Autor Thema: [Forge] Die fruchtbare Leere  (Gelesen 2048 mal)

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Offline Lord Verminaard

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[Forge] Die fruchtbare Leere
« am: 10.11.2005 | 17:39 »
Dieser Thread wurde herausgetrennt aus dem Thread [Brainstorming]Ein kohärentes System für Minne
 - Vermi


Noch ein Gedanke zum Thema Plausibilitätskontrolle. Hier redet Vincent Baker auf seinem Blog über die "fruchtbare Leere", die ein gutes Rollenspiel-Design ausmacht. Er stellt einen Wirbelwind dar, den die einzelnen, interagierenden Elemente der Spielregeln bilden. Das Auge des Sturms jedoch wird von den Regeln nicht berührt. Denn genau dort finden wie wichtigen Entscheidungen der Spieler statt, die das Spiel erst interessant machen.

Ich habe darüber nachgedacht und glaube, den Grundgedanken zu verstehen. Und er macht eine Menge Sinn. Wie man ihn im Einzelfall anwendet, um ein gutes Rollenspiel zu designen, weiß ich noch nicht so genau (und die anderen wohl auch nicht). Aber ich bin ziemlich sicher, dass die Frage, welches Verhalten deines Charakters dir plausibel erscheint, in Minnes System ins Auge des Sturms gehört.
« Letzte Änderung: 11.11.2005 | 12:14 von Lord Verminaard »
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Offline Dr.Boomslang

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Re: [Brainstorming]Ein kohärentes System für Minne
« Antwort #1 am: 10.11.2005 | 19:27 »
Noch ein Gedanke zum Thema Plausibilitätskontrolle. Hier redet Vincent Baker auf seinem Blog über die "fruchtbare Leere", die ein gutes Rollenspiel-Design ausmacht. Er stellt einen Wirbelwind dar, den die einzelnen, interagierenden Elemente der Spielregeln bilden. Das Auge des Sturms jedoch wird von den Regeln nicht berührt.
Verdammt, ich kanns nicht glauben!
Genau so ein Wirbelsturmbild hatte ich auch schon die ganze Zeit im Kopf als ich darüber nachgedacht habe wie Spieler und Welt interagieren. Ich bin mir nicht sicher ob es hier um das gleiche geht. Interessant...
Aber ich muss mir mal diese Gedankensonden entfernen lassen...  :gaga:

Offline Bitpicker

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Re: [Brainstorming]Ein kohärentes System für Minne
« Antwort #2 am: 10.11.2005 | 20:44 »
OK, leider hilft mir die Tatsache, dass ich keines der Spiele, die in dem Faden erwähnt werden, wirklich kenne, nicht gerade weiter. Aber ich verstehe das so: das, was ein Spiel mechanisch regelt, ist quasi der Wirbelsturm (man könnte vielleicht auch sagen, das Baugerüst), der eigentliche Inhalt des Spiels liegt aber im Auge des Sturms (oder ist das Gebäude), umschlossen von den Regeln, aber nicht deren Gegenstand. Auf Call of Cthulhu angewendet: man spielt das Spiel zum einen, um etwas zu ermitteln / zu erforschen, zum anderen, um einen gewissen Grusel zu erfinden. Deshalb gibt es weder, blatant gesagt, eine Fertigkeit 'Ermitteln', die dem Spieler die Denkarbeit abnimmt, noch einen Maßstab für 'Angst'. Stabilität in Cthulhu misst nicht die Angst / den Grusel, sondern dient lediglich einer Quantifizierung des Wahnsinns, so wie die Phobien usw. diesen qualifizieren; aber die Angst / der Grusel bleibt im Wesentlichen unabhängig vom Stabilitätswert gleich.

Bei Unknown Armies stehen möglicherweise die Passions im Zentrum; diese werden zwar regelseitig benannt, haben aber keine wesentlichen Mechaniken, sie sind eher Denkanstöße. Dennoch beruht UA im Spiel zu großen Teilen auf dem Ausspielen (aber eben nicht mechanisch gelenkt) dieser Passions.

Heißt das nicht fürs Rollenspieldesign, dass man am besten zuerst für sich definiert, was man erreichen will, und sich anschließend tunlichst davor hüten sollte, das direkt in Regeln zu fassen, und stattdessen mit Regeln eine Umgebung dafür schaffen sollte? Heißt das im Falle eines SIM-Spiels nicht, dass die Regeln alles tun sollten, bloß nicht simulieren, weil es das ist, was die Spieler von selbst tun sollen?

Robin
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Offline Lord Verminaard

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Re: [Brainstorming]Ein kohärentes System für Minne
« Antwort #3 am: 10.11.2005 | 21:39 »
Die Analyse von Cthulhu finde ich sehr treffend. UA kenne ich nicht gut genug, aber ich könnte mir vorstellen, dass es darin auch um Möglichkeiten, Konsequenzen und Entscheidungen geht. Wie dem auch sei. Die entscheidende Lektion ist in der Tat, dass das, was das Spiel wirklich interessant macht, in der Hand der Spieler liegen muss.

Zitat
Heißt das im Falle eines SIM-Spiels nicht, dass die Regeln alles tun sollten, bloß nicht simulieren, weil es das ist, was die Spieler von selbst tun sollen?

Hm, das finde ich erstens viel zu weit, den Sim ist nicht gleich Sim. Und zweitens würde ich hinzufügen, dass es beim Sim-Spiel nicht um Simulation, sondern um das Erleben, Erschaffen und Erforschen ("Exploration") geht. Dabei können gerade simulierende Regeln u.U. helfen. Wobei natürlich Simulation nicht gleich Traglasttabellen sein muss.

Hm, so richtig on topic ist das jetzt nicht mehr... ::)
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Offline Haukrinn

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Re: [Brainstorming]Ein kohärentes System für Minne
« Antwort #4 am: 10.11.2005 | 22:17 »
Bei Unknown Armies stehen möglicherweise die Passions im Zentrum; diese werden zwar regelseitig benannt, haben aber keine wesentlichen Mechaniken, sie sind eher Denkanstöße. Dennoch beruht UA im Spiel zu großen Teilen auf dem Ausspielen (aber eben nicht mechanisch gelenkt) dieser Passions.

Naja, darüber kann man geteilter Meinung sein. Ich finde, daß doe Passions sehr wohl Mechaniken mit sich bringen (Hey, jede der drei Passions hat sogar ihre eigene Sonderregel!).

Heißt das nicht fürs Rollenspieldesign, dass man am besten zuerst für sich definiert, was man erreichen will, und sich anschließend tunlichst davor hüten sollte, das direkt in Regeln zu fassen, und stattdessen mit Regeln eine Umgebung dafür schaffen sollte? Heißt das im Falle eines SIM-Spiels nicht, dass die Regeln alles tun sollten, bloß nicht simulieren, weil es das ist, was die Spieler von selbst tun sollen?

Ja, das dürfte hinkommen. Baue Regeln, die die Spieler motivieren, SIM zu spielen anstatt Simulationsregeln zu bauen. Analog für NAR und GAM. Irgendwie fügen sich auch alle mir gefallenden Systeme in dieses Schema. Ich glaube aber nicht, daß man als Designer da vorher groß drüber nach gedacht hat. Ich hab's jedenfalls nicht getan, und trotzdem ist ein Spiel dabei raus gekommen, was sich diesem Prinzip beugt.
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Offline Bitpicker

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Re: [Brainstorming]Ein kohärentes System für Minne
« Antwort #5 am: 11.11.2005 | 09:40 »
@ Haukrinn: geht mir genauso. Mein System soll Realismus (ein Begriff, über den wir uns jetzt nicht streiten wollen)  dadurch fördern, dass es sich einer realistischen (simulierenden) Darstellung nicht in den Weg stellt und keine Zeit durch Buchhalterei undNachschlagen verschlingt; aber nur sehr wenige Elemente in den Regeln sind aktiv auf Realismus ausgelegt.

Bei UA kann ich mich auch irren, ich habe das Spiel bisher weder erfolgreich noch nach Originalregeln gespielt und habe die zweite Ausgabe auch bisher noch nicht gelesen, da kann ja auch wieder alles anders sein.

@Vermi: Vielleicht bietet es sich an, diesen Teil des Fadens rauszuschneiden und im Theoriebereich abzulegen?

Robin
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Offline Fredi der Elch

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Re: Die fruchtbare Leere
« Antwort #6 am: 11.11.2005 | 11:15 »
Die fruchtbare Leere ist echt so ein Konzept, dass keiner so richtig versteht, an dem aber irgendwie was dran ist. Aber bevor wir hier in Rollenspielesotherik abgleiten (muahaha, ich hab’s auch mal gesagt ;D), etwas, das ich ganz klar daraus ziehe:

Das Spiel darf sich nicht selbst spielen. Wenn man für den Kern des Spiels ganz genaue und explizite Regeln hat, dann brauchen die Spieler nichts mehr zu tun. Die Regeln laufen ab wie ein Computerprogramm und es ist kein Input mehr nötig. Das Spiel spielt sich tatsächlich quasi selbst und die Spieler bewundern nur das Ergebnis.

Und das darf natürlich nicht sein. Die Spieler sollen (und müssen) natürlich ihren kreativen Input geben können. Und dies gilt besonders für den Kern des Spiels. Wenn genaue und vielleicht auch "einengende" Regeln zu peripheren Bereichen des Spiels existieren kann das (besonders nach Forge-Design Theorie) dem Spiel sehr viel nützen, indem es die Kreativität der Spieler auf den Punkt lenkt, wo eben genau keine Enge besteht und die Spieler ihre Kreativität dann voll einbringen können.

Der Wirbel sind also die Regeln und Systembestandteile, die die Spieler auf den Punkt hin lenken sollen, wo sie dann ihren kreativen Input in vom System gewünschter Weise "abladen" sollen. Und dieser Punkt ist das Auge des Sturms.

So verstehe ich zumindest eine Kernaussage der fruchtbaren Leere.
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Zitat von: 1of3
D&D kann immerhin eine Sache gut, auch wenn es ganz viel Ablenkendes enthält: Monster töten. Vampire kann gar nichts.

Offline Dr.Boomslang

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Re: Die fruchtbare Leere
« Antwort #7 am: 11.11.2005 | 11:33 »
Interessante Sache. Auch wenn es eigentlich was anderes ist als ich zuerst dachte.
Ich hatte mir aber trotzdem für Sim schonmal was ähnliches überlegt, was ich damals glaube ich Einflussmonopol oder so genannt habe (wahrscheinlich in einer der Diskussionen hier).
Damit war gemeint, dass jeder Spieler einen kleinen Bereich für sich haben muss in dem ihm weder SL noch Regelwerk reinreden weil er ja sonst garnicht wirklich spielen würde, sondern eher das System sich selbst.
Mit dem Simulationismus habe ich das so vereint dass es ja auch in der tollsten Simulation eine Art von beliebiger Eingabe geben muss, denn man möchte schließlich etwas bei der Simulation herausbekommen dass man nicht schon weiß. Es geht darum zu sehen was herauskommt wenn man X hineinsteckt, dann darf man X natürlich nicht selbst schon festlegen.
Dieses X im Sim ist für mich im extremsten Fall nur der freie Wille der SC.

Aber für Gam und Nar muss man sicher ähnliche Punkte beachten. Ein Gam-System darf z.B. nicht in einem Konflikt einen ganzen Crunch für den Spieler auflösen, ein Nar System muss das Thema fördern, fordern, vielleicht darauf drängen, darf es aber selbst natürlich nicht abhandeln, indem es eigene Aussagen dazu macht und z.B. zu stark wertet.

Man kann sicher für jede CA spezifische Bereiche ausmachen wo diese "fruitful voids" liegen dürfen, müssen oder sollten und dementsprechend auch wo sie nicht liegen dürfen.
Das wäre ein sehr interessantes Thema für den Spieldesigner.

Offline Lord Verminaard

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Re: Die fruchtbare Leere
« Antwort #8 am: 11.11.2005 | 12:13 »
Ich hab noch mal drüber nachgedacht. „Keine Regel für das Wesentliche“ ist eigentlich ein No-Brainer. Selbstverständlich gibt es bei Cthulhu keinen Wert für „Ermitteln“, auf den man würfelt und der SL muss einem dann alle Geheimnisse verraten. Um das zu erkennen, braucht man keinen Vincent Baker. Oder doch?

Das Problem trat früher selten auf, da sich Regeln sowieso nicht um das drehten, was in einem Spiel wichtig war. :P Na ja, aber in letzter Zeit sind eben bei den Forge-Projekten viele Autoren über das Ziel hinausgeschossen in ihrem Versuch, Regeln für das wirklich Wesentliche zu machen. (Ich auch, mit meinem September-Ronny-Eintrag.)

Die Schule des kohärenten Designs versucht, mit Regeln ein bestimmtes Spielerverhalten zu fördern. Sie versucht, das Spiel auf bestimmte Inhalte zu fokussieren und den Spielenden potente Werkzeuge an die Hand zu geben, um die gewünschten Inhalte zu erzeugen. Sie versucht, durch Regeln Struktur und Inspiration zu geben, die das gewünschte Spielerlebnis unterstützen.

Der Witz ist also nicht, dass das Auge des Sturms leer bleibt. Klar, darauf muss man auch achten, aber das ist nur Lektion Nr. 1. Der eigentliche Witz ist Lektion Nr. 2: Dass alle Pfeile um das Auge herum angeordnet sind und aufeinander zeigen. Sie zeigen nicht einfach irgendwohin. Sie erzeugen den Wirbelsturm.

Die Pfeile sind nicht nur Regeln. Sie sind das gesamte Spielkonzept. In Big-Model-Termini: Alle durch den Autoren vorgegebenen Elemente der Exploration. In Cthulhu spielen Setting und Szenario (= Situation) eine ebenso große Rolle wie die Regeln. Die Regeln sorgen dafür, dass die Gefahr des Scheiterns immer hoch ist, und dass Wissen nur auf Kosten der geistigen Gesundheit erlangt werden kann. Der Zugewinn an Mythos-Wissen, und das ist der Szenario-Part, führt zu neuen Rätseln, Verschwörungen und Gefahren. Die Struktur eines Cthulhu-Szenarios greift mit den Regeln ineinander und schließt den Kreis zu einer Spirale, die den Druck immer weiter erhöht. Man sieht also, Cthulhu ist ein ziemlich kohärentes System.
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Offline Fredi der Elch

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Re: Die fruchtbare Leere
« Antwort #9 am: 11.11.2005 | 12:35 »
Das Problem trat früher selten auf, da sich Regeln sowieso nicht um das drehten, was in einem Spiel wichtig war. :P
Har.  Das stimmt. >;D

Zitat
Der Witz ist also nicht, dass das Auge des Sturms leer bleibt. Klar, darauf muss man auch achten, aber das ist nur Lektion Nr. 1. Der eigentliche Witz ist Lektion Nr. 2: Dass alle Pfeile um das Auge herum angeordnet sind und aufeinander zeigen. Sie zeigen nicht einfach irgendwohin. Sie erzeugen den Wirbelsturm.
Word!!  :d

Zitat
Die Pfeile sind nicht nur Regeln. Sie sind das gesamte Spielkonzept. In Big-Model-Termini: Alle durch den Autoren vorgegebenen Elemente der Exploration.
Das stimmt. Hätte nicht "Systemelemente" schreiben sollen...

Zu Cthulhu sage ich jetzt mal nichts, denn da habe ich eine ganz, ganz andere Meinung... ;) Wäre vielleicht was für einen eigenen Thread.
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Zitat von: 1of3
D&D kann immerhin eine Sache gut, auch wenn es ganz viel Ablenkendes enthält: Monster töten. Vampire kann gar nichts.