Autor Thema: [Ich erzähle von] Tales of the Old West  (Gelesen 252 mal)

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Offline sma

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[Ich erzähle von] Tales of the Old West
« am: 1.06.2024 | 14:52 »
Eine Zusammenfassung des "Tales of the Old West" Schnellstarters.

Man spielt Leute im historischen Westen der USA um 1873. Keine Untoten, keine Nichtmenschen, keine Magie, nix Übernatürliches mit der Ausnahme von Glaube, der regeltechnisch hilft, einen Wurf zu wiederholen. Den Autoren ist bewusst, dass das kein einfaches Setting ist und das man nach eigenem Ermessen so viel oder wenig Klischee hineinbringen möge, und man doch zwei weiße Engländer nicht dafür Vorverurteilen solle, dass sie auch etwas über amerikanische Ureinwohner und die Sklaverei schreiben. Ein erwachsenes Spiel für Erwachsene, könnte man es zusammenfassen.

Charaktere haben 4 Attribute (Grit, Quick, Cunning, Docity) und 16 Fertigkeiten (Labor, Presence, Fightin' & Resilience für Grit; Move, Operate, Shootin' & Light-Fingered für Quick; Hawkeye, Nature, Insight und Animal Handlin' für Cunning; Performin', Makin', Doctorin' & Booklearnin' für Docity). Die "g" musste man an der Gardrobe im Austausch für ein Cowboy-Kostüm abgeben.

Gewürfelt wird wie bei YZE üblich mit (Attributwert + Fertigkeitswert) vielen W6 und eine 6 ist ein Erfolg. Extraerfolge heiße "Stunts" und erlauben es, den Erfolg auszuschmücken (3+ Erfolge geben außerdem einen Punkt Glaube). Bis zu fünf dieser Würfel sind "Trouble Dice" und fällt dort eine 1, wenn man seinen Wurf wiederholt (alle Würfel, die weder 1 und 6 zeigen), ist die Kacke am Dampfen, indem man auf eine Tabelle würfelt, die sagt, was jetzt schiefgeht. Glaube (man startet mit 4 Punkten und kann bis zu 10 ansammeln) kann genutzt werden, um 1er zu negieren. Wie üblich kann man auch erklären, anderen zu helfen, wodurch diese (von bis zu 3 Leuten) +1 auf ihren Wurf bekommen.

Im Kampf wird die Initiative durch Ziehen von Spielkarten aus einem Pokerdeck bestimmt, was an Savage Worlds erinnert, allerdings gibt es keine Joker – eine IMHO vertane Chance; aber vielleicht wollten sie auch nicht zu sehr abgucken. Danach hat jeder eine schnelle und eine langsame Aktion, ähnlich wie bei Coriolis. Lest die Details einfach selbst in den ca. 30 Seiten an Regeln nach, die zum Schnellstarter gehören.

Schaden wird wie üblich von den Attributen abgezogen, bei 0 ist man gebrochen. Ohne Grit ist man fast tot, ohne Quick völlig erschöpft, ohne Cunning unfähig klar zu denken und ohne Docity nur noch ein Häuflein Elend. Wirklich sterben kann man nur, wenn man einen tödlichen kritischen Treffer kassiert, wobei die Tabelle nicht ganz so tödlich wie die von Free League Spielen ist (Bei Bladerunner sind es glaube ich 25%). Jemand ohne Grid oder Quick kann aber auch per Ansage getötet werden, wozu ein SC aber nur fähig ist, wenn ihm ein Docity-Wurf misslingt, was auch noch ein Punkt Docity kostet.

Ich möchte auch noch kurz erwähnen, dass das eigene Reitpferd verschiedene Eigenschaften und Qualitäten hat – und verdammt teuer ist.

Die anderen dreißig Seiten des Schnellstarter beschreiben ein Abenteuer oder vielmehr ein Setting, indem ein Städtchen mit wichtigen NSCs beschrieben wird und eine Grundsituation von der ausgehend die Charaktere jetzt machen können, was immer sie wollen. Es gäbe einen Mord aufzuklären (und überhaupt erst mal zu entdecken) und ein gewissenloser Ostküstengeschäftsmann sollte vertrieben (und/oder getötet) werden, aber theoretisch könnten die SCs sich auch mit ihm verbünden.

Man bekommt zunächst einige Seiten Geschichtsunterricht, dann werden drei Szenen und ein möglicher Showdown beschrieben, die auftreten könnten.  Schließlich gibt's noch Spieldaten inklusive der Beziehungen untereinander von den NSCs, die man hoffentlich versucht, auf die eigene Seite zu bringen.

Das Szenario ist dabei gleichzeitig ziemlich schwach, weil langweilig und uninspiriert naheliegend, und doch ganz nett, wie ich finde, denn die SCs sind (soweit ich das sehe) keine Superhelden oder sonst irgendwie stärker als die NSCs und brauchen Verbündete, wenn sie denn ihr Städtchen bewahren wollen.

Und sie wollen vielleicht mit den nahen Indianern zusammenarbeiten, was es auch nicht einfacher macht, da deren Ruf nicht der Beste ist und denen eigentlich auch das Schicksal der Weißen am Arsch vorbei geht. Somit ist hier eigentlich mehr Diplomatie gefordert und kluges Taktieren in einer Welt, die eher grau denn schwarz weiß ist – auch wenn der Gegner schon recht deutlich gezeichnet wird. Man könnte natürlich hier als SL auch noch mal mit weiß drübermalen und dem Geschäftsmann ein besseres Motiv als bloße Gier geben.

Als vordefinierte SCs (Charaktererschaffungsregeln bietet der Schnellstarter nicht, aber die könnte man leicht ableiten, da man leicht ausrechnen kann, wie viele Punkte junge, erwachsene oder alte Charaktere verteilen dürfen) haben wir Theodora Hinds, eine schwarze ehemalige Sklavin die nun mit Fellen handelt und mit Flynn befreundet ist; Bridget Lovelace, eine weiße Siedlerin und Ziehtocher eines Comanchen, die sich als Hired Gun durchschlägt und Tosahwi einen Freund nennt; Tosahwi Jones, ein Comanche und ehemaliger Kundschafter der Armee, der jetzt Büffeljäger ist und der beste Freund von Luis ist; der Ire Flynn Everett, ehemals Farmer und jetzt Prediger von Gottes Wort der Theodora eine Freundin nennt; der alte Mexikaner Luis Osorio, der mit Bridget befreundet ist und früher Fallensteller und Jäger war. Er reitet einen heißblütigen Mustang. Flynn besitzt ein geduldiges Muli, Tosahwi einen treuen Pinto, Bridget und Theodora je einen genügsamen Quarter.

Was halte ich nun davon? Ich finde die Pregens interessant und die leichte Anpassung der YZE (die ich ja sowieso mag) wirkt auch okay und spielbar. Ich mag es auch, wenn man normale Leute spielt, die ob ihrer Taten zu Helden werden, nicht weil sie von irgendwas oder irgendwem dazu befähigt wurden. Zudem Thematisiert das Abenteuer eigentlich sehr aktuellen Themen: Das Überwinden kultureller Grenzen und die Auswirkungen für Natur und Menschen von (gewissenlosem) Kapitalismus. Das ist dann natürlich auch ein möglicher Nachteil: Der Eskapismus ist doch sehr eingeschränkt. Bis auf die fehlenden "g" könnte das zu jeder anderen Zeit an jedem anderen Ort auch spielen.

Und forciert man als Spieler den Showdown mit Duell, der ja so typisch für einen Western wäre, wählt man eigentlich die schlechteste aller Optionen, denn die Gefahr, dabei umzukommen, ist hoch, hat doch der Gegner viel mehr Leute.


Kurzes Duell:

Darren hat Schießen 7 und Ziehen 4 und Auftreten 6.
Bridget hat Schießen 8 und Ziehen 9 und Auftreten 3.

Zunächst starrt man sich an. Darren hat 2 Erfolge beim Auftreten, Bridget nach dem Forcieren nur 1. Darren wirkt gefährlich und zu allem entschlossen. Er bekommt +1 auf Ziehen.

Beim Ziehen hat Darren 2 Erfolge und Bridget mit ihren 9W ebenfalls. Beide feuern daher gleichzeitig.

Darren schießt jedoch daneben und auch Bridget hat keinen Erfolg. Soviel zum Duell.

Die Regeln sagen in diesem Fall, der Kampf geht weiter, bis jemand tot ist oder aufgibt, aber wie genau, bleibt ungesagt. Ich vermute, es funktioniert nun normal, mit Initiativekarte ziehen und dann in Reihenfolge handeln.

Darren hat die höhere Karte und feuert erneut. Sein Manhatten Navy ist ein Single-Action-Revolver, d.h. Spannen und Schießen braucht beide Aktionen. Er hat 3 Erfolge (was ihm Glaube gibt und daher pusht er den Wurf, was aber nix bringt). Ich verstehe die Regeln so, dass ich mir die kritischen Treffer mit Erfolgen kaufen muss. Tue ich. 54 ist ein tödlicher Lungentreffer für 3 Punkte Schaden, was Bridget auf Grit 0 bringt und bricht. Sie wird in 1W6 -> 3 Tagen daran sterben. Genüsslich und mit einem fetten Grinsen legt Darren an, ihr in der nächsten Runde den Rest zu geben…

Online schneeland

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Re: [Ich erzähle von] Tales of the Old West
« Antwort #1 am: 1.06.2024 | 15:30 »
Danke für den Einblick! Klingt, vielleicht abgesehen von den Duell-Regeln (in einem Western-Setting möchte ich mich doch duellieren - da ist zu hohe Tödlichkeit dann m.E. eher schwierig), recht solide.
So aus dem Bauch raus finde ich den mit etwas Übernatürlichem angereicherten Old West von Deadlands dann aber irgendwie doch attraktiver.
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Offline Gumbald

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Re: [Ich erzähle von] Tales of the Old West
« Antwort #2 am: 1.06.2024 | 19:21 »
Auch von mir Danke für die Zusammenfassung!
Die Jungs vom Effekt Podcast arbeiten ja schon sehr lange daran und man sieht auch, dass viel Arbeit und Liebe da reingeflossen ist.
Man hat sich wohl auch viel Mühe gegeben, ein Spiel zu entwickeln, dass nich nur billige Hollywood Western Klischees reproduziert und viel historische Authentizität reingebracht.

Ich glaube nur, dass es mich persönlich nicht sonderlich reizt sowas zu spielen.
Würde mir trotzdem wünschen, dass sie mit dem Spiel Erfolg haben.

Offline sma

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Re: [Ich erzähle von] Tales of the Old West
« Antwort #3 am: Gestern um 12:30 »
Danke für den Einblick! Klingt, vielleicht abgesehen von den Duell-Regeln (in einem Western-Setting möchte ich mich doch duellieren - da ist zu hohe Tödlichkeit dann m.E. eher schwierig), recht solide.
In einem "fairen" Duell würde Bridget überleben, wenn denn ein Arzt rechtzeitig helfen kann, wofür er in meinem Beispiel ja sogar 5 Tage Zeit hätte. Tatsächlich ist es eher unwahrscheinlich, dass ein SC sofort stirbt (nur bei 56 und 66 auf W66, also 5%). Und anders herum erwartet man ja auch irgendwie, dass in einem Duell ein Schuss das ganze auch erledigt. Da sehe ich nämlich das größere Problem: Die Wahrscheinlichkeit, dass der erste Schusswechseln verpufft (wie beim Beispiel) ist nicht gering.

Zitat
So aus dem Bauch raus finde ich den mit etwas Übernatürlichem angereicherten Old West von Deadlands dann aber irgendwie doch attraktiver.
Das war auch mein erster Gedanke, doch jetzt einen Tag darüber nachgedacht, finde ich's durchaus interessant, eben nicht immer in einer magischen, mit wahr gewordenem Aberglaube und Schwurbel angefüllten Welt spielen zu müssen, wo ich das ein- oder andere Mal befürchte, dass diese einfachen Erklärungen sich bei den Spielern einnisten und in die echte Welt "bleeden". Ich bin allerdings auch jemand, der Horoskope nicht für einen harmlosen Spaß hält, sondern als Türöffner für eine verschwurbelte unwissenschaftliche Weltsicht, wo Leute die Demokratie stürzen wollen, weil sie Angst vor Impfungen haben.

Doch zurück zum widen Westen. Weil ich mich an den Film "Winchester 73" erinnerte, schaute ich noch mal in die Wikipedia und ich denke, die "Winchester 1868" im Regelbuch ist eigentlich eine Browning, denn die Winchester heißt "Model 66" bzw. "Model 73" und ist der Nachfolger des Henry-Gewehrs von 1860 (das 1862 ausgeliefert wurde). Karl May lässt grüßen. Der Henrystutzen im Karl-May-Museum ist aber eine Winchester '66. Diese Gewehre waren relativ selten, die Armee nutze Spencer-Repetier-Gewehre mit 7 Schuss und später Springfield Einzelschussgewehre, weil die nicht so viel Munition verbrauchen.

Weil ich einem Moment dachte, "Annie Oakley" ist ein merkwürdiger Namen für einen Waffenhersteller, bin ich auf diese berühmte Kunstschützin gestoßen, die auch zusammen mit Buffalo Bill aufgetreten ist und deren Waffen sich im NRA-Museum befinden (genau wie eine noch niemals abgefeuerte Winchester '73). Könnte man auch einen interessanten Plot drumherum stricken.

Joslyn war dann allerdings wieder der Name eines Gewehrs, das vielversprechend war, letztlich aber von der US-Armee abgelehnt wurde, wodurch davon einige im freien Markt gelandet sein könnten. Seit 1862 hergestellt, wurde ein paar davon im Bürgerkrieg genutzt, dann von Argentinien gekauft, gingen dann nach Frankreich (wie auch die Spencer-Gewehre), wurden von Deutschland erbeutet, nach Belgien verkauft und dort nach Afrika, wo sie auch heute noch vereinzeln im Einsatz sind.

Was ich ja so beim Rumnerden erkenne: Fast jedes dieser Gewehre hat spezielle Munition und ich bin mir sicher, den Waffenherstellern war schon bewusst, dass sie das eigentliche Geld dann mit der Munition verdienen würden. Würde man im Rollenspiel noch so die Prise unnötigen Realismus einführen wollen, könnte man also den Leuten aufbürden, doch bitte immer die richtige Munition für die richtige Waffe zu haben. Nein, die Henry-Munition funktioniert nicht in deinem Spencer, sorry. Zu spät gemerkt? Tja, jetzt ist der Lauf verklemmt.


Online postkarte

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Re: [Ich erzähle von] Tales of the Old West
« Antwort #4 am: Gestern um 14:39 »
So aus dem Bauch raus finde ich den mit etwas Übernatürlichem angereicherten Old West von Deadlands dann aber irgendwie doch attraktiver.
Ich habe am Freitag in einer Alien Runde mitgespielt, wo das Setting in den Wilden Westen verlegt worden ist. Das sind natürlich zu über 80% die gleichen Regeln wie Tales of the Old West und es funktionierte hervorragend und gerade die Aliens gaben dem ganzen eine sehr exotische Note, die Spieler natürlich Bringer der Apokalypse gesehen haben. Ich fand das ganze unheimlich gut passend.