Autor Thema: [Alter Film] Artists and Models (1955) - mit Dean Martin und Jerry Lewis  (Gelesen 5464 mal)

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Offline Jed Clayton

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Vorgestern habe ich zum Spaß mal den alten Spielfilm "Der Agentenschreck" mit Dean Martin und Jerry Lewis angesehen (Originaltitel: Artists and Models).

Im Großen und Ganzen mag ich ja fast alle Filme von Martin und Lewis. Die Solo-Filme von Jerry Lewis (und auch viele von Dean Martin) aus den 60er und 70er Jahren sind dagegen nur bedingt zu ertragen, und Lewis' Spätwerk ist fast völlig unerträglich oder extrem absurd.

Ich hatte mir "Den Agentenschreck" schon vor fast sechs Jahren vom Fernsehen aufgezeichnet, damals noch auf eine alte VHS-Kassette, und musste daher erst mal zu Hause einen VHS-Rekorder neu anschließen und zum Laufen bringen, um mir diesen Film ansehen zu können.

Ich wollte ihn aber vor allem deswegen einmal ansehen, weil er eine Comic-Thematik hat und einen Einblick in die Welt der Comiczeichner und Verleger bietet, zumindest in der Fantasie der Filmemacher der 50er Jahre. Dazu muss man sagen, dass der Film "Den Agentenschreck" gerade mitten in einer Epoche erschien, als in den USA eine große Anti-Comic-Hysterie von konservativen Politikern und Pädagogen angezettelt worden war und das in diesem Spielfilm auch klar zum Tragen kommt.

Die Stimmung gegen angeblich jugendgefährdende Schmutz- und Schundhefte wurde in der zweiten Hälfte der 50er Jahre sogar so schlimm, dass damals sehr viele Serien ausstarben, auch Batman und Superman sich einige Jahre schlecht verkauften, Batman zum Beispiel zeitweise zur bunten Witzfigur entschärft wurde und das gesamte Superhelden-Comicgeschäft erst in den mittleren 60er Jahren wieder neu anzog, unter anderem durch Spider-Man und die Fantastic Four.

Worum aber geht es nun in diesem Jerry-Lewis-und-Dean-Martin-Film?

Dean Martin spielt einen Arbeit suchenden, ständig abgebrannten Maler namens Rick, der davon träumt, an der Uni ordentlich Malerei und Kunstgeschichte zu studieren und eines Tages seine Gemälde in den großen Kunstgalerien aufgehängt zu sehen. Er muss sich aber mit dem Malen von Werbetafeln oder Plakatmotiven über Wasser halten, wohnt in einer Billig-Absteige und niemand will etwas von seinen Gemälden wissen. Ständig wird er von seinem Jugendfreund Eugene (Jerry Lewis) begleitet, der aus dem gleichen kleinen Provinzkaff stammt wie er selbst, eine überschäumende Fantasie hat und dabei leider völlig verblödet scheint.

Eugene hat außerdem eine krankhafte Begeisterung für den Horror-Comic "Bat Lady", der für seine besonders grausamen und abstrusen Morde, Szenen mit Vergiftungen, Enthauptungen, Erdrosselungen und andere Dinge bekannt ist. Später kommt aber heraus, dass Eugene in Wirklichkeit nur ein naives Gemüt hat und am liebsten Kinderbücher schreiben möchte, mit seinen selbst erfundenen Lieblingsfiguren "Freddy die Feldmaus" und "Gussi die Gans", die auf einer idyllischen Farm leben.

Als Rick (Dean) und Eugene (Jerry) wieder einmal ihre Jobs als Werbemaler verloren haben und hungrig in ihrer Wohnung sitzen, erfahren sie durch einen Zufall, dass im Stockwerk unter ihnen gerade eine "erfolgreiche junge Künstlerin" eingezogen ist. Eugene kommt dann auch die Idee, der Künstlerin zu erzählen, dass sein Mitbewohner Rick ein aufstrebender Kunstmaler ist, um Aufträge und Kunden für ihn zu bekommen. Dann stellt sich aber heraus, dass die angebliche Malerin Abigail in Wirklichkeit niemand anderes als die Autorin der Serie "Bat Lady" ist, die gerade mit ihrer besten Freundin Bessie (gespielt von Shirley MacLaine) an einer Reihe von Zeichnungen arbeitet, wobei diese Freundin ihr immer im Kostüm von "Bat Lady" Modell stehen muss. Die junge Zeichnerin hasst diese Serie in Wirklichkeit, aber ihr Verleger nötigt sie immer wieder, neue blutrünstige Abenteuer der Heldin zu erfinden. Allerdings kann der Verleger diese Serie in Wirklichkeit auch nicht leiden und bringt sie nur heraus, weil seine Frau so geldgierig ist und denkt, dass man nur noch mit Blut und Gemetzel Comichefte an die Kunden bringen kann. Aber Rick, der große Charmeur und Hobby-Sänger, findet natürlich sofort Gefallen an der jungen blonden Zeichnerin und versucht daraufhin ständig, sie zu Verabredungen zu überreden und so weiter.

Weil aber ihre Freundin Bessie immer für die Figur der Bat Lady Modell gestanden hat und Eugene so ein großer Fan der Comicfigur ist, meint sie, bei ihm landen zu können, weil sie gerade in einem Horoskop gelesen hat, sie würde in Kürze ihren idealen Traummann treffen.
Eugene hat aber scheinbar nur Augen für die fiktive Figur der Bat Lady und findet Bessie eigentlich ziemlich blöd. (Vermutlich ein interessanter Seitenhieb auf die Situationen mit Doppelidentitäten der Comichelden?)

Eines Nachts kann der Zeichner Rick wieder mal nicht schlafen, weil Eugene im Bett neben ihm liegt und im Schlaf laut Comic-Texte spricht. Dabei fällt Rick gleich auf, dass sein Freund offensichtlich im Schlaf die Serie von "Vincent the Vulture" erträumt, der auf seinen Flügeln bis ins Weltall fliegen kann. Dieser Held ist "halb Mann, halb Junge und halb Vogel ..." (ja, richtig... er hat drei Hälften!). Jedes Mal, wenn Eugene aber aufwacht, kann er sich nicht mehr an seine Träume erinnern. Sein Freund, der Maler, notiert sich die abstrusen Abenteuer und Kampfszenen, die Eugene nachts im Traum gemurmelt hat und geht damit am nächsten Tag zum Büro eines großen und einflussreichen New Yorker Verlegers, um sie ihm als neue Comic-Serie zu verkaufen. Das funktioniert auch ziemlich gut, ohne dass der völlig arglose Eugene etwas davon mitbekommt. Sein Mitbewohner erzählt ihm später, er habe eines seiner Gemälde an einen reichen Sammler verkauft und sei auf diese Weise plötzlich zu Geld gekommen. Daneben stößt Eugene mit seinem eigenen Vorschlag, das Kinderbuch über Freddy die Maus und Gussi die Gans bei dem Verlag unterzubringen, auf völlige Ablehnung, da der Verlag ja von der "bösen" Frau des Verlegers kontrolliert wird. (Auch das ist vermutlich für die Entstehungszeit des Films sehr ironisch zu sehen, da keiner der damaligen Comic- und Pulp-Verlage von einer Frau geführt wurde. Selbst wenn ein Verleger in den 50er Jahren aus Geldnöten eine reiche Witwe oder Millionenerbin geheiratet hätte, hätte eine Frau damals kaum Einfluss auf den redaktionellen Inhalt der Comichefte genommen.)

Die Zeichnerin, die Bat Lady erfunden hat, aber endlich seriöse Kunst produzieren möchte, gewinnt das Vertrauen von Eugene. Dieser erzählt ihr, dass die brutalen Comichefte, die er über die letzten 15 Jahre gelesen habe, offenbar seinen Geist vernebelt hätten und sein Unterbewusstsein im Schlaf immer versuchen würde, die Eindrücke daraus zu verarbeiten. Das führe immer zu seinen nächtlichen Schreien und dem Reden im Schlaf.

Die junge Zeichnerin wehrt sich gegen die Forderungen des Verlegers, noch mehr Blut und Brutalität in ihre Serie einzubauen, wodurch Bat Lady das Aus droht wird und der Verlag auf die neue Figur "Vincent the Vulture" setzt, die ja Eugenes Freund Rick dort als Pitch eingereicht hat.
Als dieser jedoch sieht, dass der Verlag als Fan-Artikel unter anderem den originalen angefeilten Vincent-Schlagring und das Vincent-Atomgewehr (ein Plastikgewehr, aus dessen Mündung ein kleiner Atompilz herausschießt!) auf den Markt gebracht hat, sagt er dem Verleger seine Meinung und schwört, niemals wieder an einer so brutalen und verdorbenen Serie mitzuarbeiten. Empört und enttäuscht stürmt Rick aus dem New Yorker Büro.

Erst im letzten Drittel des Films kommt dann die Agenten-Handlung ins Spiel. Wer sich bis dahin die ganze Zeit über gefragt hat, warum der Film auf Deutsch "Der Agentenschreck" heißt, wird nun endlich aufgeklärt:
In einem der Comichefte zu "Vincent the Vulture" steht die erste Hälfte einer ultrageheimen neuen Raketenformel des amerikanischen Verteidigungsministeriums, die niemand kennen darf, die aber Eugene offensichtlich in einem seiner Träume zufällig vor sich gesehen hat. Nun bespitzeln prompt mehrere Beamte der "Geheimpolizei" (ja, die heißt in dem Film wirklich so!) den armen Maler, weil dieser ja für das Comicheft verantwortlich war. Bei einem Verhör erzählt Rick den Polizisten die ganze Geschichte aus seiner Sicht. Darauf beschließt die Geheimpolizei, auch Eugene zu schnappen und unter Schutz zu stellen, da er auch den zweiten Teil der Formel kennen könnte. Gleichzeitig haben das aber auch die bösen Kommunisten aus dem Ostblock bemerkt und wollen Eugenes Träume für sich haben. Deshalb setzen die kommunistischen Spione eine blonde aufreizende Ungarin auf Eugene an. Eugenes Freund gelingt es kurz darauf noch irgendwie, diese ungarische Agentin abzufangen und stellt sie seiner neuen Freundin Abigail als seine Mutter aus der Provinzstadt vor, was ihm diese natürlich nicht abnimmt. Damit gibt es zunächst natürlich einen Riesenstreit zwischen der jungen Zeichnerin Abigail und Rick dem Maler (Martin), sowie weitere Verwicklungen und Missverständnisse zwischen Rick und Eugene.

Alle Handlungsstränge werden dann zu einem völlig chaotischen Finale bei einer großen Gala geführt, bei welcher alle Gäste in fantasievollen Kostümen erscheinen sollen. Eugene rennt bei dieser Kostümparty in einem riesigen grauen Mauskostüm als seine Figur "Freddy die Feldmaus" herum und seine Möchtegern-Freundin wollte als Bat Lady kommen, aber ihr Kostüm wurde vorher von der blonden Ungarin entwendet, die damit vorerst entkommt ...

In einem abgelegenen villa-artigen Landhaus, in dem rein zufällig komplette Ritterrüstungen herumstehen, kommt es dann zum Showdown zwischen den beiden Freunden (Dean Martin und Jerry Lewis), ihren beiden Freundinnen, den kommunistischen Agenten und der Polizei.

Mein Fazit:
Bis zum letzten Drittel, in dem dann das Militär, das Raketenprojekt der USA und die seltsamen ungarischen Agenten auftauchen, ein einigermaßen passabler Slapstick-Buddymovie mit den üblichen Martin-und-Lewis-Scherzen, der zum Teil nur durch die vielen einfallsreichen Gesangs- und Blödeleinummern der Hauptdarsteller über das Mittelmaß gehoben wird. Man muss wissen, dass im Jahr 1955 Martin und Lewis schon seit fast zehn Jahren am laufenden Band zusammen Filme machten und mit Abstand das erfolgreichste Duo des damaligen Showbusiness waren. Ein Jahr später sollten sie sich aufgrund künstlerischer Differenzen trennen. In diesem Film waren sie also schon sehr routiniert aufeinander eingespielt, wurden aber m.E. in eine ziemlich unausgegorene Story rund um Missverständnisse, brotlose Künstler, Tunichtgute, Träumer, das Verlagswesen und die Comic-Branche gesteckt.

Die Comics und Comichelden müssen dabei letztlich auch nur als Lacher und als Buhmann des bürgerlichen Establishments herhalten:
Eugene, der eigentliche Sympathieträger, wirkt in den ersten 20 Minuten des Films wie ein verwirrter Vollidiot oder ein großes Kind. Er ist aber eigentlich genauso schlau, wenn nicht sogar schlauer, als sein Freund, der Kunstmaler, kann das aber nicht in letzter Konsequenz zeigen, da die Comics von Bat Lady ihm den Kopf verdreht haben und seine wahre Geistesschärfe unterdrücken.

In dem Film sind außerdem alle Comicserien "böse", da sie angeblich nur voller Blut, abgetrennter Gliedmaßen, Folter, Mord, Waffen und so weiter steckten und Kinder zur Brutalität und Gefühllosigkeit anstifteten. So sieht man zum Beispiel, wie eine erboste typische Hausfrau mit ihrem etwa 9 Jahre alten Sohn im Büro des Comicverlags erscheint, um sich bei dem Verlag für die Verbreitung seiner Machwerke zu beschweren. Der kleine Sohn macht ständig freche Gesten, steckt den Erwachsenen die Zunge raus, schreit herum und zeigt auch sonst überhaupt keine Sozialisierung und kein bisschen Feingefühl. Einer seiner besten Sprüche ist, "Bat Lady lese ich nicht mehr. Die ist mir viel zu zahm geworden. Sie soll mir gestohlen bleiben." Er ärgert zum Beispiel Eugene, indem er ihn mit dem Wasser aus dem Wasserspender im Vorzimmer überschüttet. Darauf lacht er ihn laut aus und sagt, "Wie schade, dass in dem Behälter keine Schwefelsäure war. Das löst das Fleisch ganz leicht von den Knochen."

Die Charaktere in dem Film haben alle erst dann wirklichen Erfolg, als sie sich von den bösen und brutalen Comics lossagen: Alle Zeichner arbeiten danach als anständige, seriöse Maler beziehungsweise Illustratoren--und Eugene darf endlich Kinderbuchautor werden. Zudem werden die Männer auch erst dann vernünftig und solide, als sie die Frauen heiraten und ihrem chaotischen Vagabundenleben von vorher abschwören. Also wieder die reine Propaganda der Bürgerlichen.


Na gut, Shirley MacLaine ist trotzdem irgendwie recht gut.

« Letzte Änderung: 1.12.2009 | 22:30 von Jed Clayton »
"Somewhere there is danger, somewhere there's injustice, and somewhere else the tea is getting cold."

(Doctor Who, Survival, 26th season, serial 4, part 3)

Offline Lyonesse

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Ja, ja, der gute alte Comic-Code - und die Schere existiert ja auch weiterhin bis heute im Kopf.
Was sind denn eigentlich die besten Filme des Duos? Die laufen ja heute auch noch ab und zu.
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