektieren. Sonst isses aus meiner Sicht keine Kunst.

Kunst entsteht durch die Intention des Künstlers, Kunst zu schaffen.
Und genau das ist bereits die Reflektion, die notwendig ist.
Wenn der Künstler das Kunstwerk niemandem zeigt, war es trotzdem Kunst.

Hingegen: Die Wahrnehmung eines nicht als Kunst gewollten Dings als Kunst durch
einen Betrachter würde ich schlichtweg als Irrtum bezeichnen.

Ich möchte wissen, weshalb diverse Leute bestimmte Spielrunden als "anspruchsvoller" wahrnehmen als andere. Ich erkläre mir das durch eine ganzheitlichere, intellektuelle Auslastung. Das liefert für meine Spielerfahrungen jedenfalls relativ solide Erklärwerte. Nicht mehr und nicht weniger.

Dass Anspruch immer mit Intellekt zu tun hat, würde ich nicht sagen.
Taten, die große Kraft, Ausdauer oder Geschicklichkeit erfordern werden ja auch anspruchsvoll genannt.
Aber auch nachzudenken hilft meistens schon, um eine anspruchsvolle Leistung zu vollbringen.
Grundsätzlich würde ich als anspruchsvoll bezeichnen, was nicht jeder hinkriegt.
Je weniger Leute etwas hinkriegen bzw. je mehr sie sich anstrengen müssen, desto anspruchsvoller ist etwas.
Klingt für mich ziemlich objektiv und gar nicht kompliziert. Kommt im Rollenspiel ganz sicher vor. Oder hab ich einen Denkfehler begangen?
« Letzte Änderung: 6.10.2014 | 04:01 von Turning Wheel »

Offline Oberkampf

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 Kunst ist doch keine Frage des Niveaus.  :-\

Ach nein?
Tut mir leid, ich weiß zwar, dass es dank verschiedener Kunstbegriffe möglich ist, alles und jede Tätigkeit als Kunst zu deklarieren. Für die Kunst selbst ist das ganz gut, sorgt für Auflockerung und zieht mal den Stress ab, immer perfekte Formen zu schaffen.

Aber trotzdem klingt "Kunst im Rollenspiel" in meinen Ohren erstmal nach noch mehr Stress im Rollenspiel, nach Ansprüchen, die ich in einem Gesellschaftsspiel nicht erfüllen will. Intuitiv würde ich einen John Sinclair Groschenroman nicht als "Kunst" bezeichnen, obwohl das mit dem üassenden Kunstbegriff natürlich möglich ist. Aber ich könnte mir einen John Sinclair Groschenroman als Ideengeber für ein Monster of the Week- oder Nights Black Agents-Abenteuer vorstellen. Das würde ich spielen, komplett ohne den Anspruch, Kunst zu erschaffen. Erst recht nicht hohe Kunst.

P.S:
Vampire und hoher Anspruch sind übrigens ein Witz. Natürlich gibt es Vampirdarstellungen mit hohem Anspruch, die Braut von Korinth und so, aber mal ganz ehrlich, Vampire sind Groschenromanszeug, quasi "Dunkle Arztromane". Es hat schon seinen Grund, warum Twillight usw. nicht als hohe Literatur zählt.
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Offline Arkam

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Hallo zusammen,

das Mechanische hat in Deutschland vor Gericht keinen juristischen Schutz erlangt. Das Gericht ging davon aus das Spielregeln nicht urheberrechtlich schützenswert sind.
Währenddessen der konkrete Text und der bespielte Hintergrund durchaus die nötige Schaffenshöhe. Diese Elemente sind aber eher handwerklich / designerisch und aus meiner Sicht keine Kunst.

Der wesentliche Punkt bei Kunst ist für mich das der Künstler sich Gedanken zur Aussage seines Werkes gemacht hat und das Werk vorstellbar und reproduzierbar bzw. fest ist. Ob der Künstler jetzt seine Aussage teilt oder das Puplikum zum Nachdenken bringen möchte spielt da keine Rolle. Das beißt sich mit dem für mich wesentlichen Element des Rollenspiels. Denn außerhalb der Regeln habe ich eben erst ein Mal keine Beschränkung wie ich spiele. Ich kann mir natürlich zusätzliche Beschränkungen etwa aus Genre oder Hintergrund auferlegen. Damit kann man im Vorhinein keine Aussage über Aussage des Werks machen und reproduzierbar ist das Werk eben auch nicht.

Was den Anspruch im Rollenspiel angeht kommt das Thema ja immer wieder Mal auf. Aber einen Anspruch kann ich in meiner Runde eben auch auf mechanischer Ebene haben. Das sind aber aus meiner Sicht eben die normalen unterschiede zwischen Amateuren, Semiprofis und Profis die sich auch in anderen Bereichen vom Schreiben, über Skat bis zum Fußball finden lassen.

Gruß Jochen
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Wellentänzer

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Aber trotzdem klingt "Kunst im Rollenspiel" in meinen Ohren erstmal nach noch mehr Stress im Rollenspiel, nach Ansprüchen, die ich in einem Gesellschaftsspiel nicht erfüllen will.

Musste ja auch gar nicht erfüllen. Aber genau das meine ich mit Anspruch: das Ausmaß der Beanspruchung der Beteiligten. Und diese Beanspruchung empfinde ich in einigen Spielen als größer als in anderen.

Vampire und hoher Anspruch sind übrigens ein Witz. Natürlich gibt es Vampirdarstellungen mit hohem Anspruch, die Braut von Korinth und so, aber mal ganz ehrlich, Vampire sind Groschenromanszeug, quasi "Dunkle Arztromane". Es hat schon seinen Grund, warum Twillight usw. nicht als hohe Literatur zählt.

Fraglos. Aber genau das meine ich ja auch ganz explizit NICHT mit einem hohen Anspruch.

@ 1of3: Hm, Flow ist was anderes. Und Capes kommt doch quasi komplett über die logisch-mathematischen Fähigkeiten und abstrahiert doch komplett einschienig.

Offline Maarzan

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Mechaniken im hier verwendeten Sinne erfüllen meines Erachtens zwei primär kommunikative Funktionen.
- sie regeln im Spiel was, wie und von wem zur Beeinflussung des Ergebnisses beigetragen werden kann.
- sie erklären damit indirekt vor dem Spiel/der Situation was die Beteiligten vom Spiel wie den Beitragsrahmenbedingungen zu erwarten haben.
Beides natürlich nur im Rahmen eines gewissen Limits der Realsiserbarkeit, aber eben als ein mehr oder weniger belastbarer Rahmen.
Mit genügend informierten und kompatiblen Mitspeielrn kann man recht problemlos frei spielen und das Spielgefühl ändert sich kaum. Aber dahin zukommen ist eine Frage von einer Menge Arbeit, Erfahrung und auch Glück. Formalisierte Regeln erleichtern diesen Abgleich erheblich, natürlich mit dem Nebeneffekt von deutlich mehr Vorarbeit und vordefinierten Kompromissen.

Die Art der Regeln bestimmt dann den Stil des Spiels, welcher dann den jeweiligen Geschmäckern gefallen kann oder nicht.
Einen Anspruch (nicht selten inkompatible) haben aber eigentlich alle diese Stile, aber nicht jeder heftet sich dafür das Abzeichen "Kunst" aufs Revers. Je anch Art des Anspruchs ist es ggf für verschiedene Leuet unterschieldich schwer diversen Ansprüchen gerecht zu werden, aber einen übergreifenden Maßstab gibt es eben nicht.

In dem Sinne sehe ich ein wertendes Ranking mit Skepsis und den (selbstverliehenen)  Kunstbegriff in diesem Zusammenhang eher als Marketingfloskel. Ob etwas Kunst ist legt letzlich doch eher der spezifisch kundige und interessierte Konsument fest.



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Offline Arldwulf

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In unserer Spielrunde produzieren wir nach meiner Ansicht nichts, was ich als Kunst bezeichnen würde. Es geht mir auch gar nicht darum zu ergründen, ob irgendeine Rollenspielrunde "Kunst"  produziert oder nicht. Das ist mir vollkommen wuppe. Ich möchte wissen, weshalb diverse Leute bestimmte Spielrunden als "anspruchsvoller" wahrnehmen als andere. Ich erkläre mir das durch eine ganzheitlichere, intellektuelle Auslastung. Das liefert für meine Spielerfahrungen jedenfalls relativ solide Erklärwerte. Nicht mehr und nicht weniger.

Um die Analogie zu Kunst mal auf die Spitze zu treiben: Ein Künstler der ohne vorgemischte Farben, und ohne Motiv oder Anleitung ein Bild zeichnet hat fraglos eine größere intellektuelle Leistung erbracht als einer, der mit guter Ausrüstung und Anleitung in die Natur ging und sich ein Motiv suchte. Ersterer hat etwas schwierigeres, anspruchsvolleres geschafft, war mit viel mehr Themen ausgelastet, und bekam weder Inspiration , noch Werkzeug in die Hand. Weder mechanisch, noch in Form von Anleitungen. Er hat im Extremfall alles selbst gemacht, die Farben erstellt und den Pinsel, und war in der Wahl seines Motivs, und der Technik um es abzubilden nur von seiner Phantasie eingeschränkt.

Doch schwieriger und anspruchsvoller bedeutet auch: Zeitaufwendiger, und häufig mit einem weniger befriedigendem Ergebniss abgeschlossen.

Das soll nur zeigen was die Regeln sein sollten in einem Rollenspiel. Werkzeuge, Tipps und Inspiration. Auch der zweite Künstler kann seiner Kreativität freien Lauf lassen. Er kann die Farben in seinem Mischkasten kombinieren, erweitern oder ganz neue finden, auf die alten Ratschläge pfeifen, und die Inspiration zu etwas neuem verarbeiten. Der Unterschied zwischen beiden liegt nicht nur im Anspruch ihrer Aufgabe, sondern auch im Futter für ihren Geist begründet.

Regelmechaniken können genau dies sein.
« Letzte Änderung: 6.10.2014 | 08:20 von Arldwulf »

Achamanian

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Der wesentliche Punkt bei Kunst ist für mich das der Künstler sich Gedanken zur Aussage seines Werkes gemacht hat und das Werk vorstellbar und reproduzierbar bzw. fest ist.

Zum ersten Punkt würde ich sagen, dass das definitv kein Kriterium für Kunst sein kann; viele Künstler lehnen die Vorstellung einer dem Werk vom Künstler beigelegten Aussage doch gerade ab und sehen ihre Kunst als eine Auseinandersetzung mit dem Material, die ein Ergebnis hervorbringt, dass beim Betrachter gerade Wirkungen jenseits einer inhaltlichen Aussage erzielen.
Und zum reproduzierbaren/vorstellbaren/festen: Was ist beispielsweise mit einer Improvisations-Tanzperformance? Kann die keine Kunst sein? Klar, man kann sie auf Video aufzeichnen, womit sie ansatzweise reproduzierbar ist, aber das gilt ja auch für Rollenspielrunden.

Und dann würde ich noch mal einen Denkanstoß zum Verhältnis Material/Werk ins Spiel bringen: ich glaube, dass eine Trennung zwischen den Materialien als Mittel, mit dem der Künstler seine Vision umsetzt, und dieser Vision/dem Werk als Kunstwerk falsch ist. Ich bin jetzt auch nicht der große Kunsttheoriekenner, bin aber ziemlich überzeugt, dass der künstlerische Prozess beispielsweise bei einem Maler in der Regel viel damit zu tun hat, die verschiedenen Qualitäten einer Farbe (Konsistenz, Reflektion, Struktur) zu erforschen, die Farben also nicht einfach nur austauschbares Mittel zur Umsetzung einer schon vorher im Kopf bestehenden Vision sind, sondern ein Stück Wirklichkeit, mit der sicher der Künstler auseinandersetzt, um Kunst zu schaffen.

So würde ich wenn überhaupt dann auch die Regelmechaniken als Material interpretieren: Sie wären dann halt nicht bloß ein austauschbares Mittel zum Zweck. Und damit hätte sich dann auch die Trennung zwischen dem "Erzählkunstteil" und der "bloßen Mechanik" für mich erledigt.

@Huntress:
Mir geht es übrigens nicht darum, "künstlerisch wertvolles Rollenspiel"  zu propagieren oder Groschenroman-Storys im Rollenspiel (oder überhaupt) schlechtzureden; ich finde es nur komisch, wenn gerade der erzählerische Inhalt von Rollenspiel zum "Kunstwerk" erhoben werden soll, weil gerade das ein Aspekt des Rollenspiels ist, der meiner Erfahrung nach am wenigsten den normativen Ansprüchen an Kunst gerecht wird. Wenn man schon "Rollenspiel als Kunst" begründen will, dann wäre es sehr viel sinnvoller, auf das Besondere des Rollenspiels abzuheben, also auf die Verknüpfungen von Spiel, Schauspiel und Geschichtenerzählen, anstatt den Spielaspekt aus dem Künstlerischen auszugrenzen.

Letztendlich habe ich auch kein Interesse an "künstlerischem Rollenspiel"; Wellentänzers Ansatz macht auf mich aber dem Eindruck, dass er letztlich nur mal wieder die Mär wiederholt, dass Regeln egal seien und "anspruchsvolles Rollenspiel" im Prinzip ohne sie auskäme, nur um das dann auch noch als Kunst zu überhöhen, und das geht mir doch gegen den Strich, weil das weder dem Rollenspiel noch irgendeinem Kunstbegriff gerecht wird.

Offline Fredi der Elch

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Allein schon das spezifische Beispiel von Vampire als besonders anspruchsvoll... puh.  :-\  Ansonsten würde ich es mit 1of3 halten und eher Flow für die eigene Wahrnehmung von Anspruch verantwortlich machen. Oder allgemeine Douchebaggery. ;) Wellentänzer, deine Erklärung halte ich auf jeden Fall nicht für plausibel.

Edit: eins noch zu "Eintauchen" bzw. "Meta" und Kunst/Anspruch. Der Grad an (selbst wahrgenommener) Immersion (oder so was) hat aus meiner Sicht keine Auswirkung darauf, ob irgendetwas Kunst sein kann oder "anspruchsvoll" ist. Mit dem Epischen Theater gibt es eine ganze Kunstform, die aktiv versucht einer Immersion entgegenzuwirken! Also auch wenn man nie einen einzigen Satz in-character von sich gibt oder sich die ganze Zeit darüber bewusst ist, dass man Autor und Zuschauer zugleich ist, kann eine Rollenspielsitzung Kunst sein. Hier werden aus meiner Sicht wieder persönliche Vorlieben verallgemeinert. Klar, Brecht muss einem nicht gefallen, aber das ist kein Grund, ihm den künstlerischen Anspruch abzusprechen. :)
« Letzte Änderung: 6.10.2014 | 09:04 von Fredi der Elch »
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Zitat von: 1of3
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Offline Maarzan

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Ich möchte auch einmal darauf hinwiesen, dass Rollenspiel eben nicht ein Produkt eines Einzelnen ist, sondern ein Gruppenprodukt.
Klar hat ein einzelner Sänger alle Freiheiten des persönlichen Ausdrucks- aber ein Chor mit Orchesterbegleitung wird auch "Regeln" haben müssen. Ist seine Musik deshalb weniger "anspruchsvoll" oder "künstlerisch"?
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Offline Kriegsklinge

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Hallo Wellentänzer -- schön, dich mal wieder zu lesen! Die Frage, ob Rollenspiel Kunst ist oder sein kann, finde ich uninteressant, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass aus der Antwort interessante Erkenntnisse zu gewinnen sind. Die Anschlussfrage, ob der Kunstgrad was mit dem Mechanisierungsgrad zu tun hat, haben dir schon so einige hier klug mit "nein" beantwortet, da schließe ich mich einfach an. Zumal, das als einzige Ergänzung in diese Richtung, die Unterscheidung ja auch von der anderen Seite, der der Erzählung her, nicht haltbar ist: Erzählen ist schließlich auch Anwenden von Regeln, auch wenn diese den Beteiligten nicht immer bewusst sind. Erstaunlich oft, zumal im Rollenspiel, aber doch. Und erstaunlich oft sind auch die niedergelegt, wenn auch nicht in abstrakter, zahlenhafter Form. Gerade dein Beispiel Vampire ist da ja ein gutes Beispiel fpür die sehr starke Vermittlung der Regeln der Erzählung im Regelwerk (Genre-, Rollen-, Sprechkonventionen, die Regeln der Erzählpraxis).

Spanndender als die Frage, ob Rollenspiel Kunst sein kann, finde ich die, was eigentlich Rollenspiel sein kann. Und da hast du auch was gesagt, und das scheint mir, wenn ich das so oberlehrerhaft sagen darf, die eigentliche Frage zu sein, bei der diese Kunstfragen ziemlich im Weg sind. Es geht dir ja um die Begriffe "Anspruch" und so was wie "gestiegene Anforderungen" in verschiedenen Bereichen. Mich würde sehr interessieren, was du genau in deiner Runde als Steigerung des Anspruchs mit der Einführung von "Vampire" erlebt hast. Was hat sich verändert und woran hast du das ablesen können? In dieser Richtung erhoffe ich mir mehr Erkenntnis über "eine Art zu spielen a la Wellentänzers Vampire" vs. "eine Art zu spielen, die irgendwie anders ist". Wäre super, wenn du dazu noch was schreiben könntest.

Offline Crimson King

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Ich vermute ja stark, dass hier bezüglich des Begriffs 'Anspruch' eine Verwirrung vorliegt. Wellentaenzer geht davon aus, dass weniger formalisiertes Spiel den Spieler stärker beansprucht. Dies ist nicht notwendigerweise gleichzusetzen mit künstlerischem Anspruch. Eine Gleichsetzung dieser Anspruchsbegriffe, die allerdings, wenn ich Wellentaenzer richtig verstanden habe, bereits im Eingangspost vorgenommen wurde, ist meines Eractens nicht zulässig.

Davon abgesehen teile ich die Ansicht des Threaderstellers, dass Systeme, die ihren Fokus auf taktisch-strategisch-herausforderungsorientiertes Spiel oder auf Rules heavy simulationism legen, mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit zu einem Spiel führen, dass sich nach allgemeinem Verständnis als Kunst bezeichnen ließe. Das liegt dann aber vor allem daran, dass Runden, die diese Systeme wie intendiert verwenden, auf die potenziell künstlerischen Aspekte des Spiels weniger Wert legen. Ausschließen tun sich Roleplay und Rollplay keineswegs.
« Letzte Änderung: 6.10.2014 | 09:44 von Crimson King »
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

Offline Slayn

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Moment eben. Da wird so einiges durcheinander geworfen. Meine Schuld vermutlich, denn die Gedanken hatte ich schnell aufschreiben wollen und dann zu wenig Zeit zur Moderation. Danke. Hier noch mal der entscheidende Absatz:

„Dadurch ist meiner Ansicht nach die Auffassung begründbar, dass in Runden mit geringer Mechanik durchaus ein höherer Anspruch im Sinne einer ganzheitlicheren Belastung der Beteiligten einhergehen kann. Auch kann in Runden mit enorm geringer Mechanik durchaus einmal etwas entstehen, was die Beteiligten als „Kunst“ auffassen. Das wiederum lässt sich in Runden mit hoher Mechanik schwerlich nachvollziehen.“

*: Ob es sich beim formalisierten Spiel nun um GURPS, D&D4, FATE, Fiasko oder DogsitV handelt: geschenkt. Überall werden dort Korridore intellektualisiert-formalisiert eröffnet, welche das Spiel mittels einer  logisch-mathematischen Herangehensweisen auf Kosten anderer Lösungsmöglichkeiten beschneiden. Das betrifft insbesondere Handlungen + deren Konsequenzen in „klassischen Rollenspielen“ inklusive FATE sowie mögliche Ereignishorizonte + Konfliktlösungsmechanismen im Falle der allermeisten Indies. Dadurch wird die kognitive Belastung der Beteiligten einseitiger angesteuert als in einem weniger formalisierten Rahmen.

Gut das du den Beitrag noch nachgeschoben hast, damit ist weitaus verständlich was du Aussagen wolltest.
Meiner Meinung nach liegst du aber einem Denkfehler auf, da du nicht trennst wo Mechaniken zum Einsatz kommen. Liegt evtl. auch an der schwammigen Verwendung des Begriffs "Regeln". Es gibt "Spielregeln" (Kommen im Spiel zu Einsatz, sind regelnde/klärende Mechaniken) und es gibt "Regeln für das Spielen" (Kommen außerhalb des Spiels zum Einsatz und definieren wie das Spiel sein soll).

Was du beschreibst ist einfach nur der eigentlich optimale Zustand das ein System/Setting dir und deiner Gruppe die exakt richtige Menge an beiden Arten von Regeln zur Hand geben damit ein flüssiges Spiel entstehen kann und es zu einer möglichst geringen Anzahl an Reibepunkten mit der Mechanik gibt.

Daher finde ich deine Aussage zu Indies auch spannend. Auch bei den schlanksten Indies hat es den höchsten Anteil an "Regeln für das Spielen" und sie erfordern insofern einen hohe kognitive Leistung indem man für sich neu lernen muss was "Spaß am Spielen" ist. Schafft man diesen Übergang, dann hat man auch dort minimale Reibepunkte mit der Mechanik.
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Offline Niilo

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RPG's sind Kunst, ebenso wie es Mathematikformeln oder die Erklärung physischer Gesetze sein können. Science Slam, Live Art und Performance Art haben unseren Sinn für Kunst schon recht gedehnt, und da PnP grundsätzlich vor Publikum stattfindet, aka Rezipienten, kann man der ganzen Sache den Kunstwert nicht abschlagen.

Aus meiner Sicht her sind auch die Mechaniken, die die Rollenspiele voneinander mehr oder minder unterscheidbar machen, ein wichtiger Bestandteil   dieser Kunst - warum fühlen sich Würfe gut/schlecht/effektiv an?
Dinge um die sich ein Spielemacher kümmern muss, die das Spiel maßgeblich verändern.

Btw, eine der besten Diskussionen die wir bisher auf Tanelorn haben!
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Offline Slayn

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Hallo, Zirkelschluss? Wenn du Erzählkunst definierst als kreatives Erfinden von Geschichten und dann kein Prozess kreativen Geschichtenerfindens stattfindet, ist es dann nach der Definition noch Erzählkunst? Hmmmm, lass uns mal gemeinsam überlegen... ::)

Wir haben da, glaube ich, ein kleines Missverständnis.

Es steht ja die Aussage im Raum beim "Rollenspiel an und für sich" würde es sich explizit um eine Ausprägung der Erzählkunst handeln, dazu eine recht klare Aussage das es sich _nicht_ um Schauspielkunst handelt, gefolgt vom implizierten Einwand das _Spielregeln_ die Erzählkunst mehr behindern als fördern würden.

Diese Grundaussage und die weiteren Implikationen sind es, die mir etwas auf den Magen schlagen.
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@Wellentänzer:
Ich versuche mal eine etwas andere Hangehensweise für die Erklärung Deiner Beobachtungen.

Rollenspiel hat sich aus den Wargames entwickelt. Es war also nichts Anderes als ein Wettkampfspiel. Ein Fokus der Wargames war ihre historische "Authenzität". Extrem ausgedrückt mussten daher die Wettkampfbedingungen so aufgebaut sein, dass der wahrscheinlichste Ausgang mit denen des historischen Vorbildes übereinstimmen. Ein Wargame mit der Schlacht bei Waterloo sollte also im Normalfall mit gleichstarken Spielgegner zur knappen Niederlage für die französischen Armee führen. Diese beiden Merkmale wurden dem Rollenspiel in die Wiege gelegt. Entsprechend wurden auch die Mechaniken auf genau diese beiden Merkmale optimiert.
Im Laufe der Zeit hat sich aber herausgestellt, dass Rollenspiel auch mit einem anderen Fokus gespielt werden könnte, dass also die er- oder gespielte Geschichte wichtiger wurde, als die Authenzität und der Wettkampf. Die Dynamik der zur Verfügung stehenden Mechaniken sorgte aber dafür, dass das Spiel immer von dem neuen Fokus ablenkten. Also wurden sie ignoriert (DSA lässt grüßen). [Insert Vampire (oder Ars Magica oder Pentragon...)] Bei diesen Systemen wurden die bestehenden Mechaniken einfach aufgeweicht oder über Bord geworfen. Dadurch stand dann dem Geschichten erzählen nichts mehr im Weg. (Allerdings half dabei auch nichts) Allerdings standen diese Spiele mit ihrer Basis noch voll im authentischen Wettkampf, wodurch teilweise vollkommen konträre Dynamiken entstanden. Du konntest also super Geschichten in Vampire erzählen, aber nur dann wenn nicht einer (oder mehrere) der Spieler z.B. den Optimierungsangeboten des Systems erlag... Also erkannten vieleRollenspielautoren, dass die Systeme an die Bedürfnisse angepasst werden sollten. Und schon hast Du die Indyspiele, die gerade mit dem hohen Mechanikeneinsatz "das Spiel mit Anspruch" bedienen.

Oder in Kurz: Deine Beobachtung lässt sich damit erklären, dass Vampire als eines der ersten bekannten Systeme versuchte Mechaniken, die störten, aufzuweichen. Spätere Rollenspiele hatte komplett andere Regelbasen, die für Deinen Spielfokus designt wurden. Die Mechanikfülle ist dafür vollkommen unwichtig.
Ich bin viel lieber suess als ich kein Esel sein will...
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

fudi

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Zum ersten Punkt würde ich sagen, dass das definitv kein Kriterium für Kunst sein kann; viele Künstler lehnen die Vorstellung einer dem Werk vom Künstler beigelegten Aussage doch gerade ab und sehen ihre Kunst als eine Auseinandersetzung mit dem Material, die ein Ergebnis hervorbringt, dass beim Betrachter gerade Wirkungen jenseits einer inhaltlichen Aussage erzielen.
Und zum reproduzierbaren/vorstellbaren/festen: Was ist beispielsweise mit einer Improvisations-Tanzperformance? Kann die keine Kunst sein? Klar, man kann sie auf Video aufzeichnen, womit sie ansatzweise reproduzierbar ist, aber das gilt ja auch für Rollenspielrunden.

Diese Argumentation würde ich gerne Unterstützen.

Die bürgerliche Auffassung DES Künstlers als Subjekt, als eine die Kunst produzierende Entität, ist ein immer noch andauerndes Vermächtnis des 19 Jh.
Der Mythos des "Genies" geniesst wie man unschwer feststellen kann, immer noch grosse Validität.
Die Autonomie  eines "Künstler" und die Autonomie des Kunstobjektes ist jedoch reine Fiktion. Kunst und der Künstler werden (mMn immer) von und im Bezug zum historischen und sozialen Kontext konstruiert.

Wenn man neuere Auffassungen von Kunst bemühen wollen sollte, dann kann man feststellen, dass der "Künstler" an sich, eben eine historische und kontextuelle Definition darstellt, in ständiger Emergenz begriffen ist und als Subjekt weder präexistent noch unabhängig ist, sondern jeweils durch die zugrundeliegenden symbolischen Systeme ausgebildet wird.

Soll heissen, dass jegliche Art von kreativem Schaffen, nicht als Ausdruck eines vorgelagerten künstlerischen Selbst charakterisiert werden kann, sondern durch ständige Repräsentation herausgebildet wird.
Das bedingt wiederum, dass eben ein Publikum da sein muss, um "Kunst" durch Perzeption, Rezeption und Reproduktion als solche zu konstituieren.
Angewendet auf die originale Fragestellung würden sich hier interessante Befunde ergeben, worauf ich aber total gerne (weil Zeit) verzichten möchte.

Wenn man sich als Gedankenexperiment eine Rollenspielertruppe vorstellt, die auf einer Bühne ihr Rollenspiel vorführt, dann spielt es meiner Meinung nach keine wirkliche Rolle, welche Regeln benutzt werden und ob ein vorgefertigtes Abenteuer oder ein frei erfundenes zum Einsatz kommt. Es spielt auch keine Rolle, wie ausgelastet diese intellektuell oder kognitiv sind.

Ein wirklich surreales Erlebnis dürfte es so oder so sein...

Offline 1of3

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@ 1of3: Hm, Flow ist was anderes. Und Capes kommt doch quasi komplett über die logisch-mathematischen Fähigkeiten und abstrahiert doch komplett einschienig.

Ich weiß nicht, was da einschienig sein soll. Ich weiß auch nicht, was du mit "ganzheitlich" meinst, außer nicht weiter verbalisierbare Glücksgefühle. Das ist im Grunde Estoterik-Bla.