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Gedanken zum Klassenbalancing
Der Oger (Im Exil):
Das folgende habe ich schon irgendwann in den letzten Tagen einmal in Kurzform geschrieben, aber ich finde es wert, das Thema noch einmal aufzugreifen.
Es wird ja immer wieder gesagt, dass manche Klassen im Vergleich zu anderen stärker oder schwächer sind. Welche das sind, ist interessanterweise meist eine subjektive Beobachtung, die von Gruppe zu Gruppe und auch von Spieler zu Spieler unterschiedliche Ansichten sind.
Darüber zu diskutieren, macht aus meiner Sicht wenig Sinn, einmal abgesehen von den Einzelfällen, wo die Schreiberlinge des Systems wirklich einen großen Haufen Ogerdung produziert haben. Um diese Grenzfälle soll es hier auch nicht gehen.
Stattdessen möchte ich einladen, eine andere Sichtweise dazu auszuprobieren.
1. Die Wahl der Klasse als Schwierigkeitsstufe
Viele Computerspiele erlauben es, Schwierigkeitsgrade bei den Grundeinstellungen des Spiels einzustellen, von Leicht bis Sauhart. Die Wahl einer Klasse kann als ähnliche Entscheidung angesehen werden: Möchte ich eine Klasse, mit deren Fähigkeiten und Schwächen ich gut zurechtkomme, oder möchte ich eine Klasse, die meiner Ansicht nach gegenüber anderen Klassen eher schwächer aufgestellt ist? Jemand, der z.B. die Annahme vertritt, das Magier stark sind, könnte sich dazu entscheiden, einen mundanen Kämpfer zu spielen, weil dieser (aus seiner Sicht) nicht über die vielfältigen Optionen eines arkanen Magieanwenders auf höheren Stufen verfügt. Genauso könnte er aber zu dem Schluss kommen, dass ein Magier die schwächere Klasse ist, weil er gegenüber dem Kämpfer aufgrund der geringeren Zahl der Trefferpunkte die geringere Überlebenschance hat, und in den älteren Editionen auch im Nahkampf und im Aufstieg deutlich hinter dem Kämpfer lag. In diesem Falle möchte ein Spieler also einen leichteren Schwierigkeitsgrad, wenn er einen Kämpfer wählt.
In jedem Falle ist die Entscheidung aber zu respektieren.
2. Die Gruppenzusammensetzung als Schwierigkeitsstufe
Ein weiterer Gedanke ist die Gruppenzusammensetzung. Je homogener die Klassenwahl ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass kritische Fähigkeiten fehlen, die kompensiert werden müssen. Eine Gruppe ohne Magier steht eben auch meist ohne Artillerie, eine ohne Kleriker ohne Heiler, eine ohne Schurken ohne Kundschafter, die vorrausgeschickt werden könnten, da.
Da die Klassenwahl insgesamt einen Einfluss auf die taktischen und strategischen Optionen einer Gruppe hat, stellt die Wahl von Klassen auch auf dieser Ebene eine Entscheidung über die gewünschte Schwierigkeitsstufe dar.
3. Jetzt vs. Später
Bei D&D gibt es oft die Entscheidung zu treffen: Höhere Überlebenschancen jetzt (also, bei Spielbeginn und auf niedrigen Stufen) vs. höhere Anzahl an Optionen später (auf mittleren und hohen Stufen). Ein Kämpfer oder Barbar hat am Anfang eine hohe Anzahl an Trefferpunkten im Gegensatz zum Magier, der über seine Zaubersprüche eine höhere Anzahl an Optionen hat. Ein Kleriker oder Druide soll irgendwo in der Mitte dieser Optionen stehen. Im Prinzip lässt sich die Klassenwahl auch als eine Art Pokerstrategie verstehen: Niedrigeres Risiko jetzt vs. niedrigerer Optionengewinn später vs. hohes Risiko jetzt gegen eine höhere Belohnung später.
4. Die Spielführung
Jeder SL leitet anders. Manche sind tödlicher, manche nachsichtiger, manche drehen die Würfel, um das Überleben der Spieler zu gewähren. Je nach Unbarmherzigkeit, Heimtücke und Verschlagenheit der SL, sowie seiner Vorlieben für bestimmte Szenarien, Monster und Situationen variiert der Schwierigkeitsgrad, und die Spieler passen sich an (wenn sie bei diesem SL bleiben).
5. Das Setting
Ein weiterer Einfluss auf die Entscheidung der Klassenwahl und der Schwierigkeitsstufe ist die Art des Settings. In manchen Settings sind Magier ein eher alltäglicher Anblick (Eberron), während sie in anderen vom gemeinen Volk gesteinigt werden (Dark Sun). Paladine und Kleriker können eifersüchtigen Gottheiten dienen (griechische oder nordische Mythologie), oder es kann eher belanglos sein (wiederrum Eberron).
6. Andere Art der Belohnungen
Es ist aus den Grundregelwerken der späteren Editionen ja verschwunden, aber es ist kein Grund, dies nicht wieder auf eine bestimmte Weise wieder einzuführen: Der soziale Status eines Charakters.
Ein Krieger, der zahlreiche Schlachten gegen Monster und feindliche Horden geschlagen hat, wird zum Magneten für Waffenknechte und Mörderhobos, die sich von ihm Schutz, Ruhm, und die Gunst der Götter oder Königen, denen er dient, versprechen. Vielleicht wird er eines Tages die Könige selbst herausfordern und den juwelenbesetzten Thron mit seinen Sandalen besteigen.
Ein Schurke, der sich durch die örtliche Unterwelt intrigiert und gemeuchelt hat, wird irgendwann zu einem Paten des organisierten Verbrechens, mit einem weit umspannenden Netzwerk von Handlangern und Spionen. Und irgendwann wird er vielleicht zur Grauen Eminenz und zum Königsmacher, der durch seine Intrigen und Agenten die Fäden eines Imperiums in seinen Händen hält, oder der Alte Mann vom Berg, der Anführer aller Assassinen der Welt.
Ein Kleriker oder Paladin, der die Feinde des Glaubens niedergerungen und die Macht seiner Gottheit gestärkt hat, wird zu einem hochrangigen Mitglied seiner Kirchenhierarchie und zu einem Symbol für den Glauben. Vielleicht wird er eines Tages von seiner Gottheit mit einem Status als unsterblicher Halbgott belohnt.
Ein Magier, Hexer oder Hexenmeister (Ich finde die deutschen Begriffe für Warlock und Sorceror immer noch doof, und wünsche mir etwas differenzierteres - jemand Ideen?) wird Lehrlinge anziehen, vielleicht die Kontrolle über einen Kult oder eine Gilde übernehmen, einen Turm bauen, und / oder die Freundschaft seltsamer, mythischer und extraplanarer Wesen gewinnen. (Eine bei Adventurer, Conqueror, King implizierte Setting-Idee war, das Magier Gewölbe bauen, um Monster anzuziehen, die dann wiederrum als Rohstofflieferanten für die Produktion von magischen Gegenständen dienen.
Zusammenfassung
Eine rein auf das Regelwerk begrenzte Balancing - Diskussion macht, in meinen Augen, wenig Sinn. Es gibt zu viele Faktoren, die individuelle Einflüsse auf das leichtere oder schwierigere Fortkommen eines Charakters haben. Stattdessen würde mein Vorschlag so lauten:
Wenn Du es etwas leichter haben willst, spiele eine Klasse, mit der Du selbst am besten zurecht kommst, und die in Deinen Augen die mächtigere ist, die gut in die Gruppe passen (im Sinne dessen, das ein fehlendes Element ausgeglichen wird), die vom Setting nicht besonders sanktioniert werden, oder der die üblichen Tropes Deines SL bedient. Dies ist die Schwierigkeitsstufe "Einfach".
Wenn Du mehr Herausforderung wünschst, wähle eine Klasse, mit der Du wenig Erfahrungen hast, die in Deinen Augen die schwächere ist, die heterogen zu anderen Charakteren aufgestellt ist, die Einschränkungen im Setting unterworfen sind, und welche die normalen Tropes des SL nicht bedienen (wodurch, meiner Ansicht nach, der SL auch die Möglichkeit erhält, sein Repertoire an Tropes zu erweitern. Dies ist die Schwierigkeitsstufe "Schwer".
Als SL sind die individuellen Wünsche der Spieler sowie die daraus entstehende Gruppenkonstellation zu respektieren, was auch bedeutet, das es manchmal hart werden kann - und sich die Spielercharaktere Gedanken machen müssen, wie sie die fehlenden Ressourcen ausgleichen. Was manchmal, meiner Meinung nach, zu den besten Situationen am Spieltisch führen kann, wenn sich die Spieler verzweifelt Gedanken darüber machen, wie sie aus dem Mist rauskommen, in den sie sich gerade wieder befördert haben.
Der Oger (Im Exil):
Nachtrag: Das Gesagte gilt natürlich auch für die Wahl von Völkern und anderen Klassenkomponenten.
Just_Flo:
Quark mit Soße. Oder ... mit Schwung.
Wenigstens viele deiner Punkte, den solange du deinem Mitspielern nicht davor erklärst, was du alles in ihre Wahl so frei reininterpretierst, solange wurstelst du nur irgendwie rum.
Deine Folgerungen stimmen dafür dann teilweise wieder. Wobei man halt nur Spiele RAW vergleichen kann, weil wenn man die vom jeweiligen Spielleiter verhunzte Version nimmt, dann kann man nichts vergleichen, weil dann alles ungleich ist.
Und ja, auch bei mir sterben SCs, wenn nach dem 5. Mal wollt ihr nicht an Perception, survival und Will save arbeiten Chars mit negativen Werten dadrin weiter eingereicht werden und die Spieler beim Hinweis auf Situationen, die das brauchen sich nicht spätestens dann Hilfe holen.
Rhylthar:
--- Zitat ---Wobei man halt nur Spiele RAW vergleichen kann, weil wenn man die vom jeweiligen Spielleiter verhunzte Version nimmt, dann kann man nichts vergleichen, weil dann alles ungleich ist.
--- Ende Zitat ---
+1
Um ein Extrembeispiel zu nehmen:
Niemand wird bestreiten, dass der Paladin mechanisch eine sehr gute Wahl wäre und in evtl. in Kampagnen noch weiter allein durch seinen Status als Streiter Gottes punkten kann.
Bei Primeval Thule wäre er allerdings die schlechteste Wahl...der Spieler dürfte nicht mitspielen, weil seine Sorte Charakter gibt es dort nicht.
Arldwulf:
Irgendwie finde ich mich da recht gespalten wieder. Einerseits mag ich dir zustimmen. Ich glaube die Dinge welche du dort aufzählst sind wichtig und bestimmen das Spielgefühl sehr wesentlich. Andererseits halte ich es für eine sehr schlechte Idee sie an die Wahl der Charakterkonzepte zu binden.
Man sieht das sehr schön am Beispiel der Wahl der Klasse als Schwierigkeitsgrades. Du hast völlig recht, Spieler wollen verschiedene Komplexitätsgrade. Aber statt zu sagen: "Wenn du es komplizierter willst nimm den Magier, und wenn du es einfacher willst den Kämpfer" ist es viel besser einfach nur den Komplexitätsgrad festzulegen und dem Spieler dabei die Auswahl immer noch zwischen beidem (und allem anderem) zu bieten. Aus "wenn du es einfach willst geht das - nimm einen Kämpfer" wird "wenn du es einfach willst geht das - spiel was du willst."
Das ist aber etwas was vom System natürlich unterstützt sein muss.
Der Mehrgewinn sind vielfältigere Charakterkonzepte, welche weniger von Überlegungen eingeschränkt werden wie den obigen, und auch weniger von Überlegungen ob man seine Rolle ausfüllen kann.
Aber es kostet halt Designaufwand. Für Rollenspielfirmen ist es aufwendiger sich ein (und dies ist nötig) Konzept zu überlegen wie man verschiedene Spielweisen unabhängig von der Wahl des Charakterkonzeptes unterstützen kann, und der einfachere Weg ist zu sagen: Wenn du das und dies willst spiel halt auch die Klasse X.
Ansonsten profitieren all deine Punkte davon wenn man sie nicht an die Charakterwahl bindet. Je ausgeglichener die Klassen sind, und je mehr verschiedene Komplexitätsgrade jede bietet umso einfacher ist es für sich den passenden Komplexitätsgrad zu wählen. Umso einfacher ist es auch die Gruppe unabhängig von der Frage zusammenzustellen "funktioniert das?" und umso einfacher ist es auch zu sagen "auf welcher Stufe wollen wir spielen" und "wie schwer soll es werden"
Und natürlich profitiert man auch bei der Settingwahl davon, weil ich viel freier wählen kann was es in meiner Spielwelt gibt oder nicht, und mich nicht fragen muss ob das dann noch spielbar bleibt.
Wie gesagt: Ich finde die aufgezählten Dinge von dir sind sehr wichtig. Aber das ist eben auch ein Grund warum man sie möglichst leicht nutzbar und möglichst vielfältig einsetzbar machen sollte. Und nicht ans Charakterkonzept binden sondern allen als Option ermöglichen. Mit Klassenbalancing haben sie oft zu tun in verschiedenen Editionen, aber das sollten sie nicht.
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