Pen & Paper - Spielsysteme > Fate
Wie mächtig sind Aspekte als Regeln?
SeldomFound:
Folgendes Diskussionsthema:
--- Zitat von: aikar am 2.06.2015 | 15:59 ---Ich glaube, dass ist allen hier, die Erfahrung mit Fate haben klar. Der Spieler wollte aber offenbar eine Regel (Ein Aspekt erschafft ein Fakt) über andere Regeln (alles was über die üblichen spieltechnischen Auswirkungen eines Aspekts hinausgeht ist ein Stunt/Extra) stellen.
Ok, so betrachtet muss ich meine Aussage von vorhin zurücknehmen, offenbar gibt es bei Fate doch Lücken für Powergamer...
--- Ende Zitat ---
Erstmal muss dazu definiert werden, was mit Aspekt gemeint ist:
--- Zitat ---An aspect is a phrase that describes something unique or noteworthy about whatever it’s attached to. They’re the primary way you spend and gain fate points, and they influence the story by providing an opportunity for a character to get a bonus, complicating a character’s life, or adding to another character’s roll or passive opposition.
--- Ende Zitat ---
Erstmal wird also davon ausgegangen, dass Aspekte nur dann ins Spiel kommen, wenn man Schicksalspunkte dafür ausgibt.
Unter dem Abschnitt "What Aspekts do" finden wir folgendes:
--- Zitat ---In Fate, aspects do two major things: they tell you what’s important about the game, and they help you decide when to use the mechanics.
--- Ende Zitat ---
Also...
1. Aspekte bestimmen, was im Fokus eures Spiels stehen soll und was das Spiel, die Situation oder den Charakter besonders macht.
2. Aspekte bestimmen, welche Regelmechaniken zum Zuge kommen, ob jetzt die Aktion eines Charakter recht schwer ist oder sehr leicht.
Doch es gibt doch auch diese Regel, dass Aspekte immer wahr seien, oder? Nun...
--- Zitat ---Finally, aspects have a passive use that you can draw on in almost every instance of play. Players, you can use them as a guide to roleplaying your character. This may seem self-evident, but it should be called out anyway—the aspects on your character sheet are true of your character at all times, not just when they’re invoked or compelled.
--- Ende Zitat ---
Ein Charakter mit dem Aspekt "Rachsüchtiger Kämpfer für Gerechtigkeit" ist also immer darum bemüht für die Gerechtigkeit zu kämpfen, auch wenn sein Aspekt nicht gereizt wird. Wird sein Aspekt gereizt, bedeutet dies, dass nun sein Aspekt ihm Probleme bereitet (weil er sich zum Beispiel in seinem Rachedurst übernimmt oder an einer entscheidenden Stelle einen Konflikt nur noch weiter anheizt).
Desweiteren kann man dadurch auch abschätzen, wie die Welt auf die Charakter reagiert.
ALLERDINGS: Es bezieht sich zumindest im Buch nur auf das Rollenspiel, nicht auf konkrete Elemente, wie zum Beispiel, dass man als "Drachenreiter vom roten Berg" automatisch einen riesigen Drachen zur freien Verfügung hat!
Woher kommt aber dieser Gedanken: Nun zum einen von diesen Artikel, denke ich:
http://www.faterpg.com/2013/richards-guide-to-blocks-and-obstacles-in-fate-core/
Doch dieser Artikel bezieht sich eben nur auf den zweiten Nutzen der Aspekte, nämlich als Bestimmung der relevanten Regelmechanik (dazu zählt dann eben auch, ob man eine bestimmte Aktion überhaupt durchführen kann oder nicht).
Aber der riesige Drache, mit dem der Spieler ganze Burgen angreifen will? Das ist definitiv ein Extra! Und ein Extra braucht eine Erlaubnis (wie etwa ein bestimmtes Aspekt) und/oder kostet etwas.
ABER:
Hier wird darüber diskutiert wie "mächtige" Aspekte regelmechanisch interpretiert werden können, ohne das Spiel zu zerbrechen.
http://rpg.stackexchange.com/questions/59184/can-you-put-high-power-aspects-on-starting-characters-in-fate-core
http://rpg.stackexchange.com/questions/47339/aspects-implying-resistance-immunity
:
Als jemand, der der "Fraktion" angehört, die den narrative permissions von Aspekten einen extrem hohen Stellenwert einräumen, versuche ich das mal zu erläutern:
--- Zitat ---Finally, aspects have a passive use that you can draw on in almost every instance of play. Players, you can use them as a guide to roleplaying your character. This may seem self-evident, but it should be called out anyway—the aspects on your character sheet are true of your character at all times, not just when they’re invoked or compelled.
--- Ende Zitat ---
Du schreibst, dass sich das "nur auf das Rollenspiel" bezieht. In anderen Systemen mag "Mechanik vs. Rollenspiel" eine wichtige Distinktion sein – es gibt Dinge, die mechanisch abgewickelt werden, und es gibt Dinge, die "nur ausgespielt" werden.
Fate funktioniert nicht so. In Fate ist "das Rollenspiel" ein ganz, ganz essentieller Teil des gesamten Systems, weil es fiction first funktioniert. Die Golden Rule und Silver Rule sind EXTREM wichtig. Das Rollenspiel ist die Grundlage von allem – es liefert den Kontext, in dem die Spielmechanik angewandt wird. "Decide what you’re trying to accomplish first, then consult the rules to help you do it. [...] Never let the rules get in the way of what makes narrative sense."
Wenn etwas "für das Rollenspiel" wahr ist, muss sich die Spielmechanik also danach richten.
Das folgende Zitat ist zwar aus Fate Accelerated, aber da FAE ja kein "anderes Spiel" ist, sondern ein Teil des "Fate Core-Kontinuums" (das hat auch Fred Hicks immer wieder betont), zitiere ich es auch in diesem Kontext recht gerne:
--- Zitat ---Your character’s own aspects provide a good guide for what you can do. If you have an aspect that suggests you can perform magic, then cast that spell. If your aspects describe you as a swordsman, draw that blade and have at it. These story details don’t have additional mechanical impact. You don’t get a bonus from your magic or your sword, unless you choose to spend a fate point to invoke an appropriate aspect. Often, the ability to use an aspect to make something true in the story is bonus enough!
--- Ende Zitat ---
Sprich, wenn du ein "Preisgekrönter Leichtathlet" bist, werde ich es dir wahrscheinlich erlauben, den am Fahrrad flüchtenden Verbrecher zu verfolgen, weil hey, du bist verdammt nochmal ein preisgekrönter Leichtathlet. Klar, wenn der radelnde Flüchtling keine totale Lusche ist (sprich, es den Aufwand wert ist) wirst du drauf würfeln müssen, aber hey, du hast immerhin eine Chance! Einen "Behäbigen Wachmann mit chronischer Donut-Sucht" hingegen würde ich hingegen nicht mal würfeln lassen, denn es macht erzählerisch einfach keinen Sinn, dass er den Radfahrer zu Fuß erwischen könnte (er könnte sich aber natürlich selbst auf einen fahrbaren Untersatz schwingen, oder versuchen, den Kerl vom Rad schießen).
Ich werde ihm wahrscheinlich auch einen Compel anbieten, das ist aber kein Muss. Das eine ist die Ebene der "narrative permissions" ("du bist echt träge, also macht es einfach keinen Sinn, dass du den Radfahrer zu Fuß verfolgst"), der Compel basiert zwar auf dieser Ebene, hat aber immer auch eine klare Konsequenz (z.B. "du bist zu träge, um den Kerl zu verfolgen...das geht schief, als er deshalb diese Nacht ein weiteres Opfer finden kann!")
Ebenso wenn du beispielsweise ein, sagen wir mal, "Gefürchteter Krieger der Draconier" bist, und in deinem Setting diese Draconier Drachen-Mensch-Hybriden sind, die fliegen können. Du bist ein Draconier, und die können in diesem Setting fliegen, also macht es einfach Sinn, dass auch du das kannst. Ihr werdet von Riesenadlern angegriffen? Andere Charaktere könnten natürlich probieren, sie vom Himmel zu schießen, aber wenn der "Siebenmalige Sieger des Großen Königlichen Turniers" mir sagt, er tjostet hoch zu Ross die Adler nieder, brauche ich nicht lange nachzudenken (es sei denn, er reitet einen Pegasus). Wenn aber der "Gefürchtete Krieger der Draconier" mir sagt, er fliegt mit eingelegter Lanze den Adlern entgegen, um sie im Zweikampf zu besiegen, sag' ich "klar, würfel nen Angriff auf Fight".
--- Zitat ---In Fate, aspects do two major things: they tell you what’s important about the game, and they help you decide when to use the mechanics.
--- Ende Zitat ---
Das bedeutet nicht nur, ob Würfe "sehr schwer oder sehr leicht" sind – es bestimmt, ob es überhaupt notwendig ist, die Würfel in die Hand zu nehmen. Wenn der "common sense" sagt, dass etwas problemlos gelingen sollte, brauchst du keinerlei Mechanik – say yes and move on. Falls eine Aktion einfach keinen Sinn macht (für den Charakter in der aktuellen Situation unmöglich zu schaffen o. Ä.) ebenso.
"Balancing" in Fate wird nicht primär über die Regelmechaniken abgewickelt, auch wenn das erst mal furchtbar ungewohnt ist, wenn man andere Systeme gewohnt ist. "Balancing" in Fate ist eine Sache des Gruppenkonsenses.
Klar, nichts in den Spielmechaniken hält mich davon ab, einen Charakter zu erschaffen, der einen Aspekt wie "Städtevernichteter Riesen-Drache" hat. Aspekte sind narrativ "wahr", und rein theoretisch könnte der Spieler nun behaupten: "Hey, ich bin ein Riesen-Drache, wieso soll ich mit dem Baron überhaupt verhandeln, ich schmelze einfach seine Burg bis auf's Fundament nieder!"
Ich sage bewusst "rein theoretisch". Denn in der Praxis werden ihm wohl spätestens dann seine Mitspieler auf den Hinterkopf hauen und ihm sagen "Kumpel, der Charakter passt vorn und hinten nicht in unsere Kampagne, überleg' dir was anderes!"
In Fate ist es EXTREM wichtig, VOR der Charaktererschaffung darüber zu sprechen, welches a) Genre, b) Setting, c) Power-Level die Gruppe spielen will. Ihr wollt heroische Fantasy in einem hochmagischen Setting und mythischen Charakteren spielen? Klar, kein Problem, du spielst deinen "Städtevernichtenden Riesen-Drachen", ich spiele einen "Gefallenen Rache-Engel", der dritte einen "Halbgott mit Liebe zu den Menschen" oder so. Ihr wollt Noir-Detektivgeschichten in einer leicht magischen Version unserer 90er-Jahre spielen? Dann wird es wohl eher ein "Telepathischer Privatdetektiv" oder eine "Femme Fatale mit Feenblut".
Dazu "zwingen" mich nicht "die Regeln", sondern der Gruppenkonsens. Charakter- und Welt-/Spielerschaffung sind in Fate aus gutem Grund fest miteinander verwoben: "You can make player characters after finishing game creation, or you can do it in the middle of this process—follow your instincts here." Auf gar keinen Fall werden die Charaktere völlig losgelöst davon erstellt, quasi "im leeren Raum" denn das führt schnell zu absurden Situationen. Ich hab meinen antiken Halbgott, du einen traumatisierten Vietnamkriegs-Soldaten, und ein anderer einen Pokémon-Trainer ;)
Bad Horse:
Ganz kurzes Beispiel: Am Wochenende hat sich unser Dresden-Files-Alchemist einen Trank gemischt, der ihm den Aspekt "Kann surfen" gegeben hat.
Wir haben dann gemeinschaftlich beschlossen, dass dieser Aspekt natürlich per invoke eingesetzt werden kann, aber keine freien Einsätze hat - statt dessen gab er dem Charakter aber überhaupt erst mal die Grundvoraussetzung, überhaupt sinnvoll auf einem Surfboard tjosten zu können. (Der Spieler hatte vorher festgelegt, dass sein Charakter nicht surfen kann. Deswegen hätte es in der Fiktion auch keinen Sinn ergeben, wenn er jetzt trotzdem mit seinem Ordentlichen Athletik-Wert hätte herumsurfen können. Das ging dann erst mit dem Trank.)
Blechpirat:
Schöner Beitrag, Tar-Calibôr, dem ich nur zustimmen kann.
oliof:
--- Zitat von: Tar-Calibôr am 7.06.2015 | 23:07 ---Auf gar keinen Fall werden die Charaktere völlig losgelöst davon erstellt, quasi "im leeren Raum" denn das führt schnell zu absurden Situationen. Ich hab meinen antiken Halbgott, du einen traumatisierten Vietnamkriegs-Soldaten, und ein anderer einen Pokémon-Trainer ;)
--- Ende Zitat ---
Außer die Prämisse ist Fernsehserienfiguren kommen in der Realwelt an. Dann wäre das selbstverständlich total legitim (Hercules, MASH – OK, das ist der Koreakrieg, aber geschenkt –, und eben Pokemon) und ich könnte mir vorstellen, das sowas wie FATE sich gerade eignet, solch disparate Leute zusammenzuspielen.
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