Das Tanelorn spielt > Albtraum in Norwegen
Irgendwo in IRLAND
Joran:
Clive
Ove erscheint mir wie in Trance, als nehme er seine Umwelt nur unvollständig und verschwommen wahr, als habe er Schwierigkeiten, meinen Ausführungen gänzlich zu folgen. "Ich muss Ove beruhigen. Die heutigen Erlebnisse werfen ihn wohlmöglich um Jahre zurück!" Gleichzeitig ist mir bewusst, dass auch ich längst einen Panzer aus unangemessener Rationalität um mich gebaut habe ... wie ich es so oft tue. "Ove kennt das. So war es auch, als ich ihn und Matilde aus London fortgebracht habe, als ich mich um die Zerstörung der Hand kümmert, seine Unterbringung, die Überfahrt noch Irland. Ich ließ mich wahrscheinlich sogar nur auf Emma ein, um nicht zurückdenken zu müssen. Irgendwann wird dieser Schild fallen ... wie in jener Nacht der Flammen ... und wie auf Herm ... Und dann? ... Wer wird mir dann zur Seite stehen?" Schmerzlich wird mir die Stille in meinem Innern bewusst. Aber ich reiße mich zusammen und versuche meine Konzentration auf das Hier und das Jetzt zurückzulenken. Ich muss die Zeit nutzen, solange ich noch einen ungetrübten Blick habe.
"Ich glaube nicht, dass Meabh das hier alleine angerichtet hat", sage ich zu Ove. "Entweder es haben ihr andere geholfen oder sie war überhaupt nicht dabei und ist auch nur ein Opfer. Meabh fühlte sich bedroht. Sie wollte sich verteidigen, als sie auf Dich geschossen hat. Sie wollte verhindern, dass irgendein 'Dämon' sich ihrer bemächtigt. ... Andererseits hat sie gestern noch normal die Straße gefegt ... und das hier ist wohl nicht in einer Gewitternacht entstanden, nicht wahr?"
Ich denke einen Augenblick über Oves Fragen nach: "Ob Kayleigh etwas hiermit zu tun hat ... oder auch nur ihr Tod? ... Ich weiß es wirklich nicht. Aber sie war ein liebes, aufgewecktes Kind. Es will mir nicht in den Kopf, dass sie etwas mit DEM HIER zu tun haben könnte ..." "... gehabt haben könnte", verbessere ich mich still. "... Kayleigh hat schon vor einer Weile Seillean-Mòr Blàr verlassen. Wir müssen herausfinden, wie lange genau sie fort war! ... Ich vermute, nachdem 1928 der geheime Treffpunkt im Wald gefunden wurde und sich die Polizei dafür interessiert hat, haben diese kranken Geister erst mal eine Weile still gehalten, bis sich die Wogen geglättet hatten. Irgendwann nach 1928 muss dann das hier begonnen haben ... vielleicht erst vor wenigen Wochen? ... Aber das sind alles nur Spekulationen."
"Zuerst einmal sehen wir uns hier vorsichtig um und zerstören keine Spuren, die uns irgendwelche Hinweise geben könnten." Ich halte die Lampe auf Augenhöhe dicht an die Wand des Verschlages und suche sie Schritt für Schritt ab, während ich weiter in ruhigem Tonfall auf Ove einrede. "... Sonst fängt das ganze nur an anderem Ort wieder von vorne an. Und dann bemerken wir es möglicherweise erst zu spät. Außerdem wird Inspektor McFlaherty uns verdächtigen, wenn er irgendwie herausbekommt, dass wir dies hier verbrannt haben. ... Stell Dir vor, die alte Meabh erzählt ihm in ihrem Zustand hiervon. Dann wird McFlaherty eins und eins zusammenrechnen. Wir waren hier. Braddock weiß das und Deine Verletzungen sind unübersehbares Zeugnis. Nein, wir dürfen hier nichts zerstören!"
"Eigentlich glaube ich nicht, dass Menschen aus dem Dorf dieses Monstrum zusammengezimmert haben. ..." Gerade habe ich beschlossen, Ove von afrikanischen Nkisi zu erzählen, die ich auf meinen Afrikareisen gesehen habe. Ich habe mir die Worte schon zurecht gelegt, mit denen ich diesen Brauch als Aberglauben und Ausdruck eines noch nicht ganz überwundenen heidnischen Glaubens an Zauberei bagatellisieren will, als ich innerlich aufschrecke. "Hat Ove eben von einem 'Nagel-Totem' gesprochen? Woher kennt er solche Dinge?" Ich bin mir sicher, nichts dergleichen ihm gegenüber erwähnt zu haben. "Ist das nur seine zufällige Deutung dieses blasphemischen Götzen? ... Oder könnte es mehr sein?" Ich versuche meine aufkeimende Angst zurück zu drängen, rufe mir die letzten Jahre in Erinnerung und bin bemüht mir zu versichern, dass Arglist und Hinterhältigkeit Oves Wesen fremd sind. Ich erinnere mich an die Schussverletzung, die Ove immerhin gerade erst erlitten hat ... die andererseits so überraschend glimpflich verlaufen ist. Ich halte mir vor, wie sehr dieser Ort Ove offenbar aus dem Gleichgewicht gebracht hat ... oder wohlmöglich nur zu haben scheint? Aber die Saat des Zweifels ist gesät. "Könnte Ove aus anderen Gründen hier sein, als ich bisher annahm? ... Oder trägt er mir etwas nach? ... Macht er mich insgeheim für das verantwortlich, was ihm oder Kristine widerfahren ist und will sich an mir rächen? ... Welchen Einfluss hat Harry Blackberry auf ihn und ist es nicht merkwürdig, dass er den beiden hierher gefolgt ist ... in eine ländliche Region eines ärmlichen Landes mit einer fremden Sprache? Wie kann Mr. Blackberry hier überhaupt seinen Lebensunterhalt bestreiten? ... Sind Ove und Kristine in Wahrheit nur wegen IHM hier? ... Hat Ove mich etwa bewusst hier in die Scheune gelenkt, damit ich das hier sehe und dann vielleicht etwas unbedachtes sage oder unternehme?!? ... Warum will er all dies so schnell durch ein Feuer vernichten und verhindern das Inspektor McFlaherty es sieht?" Mir schwirrt der Kopf angesichts dieser Gedanken. Es erscheint mir noch wichtiger, den Götzen zu untersuchen ... sein Inneres zu erkunden.
Ohne mich umzuwenden frage ich lauernd und mit einem so ruhigen Tonfall, wie es mir in dieser Situation möglich ist: "Ein NAGEL-TOTEM? Hast DU so etwas schon gesehen, Ove? ... Oder hat Dir jemand von solchen Dingen erzählt?"
Puklat:
Ove
Ich bekomme kaum mit was Clive macht und sagt. Mein Blick schweift durch die Dunkelheit, über die Schatten, zum Götzen vor uns und immer wieder zur Sicherheit versprechenden Flamme der Öllampe.
Ich höre, dass er redet, aber von seinen Worten bleibt nicht viel bei mir hängen. Immer wieder höre spüre ich den Schmerz, der mich an die Schusswunde erinnert.
Ich hätte tot sein müssen. Das überlebt doch kein normler Mensch.
Ist es ... die Hand? Ist das ihre Wirkung?
Sollte ich Clive davon erzählen?
Ich überlege noch, ob ich Clive von der Wunde erzählen sollte, von meinen Überlegungen dazu, als ich die Wunde in Gedanken abtaste, erspüre, sie in Gedanken sich wieder verschließen lasse. Ich kann fast schon spüren, wie sich die Wunde schließt. Wie diie Haut wieder ihre normale Form annimmt, die Wunde sich schließt und die eingedrungenen Projektile aus meinem Körper heraus gedrückt werden. Ich spüre wie die Ladung sich in den improvisierten Verband drückt.
Ein Impuls den Verband zu entfernen, damit die Kugeln, die Projektile, nicht weiter auf die sich schließende Wunde drücken, überkommt mich, doch ich kann mich beherrschen. Ich konzentriere mich lieber weiter auf die Wundheilung.
Doch etwas ist sonderbar.
Clive schweigt. Er hat aufgehört zu reden, macht eine Pause, die den Raum mit einer anderen Art der Spannung und Anspannung erfüllt. Diese Spannung holt mich in meine Umwelt zurück, fort aus den Gedanken, die sich nur um mich, meinen Zustand, meine Verwundung drehen.
Ich höre Clives Frage. Er stellt sie ruhig, aber betont.
Mir stellen sich die Haare am Nacken leicht auf. Irgendetwas kommt mir komisch vor in Clives Art, doch ich weiß nicht genau zu sagen, was es ist.
"Nagel....Totem?", ich brauche einen Moment zurückzufinden zu den Zusammenhängen.
"Ich... ich habe soetwas noch nie gesehen. Ich habe von Totempfählen gelesen, und einige Abbildungen gesehen. Krude gestalten aus Holz. Tiere. Oder andere Wesen... Geister? Götter? Fantasiegestalten? ... Aus Holz. Oder?"
Clive antwortet mir nicht, er wartet ab. So war meine Ausführung auch weniger eine echte Frage als eher eine Aneinanderreihung von Gedanken - Assoziationen.
Wartet er, bis ich fortfahre? Ist etwas lauerndes in seiner Art?
Ich fahre fort: "Dieses ... Ding... dieses Wesen ist ähnlich.... auf eine krude Art. Und voller ... Metall.... wie Nägel.... nur ... anders.... größer.
Aber ich verstehe nicht... warum? Warum Holz und Metall? Warum DAS?!
Hast du soetwas schon mal gesehen?"
Mir dämmert, dass ich vielleicht noch mehr sagen sollte, dass Clive noch mehr Fragen gestellt hat, aber ich kann mich nicht erinnern. Etwas lässt mich auf der Hut sein.... aber ist das vielleicht gerade das Problem?
Joran:
Clive
Ich lasse Oves Antwort auf mich wirken. "Er ist verunsichert ... Aus welchem Grund? Merkt er, etwas unbedachtes gesagt zu haben und fühlt sich ertappt? ... Oder kreisen wir gerade lauernd wie zwei Kater mit ausgefahrenen Krallen umeinander, jederzeit zum Sprung bereit?"
Ich wende mich zu Ove um und betrachte im Schein der Lampe sein bleiches, verunsichertes Gesicht mit dem Verband, der bereits rote Flecken aufweist. Ich vermag keinen Argwohn darin zu lesen. "Das Bild, das Ove im Moment abgibt, ist so weit von einem angriffslustigen Raubtier entfernt, wie es nur sein könnte. Vermutlich ist seine Verunsicherung nur seiner Verfassung und diesem Ort geschuldet? ... ... Für gewöhnlich trägt Ove seine Gefühle am Revers. Warum nicht auch jetzt? ... Und irgendjemandem MUSS ich vertrauen! Es ist völlig irrational, dass ich bereit bin Ayana zu vertrauen aber jetzt nach Jahren an Oves Loyalität zweifle. ... Ich werde Ove im Auge behalten, aber ich muss mich zunächst auf ihn verlassen. Sonst verschwindet er mit Kristine wie Matilde. ... Allerdings wäre das für die beiden vermutlich sicherer." Erneut werfe ich stirnrunzelnd einen Blick auf den provisorischen Verband.
"Wir sollten uns um Deine Wunde kümmern, Ove! Du hast unglaubliches Glück gehabt. Trotzdem müssen wir das Schrot entfernen, die Wunde reinigen und desinfizieren, damit Du keine Entzündung oder gar eine Blutvergiftung bekommst."
Betrachte ich den mitgenommenen Freund, kommen mir meine Zweifel an ihm lächerlich vor. "Ove wäre nicht imstande, mich so zu hintergehen. Vielleicht wenn ihn jemand mit Kristine unter Druck setzen würde, aber sie ist hier ... nun ... wohl nicht in Sicherheit aber doch immerhin nicht in fremder Gewalt. ... Oder? ... Was mich zu Blackberry und seiner Rolle zurückbringt. ... Nein, ich drehe mich im Kreis und kann diese Fragen im Moment nicht lösen." Ich frage mich, ob dieser Ort hier den Zweifel in mir gesäht haben könnte. Aber das scheint mir doch zu abwegig. "Beruhige dich, Clive! Ja, Oves Absicht, hier einen Brand zu legen ist radikal ... und in diesem Zusammenhang ... für mich mit bitteren Erinnerungen belegt. Und ja, Ove hat eine Kategorisierung vorgenommen, indem er die Besonderheit der Nägel hervorhob, aber man braucht kein Ethnologe zu sein, um bei diesem Anblick auf den Gedanken zu kommen. Ich hätte von einem unbedarften Menschen bei dieser kruden Statue eher das Wort 'Götze' erwartet. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass Ove zufällig diese Begrifflichkeit verwendet. Seine Forschungen über Naturgeister und Fabelwesen der nordischen Sagenwelt haben ihn vermutlich annehmen lassen, einer solchen Statue solle im Volksglauben ein Geist innewohnen ... also ein Totem. ... Und woher sollte Ove wissen, welche Bilder er mit dem Vorschlag, dieses Gehöft in Brand zu stecken, bei mir wachruft."
Ich ordne ungeschickt Stock und Flinte die in meiner Linken immer wieder verrutschen und klemme mit schließlich resignierend den Stock unter die linke Achsel.
Als meine Denkpause unangenehm zu werden droht, antworte ich Ove zögerlich: "Es gibt ... geschnitzte Figuren ..., die dem hier zumindest ein wenig ähneln. In Teilen Afrikas sind sie verbreitet. Sie sind aber sonst viel kleiner ... und dienen eher dem Schutz, wenngleich der Glaube verbreitet ist, dass man mit ihrer Hilfe auch Flüche ausbringen kann." "Der Glaube? ... Ich WEISS nur zu gut, dass man es kann." "... Aber dies hier ist viel größer ... und unförmiger ... und zusammengezimmert, nicht geschnitzt. Immerhin die Nägel erinnern daran. ... Jeder Nagel steht bei einem Nkisi für eine Bitte. ... Wenn man das auf diese Statue überträgt, spräche dies dafür, dass es sie schon eine Weile gibt. ..."
"Vielleicht erlaubt sich da jemand aber auch einen ziemlich üblen Scherz und will mich irgendwie an meine Expeditionen erinnern ... oder an den Sebastians-Mörder?", füge ich in dem unbeholfenen Versuch, Ove zu beruhigen, hinzu, als würde in dem hier irgendjemand einen Scherz sehen können.
Ich versuche die Zahl der Nägel in der Statue abzuschätzen und frage mich, wieviele Bitten wohl bereits gewährt wurden und wieviele noch ihrer Erfüllung harren ... und wem sie gelten. ... Es fällt mir nicht schwer, hierüber Vermutungen anzustellen.
"Ob Matildes Zustand auf ihn zurückzuführen ist?", überlege ich und bin in aufkeimendem Zorn versucht, dem hier sofort ein Ende zu bereiten. "Aber es braucht mehr, als einfach eine Figur zusammenzuzimmern und ein paar Nägel hereinzuschlagen, um einen derart gewichtigen Fluch zu wirken."
"Ich gebe Dir recht, Ove, wir sollten die Statue vermutlich vernichten. Aber wenn wir sie nicht Inspektor McFlaherty zeigen und er irgendwie hiervon erfährt, macht uns das verdächtig. Ich hoffe, der Inspektor wird uns nicht davon abhalten, diese Ungeheuerlichkeit zu zerstören, nachdem er sie gesehen hat. ... Vielleicht könnten wir Pater Breandán einen Wink hiervon geben und hoffen, dass er sich der Sache annimmt ... nachdem wir alles untersucht haben? Einen solchen 'heidnischen Götzen' dürfte er mit Freude anzünden ..."
"... und die Folgen solchen Handelns fielen auf ihn zurück, nicht auf uns", ergänze ich mit verhaltenem Unbehagen still. Ich vertraue Pater Breandán nicht, habe es nie getan. Er hat etwas an sich, was sich mir die Nackenhaare aufstellen lässt. Über die Jahre habe ich es aufgegeben, mit ihm zu diskutieren. Aber ich wünsche schon lange vergeblich, der Bischof würde ihm eine andere Kirche und eine andere Gemeinde anvertrauen.
Der Läuterer:
Die Statue ist mit vielen, vielen Nägeln unterschiedlicher Grösse gespickt. Kleine, viereckige, geschmiedete Nägel, teils alt und verrostet. Unzählige. Gestanzte Zimmermannsnägel. Gross und rund. Und allerhand andere Grössen dazwischen.
An den Wänden der Scheune wurden vereinzelt Tiere in die Planken geritzt bzw. eingebrannt. Hirsche. In unterschiedlichen Positionen und Stellungen. Darunter auch Hirsche in aufrechter Haltung. Ähnlich einem Tänzer in einem Hirsch Kostüm mit wehenden, langen Haaren und einem enormen, gewundenen Geweih. Ähnlich alten Steinzeit Zeichnungen.
Aus einiger Entfernung sieht man bereits, dass die Nägel zum Teil Fellstücke auf der Götzen Statue fixieren und festklammern. Die Fellstücke sind Handflächen-gross und in unterschiedlichen Stadien. Von frisch - erst einige Stunden alt, bis hin zum verrotteten Leder mit ausfallenden Haarbüscheln.
Joran:
Clive
Ich betrachte die Tierzeichnungen und -ritzungen an den Wänden. Auch wenn ich die Kultstätte im Wald vor ihrer Zerstörung nicht gesehen habe, habe ich nun keinen Zweifel mehr, dass ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
"Und auch die Befestigung von Fellstreifen an Minkisi habe ich bereits im Kongo gesehen. Aber die Bedeutung ist mir leider nicht bekannt. Es ist parktisch unmöglich, die Männer, die in die Geheimnisse der Minkisi1 eingeweiht sind, zur Preisgabe ihres Wissens zu bewegen. ... Mir sind auch keine schriftlichen Niederlegungen ihres Glaubens aus erster Hand bekannt. ... Trotz all der Jahre ist mein Wissen über die Minkisi noch so schrecklich begrenzt", denke ich verzweifelt.
Ich nehme die alten Fellreste in Augenschein. "Auf jeden Fall ist dieser hier älter, als ich angenommen hatte!"
"BAKISI! Seit wann verweilst Du an diesem Ort?", murmele ich gedankenverloren. "Wer brachte Dich hierher? Bist Du ein Nkondi? Willst Du das hier oder bist Du ebenso ein Opfer wie die armen Tiere um Dich herum?"
Dann werde ich mir wieder bewusst, dass Ove hinter mir steht. Ich beschließe, dass es am besten ist, ihn in einen Teil meiner Überlegungen einzuweihen:
"Im Kongo sind die Minkisi ein fester Bestandteil der Religion. Es gibt sie dort schon seit Jahrhunderten. Spätestens seit den ersten christlichen Missionierungen gibt es Minkisi mit Nägeln. Teilweise wird vermutet, dass dies eine Verbindung von christlichen und heidnischen Einflüssen ist. Der tratditionelle Nkisi soll sich mit der Geschichte des Heiligen Sebastianus verbunden haben ... Das wäre also dann ein wenig wie die keltischen Ringkreuze mit ihren vorchristlichen Mustern und Motiven. ... Ich habe jedoch Zweifel an dieser Theorie. Zu leicht ist die christliche Welt geneigt, Bezüge in ihrem eigenen Erkenntnishorizont zu suchen, die es oft in Wahrheit nicht gibt."
"Minkisi beherbergen Geister, die Bakisi. Manchmal dient ein Nkisi als transportables Grab für die Seele eines bestimmten Verstorbenen. Zu diesem Zweck wird etwas Erde oder ... etwas anderes aus dem Grab in den Nkisi gefüllt. Mit Hilfe der Geister in den Minkisi kann man Heilen oder auch Krankheiten verursachen. Man kann die Bakisi veranlassen, ein Vorhaben oder einen Menschen zu segnen ... oder zu verfluchen. Aggressive Geister unter ihnen nennt man auch Nkondi. Sie werden eingesetzt, um Straftaten aufzuklären und die Täter zu bestrafen. ..."
"Allgemein dienen die Nkisi den Menschen und damit eher guten Zwecken. ... Nur kann man sie auch missbrauchen."
Mir wird klar, dass ich gerade von den Bakisi und Zauberkräften als Fakten spreche und ich relativiere meine Ausführungen sicherheitshalber gegenüber Ove, auch wenn es sich nicht gut anfühlt:
"Ich mache das, um DICH zu schützen!", rechtfertige ich mich vorsorglich stumm, als könnte ER in seinem Tabernakel meine Gedanken lesen. Und ich bin mir dabei keineswegs sicher, ob ER es nicht kann ... oder jedenfalls früher einmal konnte.
"Das ist natürlich heidnischer Aberglaube, Ove. Aber wer immer diese Figur hier errichtet hat, wollte offenbar einen Nkisi erschaffen oder zumindest den Anschein erwecken. Und er wollte etwas mit diesen Ritualen bezwecken ... ... ... Mir ist nur noch nicht klar, ob der Nkisi mit den Misshandlungen der Tiere gequält werden sollte ... oder ob es sich um eine mir nicht bekannte finstere Variante der Minkisi handeln soll, die boshafte Bakisi beherbergt."
Schweren Herzens wende ich mich während meiner Ausführungen von den Zeichnungen ab und beobachte stattdessen Oves Reaktionen auf meine Ausführungen. Ich lauere auf Anzeichen, die mir Aufschluss darüber geben können, ob meine Ausführungen für ihn neu oder doch garnicht so fremd sind. Aber Oves geschundenes Gesicht im dämmrigen Licht der Laterne bleibt stumm.
"Zudem sind da diese Hirsche", fahre ich mit meinen Ausführungen fort. "Gibt es Hirsche in Afrika? Wenn ja, wie sehen sie aus? Welche Form haben ihre Geweihe?", frage ich mich. Ich lasse meine Gedanken schweifen: "Menschen mit Hirschgeweihen ... frühzeitlicher Schamanismus? ... Gehörnte Menschen? ... DER GEHÖRNTE? Der keltische Gott Cernunnos? ... Ein Gott der Natur, der Tiere und der FRUCHTBARKEIT ... das göttliche Versprechen an den Menschen auf Leben." Ich erschauere bei der Erkenntnis, wohin mich dieses Gedankenspiel führt und sehe ihn vor meinem inneren Auge: den Sarg, der Leben verspricht.
"Nein, ein Feuer zu legen, ist im Augenblick KEINE Option!", wird mir klar. "So einfach liegen die Dinge leider nicht."
"Wenn wir diese ... Statue vernichten ... und rein hypothetisch unterstellen, es gäbe Bakisi ... dann würde wir den Geist töten und eine heilige Stätte schänden. Auch bei heidnischen Religionen sollte man soetwas nicht leichtfertig tun."
Ich hasse die Arroganz der sogenannten zivilisierten Welt, die aus meinen sorgsam gewählten Worten spricht. Aber ich kann es mir auf keinen Fall leisten, jetzt auch noch das Ansehen eines heidnischen Götzendieners zu bekommen. "... Nicht nachdem ich Ayana aufgenommen habe ... in der gleichen Nacht, in der Matilde an einen unbekannten Ort verschwunden ist ... in der gleichen Nacht, in der Blitz und Donner und Sturm vom Himmel gesandt wurden. Nicht nachdem fremdländische Pilger sich wie ein Schwarm Heuschrecken aus dem Nirgendwo auf Seillean-Mòr Blàr gestürzt haben ... Nicht nachdem ich vor aller Augen herzkrank auf der Dorfstraße zusammengebrochen bin ... um dann wie von Geisterhand binnen Stunden zu gesunden." Ich schlucke, als mir das Ausmaß der Situation bewusst wird. "Bisher war ich ein Sonderling, der Expeditionen zu den weißen Flecken auf der Landkarte unternommen hat. Wenn ich jetzt nicht aufpasse, halten die Leute mich wohlmöglich bald für den Antichrist! Und nur zu gerne wird so mancher vergessen, dass er in Wahrheit in meiner Schuld steht."
"Ove, ich bin ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob wir das hier vernichten oder an einem anderen Ort verstecken oder Inspektor McFlaherty zeigen sollten. ... Egal wie wir uns entscheiden, es könnte zu unserem Schaden sein. ..."
"Ich muss versuchen, das hier zu VERSTEHEN, um eine Entscheidung treffen zu können. ..."
Ich wende mich wieder dem Nkisi zu.
"Wie könnten wir Dich nur hier wegschaffen, ohne dass jemand etwas merkt oder Verdacht schöpft?", frage ich gedankenverloren in Richtung Nkisi. "Wenn McFlaherty wegen der Witwe hierher kommt, dann kann er nicht übersehen, dass an dieser Stelle irgendein großes Objekt gestanden hat. Das würde Fragen aufwerfen. Und wohin sollten wir Dich bringen? ... ... Vielleicht könnte ich McFlaherty ... BENUTZEN? ... Das auffälligste Verhalten ist oft zugleich das unscheinbarste. ... McFlaherty wird Dich als Beweismittel verwahren wollen ... Photos machen und dergleichen ... Aber er wird Dich kaum bis nach Mullingar verfrachten wollen, damit man es am nächsten Tag in allen Zeitungen sieht. ... Ich könnte ihm anbieten, das Beweisstück auf dem Grundstück des Manor zu verwahren ... nicht im Manor selbst ... in einem der Wirtschaftsgebäude ..."
Ich gehe zu der Tür im Boden und stampfe mit dem Stiefelabsatz darauf. Unter der Tür scheint ein Hohlraum zu sein. "Was ist da drunter?", frage ich Ove. Es ist mehr eine Aufforderung als eine Frage, weil mir klar ist, dass er noch nicht nachgesehen hat. "Eine Grube im lehmigen Boden!" Mein Körper scheint schon einen Schritt weiter zu sein, als mein Verstand, denn er reagiert bereits auf ein Grauen, welches mein Verstand erst langsam zu ertasten beginnt. "Piloerektion", klammert sich mein Geist in aufkeimender Furcht an die Rationalität der Profession. "Ist das ein Grab? ... ... Was oder wen werde ich dort finden? ... Nur den Tod ... oder auch das Versprechen auf Leben?" Und plötzlich beschleicht mich ein böser Verdacht, der mein Herz wieder schmerzhaft in meiner Brust klopfen lässt. "Cainnech? ... Oder Matilde?", flüstere ich bestürzt, während das Blut aus meinem Gesicht weicht. Es ist mehr ein atemloser Hauch als gesprochene Worte. Aber ich MUSS jetzt Gewissheit haben.
"Halte Du die Lampe", sage ich ohne Ove anzusehen und reiche ihm das schwache Licht herüber. Als ich fühle, wie er die Laterne aus meiner Hand nimmt, lege ich Stock und Flinte neben mir ab und greife nach dem Knauf der Tür. "BITTE ... erlaube das nicht ... nur DAS NICHT!"
1 Minkisi ist ein Plural des Wortes Nkisi
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