Autor Thema: Wahrheit und Risiko (Arbeitstitel)  (Gelesen 1194 mal)

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Offline Edorian

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Wahrheit und Risiko (Arbeitstitel)
« am: 24.01.2006 | 18:29 »
Hallo miteinander. Naja, ich habe vor einiger Zeit angefangen, eine SR-Geschichte zu schreiben. Wäre nett, wenn jemand Probe lesen könnte. Ich bin für jede Kritik offen.  :)
Der Text ist nicht geordnet, aber naja: lest einfach selbst.


Wahrheit und Risiko

19. November 2064, 21:49 Uhr

Irgendwo in den Slums von Seattle. Das wenige Licht, das die Schatten erhellte, zeigte die Redmond Barrens in ungewohnter Stille. Die heruntergekommenen Hochhäuser und Ruinen lagen still und meist dunkel da, ungestört vom sonst allgegenwärtigen Schreien und Schießen, dem Wimmern der Verwundeten oder den letzten Atemzügen derer, die nicht vorsichtig genug waren oder einfach Pech hatten. Doch die Ruhe dauerte nur knapp zwei Minuten, bevor eine gewaltige Detonation einen Häuserblock zum Erzittern brachte und ein unheilvolles Stöhnen und Knarren erzeugte. Die Bewohner der Eisenhowerstreet kannten die Gefahren gut genug, um sich nicht draußen sehen zu lassen oder gar die drei Gestalten anzusprechen, die auf einen alten Ford America zuhielten. Man beschränkte sich darauf, sein Heim zu schützen und immer wieder auf die Panic Buttons zu hämmern, in der Hoffnung, dass die Lone Stars sich doch noch vor Ende der Woche blicken lassen.

Sie sah die drei Männer die Straße herunterrennen, sah, dass sie verletzt waren und ihre Panzerung einiges abbekommen hatte. Sah all das Blut, fremdes wie eigenes, ein bizarres Muster auf den Asphalt malen. Sie hatte mitbekommen, dass die drei in das Wohnhaus eingedrungen waren. Sie hatte auch die Schüsse und die kurzen abgehackten Schreie der Opfer, die Granatexplosionen und drei laute Detonationen gehört. Was genau die drei Männer im Haus anrichteten, wusste sie nicht und es war ihr auch lieber so. Unauffällig zog sie sich weiter in die Schatten der Seitengasse zurück, nachdem sie über die Feuerleiter nach unten geklettert war. „Zeit, nach Hause zu fahren.“ Träge bahnte sich dieser Gedanke einen Weg durch ihren Kopf. Die Nachrichten würden ein weiteres Bild des Schreckens liefern, das war sicher. Und sie hätte es verhindern können… ein Wort hätte vielleicht schon genügt. Sie kannte Crow schon lange genug und wusste, was in ihm vorging. Sie hätte es ahnen können, müssen!

„Hey, wollt ihr denn gar nicht das Finale sehen?“ Unter der Skimaske klang Scotty`s Stimme dumpf hervor. „Kein Bedarf, mir reicht`s für heute! Wir verschwinden.“ Crow klang müde und abgespannt, was aber dank der Gasmaske kaum wirklich auffiel. Neben ihnen humpelte Slaiter, so schnell er konnte: „Werden es schon noch in den Nachrichten sehen.“ Er stöhnte laut auf. „Drek! Ich muss zu einem Arzt, schnell!“ Knapp hinter ihnen regnete es Gesteinsbrocken, zumindest hoffte Crow wider besseren Wissens, dass es nur Gestein war. Kaum dass sie im Wagen saßen, riss er sich die Gasmaske vom Kopf und holte tief Luft. Ein stechender Schmerz gab ihm zu verstehen, dass mindestens drei Rippen gebrochen oder wenigstens angeknackt waren. „Wow, das war ein Feuerwerk! Sprengstoff muss man haben!“ Scotty grinste breit, während er es sich auf dem Rücksitz bequem machte. „Ja, wir haben es denen echt gezeigt. Die Kinder hatten nicht den Hauch einer Chance gegen unsere Sturmgewehre und Granaten. Oh, ich vergaß die Richtladungen und den großen Klumpen SemTex! Dagegen hatten die auch nichts zu melden… Du perverser Bastard! Wenn mir nicht so kotzübel wäre… Scheiße, die Bilder werd ich nie wieder los!“ Crow`s Gedanken überschlugen sich, während die letzte Viertelstunde vor seinem geistigen Auge vorbeizogen. Das Baby hatte schon ein Bein verloren, als er das Zimmer betrat und es sah nicht danach aus, als ob die Teufelsratte aufhören würde oder irgendwer sich darum scheren würde. Selbst wenn es die Vergiftungen, den Blutverlust und die Krankheiten überlebt hätte, wäre sein Leben ein einziger Horrortrip gewesen. Am Bodensatz des Bodensatzes der Gesellschaft, ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Er hatte es erlöst, hatte dem kleinen Leben mit einem Schuss ein Ende gesetzt. Kein Leiden, keine Verwahrlosung und auch keine Schmerzen mehr. „Wenn es einen Himmel gibt“, dachte er, „dann ist das Baby jetzt dort. Himmel, ich konnte es doch nicht so liegen lassen! Verdammt!“ Langsam machte sich der Schlafentzug bemerkbar und die Erinnerungen trieben ihm schon wieder die Tränen in die Augen. Das Gerede seiner Begleiter verebbte zu einem undefinierbaren Gemurmel. „Mann! Pass auf, wo du hinfährst! Was soll das werden, noch nicht genug Tod gesehen heute?“ Während Crow das Auto wieder unter Kontrolle brachte, durchbohrte er Scotty mit seinen Blicken. Leider können Cyberaugen weit weniger Emotionen transportieren als echte und Scotty war scheinbar so oder so ein emotionales Katastrophengebiet. Slaiter beschränkte sich auf gelegentliches Jammern, die Forderung nach einem Arzt und dem Versuch, sich während der Fahrt nicht mit dem MedKit umzubringen. Crow gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben, die Geschwindigkeitsbegrenzung zu beachten und die Mikrokamera zu deaktivieren, die er an der Maske befestigt hatte. Letzteres möglichst unauffällig, Scherereien konnten ganz übel nach hinten losgehen, speziell wenn man es mit Shadowrunnern zu tun hatte. Aber er hatte Charline diesen Livemitschnitt nun mal versprochen und sie als Reporterin konnte daraus bestimmt was Vernünftiges machen. „Und sei es nur, dass sie sich geliebt und geachtet fühlt. Kontaktpflege kann schon nervig sein, aber ohne geht nichts. So ist das Leben… ob sie wohl einen guten Psychiater kennt?“ Mittlerweile waren sie aus dem schlimmsten Gebiet heraus und er konnte  es riskieren, den Autopiloten zu aktivieren. Scotty ließ sich, immer noch feixend, an einem Parkhaus absetzen und Slaiter wollte ein öffentliches Krankenhaus. Entweder war der Typ echt irre (worauf auch die fehlende Maskierung deutete) oder verzweifelt. Denn niemand, der einigermaßen bei Trost ist, vertraut sich dem staatlichen Gesundheitswesen an. Aber gut, das war seine Entscheidung. Crow hatte noch sehr viel zu tun, bevor er endlich zu Doktor Merryweather und danach hoffentlich ins Bett konnte: der Wagen musste mit einer neutralen Route versehen werden (wer will schon, dass jeder sieht, wo man gewesen ist?), die Aufzeichnungen bedurften einer ordnenden Hand und die blutige Kleidung beziehungsweise zerstörte Panzerung musste entsorgt werden. So viel zu tun, so viel Tod und zu allem Überfluss war wohl alles umsonst gewesen.

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Re: Wahrheit und Risiko (Arbeitstitel)
« Antwort #1 am: 24.01.2006 | 18:32 »
20.11.2064:
Um ca. 7:43 Uhr betrat Brian McKenzy, Leitender der Knight Errant- Abteilung Seattle, sein Büro. Er genoss kurz die Aussicht auf die Skyline von Central Seattle und begann dann, sein Tageswerk zu verrichten. „Sir, für sie wurde eine Nachricht abgegeben. Nein, es ist ungefährlich, soweit wir das sagen können. Aber es ist speziell an sie adressiert, was ungewöhnlich ist. Soll ich es Ihnen gleich reinreichen?“ Ms. Pennyworth war als Sekretärin eine Veteranin und so wusste sie, wann sie ihrem Chef womit kommen konnte, ohne eine Abfuhr zu erhalten. „Ja, bringen Sie es mir ruhig jetzt rein. Kann ja nicht lange dauern. Ich tippe auf einen Drohbrief oder etwas in der Art. Oh, und seien Sie so gut und bringen mir einen Kaffee, danke.“ Kurz darauf hielt er einen großen Becher Kaffee und einen Datenchip in der Hand. Brian fragte sich, was es wohl dieses Mal war und legte den Chip den Slot seines Schreibtischdecks. Der Chip enthielt eine kleine Textdatei und eine große Videodatei. Der Absender wies auf die Brisanz der Videodatei hin und auf die Tatsache, dass diese nicht veröffentlicht werden müsste, wenn… er, Brian McKenzy, Passwörter für die Personalarchive von LoneStar herausgab. „Was denn? Kein Geld? Kein „Stirb dran, widerliches Faschistenschwein!“? Aber gut, mal sehen, weshalb dieser Spinner meint, dass er die Passwörter verdient.“ Mit diesem Gedanken öffnete McKenzy im abgesicherten Modus die Videodatei.

Die Kamera schien am Kopf des Filmenden angebracht zu sein, jedenfalls schwankte sie ständig. Ton gab es nicht. Das Bild zeigte ein Häuserdach in einer schlechten Gegend, darauf wiesen die Schäden, die Graffiti und die Umgebung hin. Es war nachts, soweit man das bei der generellen Wetterlage sagen konnte. Im unteren Bildrand erschien ein Sturmgewehr mit Unterlaufgranatwerfer, die Hände steckten in Handschuhen, die Arme in den Ärmeln einer Jack oder eines Mantels. Links erschien Major Scott Turner. Auch er trug ein Sturmgewehr, mehrere Granaten und sogar ein oder zwei Minen. Rechts erschien ein unmaskierter Mensch mit einer Schrotflinte, zwei großen Pistolen und einer Plattenweste. Die Dachtür öffnete sich nach einigen Augenblicken des Maskierten und ein dunkles Treppenhaus wurde sichtbar. Der Punk ging zuerst die Treppe hinab und die Kamera folgte ihm… Darauf kamen Szenen, die man sonst nur bei Vergeltungsaktionen erwarten konnte: Jugendliche wurden brutal hingerichtet oder Opfer der Minen, die Scott ständig als eine Art Sicherung im Treppenhaus umverteilte. Zweimal wurde das Bild heftig durchgeschüttelt, als eine Granate in unmittelbarer Nähe der Kamera explodierte. Nach kaum zehn Minuten war das Gemetzel vorbei, wobei es sich Scott nicht nehmen ließ, zum Schluss eine große Masse Sprengstoff im Keller zu verteilen und dann fern zu zünden. Auf der Straße lagen ebenfalls Jugendliche, alle schwer verletzt oder tot. Scott sagte etwas in die Kamera und das Bild geriet in Bewegung, bevor es mit einem letzten kräftigen Wackeln schwarz wurde. Dann erschien ein kurzer Text: Dies war ein Knight Errant Einsatz unter Leitung von Major Turner. Die Opfer waren angeblich Mitglieder der „Weißen Lilie“. Die Verantwortung für dieses Massaker liegt bei Mr. McKenzy.

McKenzy wurde blass. Wenn er diesen Irren fand, konnte er was erleben. Und er ließ in Gedanken offen, ob er Turner oder den Absender meinte. Während seine Emotionen mit ihm Achterbahn fuhren, gelangte er zu der Erkenntnis, dass sein Hintern keinen NuYen mehr wert war, egal ob der Absender nun seine Daten bekannt gab oder nicht. Brian verlor auf jeden Fall, sei es, weil er selbst als Verräter abgestempelt wurde, sei es, dass er für Scott`s Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen wurde. So gesehen machte zwar kaum noch Sinn, die Passwörter  zu ermitteln. Aber immerhin kaum, anstatt gar keinen. Vielleicht ließ sich alles unter den Teppich kehren, vielleicht konnte er alles auf Scott abwälzen. Jeder würde ihm glauben, wenn er sagte, dass Scott eigenmächtig gehandelt hatte.

Crow hatte gute vier Stunden auf dem OP-Tisch von Merryweather verbracht. Zumindest sagte ihm das sein verschleierter Blick auf die Uhr. Er erinnerte sich lediglich an die Alpträume: zersprengte Körper, die ihn um Gnade anflehten, weinende Säuglinge und gesichtsloses Lachen. Dank der Schlafmittel hatte er fast sechs Stunden geschlafen. Allerdings nahm sich das erschreckend wenig aus, wenn man bedachte, dass er seit seiner Ankunft in Seattle achtundvierzig Stunden wach gewesen war. Dazu noch der Tod seines Bruders und der Anruf zuhause. Tief in seinem Inneren wusste er, dass es keinen Zweck hatte, um die Toten zu weinen. Er konnte nicht mehr anders. Zuviel war in der letzten Zeit passiert, sein Geist war schlicht überfordert. Unter „normalen“ Umständen  gab es mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen. Er hatte völlig überreagiert und ein Gemetzel in einem Wohnhaus angerichtet, einen Anschlag auf ein zweites befohlen und ein drittes bzw. viertes dem Untergang preisgegeben. Von den Ereignissen in Boston gar nicht zu reden…

12. November 2064, Boston UCAS:
Eine frische Brise kam vom Ozean heran und in Kombination mit diversen Filteranlagen roch die Luft angenehm nach Meer und Weite anstatt nach einem schlimmen Chemieunfall oder einer ausgewachsenen Atemwegserkrankung. Das Einkaufszentrum war erst vor kurzem von einem kleineren französischem Konzern namens „Merchant Royale“ eröffnet worden und bot sowohl für die High Society als auch für die Konzernangestellten eine adäquate Auswahl an Luxus, Vergnügen und Unterhaltung. Die Stadtverwaltung versprach sich, ebenso wie die Konzernleitung, einen Anstieg von Arbeitsplätzen, Geld und Popularität. Von außen betrachtet sah der Bau aus wie ein Segelschiff des 18. Jahrhunderts aus: groß, bullig und raumgreifend. Die Masten waren eine Erweiterung der Klimaanlage, Sender und Werbefläche in einem. Die Segel bestanden aus strapazierfähigem photosensitiven Stoff, der wahlweise echtes Segeltuch imitierte oder riesige Bildfläche war. Das Personal und das Dekor folgten dem Leitmotiv des Gebäudekomplexes. Selbst die Geschäfte, die nicht direkt dem Konzern unterstanden, machten Kompromisse. Tim Noonan hatte sich schon vor mehreren Monaten bei „Merchant Royale“ als Sicherheitsbeamter anstellen lassen. Erstens hatte er von seinen neuen Freunden einen Tipp erhalten, dass sein Erzfeind hier auftauchen würde und zweitens brauchte er Geld, drittens hatte er in diesem Job bereits langjährige Erfahrung gesammelt, bevor er wegen einiger militanter Spinner seinen Posten verlor. Und genau für diesen Verlust würde er Rache nehmen. Es war egal, dass es ihn anödete, es war egal, dass er vielleicht umsonst hier war. Nichts würde ihn, Tim Noonan, davon abhalten sich an den Mitgliedern des White Bull zu rächen! Mr. Howahkan war vor gut einem halben Jahr an ihn herangetreten, gab ihm etwas Geld und ein paar Namen, unter anderem John Callahan. Im Gegenzug verlangte Mr. Mysteriöse Stimme (Tim musste grinsen, als er die Bedeutung herausfand) seine loyale Mitarbeit und die Videodateien von damals.
Die Massen quollen wie aufgehender Hefeteig in den Konsumtempel, füllten mit Leichtigkeit jede Nische aus und hielten die Sicherheit ganz schön in Atem. Die Parkdecks wurden nur noch der Form halber überwacht und auch die Personenkontrolle ließ zu wünschen übrig. Aber Tim kannte das bereits: die ersten Wochen dienten als eine Art risikoreicher Betatest für die monatelange Planung. Nach und nach würden die einzelnen Zahnräder sich aufeinander einstimmen und die Execs würden murrend die größten Lücken stopfen, die vorher übersehen worden waren. Ihm konnte das alles aber herzlich schnuppe sein. Dank eines speziellen Programms in den Sicherheitsdatenbanken filterten die Kameras vier Gesichter aus dem Moloch der Konsumenten, sobald sie auftauchen würden. Diese vier Visagen gehörten zu den letzten vier bekannten White Bulls. Das Programm testete bei jedem aufgenommenem Gesicht die Übereinstimmung und zeichnete ab 90 Prozent auf, gleichzeitig würde eine sekundäre Routine die Daten auf Tim`s PDA übertragen. Bis jetzt hatte sich allerdings nichts ergeben, was über verwirrte Eltern und herumlungernde Jugendliche hinausging. Wenn die Indianer nicht gelogen hatten oder zu dumm waren, dann war zumindest Callahan in Boston. Und es gab Gerüchte, zuverlässigere Gerüchte, dass Terroranschläge auf das Zentrum geplant waren. Nun mussten Sicherheit, Programme und gute, antike menschliche Aufmerksamkeit dieses verhindern oder zumindest die Täter dingfest machen. Während Tim noch seinen Blick schweifen ließ, kribbelte etwas in seinem Nacken. Etwas stimmte nicht und der Auslöser war ganz in seiner Nähe! Routiniert lockerte er seine Waffe, gab via Smartinterface ein Signal an die Zentrale, das die Jungs auf mittleren Trab brachte, und blickte sich intensiv um. Da vorne, bei dem Nachrichten-/ Werbetrideo schlenderte eine kleine Gruppe von Männern Richtung Ausgang und einer von ihnen war unverkennbar ein Elf im neoklassischem Cowboyoutfit. Tim wies per Funk die Überwachung an, den Elfen zu identifizieren. Solange das Ergebnis auf sich warten ließ, ging er, ganz der dienstbeflissene Wachmann, in Richtung Cowboyelf. Wie durch Sirup drang das Signal zu ihm durch, dass er insgeheim nie erwartet hatte und er erkannte den Elfen und riss seinen Manhunter hoch: „Sofort stehen bleiben und auf den Boden, Callahan!!!“ Der Elf zuckte zusammen… und ging ansatzlos zu einem verzweifelten Sprint über, während seine Begleiter sich verwirrt umsahen und dann ebenfalls Pistolen zogen. Tim eröffnete das Feuer auf Callahan, versuchte, ihm den Weg zum Ausgang abzuschneiden. Aber Callahan stürmte zu den Notausgängen und warf bei einem abenteuerlichen Sprung über eine Absperrung einen hasserfüllten Blick zurück.
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Offline Edorian

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Re: Wahrheit und Risiko (Arbeitstitel)
« Antwort #2 am: 24.01.2006 | 18:34 »
„Raus hier! Wieso sind wir aufgeflogen!? Wer war das?“ John hatte sich gar nicht erst mit langen Überlegungen aufgehalten als der Ruf erklang. Für seine Nerven war es das Startsignal und seine Reflexe zündeten sofort. Weg vom Ort des Geschehens, in Sicherheit und die Operation analysieren, Lecks suchen und die Spuren verwischen. Und das nächste Mal ablehnen, egal, was dann kommen sollte. Es reichte. Aber dafür musste er hier lebend rauskommen! Seine Kollegen waren stehen geblieben und schossen um sich. Kurz darauf knurrte ein Gatlinggeschütz, dann kamen weitere Waffen hinzu. Die Drohnen säuberten rigoros die Landschaft. Seine Leute waren tot in dem Augenblick, als sie schossen. Und er hatte sich noch die Mühe gemacht, ihnen genau das auszutreiben! Keine Shootouts auf Konzerngelände, wenn man flüchten kann. Gehetzt rollte er sich auf die Tür zum Treppenhaus zu, schrie einige Passanten an, ihm zu folgen und sprang beinahe die Treppen hinab Richtung Parkdeck. Menschen neigen dazu, in extremen Situationen ohne Zögern auf laute Befehle zu hören und nur dieser Umstand rettete John das Leben. Andernfalls hätten die Salven einer Drohne ihn statt der Gruppe von Touristen zu einem blutigen Nebel reduziert. Vor ihm lagen nur noch wenige Meter bis zum Fluchtwagen, der bereitstand für den Fall, dass die Gruppe etwas schneller weg musste. John ging so schnell er konnte an den langen Reihen von Autos vorbei, versuchte krampfhaft, seine Atmung unter Kontrolle zu kriegen und unauffällig zu wirken. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und sein Herz raste, während er den Allied Motors Kombi suchte, der ihn hier rausbringen konnte. Seine Erfahrung setzte sich durch und sein Blick klärte sich, die Panik ließ nach und keine drei Meter vor ihm konnte er das Aufblinken der Lichter sehen und den startenden Motor seines Autos hören. So schön klang nur wenig auf der Welt. „Nur ruhig, du bist einfach etwas in Eile und willst lediglich mit deiner Familienkutsche nach Hause. Kein Grund zur Panik, nur nicht rennen und zum Kaninchen werden! Bleib cool, Soldat! Wenn der Sarge abdreht, erwischt es den ganzen Trupp, also reiß dich zusammen!“ Trotzdem  entsicherte er seine Pistole und öffnete wie zur Erfrischung seinen Duster.
Behutsam schloss er die Tür auf als von zwei Seiten Männer auftauchten, die zu unauffällig waren, um hierher zu gehören. John konnte gerade noch die indianischen Gesichter der zwei Männer dreizehn Meter vor ihm wahrnehmen, als auch schon der erste Schuss den Wagen traf. Er warf sich in den Wagen, quetschte sich hinter das Lenkrad und fuhr mit quietschenden Reifen aus der Parkbox, direkt zur Ausfahrt. Mehrere Schüsse zauberten Spinnweben auf die Front- und Heckscheibe, hämmerten gegen die Karosserie und splitterten Plastbeton von den Säulen. Im Geiste dankte er Gott für die Erfindung der Fahrzeugpanzerung und trat neuerlich aufs Gaspedal, raste auf die Sperre zu und schickte ein Stoßgebet zum Schutzheiligen aller Reifen, dass man neben den Reißzähnen keine Minen gegen Parkflüchtlinge geplant hatte. Mit einem brutalen Donnern kollidierten Auto und Schranke, die Reifen gaben pfeifend den Reißzähnen nach und dann spürte er, dass die Schranke zwar das Auto beschädigt, aber nicht gestoppt hatte. Man hatte also doch noch einen Decker gefunden, der den Flüchtenden die eine oder andere Tür öffnete.  John schnallte sich an und versuchte durch die gesplitterten Scheiben etwas zu erkennen, das über undefinierbare Schemen hinausging. Er hämmerte mit dem Pistolengriff gegen die Scheibe und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig an die für solche Fälle gedachten Kameras des Wagens. Man konnte mit den insgesamt acht Kameras zwar fahren, aber eben nur im Notfall. Hinter ihm tauchten zwei PickUps auf, die wohl sicherstellen sollten, dass er nicht davon kam. Sein Blickfeld wurde rot, als er über die Kameras einen Weg in die Freiheit suchte. Beiläufig wischte er sich das Blut aus dem Gesicht, ohne sich zu fragen, woher es wohl kam und ob es mehr Aufmerksamkeit erhalten sollte. Die Wagen nahmen Fahrt auf, während die Fenster herunterglitten und vier grimmige Männer und Frauen ausstülpten, die den Kombi mit Sturmgewehren unter schweres Feuer nahmen. Mit boshaftem Trotz aktivierte John die Zünder der Bomben im Kaufhaus. Erstens wurde er dafür bezahlt und das sogar sehr gut, wenn er bedachte, dass man ihn nach allen Regeln erpresst hatte. Zweitens wollte er eine Ablenkung, die es erlaubte, sich unauffälliger zurückzuziehen. Plötzlich verdichtete sich der Verkehr rapide, als GridLine die Fahrzeuge stoppte, die an der elektronischen Leine hingen. Entweder hatten die Cops diesen Befehl erlassen oder seine Verfolger waren ein ganzes Kaliber besser als die, die ihm bis jetzt ans Leder wollten. Keine zehn Meter vor ihm verloren ungefähr zwei PKW und ein LKW drastisch an Geschwindigkeit und zwangen John zu einer extremen Entscheidung: binnen weniger Minuten würde sich auf der Zufahrtsstraße nichts mehr rühren, was nicht über Rotoren verfügte und seine Verfolger… nun, sie feuerten aus allen Rohren und verwandelten seinen Kombi trotz der zusätzlichen Panzerung mit frappierendem Tempo in ein Wrack. Schon jetzt konnte er ohne Probleme wieder alles im Rückspiegel erkennen, was aber kaum ein Grund zur Freude  war. Schon heulten die ersten Querschläger durch den Innenraum. Die Elektronik gab zischend den Geist auf und das konzentrierte Feuer nahm nicht ab, die Angreifer luden unter gegenseitigem Feuerschutz nach, so dass stets mindestens drei Sturmgewehre Tod und Verderben in den Kombi spieen. Mit einem brutalen Ruck riss er das Lenkrad nach rechts herum und ignorierte das klagende Stöhnen der Karosserie und den ekeligen Geruch verschmorenden Gummis, als der Wagen sich quer zur Fahrbahn stellte.
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Re: Wahrheit und Risiko (Arbeitstitel)
« Antwort #3 am: 24.01.2006 | 18:35 »
Ächzend ließ John sich aus dem Wagen fallen, rollte einen halben Meter und knallte mit dem Kopf gegen die Stoßstange eines himmelblauen Chrysler Minicooper. Vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte und über seinem linken Auge platzte die Haut auf und verschleierte die Sicht zusätzlich mit einem dünnen Blutfilm. Von dem Kombi war kaum noch etwas über und bereits jetzt konnte er die Türen der PickUps klappen hören. Mit einem Ruck kam er hoch und rannte halb geduckt die Straße entlang. Wenn er es schaffte die hundert Meter zum Tunnel zu überwinden, konnte er sich vielleicht in das Gewirr der Stadt retten. Wieder pfiffen Kugeln in beängstigender Zahl in seine Richtung und ihre Präzision nahm zu. Vor Angst keuchend riss er Fahrertüren auf, hechtete zwischen Autos und gab vereinzelte Schüsse nach hinten ab. Noch fünfzig Meter, doch selbst mit gutem Training spürte er bereits Erschöpfung und die Stellen, die er sich geprellt hatte. Mitten im Lauf traf ihn ein unglaublicher Schlag in den Rücken und warfen ihn zu Boden. Sein Kopf prallte erneut gegen den Boden, als mehrere Kugeln die Panzerplatten seines Mantels zersplitterten. Kriechend bewegte John sich unter einen Lastwagen und betete um eine kleine Atempause. Und wie durch ein Wunder schienen seine Verfolger ihn wirklich aus den Augen verloren zu haben, zumindest blieb kurz das Dauerfeuer aus. Mechanisch langte John in die linke Innentasche seines Mantels und suchte dort nach etwas, was ihm weiterhelfen könnte. Doch außer einer Packung Kaugummi und Taschentüchern fand er nichts. Er war der Verzweiflung so nah, dass er aufpassen musste, nicht einfach zusammenzubrechen. Irgendwo über ihm knatterten mindestens zwei Helikopter und von irgendwoher hörte er Schreie. Nachdem er zitternd einen Blick nach hinten riskiert hatte und dabei nichts unmittelbar Bedrohliches sah, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und sprintete erneut Richtung Tunnel. Er kam keine zwei Meter weit, als erneut das Feuer auf ihn eröffnet wurde! Von wem, konnte und wollte er nicht sehen. Vor ihm hatte es trotz GridLine einen heftigen Zusammenstoß gegeben und absurder Weise waren die beiden Fahrer tatsächlich ausgestiegen, um sich in bester Tradition gegenseitig anzuschreien und zu beschuldigen. John hätte wohl laut gelacht, wenn nicht soviel Adrenalin durch seine Adern gerauscht wäre und jemand mit vollem Elan versuchen würde, ihn zu töten. Noch während er die Szene optisch verarbeitete, durchschlugen zwei Geschosse seine linke Schulter und seine rechte Seite. Völlig überrascht schrie er nicht einmal laut auf sondern keuchte nur ungläubig. Er blickte an sich runter und blieb schockiert stehen. Mit fasziniertem Entsetzen sah er sein Blut die Kleidung durchtränken, spürte das Knacken des gebrochenen Schulterblattes und das Ziehen in seiner Seite, als wäre er zu lange im falschen Tempo gejoggt. Sogar seine Verfolger schienen irritiert von seiner Reaktion und als er sich umdrehte, sah er ihre Gesichter. Indianisch, braungebrannt und über der professionellen Härte ein deutlicher Schein von Verwirrung. Etwas klickte in John und er realisierte, dass er tot war, wenn er nicht SOFORT in Bewegung kam. Ein paar Schritte rechts von ihm starrte ihn eine junge Motorradfahrerin mit weit aufgerissenen Augen an. Er torkelte in ihre Richtung, hob automatisch die Pistole und schnaubte. Doch sie blieb wie angewurzelt sitzen und öffnete den Mund zu einem spitzen Schrei. In dem Moment zerriss ein Schuss die Luft und eine Blutfontäne spritzte durch die Luft auf den Asphalt. Dann kippte die junge Frau halb vom Motorrad. John spannte seine Muskeln und flankte auf das Motorrad, wobei er die Tote wegtrat. In Zeitlupe sah er den blonden Schopf aufschlagen, sah, wie sich die Haare rot färbten und wie einmal mehr die Sturmgewehre zu zornigem Leben erwachten. Der Manhunter glitt ihm aus der Hand und die Maschine bockte auf, als er mit Gewalt Gas gab. Wahrscheinlich rettete ihm nur das wilde Schlingern vor dem sicheren Tod, als auch von oben das Feuer eröffnet wurde. Es wurde dunkler um ihn und erst nach einigen Herzschlägen wurde ihm klar, dass er es in den Tunnel geschafft hatte. Irgendwann hielt er einfach an und stolperte auf einen Notausgang zu. Im Treppenhaus sackte er an eine Wand gelehnt zusammen. Seine Hand glitt in eine Tasche seines Mantels und beförderte ein Röhrchen zutage. Halb bewusstlos öffnete John es und warf sich eine Hand voll vom Inhalt ein. Danach glitt er kurz in die sanfte Ruhe einer Ohnmacht. Es wurde ruhig, ihm war warm und irgend etwas sagte ihm, dass nun alles in Ordnung war. Er hatte keine Angst mehr, ohne sich genau erinnern zu können, was ihn überhaupt Angst gemacht hatte. Es war auch egal, alles war gut…
Doch auf einmal wurde er wie von Stromschlägen geschüttelt und sein Puls schraubte sich wieder in gefährliche Höhen. Hustend stieß er sich von der Wand ab und versuchte in Panik, das spastische Zucken in seinem Körper los zu werden. Es war, als würden Millionen Ameisen knapp unter seiner Haut um die Wette rennen. John würgte, übergab sich und sah dann mit tränenverschmiertem Blick auf das am Boden liegende Röhrchen. „Kein Wunder, dass du so abdrehst. Wie kommst du auf die wahnsinnige Idee, zehn Tabletten Painkiller auf einmal zu fressen!? Irre oder was?! Aufstehen, aber sofort!!!“ Ihm fiel gar nicht auf, dass er sich selbst anbrüllte. Von irgendwo kam ein nervtötender Klingelton und als ihm klar wurde, dass es sich um sein Telefon handelte, war John nahe dran, es zu zertreten, nur um Ruhe zu haben. Gerade noch rechtzeitig beruhigte er sich weit genug, um auf die Annahmetaste zu tippen. „WAS IST LOS??“ Schweigen. „WER IST DA? WER NERVT MICH!? REDE GEFÄLLIGST!!!“ „Callahan, beruhigen sie sich. Hier ist Will. Ich bin ihr Freund! Erinnern sie sich.“ John kam nur langsam wieder aus dem Rauschzustand heraus und stakste die Treppe hinauf, während er antwortete: „Was wollen sie? Ich lebe noch und die Bomben sind hoch gegangen. Schicken sie mir Hilfe und zwar schnell!“ Räuspern „Gehen sie die Treppe hoch und dann zum „Starblast“. Das ist eine kleine Bar, wo ihnen geholfen werden kann. Aber beeilen sie sich. Und dann wollen wir einen Bericht. Werfen sie jetzt das Mobiltelefon weg.“ Es klickte. Das Handy fiel zu Boden. Eine Ewigkeit später kippte John wenige Meter vor dem genannten Lokal zusammen und selbst die Drogen konnten sein Bewusstsein nicht aktiv halten…

20.11.2064,  7:53 Uhr, Seattle Knight-Errant Hauptbüro

Ian hatte gut geschlafen, der Kaffee war annehmbar und der Verkehr machte ausnahmsweise keinerlei Probleme. Das konnte nur bedeuten, dass etwas Furchtbares auf ihn wartete, sobald er leichtsinnig genug war sein Büro zu betreten. „Hm, ich denke, dem Chef kann ich dreiundvierzig Prozent geben, Gregory verdient gerade mal siebenundzwanzig Prozent, er ist noch neu hier. Also bleiben noch Reporter und Terroristen für die letzten dreißig Prozent Chance, mir den tag zu versauen. Fünf NuYen auf den Chef.“ Mit einem schiefen Grinsen notierte er seine Gedanken auf einen Spickzettel. Als er durch die alltägliche Kontrolle am Eingang kam, grüßte Ian Samuel von der Nachtschicht: „Hoi, Sam! Bald Feierabend? Ist was vorgefallen, dass ich wissen müsste?“ Sam gab sich alle Mühe, ein Lächeln hinzukriegen, aber dafür war es schon zu lange her, dass er ein Bett genutzt hatte. Die Konzernleitung sah seit neuestem einen Zwölf-Stunden-Takt für das Wachpersonal in Konzerngebieten mit niedriger Bedrohungslage vor. „Bis auf drei Drohanrufe, einem falsch geparkten Kleinbus und verstopften Toiletten  alles in Ordnung, Ian. Hab noch drei Stunden vor mir. Oh, und ich bekomme noch dreißig NuYen von dir. Die Lakers haben gewonnen, Drei zu Eins.“ Jetzt lächelte Sam doch noch. Die Central Lakers hatten das Urban Brawl Match gegen die Takoma Devilrats entgegen einiger Erwartungen doch noch gewinnen können. „Was!? Sind die doppelt aufgelaufen oder wie haben die das hinbekommen? SO EIN (Fluch, den der Autor unmöglich wiederholen kann)!!!“, er knirschte sichtlich, „Da hast du`s! Dämlicher Hauer!“ „Weißt du, Rosenohr, aus deinem Mund klingt es erst richtig überzeugend. Bis heute Abend dann.“ Ian grummelte noch kurz und nickte dann, bevor er zum Aufzug schlenderte. Ein weiterer Strich auf der „Verloren“ –Seite, was aber nicht so schlimm war. Die andere Seite würde schon bald wieder überholen. Mit diesem Vorsatz und dem Blick auf das Match heute Abend betrat er dem Aufzug. Zusammen mit etlichen anderen Angestellten ließ er sich von angeblich beruhigender Musik berieseln, bevor er auf seiner Etage ausstieg. Noch bevor Ian sein Büro betreten konnte, hörte er die automatische Ansage: „Detective Leighlahn bitte zum Leitenden kommen.“

Mit einem sehr mulmigen Gefühl, dass er bei solchen Dingen eine geradezu beängstigende Trefferquote aufwies, eilte er den Flur entlang, seinem Verderben entgegen. Kurz bevor er sich der Sekretärin präsentierte, richtete er hastig seinen Anzug und seine Frisur, prüfte kritisch sein Gesicht und gab auf. Niemand arbeitete in diesem Job und blieb taufrisch, außer natürlich er hatte Geld und Macht genug, um alle Fehler auf Sündenböcke abzuwälzen. Hoffentlich war es nicht an ihm, den Kopf hinzuhalten. Nicht jetzt, wo er gerade auf dem Weg der Besserung war, was seine Spielleidenschaft betraf. „Hallo, Glenda! Wie geht es ihnen denn so? Ihre Frisur steht ihnen sehr gut, wissen sie das eigentlich?“ Er gab alles, um es so überzeugend klingen zu lassen wie nur menschenmöglich. Die Angesprochene, zog lediglich eine Augenbraue hoch, blickte zwei Sekunden zu lange auf seine Schuhe und lächelte das klassische Sekretärinnenlächeln, während sie sagte: „Danke für das Kompliment. War der Urlaub mit der Familie schön? Muss ja recht kostspielig gewesen sein. Mr. McKenzy erwartet sie bereits, Ian.“ Ian wäre am liebsten im Boden versunken. Die Schuhe waren nun mal Gebrauchsgegenstände und sahen nicht wie gerade gekauft aus. Und? Sollte sie doch mal den ganzen Tag mit Abschaum und Kriminellen arbeiten, dann würde sie noch älter aussehen, als sie es jetzt schon war. Und nicht der leiseste Hinweis auf die Laune des Chefs. Einfach toll! Warum konnte er nicht einfach eine Streifenuniform bekommen und sich das Zusammentreffen mit dem Chef sparen? Nervös betrat er das großzügig bemessene Büro seines Bosses. McKenzy blickte, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, aus dem Fenster und schien die Aussicht zu genießen. Ian hielt Abstand von dem wuchtigen, funktional ausgestatteten Schreibtisch, der zwischen ihm und McKenzy stand. Nach zwei, drei Sekunden wandte sich McKenzy um. „Ah, Detective Leighlahn. Setzen sie sich. Was wissen sie über die neuesten Anschläge in Seattle?“

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Re: Wahrheit und Risiko (Arbeitstitel)
« Antwort #4 am: 24.01.2006 | 18:36 »
Crow erwachte. Alles drehte sich um ihn. Das Weiß der Wände schienen sich in seine Augen zu brennen. Neben ihm merkte er eine Bewegung, schemenhaft und sehr schnell. Das jahrelange Training und die letzen Monate sprangen in die Bresche, als sein Bewusstsein nicht direkt reagierte. Seine Hände packten den Arm, drehten ihn um neunzig Grad nach links und bogen ihn gleichzeitig nach oben… ein Knirschen und ein lauter Knall ließen ihn wissen, dass er es geschafft hatte. Der Arm, wem er auch immer gehörte, war nun mindestens an zwei Stellen gebrochen und die Bruchstellen würden bei jeder Bewegung grauenhafte Schmerzen verursachen. Die ganze Aktion hatte kaum eine halbe Sekunde gedauert. Die Krankenschwester brach weinend und vor Schmerzen schreiend zusammen, bevor Crow erkannte, was überhaupt los war oder wo er war. Während sich seine Wahrnehmung klärte, realisierte er, dass er bei Doktor Merryweather war. Und dass er Linda, einer der Helferinnen, weh getan hatte, um es sehr höflich auszudrücken. Phil stand nach wenigen Minuten neben Crow`s Bett und schüttelte den Kopf: „James, was fällt ihnen ein? Ich weiß um ihre ungefähre Situation und schon deswegen erwarte ich, dass sie sich umsichtig verhalten. Sollte es ihnen an dieser Fähigkeit mangeln, werden sie sich einen anderen Arzt suchen müssen.“ Crow erschrak. Einerseits, weil die Drohung Wirkung zeigte und zum anderen, weil der Tonfall schlimmer war als jeder Johnson, für den John in seiner Laufbahn bis jetzt gearbeitet hatte. Und die Zahl der Leute, mit denen er halbwegs vertraut war, nahm in letzter Zeit erschreckend ab. Zumindest erschien es ihm so…

Vor über zehn Jahren:
Ein junger Elf rannte eine Straße entlang, kurz vor dem Zusammenbruch. Hinter ihm liefen fünf andere Jungen, nur unwesentlich weniger erschöpft. Alle wurden sie von Urinstinkten angetrieben. John lief, um seine Haut zu retten. Er war schon öfter zusammen geschlagen worden, doch dieses Mal hatte er wirklich Angst. Erst letzte Woche war Elliot  in einem Müllcontainer gefunden worden. Seine Rippen waren alle gebrochen, das Gesicht kaum noch zu erkennen und überall war Blut. John erinnerte sich in allen Details daran, schmeckte das Eisen auf seiner Zunge, meinte gar, die Wucht der Schläge zu spüren, die das Leben aus Elliot`s Körper getrieben hatten. Und nun rannte er. Würden sie es dabei belassen, ihn windelweich zu schlagen oder würde die Gewalt überhand nehmen? Genug Geschichten gab es allemal. Die Älteren flüsterten zwar, wenn sie so was erzählten, aber man bekam es auch so mit. Nur noch wenige Meter und gutes Timing, dann könnte er gerade noch die Monobahn Richtung Central erwischen und so seine Verfolger abschütteln. Er bog im vollen Lauf um die Ecke, schleppte sich die Stufen hinauf, keuchte unter der Anstrengung, blickte gehetzt nach rechts… und sah, wie die Bahn in die Kurve einbog. Vor Wut und Angst begann er zu weinen. Wenige Herzschläge traf ihn der erste Schlag. Dann folgten Stunden des Schmerzes und der Erniedrigung, bevor er endlich ins Dunkel versank.
Die Ärzte gaben ihm höchstens dreißig Prozent. Aber irgendwie schaffte er es, zu überleben und gesund zu werden. Seine Eltern besuchten ihn sogar ab und zu im Krankenhaus. Nach drei Wochen konnte er nach Hause, ob er wollte oder nicht. Nach drei weiteren Wochen fand er den ersten der Jungen, die ihn fast erschlagen hatten. Bis heute wusste er nicht, was aus seinem Opfer geworden war. Er hatte eine Stahlstange und eine Dose mit PepperPunch dabei. An mehr wollte er sich nicht erinnern.

Fünfter Juli 2060, General Custer Kaserne, Williston

„Sergeant Callahan, hiermit verabschiede ich Sie mit den besten Glückwünschen in ein ziviles und hoffentlich erfolgreiches Leben. Sie haben ihrem Land treu und zu voller Zufriedenheit gedient. Halten sie ihre Kameraden und die Armee der UCAS in guter Erinnerung. Mit soldatischem Gruß,
Colonel Taggert 3. Infanteriebatallion, Williston“

Das war es also. Dafür hatte sich John über vier Jahre durch Rassismus, Schikane und Kampf gequält. Für die ehrenhafte Entlassung als Sergeant in ein Zivilleben, in dem ihn nur Frust oder noch mehr Gefahr erwarteten. Langsam faltete er das Dokument zusammen und legte es in die Mappe zu den anderen Papieren, die er im Laufe seines Lebens angesammelt hatte. Die Armee musste sparen, trotz der Grenzkonflikte geben die Politiker in Washington keinen Cent mehr  aus und Planstellen wurden auch nur im absoluten Notfall neu ausgeschrieben. Selbst die Angehörigkeit zu einer Metamenschenspezies half da nicht. Was blieb also zu tun? Nach Hause konnte und wollte er nicht. Das Mitleid oder die Ablehnung, je nach dem, war er nicht bereit zu ertragen. Lieber wurde er zum Wanderarbeiter, als sich das anzutun…

Seit bereits einem Monat zog er jetzt schon durch UCAS auf der Suche nach Arbeit, Lohn und Brot. Mit mäßigem Erfolg. Irgendwann kam John durch eine kleinere Stadt am Rande der Überlandstraße. Alles sah nach alter Fernfahrerromantik aus: Truckstops, Country-Musik und Kneipen, in denen man sich für nicht allzu viel Geld einen ordentlichen Rausch antrinken konnte. Um zum Beispiel eine Nacht im Freien zu überstehen… „Super, echt. Hoffentlich kann ich hier was besseres finden als Putzdienst. Himmel, wie kann man nur so eine Sauerei auf einer Toilette anrichten?! Ekelhaft! Und dann hat der Kerl noch die Eier, mir meinen Job zu erklären! War dumm von ihm. Sehr dumm. Egal, der Laden gefiel mir eh nicht. Schon der Name: „Bill`s Motel“. Welche Kreativität, fast so gut wie „Bob`s Motel“ in Terrence Fields oder, oder, oder.“ Vor sich hingrübelnd ging er auf den Pub zu, den Namen ignorierend. Endlich umfing ihn die muffige Wärme und der Dunst, den es in jeder guten (oder schlechten) Bar zu geben scheint. Dazu dudelte irgend eine Neuauflage von „Ghostriders in the sky“. An der Theke fand er mit einigem Drängen genug Platz, um sich bei einer jungen Bardame zwei Bier und einen Teller mit dem Tagesgericht zu bestellen. Während er auf die Bestellung wartete, ließ er seinen Blick eher beiläufig durch den Raum gleiten. Viele Leute in Arbeiterkleidung, einige sahen aus wie Trucker und gelegentlich sah er Prostituierte, zumindest nahm er stark an, dass es welche waren. Ab und an huschte sogar ein Kellner oder eine Kellnerin durch die Szene, meist schwer beladen mit Getränken und vereinzelten Tellern. Metamenschen saßen nur einige wenige in der Bar, meist in kleinen Gruppen. Die Wortfetzen, die er hörte, drehten sich um Privates oder die Arbeit, wobei viele für diverse Nahrungsproduzenten arbeiteten. „He, Soldat! Dein Essen wird kalt und das Bier schal, wenn du noch lange wartest.“ Die Frau grinste milde, als er mit leicht säuerlichem Blick bezahlte und dann kurz überlegte, ob er sich einen Tischplatz organisieren sollte oder ob es an der Theke nicht auch gemütlich werden könnte. Während er noch überlegte und dabei das erste Bier trank (Himmel, was heute alles als Bier durchgeht…) bemerkte er, wie jemand ihm zuwinkte. Es handelte sich um einen älteren Mann in abgewetzter Tarnkleidung, der mit fünf weiteren Leuten an einem Tisch in der Mitte des Raumes saß. John vergewisserte sich, ob wirklich er gemeint war und ging dann gottergeben zu dem Tisch rüber. „Nabend, ist hier noch ein Platz frei?“ Die Begrüßung war dämlich, aber was anderes fiel ihm nicht ein. „Setzen sie sich ruhig. Hier ist immer Platz für Amerikaner. Mein Name ist übrigens Will Orson.“ Dann stellte er noch den Rest der Truppe vor, die brummend nickten und dann ein wenig rückten, um John Platz zu machen. „Also, Fremder… wie lautet dein Name?“ John spürte die Blicke auf sich gerichtet. „Callahan. John Callahan.“ Probeweise spießte er mit der Gabel etwas auf, das wohl eine Kartoffel imitieren sollte, aber das Soy nicht verbergen konnte. Der Geschmack lag irgendwo zwischen Mehl und Pappe, aber nach einem ganzen tag ohne Essen ließ er es sich trotzdem nicht entgehen. Beim Bier musste er sich dagegen schon sehr zusammenreißen, um nicht sofort alles wieder auszuspucken. Widerlicher Synthahol und fade Geschmacksträger ohne Kohlensäure, aber für die paar NuYen konnte er kaum Fassbier erwarten. Nach fünf Minuten hatte er den Teller leer und das Bier halb getrunken. Die Runde hatte ihm die Zeit gelassen, in Ruhe zu essen, aber nun wandte man sich wieder ihm zu: woher er kam, was ihn hierher führte und, und, und. Meist stellte Will die Fragen, seine Kumpane schienen bis auf ein, zwei Einwürfe Zuhörer zu sein. Freundlicherweise gab es mehrere Runden regionales Bier (das seinen Namen schon eher verdiente) ausgegeben und auch John ließ sich hinreißen, seine knappen Mittel in eine Runde zu investieren. Der Abend verlief recht angenehm und die Themen drehten sich alsbald um Politik, Wirtschaft, die Kriegsgefahr und dass es kaum noch gute Dinge gab, die früher selbstverständlich waren. Wie in solchen Raststätten üblich gab es keine echte Sperrstunde, sondern irgendwann eine Art inoffizielles Signal des Abschlusses. John war blau, halbwegs gut gelaunt und sogar eingeladen worden, bei Ted, einem der Farmarbeiter in Will`s Truppe, zu übernachten.

Dröhnende Kopfschmerzen erfüllten seine Welt. Nur langsam drängten sich ein ekliger Geschmack im Mund und ein flaues Gefühl im Bauch dazwischen. John wälzte sich auf seinem Bett hin und her, während er mit dem Bedürfnis nach Schlaf, Wasser und einem Gang zur Toilette rang. Soweit er sehen konnte, befand er sich in einem kleinen Zimmer eines klassischen Plattenbaus ohne große Einrichtung: Stuhl, Bett, ein Spind aus Plastblech und ein Fenster mit simplen grünen Gardinen. Seine Kleidung lag verstreut auf dem Boden, sauber, aber mit dem üblichen Geruch nach Kneipe behaftet. Nach einer Weile zwang er sich dazu, aufzustehen und nach einer gründlichen Morgentoilette den Herrn des Hauses zu suchen.
Das Haus war schlicht, aber recht groß für einen Farmarbeiter mit Familie. John fand nach zwei Anläufen ein Bad und nahm sich Zeit, in Ruhe zu duschen, seinen Kopf zu klären und sich zu rasieren. Letzteres war zwar kaum nötig (einer der wenigen „Vorteile“, ein Elf zu sein), aber in über vier Jahren hatte es sich zur Gewohnheit aufgeschwungen und damit brach man nicht so leicht. Auf dem Weg ins Erdgeschoss, im ersten Stock schienen nur die Schlafzimmer zu sein, traf John auf zwei Kleinkinder, die ihn mit großen Augen anstarrten und, bevor er etwas sagen konnte, mit einem Quicken wegrannten. Er beschloss, ihnen zu folgen und ihrer Mutter zu erklären, wer er war und dass er den Kleinen nichts getan hatte. Nach wenigen Sekunden hörte er bereits eine weibliche Stimme, die beruhigend auf jemanden (wahrscheinlich die beiden Kleinen) einredete. Dann betrat er eine Küche, die sehr sauber und recht komfortabel eingerichtet war, besser als alles, was er bisher in Wohnungen gesehen hatte. An der Kochfläche stand eine recht kleine Frau in den frühen Vierzigern in leidlich modischer Aufmachung, an deren Beine sich die beiden kleinen Kinder klammerten und quengelten. „Äh, guten Morgen, Ma`am. Mein Name ist John Callahan. Ihr Mann hatte mich eingeladen, über Nacht zu bleiben. Naja und jetzt wäre ich sehr dankbar für einen Kaffee.“ Mit einem verlegenen Lächeln hielt er ihr die Hand hin. Sie sah ihn abschätzend an und ergriff dann zögernd die gebotene Hand. „Winston, geh mit Robin draußen spielen. Seht doch mal nach, ob Chloe und Robby da sind.“ Damit schickte sie ihre Kinder nach draußen, wo sich eine recht ruhige Straße, eine Menge Biosphären in einiger Entfernung sowie eine Stadt, an deren Rand das Haus zu liegen schien, zeigten. „Soso, also hat Ted Sie zu uns eingeladen? Wahrscheinlich habt ihr euch im Pub kennen gelernt und dann besoffen Freundschaft geschlossen, liege ich bis jetzt richtig?“ „Ja, so ungefähr war es wohl, Mrs. …?“ „Green, Juliet Green. Ok, einen Kaffee können sie gern haben. Wecken sie aber vorher Ted, sonst könnte er sauer werden. Das Zimmer oben links.“
"Strahlender Ritter in kratzfester Rüstung, stets zu Diensten."

"Neun von zehn Stimmen in meinem Kopf sagen aus, ich wäre nicht verrückt. Die zehnte summt C64 Lieder..."