Lieber Wellentänzer, dein Versuch, die Diskussion auf ein anderes Feld zu verlagern, ist mir einerseits sehr sympathisch. Ich finde nämlich auch die abwertenden Bezeichnung für Arten von Rollenspiel, bei dem die SL aus guten und nachvollziehbaren Gründen mal die für die Spieler geltenden Regeln aussetzt, unnötig (allerdings, hier eine erste leise Kritik: Ich hab eh das Gefühl, dass diese Phase ziemlich vorbei ist und sich auf breiter Front, einfach durch die Spielerlebnisse der Leute, die Erkenntnis durchsetzt, dass man am besten, also am schönsten, spaßigsten, kreativsten spielt, wenn man ein bisschen achtsam rausfindet, was man mit einer Gruppe von Leuten möchte und sich dann der richtigen Methoden bedient. Und dann ist es gut, wenn es möglichst viele, möglichst gut beschriebene Methoden gibt).
Zweitens spielen Fairness und Vertrauen sicher eine wichtige Rolle und es kann lohnend sein, dies etwas genauer anzuschauen, also über das bekannte Diktum "Eigentlich ist ja nur die Gruppe wichtig" oder "Hauptsache, man versteht sich gut" hinaus. (Hier aber meine zweite leise Kritik: Ich finde das wissenschaftliche Arsenal, das du dazu auffährst, ein bisschen hoch gegriffen. Mein Vorschlag wäre, hier eher auf best-practice Beispiele zurückzugreifen und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Wenn einzelne Diskussionsteilnehmende da auf psychologische/soziologische Forschung zurückgreifen wollen, okay, aber ich glaube, wir erreichen mit alltagsnäheren Methoden genau so viel. Und was hinten rauskommt, ist für viele nützlicher).
Ich würde aber einwenden, dass die Verlagerung weg von der Betrachtung der Interaktion von Regeln mit dem sozialen Raum bzw. dem Erleben der Gruppe ("system matters") hin zum Primat des sozialen Raums, wie du das vorschlägst, einige wichtige Erkenntnis über Bord wirft, die speziell die von dir ungeliebte Forge eben doch produziert hat. Ich halte es für unbestreitbar, dass Regeln eben doch eine wichtige Rolle dafür spielen, was mit einer Anwendung der Methode Rollenspiel je und je möglich ist (schöner wurde eine Binsenweisheit nie verpackt
).
(Leise Kritik die dritte: Ich habe den Eindruck, dass du in deinem Bemühen, die Forge und die Besserspieler endlich mal ad acta zu legen, diesen Konflikt eigentlich nur selber am Leben erhältst. Was du anzugreifen vorhast, reproduzierst du durch die radikale Kehrtwende, die du anvisierst, eigentlich eher. Aber wo sind denn heute noch die geifernden Forge-Apologeten, die jeder SL, die mal ein Würfelergebnis ignoriert, die Rollo-Polizei auf den Hals schickt? Lassen wir das einfach hinter uns, diese Feindbilder braucht doch keiner mehr).
Mein Vorschlag wäre deshalb: Nehmen wir die richtigen Erkenntnisse, die sich durch die praktischen Erfahrungen vieler Spielrunden mit Indies, OGL usw. verbreitet haben und widmen uns, damit gerüstet, wieder einer uraltem Rollenspielweisheit: "Die Gruppe zählt", meinetwegen mit Begriffen wie Fairness und Vertrauen. Wir müssen dann nicht sagen: Regeln zählen gar nicht, es geht nur um das freundschaftliche Aushandeln der Fiktion zwischen Gruppenmitgliedern. Wir könnten uns eher fragen:
- Welche Versuche gibt es in verschiedenen Regelsystemen, Vertrauen und Fairness zu organisieren?
- Welche Ausnahmen von der Regelhaftigkeit werden wem unter welchen Bedingungen gestattet und wie geht es, dass das Vertrauen darunter nicht leidet?
- In welchen Momenten sind für welche Spielziele transparente Regelanwendungen nötig und wann darf/muss/soll jemand etwas individuell entscheiden, weil/obwohl die anderen ihm/Ihr vertrauen?
Ich würde auch hier wieder darum bitten, dass wir die Diskussion möglichst unakademisch halten und mehr auf Spielbeispiele vertrauen. Meine Befürchtung wäre, dass wir sonst seitenlange Threads bekommen, in denen über den Begriff der Fairness und des Vertrauens gestritten wird, bis am Ende keiner mehr weiß, was das eigentlich sollte. Sinnvoller fände ich, erstmal stillschweigend davon auszugehen, dass schon jeder weiß, was Vertrauen und was Fairness ist und mit diesen unbestimmten Werkzeugen mal loszuziehen. Sie werden sich im Verlauf der Reise an der Arbeit mit Spielsituationen von selber schärfen.
Oder?