Das Tanelorn spielt > Albtraum in Norwegen

Irgendwo in IRLAND

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Der Läuterer:
Dann intonieren die Drei eine Litanei fremder Worte, deren bekannter Rhythmus in Deinen Ohren hallt.

"Hab' Dein' Kopf in mein'r Kist' versteckt,"
...
"werd' Kleidung Dein'r Haut nun überzieh'n;"
...
"die Made, ewig in mein'm Geist begraben,"
...
"und Morast Dich untot wied'r ausgespieen."
...

Joran:
Clive

Alles scheint sich in meinem Kopf zu drehen.

Alles scheint verkehrt herum, als hätte jemand die ganze Welt wie eine alte Socke auf links gedreht. Die Sterne stehen nicht länger am Firmament, sondern hängen an meiner Zimmerdecke. Was draußen sein sollte, ist drinnen. Nicht das Kleine ist im Unendlichen, sondern die grenzenlose Unendlichkeit in einem kleinen Raum von vier mal vier Metern Größe. Es ist nicht mehr die Welt, die sich vor meinen Augen dreht, sondern mein Verstand windet sich in meinem Schädel. ... Und davor kann ich nicht die Augen verschließen! Kein Augenlied kann mich davor bewahren.

Ich denke über die Frage der Schwester nach, die noch immer im Raum zu hängen scheint.

"Das geht nicht!", sage ich mit kraftloser Stimme in Richtung der Krankenschwester. "Im Zimmer nebenan wohnt Mr. Anderson ... Paul Anderson."

Dann frage ich Matilde verwirrt: "Ist denn der Flur schon wieder hergestellt?" Nach einer kurzen Pause recke ich meinen Kopf unbeholfen Matilde entgegen und setze ich flüsternd nach: "Hat jemand das Blut weggewischt?"

Kraftlos sinke ich ins Kissen zurück.

"Er ist nicht tot. ... Paul ist nicht tot! Ich habe ihn gesehen. So sicher wie ich D... ... nein ... das war noch davor, in Seillean-Mòr Blàr. Es ist gewiss! Er lebt. Ich WEISS es!"

Es ist tröstlich, mir in all diesem Durcheinander einer Sache gewiss zu sein.

"Wissen ist eine Krankheit!", spreche ich meinen nächsten Gedanken laut aus. "Kannst Du Dich erinnern, was ich Dich gelehrt habe, Matilde? Es ist ein VIRUS! ... Nur das Vergessen bedeutet Heilung." Ich blicke Matilde tief in ihre eisblauen Augen. "Aber es gibt Dinge, die kann man nicht vergessen. Die verfolgen einen immer, vermutlich sogar über den Tod hinaus."

"SCHWESTER! Ist es nicht so? ÜBER DEN TOD HINAUS, nicht wahr? Sie wissen das!" Ich lache leise und kraftlos in mich hinein, ohne recht zu wissen, was daran lustig sein sollte. Ich frage mich, wem ich noch begegnen werde: Ruairí? Leopold? Cainnech? Meinen Eltern? Die Liste der Verluste ist so lang ...

"Ich habe nie so recht verstanden, warum das Leben ein Geschenk sein soll ... warum das Versprechen des Lebens eine Gnade ist. ... Ich meine, ich wollte es verstehen! Wirklich! Aber ich konnte nicht."

Mein Blick streicht über den Nachttisch neben meinem Bett. Genau in seiner Mitte steht aufrecht eine einzelne Patrone. Sie glänzt nicht mehr wie früher, sondern ist von einer grau-grünen Patina überzogen. "Niemand kann so tief tauchen", wundere ich mich und meine Gedanken hallen wispernd von den nackten Wänden zurück. Erschrocken blicke ich erneut zu Matilde und greife nach ihrem Arm. "Hat der Kanal ALLES zurückgegeben? ... alles was ich hinein geworfen habe?", frage ich entsetzt. Ich erinnere mich an den Geruch von Säure, Nebel und Salzwasser. Ich merke, wie fest ich Matildes Unterarm umklammere und lockere meinen Griff.

"Bist Du Alexander?", frage ich den jungen Mann neben Matilde. "Es ist gut, dass Du ihn wiedergefunden hast! Er gehört zu Dir ..."

"Das Versprechen des Lebens ...", denke ich erneut. "Ich war wohl lange fort, was? Du bist groß geworden."

"Aber Dir konnte die Zeit nichts anhaben, Matilde!" Eigentlich wundert mich das nicht. Ich konnte mir Matilde nie alt vorstellen. Vermutlich sind es ihre Augen. Sie strahlen Unvergänglichkeit aus. Ich erspähe den Anhänger, den ich Matilde geschenkt habe ... zu ihrem ersten Geburtstag auf Ceallaigh Manor. Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen: Meine Euphorie, meine Hoffnungen, meine Pläne.

Und doch bin ich wieder hier, in meinem weißen Zimmer.

"Warum bin ich hier?", frage ich Matilde. "Ich war zusammen mit Ove."

Wie aufs Stichwort erscheinen Ove und Kristine im Zimmer. Sie müssen schon gewartet haben, ohne dass ich sie bemerkt habe.

"Ihr seid auch hier!", stelle ich beruhigt fest. "Und Du siehst gut aus, Ove!"

Puklat:
Ove

Ich fühle mich alles andere als "gut"... wie kann ich mich auch gut fühlen?! Der Raum ist klein. Und er wird immer voller.
Der Rauch aus der Pfeife nimmt den Raum ein, doch kann ich nur den schwefeligen Rauch riechen, der mich an die brennende Suite der Mrs. Marquard erinnert.

Ich wende mich zu Kristine, um mich zu vergewissern, dass sie auch da ist. Dass sie WIRKLICH hier ist. Dass sie echt ist.
Ich greife ihre Hand, drücke ihr Hand leicht - aber vielleicht doch ein wenig zu fest. Ich bin dankbar, dass Sie auf den Pfeiferaucher reagiert. So weiß ich, dass ich ihn mir nicht einbilde.

Ich lächele den alten, verwirrt wirkenden Mann an. Ich möchte ihn nicht weiter beunruhigen.

Ich  brauche einige Zeit um zu erkennen, dass es Clive ist.

"Clive... Bist du es?", frage ich ihn mit zweifelnder aber nicht ängstlicher Stimme.

Warum bin ich in einem Krankenzimmer? Besuchen wir Clive? Aber was machen die Gestalten hier? Was soll der Singsang? WO sind wir hier überhaupt?

An Kristine gewandt sage ich: "Schatz, es ist nett, dass du mich begleitest... aber ich möchte nicht mit den alten Herren Bridge spielen. Du weißt doch, dass dich das Spiel nicht beherrsche. Und sie wirken nicht so, als würden sie einen Neuling akzeptieren."
Ich wundere mich selbst über diese Erkenntnis. Doch ich bin mir sicher, dass sie Neulinge nicht in ihrer Runde haben wollen. Dass sie Änderungen sowieso nicht dulden.

Als sich der Raum immer weiter füllt, realisiere ich erst wie absurd, wie unwirklich das alles ist.
Lag ich nicht soeben noch in einem Krankenbett? Warum stehe ich nun?!

"Clive, Matilde, Kristine... wir sollten gehen. Ich fürchte... es ist Zeit."

Ich hoffe, dass Clive sich erhebt. Und ich bete innerlich, dass Kristine und Matilde real sind und uns unterstützen werden. Doch fürchte ich, dass außer mir hier niemand real ist.

Ich bin bereit Clive und Kristine hier herauszuführen. Matilde, DIESE Matilde wirkt als könne sie sich sehr gut selbst um alles kümmern. Doch ich würde natürlich auch sie hier heraus begleiten. Doch steht der Pfeiferaucher noch immer in der Tür.

Der Läuterer:
Im Hintergrund des Zimmers steht eine Art Roll-Bahre senkrecht an der Wand.

Sie ist zur horizontalen, wie vertikalen Bewegung vor Gewalt-bereiten und Therapie-resistenten Patienten vorgesehen. Auch Anschnallgurte befinden sich an der Bahre; zur Fixierung von Armen, Beinen, Kopf und Körper.
Das Polster-Leder der Bahre ist schmutzig, Blut-verkrustet und rissig. Die Metallrohre sind, an den Stellen, an welchen die Farbe abgeplatzt ist, verrostet. Insgesamt macht das Konstrukt keinen wirklich vertrauenswürdigen Eindruck.

Der Läuterer:
Kristine lächelt Dich an. Es ist ein warmherziges Lächeln.
"Nun gut. Dann gehst Du eben mit den anderen fort und ICH bleibe hier. So wie es hiess, sei das Nachbar Zimmer bezugsfertig."

Sanft erwidert sie den Druck Deiner Hand.
"Irgendjemand sollte schlafen."

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