CliveIch verspüre den maßlosen Drang, etwas zu zerbrechen. Es ist mehr als die mir bekannte Wut und Verzweiflung. Das Gegenteil meiner früheren Traurigkeit. Die Traurigkeit war unendliche Leere, wie die Weite des Ozeans. Jetzt fühle ich mich zum Bersten gefüllt mit Emotionen, wie ein gewaltiger Kessel einer Dampfmaschine.
Ich betrachte die Teetassen, die ich mit leicht zitternden Händen auf dem Tisch verteile. Aber ich bin nicht der Mensch, der Geschirr zerschlägt. Es wäre völlig nutzlos, ein totes Ding zu zertrümmern, an dem mein Herz nicht hängt. Damit könnte ich nicht die Gefühle entfesseln, die in meinem Panzer aus Selbstbeherrschung brodeln. ... Nein, ich will den Gefühlen Gestalt geben, die mich erfüllen ... dem Schmerz, dem Zorn, der Enttäuschung ... ich will den Schmerz körperlich spüren oder zumindest etwas in mir zerbrechen, mich bestrafen ... weil ich zugelassen habe, alles zu verlieren: meine Eltern, Ruairí, Cainnech und meine anderen Weggefährten, das Meer, SIE und nun auch Matilde.
"Wäre ich nur bereit gewesen, mehr zu riskieren ... hätte ich bereitwilliger Opfer gebracht und genutzt, was mir zur Verfügung steht ... ich wäre ein anderer Mensch gewesen! Dann hätte ich Ruairí und Cainnech retten können. Dann hätte Matilde mich nicht verlassen. ... Nein sicher nicht. Sie fühlt sich angezogen von starken Männern ... rücksichtslosen Männern ... machtvollen Männern. ... Rick ... Hartmut ... Julien ... alle nur Abbilder ihres Vaters ... ich hätte das auch sein können! Mehr sogar! Und ich hätte nicht weglaufen müssen. Ich hätte die nötige Macht besessen, mein Leben in andere Bahnen zu lenken! Schon auf Herm ... schon viel früher ..."Ich entdecke die Karte in meiner Tasse, die nur von '
Raymond Braddock' kommen kann.
"Woher wusste Braddock, dass ich die Teetassen holen würde? Woher wusste er, dass sich mein Zustand auf so wundersame Weise gebessert hat? Wann kann er die Karte in die Tasse gelegt haben? Er war gerade noch im Dorf. ... Er muss eigentlich noch immer hier sein ... hält sich vermutlich in der Küche versteckt ... hat die Frechheit, erneut auf mein Land und nun sogar in mein Haus einzudringen! ... Was würden diese vier wohl mit ihm anstellen, wenn ich ihnen sagte, dass Braddock hier ist? Wozu wären sie fähig ... als meine Werkzeuge?" Etwas sagt mir, dass ich ALLES von ihnen fordern könnte. ... Ich denke an den Mann im Bootshaus ... habe das Bild der Leiche vor Augen ... all das Leid, das er empfunden haben muss, bis zu seinem letzten Atemzug, den der letzte Nagel aus seinem Körper trieb. DAS könnte mein altes ICH brechen und ich verspüre einen starken Drang, dem nachzugeben. Ich höre die Welpen im Nachbarzimmer ... Kinder von Luni ... Gefährte von Matilde. Auch das könnte meine frühere Schwäche brechen und mich von meinen alten Fesseln befreien.
"Damit ich mir nehmen kann, was ich brauche ... und niemand es mir wieder wegnimmt! Niemals!"Ich weiß, dass ich mich dann selbst hassen würde. Aber ich müsste mich zumindest nicht mehr für meine Schwäche verachten!
Als meine Finger knacken, werde ich mir bewusst, wie kräftig ich die Hände zu Fäusten balle. Meine Fingernägel bohren sich schmerzhaft in die Handballen. Eine erwartungsvolle Spannung liegt in der Luft. Eine verhaltene Stille ... wie in einem sterbenden Wald, erdrosselt von Efeu und Ranken.
Ich betrachte die Äthiopierin und erwäge, auf ihr Angebot einzugehen. Sie ist schön ... äußerlich ebenmäßig ... nahe der perfekten Symmetrie. Schlank, jung, gesund und verheißungsvoll wie eine lebendig gewordene Statue aus Ebenholz ... Keine Liebe, sondern ein Ritual, um meine Seele zu verpfänden ... Ich lese in Ihren Augen fast schon zu viel Bereitschaft, um den Brand in mir löschen zu können.
"Warum nicht? Was ändert es schon? ... Wohin hat mich mein bisheriger Weg schon gebracht!"Aber dann erinnere ich mich an jene anderen dunklen Augen ... vor über dreißig Jahren ... an das wortlose Versprechen. An den geschnitzten Sarkophag. Und ich weiß, dass ich das Versprechen nicht brechen kann. ... Weil diese eine Nacht mich längst gebrochen hat.
"Man kann nichts zerschlagen, was längst entzwei ist. ... Ich muss ein Nachfahre Cassandras sein", denke ich verdrossen und ringe wieder mit der Verzweiflung, zu der die Wut zerfällt.
Ich betrachte den geschnitzten Gehstock und versuche in den Bildern zu lesen.
"Zu freundlich von Euch!", ringe ich mir ab. "Hat es mit ihm eine besondere Bewandnis? Erklärt mir die Bilder!"
Und ich fordere die Welt heraus, ignoriere alle Warnrufe in mir und greife nach dem
Stab.