Autor Thema: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?  (Gelesen 16345 mal)

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Eulenspiegel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #125 am: 10.04.2010 | 22:59 »
"Literatur im weitesten Sinne" ist keine Definition von Literatur.
Genausowenig wie "blablub im weitesten Sinne" eine Definition von blablub ist.

Offline Merlin Emrys

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #126 am: 10.04.2010 | 23:04 »
"Literatur im weitesten Sinne" ist keine Definition von Literatur.
Und außerdem besagt dieser kleine Satz, daß seitenweise Text völlig überflüssig gewesen ist, und das ist ja zugegebenermaßen ziemlich ärgerlich, nicht wahr? Und "weil nicht sein kann, was nicht sein darf", schließlich ... ;-)

Offline WeepingElf

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #127 am: 10.04.2010 | 23:34 »
Ach wisst ihr, für mich ist es eher nebensächlich, ob das Ergebnis von Rollenspielrunden Literatur ist oder nicht, Hauptsache das Spiel selbst macht Spaß!
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Achamanian

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #128 am: 11.04.2010 | 09:52 »
1) Wieso solltest du nicht Autor eines Textes sein, der in einer Sprache verfasst ist, die du nicht kennst? Wenn jemand deine Ideen wortwörtlich übersetzt ohne kreativen Eigenprozess, bist du der Autor des übersetzten Textes.


Es ist nicht möglich, ein Werk ohne kreative Eigenleistung zu übersetzen. Wenn du wortwörtlich übersetzt, übersetzt du nämlich nicht, sondern baust ungenießbaren Mist. Ich weiß es aus Erfahrung, Übersetzen ist mein Beruf.

Ansonsten finde ich die Frage nach dem Literaturstatus von RSP-Ergebnissen ja wie gesagt auch nur begrenzt wichtig. Ich finde nur die Ablehnung gegen jede kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Alltagsverständnis von Begriffe erschreckend, deshalb beiße ich mich daran so fest. Autoren sind eben keine Atome. "Es gab schon immer Autoren" ist an sich etwa eine so sinnvolle Aussage wie "Es gab schon im C64-Programmierer". Ob es bestimmte Menschen gibt, die über eine bestimmte gesellschaftliche Tätigkeit (und die Autorentätigkeit ist wie jede andere auch eine Gesellschaftliche, auch wenn die Romantiker das vielleicht nicht glauben wollten ...) definiert werden, hängt immer von den wechselhaften Gesellschaftlichen Verhältnissen ab. Ob es Atome gibt, hängt dagegen nicht von den gesellschaftlichen Verhältnissen ab.

Aber ich schreib mir hier auch nicht die Finger wund, damit sich dann wieder die aufgeweckten kleinen Leutchen wie WeepingElf über die dummen Akademiker lustig machen können ... ja, Mensch, ich spiele RSP auch, weil es mir Spaß macht, und mir ist auch egal, ob Literatur dabei herauskommt oder nicht. Aber wenn man über die Frage diskutiert, sollte man das eben auch genau das ernsthaft tun, und nicht mit diesem dummdreisten "Mann seid ihr alle blöd"-Gestus ankommen, nur, weil man selbst nichts beizutragen hat.

Offline korknadel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #129 am: 12.04.2010 | 12:06 »
Witzigerweise hat die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen mündlichen sprachlichen Äußerungen im Hinblick auf ihr Literatur-Sein oder Nicht-Literatur-Sein durchaus zu Zeiten unsrer (literarischen) Altvorderen ganz anders ausgesehen. Irgendwo hier im Thread wurde zwischen der Chimäre der "mittelalterlichen Erzählung" die Bemerkung fallen gelassen, bestimmte mündliche Sprachäußerungen wären "nur" ein Gespräch. Den auf Fixierung fixierten Diskussionsbeiträgern wird man damit zwar nicht zu Leibe (oder besser: zu Sinne) rücken können, aber sehr interssant finde ich doch, dass bereits bei den klügsten Köpfen der Antike gerade das Gespräch als eine hohe "Literaturform" angesehen war. Weshalb Leute wie Platon das Gespräch so sehr geschätzt haben, hängt ja mit der ihm innewohnenden Dialektik zusammen, und genau diese Dialektik ist auch vonnöten, um die von Achamanian und Bitpicker gemeinte Differenzierungsfähigkeit aufzubringen.

Jedenfalls gibt es etliche, sehr prominente Beispiele dafür, dass selbst das Gespräch eine ungeheure literarische Relevanz besaß, sonst hätte man sich nicht die Mühe gemacht, Texte in diese Form zu kleiden oder gar Gespräche aufzuzeichnen, bzw. sie in Briefen an dritte "weiterzureichen" (am umfangreichsten dürften wohl Goethes Gespräche (nicht nur die mit Eckermann!) dokumentiert sein). So ist also auch das Gespräch letztlich eine mündliche Literaturgattung, die ähnlich wie kultische Gesänge, Reden, Predigten, Märchen, Legenden, Witze etc. den Sprung in die schriftliche Fixierung geschafft haben.

Zurück zum Rollenspiel: Jetzt bin ich einmal ganz kühn und behaupte (und darauf wollte ich ja auch in meinen letzten Posts schon hnaus), dass es noch ganz andere Arten der "Fixierung" gibt, als nur die Fixierung in einem Medium oder die im Gedächtnis eines Rezipienten, wie Eulenspiegel argumentiert. Dabei denke ich an gattungsspezifische und formale Fixierungen. Auch die mündliche Literatur besitzt ja mannigfaltige Gattungen, die sich nicht nur durch die Situation unterscheiden, in der sie entstehen, sondern auch formal. Wer zweihundert Witze gehört hat, kann die formalen Eigenheiten (z.B. geringe Textlänge, Präsens, schnörkellose Satzstruktur) sicher schnell umreißen und die Witze nach formalen (nicht nur inhaltlichen) Gesichtspunkten sogar in mehrere Untergattungen aufteilen: Der Frage-Witz, der Drei-Stufen-Witz, der Einzeiler, etc.

Mit derlei formalen Eigenschaften lassen sich die meisten mündlichen Literaturgattungen beschreiben. Und also behaupte ich, dass es eine formale Fixierung von mündlichen Sprachäußerungen gibt, die sie in den Stand von Literatur erheben. Selbst wenn ich also ein Gebet oder eine Predigt aus dem Stegreif spreche, also einen völlig neuen Inhalt erfinde, erfülle ich mit ziemlicher Sicherheit eine bestimmte formale Schablone (im Gebet zum Beispiel werde ich den angebeteten wahrscheinlich anreden, und auch wenn ich die Worte dafür völlig neu erfinde, erfülle ich doch den für die Literaturgattung Gebet erforderliche Form, die fixiert ist.)

Und auch wenn ich von einer selbst erlebten Begebenheit erzähle, die noch nie da war, wo es also keinerlei Vorlage gibt, kleide ich sie abends in der Kneipe vielleicht doch in die Form einer Anekdote, bediene mich also einer bestimmten Form und schaffe ein Werk einer bestimmten mündlichen Lteraturgattung, auch wenn das später niemals schriftlich fixiert oder weitererzählt wird.

Beim Rollenspiel handelt es sich freilich auch um eine solche Einmal-Literatur, das hat Bitpicker besser beschrieben, als mir das möglich sein wird. Aber, und darauf habe ich ja oft genug hingewiesen, werden von den Teilnehmern einer Rollenspielsitzung eine ganze Menge formaler Gattungsspezifika erfüllt (wie gesagt, sehr viel Präsens, sehr viel Rede in der zweiten Person, regelmäßiger Wechsel zwischen Narration, Dialog in real und in Figurenrollen, etc.).

Ganz zu schweigen, dass es selbst in Eulenspiegels Definition von "Bearbeitung einer Vorlage" schon aufgrund der Regeln und des jeweiligen Settings eine literarische Vorlage gibt. Und damit meine ich nicht, weil diese Bücher gedruckt sind. Sondern es gibt Versatzstücke wie in der Erzählertradition, wo Geschichtenerzähler aus einem Repertoire von Handlungsbausteinen schöpfen und daraus stegreifmäßig ihre Geschichten zusammenwerfen. So ist im Rollenspiel schon allein die Tatsache zum Beispiel, dass ein Plüschtier einen Wert für Karate besitzt, ein solcher Handlungsbaustein, denn der Erzähler (also Spieler) wird nicht auf die Idee kommen, sein Plüschtier in der entsprechenden Situation mit Pfeil und Bogen schießen zu lassen, weil Regeln und Hintergrund dies nicht vorgeben. Wenn es zum Kampf kommt, wird er auf Karate zurückgreifen, das ist gewissermaßen eine inhaltliche Vorgabe der Erzählung. Schon allein die Tatsache, dass es sich bei der Figur in diesem Falle um ein Plüschtier handelt, ist ein solcher Baustein. Den Einfluss dieser vorgegebenen Details selbst auf das freieste Rollenspiel ist sehr groß und müsste selbst den Fixierungsfanatikern ein wenig Wind aus den Segeln nehmen (was es aber, ich weiß es, nicht tun wird.)

« Letzte Änderung: 12.04.2010 | 12:11 von korknadel »
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Eulenspiegel

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Re: Ist das Ergebnis von Rollenspielsitzungen Literatur?
« Antwort #130 am: 12.04.2010 | 22:23 »
@ Korknadel
Dann würde mich mal interessieren, wo du persönlich den Unterschied zwischen Kommunikation und Literatur siehst:
Imho ist Literatur eine echte Teilmenge von Kommunikation.

Aber wie siehst du das: Benutzt du die beiden Begriffe synonym? Oder gibt es Kommunikation, die keine Literatur ist? Wenn ja, woran machst du fest, ob eine bestimmte Kommunikation jetzt Literatur ist oder nicht.

Zu den antiken Gesprächen:
Gerade die "Streitgespräche" zwischen Schüler und Lehrer wurden auch festgehalten und weiter überliefert. Diese Gespräche sind also Literatur.

Beispiel 1: Die normalen Gespräche
Schüler1: "Hallo!"
Schüler2: "Hallo, hast du die Hausaufgaben gemacht?"
Schüler1: "Nein, ich kam nicht dazu, gestern war ne großartige Feier."
Lehrer: "Ruhe, der Unterricht beginnt."

Dieses Gespräch wird wohl 10 Minuten nach Unterrichtsbeginn in Vergessenheit geraten sein. Die drei Leute haben zwar kommuniziert, die Kommunikation wurde aber nicht fixiert. Daher ist dieses Gespräch zwar Kommunikation, aber keine Literatur.

Beispiel 2: Bei den Streitgesprächen
Schüler: "Lehrer, woher weist du, das die Erde rund ist?"
Lehrer: "Na weil man bei einem Schiff zuerst die Mastspitze sehen kann. Das lässt sich nur durch eine Runde Erde erklären."
Schüler: "Ja, aber müssten wir dann nicht auf der anderen Seite runterfallen?"
Lehrer: "Nein, denn..."

Diese Form der Gespräche wurde später mehrmals rezitiert. Es ist sogar unklar, ob dieses Gespräch jemals wirklich stattgefunden hat, oder ob sich der Lehrer das "Gespräch" einfach ausgedacht hat, um einen Sachverhalt zu verdeutlichen.
Daher ist dieses "Gespräch" auch Literatur.

Und ich denke, Platon hat die zweite Form von Gespräch gemeint, wenn er von Literatur sprach.

Aber wollen wir uns nicht hinter antiken Denkern verstecken. Was denkst du? Sind beide Gespräche in deinen Augen Literatur? Oder nur eines oder keines?
Und egal, wie deine Antwort ausfällt: Warum?

Zitat
Jedenfalls gibt es etliche, sehr prominente Beispiele dafür, dass selbst das Gespräch eine ungeheure literarische Relevanz besaß, sonst hätte man sich nicht die Mühe gemacht, Texte in diese Form zu kleiden oder gar Gespräche aufzuzeichnen, bzw. sie in Briefen an dritte "weiterzureichen" (am umfangreichsten dürften wohl Goethes Gespräche (nicht nur die mit Eckermann!) dokumentiert sein).
Du vertauscht hier Ursache und Wirkung:

Falsch: "Weil das Gespräch literarisch ist, wurde es aufgezeichnet."

Richtig: "Weil das Gespräch aufgezeichnet wurde, ist es literarisch."

Eine Korrelation ist sicherlich vorhanden. Aber bitte nicht Ursache und Wirkung verwechseln. ;)