Autor Thema: Cthulhu 2016  (Gelesen 4678 mal)

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ErikErikson

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Cthulhu 2016
« am: 9.12.2016 | 16:55 »
Cthulhu selber, also als Monster, ist ja nicht so gruselig wie er vielleicht mal war. So als Kreuzung zwischen Drache und Oktopus und als Plüschfigur im Laden. Könnte man Cthulhu- bzw. den ganzen Mythos- dem Zeitgeist anpassen und ihn wieder richtig unheimlich machen?

Es glaubt keiner mehr das an der Amiküste tiefe Wesen leben, weil ist ja alles vermessen, Friedhöfe sind zu modern um das Ghoul-Feeling aufkommen zu lassenu usw.

Delta Green hat das ja gemacht, ist aber irgendwie ein Kinde der 90er mit grauen Männchen und wiedergeborenem Hitler.

Als wovor was haben wir heute Angst? Was könnte "Cthulhu" in unserer Zeit sein?

Achamanian

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #1 am: 9.12.2016 | 17:01 »
Der erste Schritt wäre wohl, das "Cthulhu" zu streichen und sich von der ganzen Mythossoße zu trennen ... nichts gegen Lovecraft, dessen Werke finde ich teilweise nach wie vor höchst verstörend. Aber die Cthulhu-Popkultur ist eben Popkultur. Den Vampiren und Zombies ist es ja nicht anders ergangen ... klar kann man da immer noch einen schreckenerregenden Kern bloßlegen - aber nur, indem man ganz radikal neu- und umdeutet und sich von dem bekannten Bilder- und Figureninventar trennt.
Cthulhu 2016 gibt es in dem Sinne schon längst, vertreten durch zeitgenössische Horror-AutorInnen, die sich NICHT explizit bei Lovecraft bedienen, aber trotzdem thematisch an ihn anknüpfen. Mir fällt jetzt immer nur Laird Barron ein, aber da ich bei den Zeitgenossen nicht so belesen bin, vermute ich stark, dass es noch zahlreiche weitere gibt, deren Namen ich auf die Schnelle nicht nennen kann.

Offline Scimi

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #2 am: 9.12.2016 | 17:53 »
Lovecrafts Problem war ja ebenso, dass die ganzen Monster aus Mythologie und Literatur inzwischen zum Mainstream gehörten und den Leuten einfach zu vertraut waren. Also hat er sich eigene Monster ausgedacht oder aus unbekannteren Quellen rekrutiert. Seine anderen Zutaten waren klassische Horrorelemente (Gewalt, Alleinsein, Wahnsinn, "Lost Places", Bedrohungen aus der Vergangenheit etc.) in einem nüchternen, fortschrittlichen, kontemporären Setting.

Ich denke, dass die Menschen immer noch vor denselben Dingen Angst haben wie eh und je und was die effektiven Monster angeht, kann man sich gerade im Rollenspielbereich aus tatsächlich hunderten von Kreaturenbüchern und Abenteuern wirklich gute, neue und moderne Ideen herauspicken.

Damit es wirklich als Horror funktioniert, muss man das dann nur noch in einer Geschichte wirkungsvoll präsentieren, dazu braucht es halt einen guten Autor (oder SL).

Ucalegon

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #3 am: 9.12.2016 | 18:56 »
Delta Green hat das ja gemacht, ist aber irgendwie ein Kinde der 90er mit grauen Männchen und wiedergeborenem Hitler.

Wobei das entscheidende Verdienst weder der UFO-Kram noch die Karotechia waren, sondern dass Lovecrafts xenophobe Obsessionen in den Hintergrund gerückt und stattdessen das ubiquitäre Misstrauen gegenüber der US-Regierung, Verschwörungstheorien und gefährliche Kulte für eine zeitgemäße Umdeutung des kosmischen Grauens in den Blick genommen wurden. Und das ohne den Rechtsdrall der X-files.

Das neue DG beantwortet, soweit man das bisher sagen kann, deine Frage nach Cthulhu 2016 einmal mit der Terror-Paranoia post 9/11 und Edward Snowden, d.h. dem unkontrollierten Aufblähen der Geheimdienste, also im Prinzip einer Umkehrung des Zeitgeists der 90er Jahre. Außerdem wird die murderhobo-Tradition von CoC ausgehebelt, indem die Protagonistinnen und Protagonisten in ein soziales Netz gewickelt werden. Eine Mischung aus Familienideal und "Die Hölle, das sind die anderen." Man merkt, dass die Autoren älter geworden sind. Wie das Setting endgültig aussieht, wird sich zeigen.

Ganz aktuell ist dann natürlich spätestens mit Trump die Angst vor einem Auseinanderbrechen unserer Gesellschaft(en), dem eigenen Bedeutungsverlust, Relativismus und Isolationismus. Es scheint als hätten wir die Welt nie so viel und so wenig verstanden wie heute. Kein schlechter Ausgangspunkt für cosmic horror.

Mir fällt jetzt immer nur Laird Barron ein, aber da ich bei den Zeitgenossen nicht so belesen bin, vermute ich stark, dass es noch zahlreiche weitere gibt, deren Namen ich auf die Schnelle nicht nennen kann.

Von Barron habe ich jetzt mal die ersten short stories gelesen, nachdem du den hier so oft lobst.  ;) "Old Virginia" (DG lässt grüßen), "Shiva, open your eye" und "Proboscis." Wirklich gut, aber radikal umdeutend würde ich das jetzt nicht nennen. Naja, vielleicht kommt das noch.

« Letzte Änderung: 9.12.2016 | 19:02 von Ucalegon »

ErikErikson

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #4 am: 9.12.2016 | 19:26 »
Terrorismus ist mir auch in den Sinn gekommen, aber irgendwie hab ich nicht das Gefühl das die Leut sich wirklich davor fürchten. Also zumindest nicht davor in die Luft zu fliegen, eher das der Typ um die Ecke nen Terrorist sein könnte.

Korruption und Überwachung ist sicher ein gutes Stichwort, genauso wie Angst vor Multikulti. Vermutlich hat der Typ von heute am meisten Angst davor, das er von den eigenen Leuten verraten wird, das sich die engste Umwelt von ihm entfremdet und er sich auf nichts mehr verlassen kann.

Die Monster müssten also ambivalenter und unsichtbarer sein, und mehr in den direkten Lebensraum eindringen, also Haus, Familie, Job.


Achamanian

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #5 am: 9.12.2016 | 19:40 »
Von Barron habe ich jetzt mal die ersten short stories gelesen, nachdem du den hier so oft lobst.  ;) "Old Virginia" (DG lässt grüßen), "Shiva, open your eye" und "Proboscis." Wirklich gut, aber radikal umdeutend würde ich das jetzt nicht nennen. Naja, vielleicht kommt das noch.

Würde sagen, ja! Warte mal auf "Procession of the Black Sloth" (in der gleichen Storysammlung) - wobei die wirklich sehr wenig mit Cthulhu-Mythos-Motiven gemein hat und eher mit Ligottis "Corporate Horror". Ziemlich doppelbödiges Ding ...
Aus der zweiten Sammlung "Occultation" hat es mir dann nach "Strappado" sehr angetan, eine Story, die ganz ohne übernatürliches auskommt - und auch "The Siphon" (vielleicht war die auch in seiner dritten Sammlung).

Tendenziell wird Barron aber mit den späteren Stories eher etwas ironischer/pulpiger und für mein Gefühl auch weniger erschütternd. Einerseits sind die Stories dann manchmal etwas "gewitzter", andererseits aber auch nicht mehr so intensiv. Weiß noch nicht genau, ob mir diese Entwicklung gefällt.

Was ich vom neuen Delta Green lese, bringe ich übrigens atmosphärisch wirklich sehr gut mit diesem Autor zusammen, wohl auch wegen der Regeln für den Verfall von Beziehungen, der bei Barron oft eine große Rolle spielt (wobei seine Protagonisten eh schon meistens ziemlich fertig sind, wenn die Geschichte losgeht ...).

Offline Scimi

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #6 am: 9.12.2016 | 20:25 »
Terrorismus ist mir auch in den Sinn gekommen, aber irgendwie hab ich nicht das Gefühl das die Leut sich wirklich davor fürchten. Also zumindest nicht davor in die Luft zu fliegen, eher das der Typ um die Ecke nen Terrorist sein könnte.

Korruption und Überwachung ist sicher ein gutes Stichwort, genauso wie Angst vor Multikulti. Vermutlich hat der Typ von heute am meisten Angst davor, das er von den eigenen Leuten verraten wird, das sich die engste Umwelt von ihm entfremdet und er sich auf nichts mehr verlassen kann.

Mit solchen Themen wird mir in allen möglichen Medien schon genug Horror betrieben. Ich will bei Fantasy bleiben und nicht im Spiel schreckliche Vorurteile gegen meine Mitmenschen entwickeln. Lovecrafts "nautical looking negroes" sollen mir lieber gestohlen bleiben...

ErikErikson

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #7 am: 9.12.2016 | 21:00 »
Mit solchen Themen wird mir in allen möglichen Medien schon genug Horror betrieben. Ich will bei Fantasy bleiben und nicht im Spiel schreckliche Vorurteile gegen meine Mitmenschen entwickeln. Lovecrafts "nautical looking negroes" sollen mir lieber gestohlen bleiben...
Rückkehr den Nationalismus wäre auch so eine Furcht des Jahres 2016.

Supersöldner

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #8 am: 9.12.2016 | 21:01 »
Nazi Tiefe Wessen ^^ ?

Offline tartex

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #9 am: 9.12.2016 | 21:06 »
Das Gegenteil dazu die xenophobe Paranoia zu verwenden, wäre es natürlich die Protagonisten zum Ziel paranoider Xenophobie zu machen.

Aber irgendwie auch ausgelutscht. Die X-Men (obwohl natürlich gänzlich anderes Genre) sind da wohl die bekannteste popkulturelle Ausprägung. Oder übersehe ich was?
« Letzte Änderung: 9.12.2016 | 21:08 von tartex »
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Offline Rhylthar

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #10 am: 9.12.2016 | 21:15 »
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“Never allow someone to be your priority while allowing yourself to be their option.” - Mark Twain

"Naja, ich halte eher alle FATE-Befürworter für verkappte Chemtrailer, die aufgrund der Kiesowschen Regierung in den 80er/90er Jahren eine Rollenspielverschwörung an allen Ecken wittern und deswegen versuchen, möglichst viele noch rechtzeitig auf den rechten Weg zu bringen."

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Supersöldner

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #11 am: 9.12.2016 | 21:16 »
Ha Ha Ha.

ErikErikson

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #12 am: 9.12.2016 | 21:26 »
Gr nicht schlecht, erinnert mich an die Simpsons mit den Aliens als President. Aber kann man das Thema auch gruselig umsetzen? 

Offline Rhylthar

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #13 am: 9.12.2016 | 21:38 »
Naja, ich denke da an einen Tenor a la Akte X oder auch They live!.

Man weiss/ahnt etwas davon, kann aber evtl. Kaum etwas ausrichten. Macht sich entweder selber auf die Spur des Ganzen oder wird halt aufgrund des eigenen Wissens gejagt. 
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"Naja, ich halte eher alle FATE-Befürworter für verkappte Chemtrailer, die aufgrund der Kiesowschen Regierung in den 80er/90er Jahren eine Rollenspielverschwörung an allen Ecken wittern und deswegen versuchen, möglichst viele noch rechtzeitig auf den rechten Weg zu bringen."

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ErikErikson

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #14 am: 9.12.2016 | 21:39 »
Naja, ich denke da an einen Tenor a la Akte X oder auch They live!.

Man weiss/ahnt etwas davon, kann aber evtl. Kaum etwas ausrichten. Macht sich entweder selber auf die Spur des Ganzen oder wird halt aufgrund des eigenen Wissens gejagt.

Aber Akte X 2.0 wollen wir ja eben nicht!

Was halten ihr von der machine learning/AI Sache? ist halt auch irgendwie schon ausgelutscht, oder? Irgnedwie finde ich had die SciFi schon alles durch, was grade so aktuell ist....
« Letzte Änderung: 9.12.2016 | 21:42 von ErikErikson »

Achamanian

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #15 am: 9.12.2016 | 21:46 »
Gr nicht schlecht, erinnert mich an die Simpsons mit den Aliens als President. Aber kann man das Thema auch gruselig umsetzen?

Nein.
Das gezeigte Bild, so amüsant es sein mag, basiert ja gerade auf dem Popkultur-Charakter, den der Cthulhu-Mythos inzwischen hat. Man kann Spaß oder Satire machen, indem man das auf tagespolitische Ereignisse bezieht, aber Horror ist damit nicht zu holen ...

Oder anders: Wenn jemand sagt "Trump macht mir Angst", kann das durchaus wahr und sehr ernst sein, die "Angst", von der die Rede ist, ist allerdings eine konkrete Angst vor denkbaren politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, nicht eine an die Grundfesten der eigenen psychischen Verfasstheit rührende Angst, wie man sie bei "echtem" Horror empfindet. Und die cthulhoide Verlachung Trumps ist ja sogar eine Form der Angstabwehr - man setzt die als sehr konkret empfundene Bedrohung in einen harmlosen popkulturellen Kontext.

Will man herausfinden, was zeitgenössisch Angst im Sinne von Grusel/Grauen/Horror erzeugen kann, muss man sich wahrscheinlich eher mit den diffusen Ängsten befassen, die die gegenwärtige Gesellschaft hervorruft - in Industriegesellschaft wäre das vielleicht sowas wie die Zerfaserung der Persönlichkeit (konkret durch die extreme Aufmerksamkeitsaufsplittung ,die eine Existenz mit Handy/Internet/erodierender Trennung von Privatleben und Beruf usw.) oder vielleicht auch die Angst vor zufälliger, unmotivierter Gewalt, die plötzlich ins eigene Leben einbricht.

Da können sicher ähnlich zeitgemäße Sachen rauskommen wie damals bei Lovecrafts "kosmischem Grauen", das ja auch immer noch als Horrror funktioniert, wenn man sich drauf einlässt - man muss halt eigentlich nur erst mal gedanklich den ganzen Ballast des Cthulhu-Mythos loswerden, der eine Knuddelveranstaltung daraus gemacht hat ...

Ucalegon

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #16 am: 9.12.2016 | 22:19 »
Das Gegenteil dazu die xenophobe Paranoia zu verwenden, wäre es natürlich die Protagonisten zum Ziel paranoider Xenophobie zu machen.

Aber irgendwie auch ausgelutscht. Die X-Men (obwohl natürlich gänzlich anderes Genre) sind da wohl die bekannteste popkulturelle Ausprägung. Oder übersehe ich was?

Guck mal hier.

Horror muss definitiv nicht nur übernatürliche Fantasy sein. Beispiele für Horrorfilme, die hervorragend gesellschaftliche Untiefen navigieren:

Safe (AIDS)
Audition (Geschlechterverhältnis)
¿Quién puede matar a un niño? (Krieg)
Long Weekend (Umweltzerstörung)
Noriko's Dinner Table (Gesellschaftliche Isolation und Einsamkeit)

Ich denke, man sollte ein politisches Thema genauso wenig an eine Horror-Geschichte dranklatschen wie den Horror an ein gesellschaftliches Problem. Man muss es schaffen, das beides sich ergänzt.

Edit: Hier nochmal der Thread zu Trump und Delta Green.
« Letzte Änderung: 9.12.2016 | 22:25 von Ucalegon »

Offline tartex

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #17 am: 9.12.2016 | 22:54 »
Tja, aber dass Xenophobie eine der Grundsubstanzen von Lovecrafts Texte ist, kann man kaum abstreiten.

Dass Xenophobie und 2016 auf ungute Weise verzahnt sind auch nicht.

Demzufolge ist es sicherlich Wert das genauer zu unter die Lupe zu nehmen, gerade wenn man keinen Bock hat die stromenlinienförmigste Interpretation des Themas zu verwenden.
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Ucalegon

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #18 am: 9.12.2016 | 22:56 »
Was halten ihr von der machine learning/AI Sache? ist halt auch irgendwie schon ausgelutscht, oder? Irgnedwie finde ich had die SciFi schon alles durch, was grade so aktuell ist....

Das Problem ist weniger, dass das ausgelutscht wäre, sondern wie man da Horror draus macht. Ich denke im Gegensatz zu SF muss man nicht bei den Dingen anfangen, die wir darüber wissen, sondern gezielt ausnutzen, was wir daran nicht verstehen. Ein gutes Beispiel ist dieses Delta Green Szenario von Caleb Stokes.

Zitat
Now, a mathematician working on a top-secret NSA surveillance program has disappeared into thin air. Group M has been sent to investigate. But when the hunting ground is as large as the mythos, even the servants of a god can turn from predator to prey.

Offline Scimi

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #19 am: 9.12.2016 | 23:14 »
Tja, aber dass Xenophobie eine der Grundsubstanzen von Lovecrafts Texte ist, kann man kaum abstreiten.

Lovecrafts "fear of the unknown" ist eine Sache, aber Lovecrafts Einstellung gegenüber Minderheiten eine andere. Letztere taucht in seinen Geschichten immer wieder auf, ist aber praktisch nie Gegenstand der Handlung und die problematischen Stellen zu ändern oder die Charaktere umzucasten würde den meisten Geschichten nichts tun.


Ich mag Lovecrafts Geschichten (und andere Horrorliteratur) aber vor allem auch, weil es Fantasy ist, nicht wegen der zeitgenössischen Sozialkritik. Horror kann natürlich auf aktuellen Ängsten fußen, muss für mich aber weiter gehen, bis in den Bereich des Unmöglichen.

Ucalegon

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #20 am: 9.12.2016 | 23:39 »
Demzufolge ist es sicherlich Wert das genauer zu unter die Lupe zu nehmen, gerade wenn man keinen Bock hat die stromenlinienförmigste Interpretation des Themas zu verwenden.

Absolut. Das muss aber für mich nicht gleich mit dem Holzhammer sein. Gerade als nicht-Betroffener ist das, glaube ich, viel schwerer überzeugend hinzukriegen als die subtilere Variante. Bluebeard's Bride z.B., das "feminine horror" Rollenspiel wird ja nicht umsonst von Frauen geschrieben.

Außerdem wirkt es eher verharmlosend, wenn z.B. man echte Rassisten wie Trumps alt-right Bande zu Mythos-Jüngern macht, wie im rpg.net Thread vorgeschlagen.

Offline Grubentroll

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #21 am: 10.12.2016 | 08:57 »
Ihr tut hier ja fast so, als hätte Lovecraft nur "Tentakelmonstergeschichten" geschrieben... :D

"Die Farbe aus dem All", "Ratten im Gemäuer" oder "Die Musik des Erich Zann" funktionieren als Gruselgeschichten doch in einem moderneren Kontext genau so gut, finde ich.

Offline tartex

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #22 am: 10.12.2016 | 09:37 »
Außerdem wirkt es eher verharmlosend, wenn z.B. man echte Rassisten wie Trumps alt-right Bande zu Mythos-Jüngern macht, wie im rpg.net Thread vorgeschlagen.

Die einleitende Frage hier war allerdings:
"Als wovor was haben wir heute Angst?"

Ich weiß, wovor ich persönlich dieses Jahr Angst hatte. :gasmaskerly:
« Letzte Änderung: 10.12.2016 | 09:57 von tartex »
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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #23 am: 10.12.2016 | 10:00 »
Als wovor was haben wir heute Angst? Was könnte "Cthulhu" in unserer Zeit sein?

Eine KI im Netz hinter dem Netz? Eine Entität aus dem allgegenwärtigen Datenstrom?

Offline tartex

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #24 am: 10.12.2016 | 11:50 »
Der perfekte Leistungsträger? Der Quasi-Übermensch, der im Gegensatz zu dir nicht durch Automatisierung ersetzbar ist?

Aber welche Abenteuer erlebt man, wenn andere alles besser können?

Ein Cthulhu-Abenteuer, das im Assessment-Center oder beim Mitarbeiter-Gespräch anfängt, könnte interessant sein, aber ist das noch lovecraftig?

Nachdem Lovecrafts persönliche Hölle wahrscheinlich die Jobsuche in New York war, ist das nichtmal so weit hergeholt.
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Offline Scimi

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #25 am: 10.12.2016 | 12:10 »
Eine KI im Netz hinter dem Netz? Eine Entität aus dem allgegenwärtigen Datenstrom?

Ich weiß nicht, in den 90ern, als das alles neu war, waren solche Dystopien ja beliebt. Ich denke für eine Menge Leute ist das Internet zwar immer noch ein magisches Wunderding, aber eben auch eine seit Jahren bekannte Alltagstechnik und Teil davon, wie die Welt funktioniert. Selbst bei alten Leuten und Landbewohnern bestehen Internetängste in meiner Erfahrung eher aus Angst, den Anschluss zu verlieren oder zunehmend von einer Technik abhängig zu werden, über die man keine Kontrolle hat.

Und wenn mich die Nachrichten der vergangenen Jahre irgend etwas gelehrt haben, dann, dass reale Horrorgeschichten wie undurchschaubare Riesenfirmen, die Massen an persönlichen Daten bereits besitzen, Botnetze, die womöglich schon in deinem Haus sind und organisierte Angriffe, die gegen wichtige Unternehmen und Infrastrukturen geführt werden die breite Masse der Bevölkerung einfach nicht die Bohne interessieren, solange für sie alles läuft.

Ich denke, der größte mögliche Internethorror heutzutage ist, wenn das Internet weg ist.


Ich weiß, wovor ich persönlich dieses Jahr Angst hatte. :gasmaskerly:

Ich denke nicht, dass es ausreicht, dass Leute vor etwas Angst haben, damit es für Horror funktioniert. "Der kommunistische Spion", "Die Gelbe Gefahr", "Die Weisen von Zion" sind alles Dinge, vor denen Leute einmal wirkliche Angst hatten, aber auch wenn man sich Horrorszenarien damit vorgestellt hat, gibt es keine Horrorgeschichten darüber.
Ich denke, das hat damit zu tun, dass Horror persönlicher sein muss, eine existierende Gefahr, die von einem Protagonisten konkret erlebt wird.

Offline Urias

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #26 am: 10.12.2016 | 12:32 »
Ich denke nicht, dass es ausreicht, dass Leute vor etwas Angst haben, damit es für Horror funktioniert. "Der kommunistische Spion", "Die Gelbe Gefahr", "Die Weisen von Zion" sind alles Dinge, vor denen Leute einmal wirkliche Angst hatten, aber auch wenn man sich Horrorszenarien damit vorgestellt hat, gibt es keine Horrorgeschichten darüber.
Ich denke, das hat damit zu tun, dass Horror persönlicher sein muss, eine existierende Gefahr, die von einem Protagonisten konkret erlebt wird.

Das würd ich so nicht unbedingt unterschreiben.
Klar benötigt es ProtagonistInnen als Stand-in aber ich denke nicht, dass Horror rein persönlich sein muss bzw dass man hier die Unterscheidung zwischen persönlichem und kollektiven Ängsten sehr verschwimmend sehen muss.

Es hat ja einen Grund warum gewisse Narrative zu bestimmten Zeiten mehr oder weniger in Mode sind. Film/Literatur ist ja nicht einfach so neutral im Raum sondern reagiert auf die Gegebenheiten und ein gewisses kollektiviertes Unbewusstes und baut darauf gerne auf. Im Bereich des Horrorfilms sei hier zB "Invasion der Körperfresser" genannt, welchen man sehr leicht als eine Verarbeitung der Red Scare interpretieren kann (Sie sehen aus wie wir, jeder könnte einer von DENEN, sei es jetzt Aliens oder Rote, sein usw). Andere Beispiele in diese Richtung wären zB Godzilla und das Trauma der Atombombe oder Dawn of the Dead und die Konsumkultur der späten 70er. Anfang des Jahrtausends dagegen war eine beliebte Stoßrichtung "Ein unerwarteter Angriff der uns aus der Bahn wirft" (siehe zB Krieg der Welten) als Reaktion auf 9/11.

Ohne Gott ging es nicht weiter, und so hab ich mich entschieden, / meiner ist jetzt der Alkohol. / Ich trank ein paar Schlücke und ich fand meinen Frieden / und ich fühlte mich kurzfristig wohl. - Joint Venture, Der trinkende Philosoph

Ucalegon

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #27 am: 10.12.2016 | 12:37 »
Das würd ich so nicht unbedingt unterschreiben.
Klar benötigt es ProtagonistInnen als Stand-in aber ich denke nicht, dass Horror rein persönlich sein muss bzw dass man hier die Unterscheidung zwischen persönlichem und kollektiven Ängsten sehr verschwimmend sehen muss.

Eben. Ich meine cosmic horror selbst ist ja genau das.

alexandro

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Re: Cthulhu 2016
« Antwort #28 am: 10.12.2016 | 13:08 »
Horror kann man auch mit Bekanntem erzeugen.

Ja, das "Alien" ist gruselig - beim ersten Mal. Dann hat man sich irgendwann an den Anblick gewöhnt. Je mehr man aber über diese Kreatur weiß, was mit Personen passiert, die von diesem Wesen in ihr Nest gezogen werden, desto mehr erzeugt die Vertrautheit Horror.

Ebenso ist es bei einigen der Lovecraft-Tropen: gerade bei den Götterwesen kann man wunderbar mit nichtlinearen Handlungen arbeiten, die um so beängstigender werden, je mehr man davon versteht (siehe "Beyond the Walls of Sleep", der Film "In the Mouth of Madness" oder auch Alan Moores' "Neonomicon").

Oder "Arrival" mit Aliens die
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"They Live" ist imo auch eine gute Vorlage für eine moderne Lovecraft-Geschichte (die Wesen könnte man ohne Probleme durch Ghoule ersetzen, welche versuchen ihre Fleischquelle zu vergrößern), ebenso wie "Die Fliege" (oder jede andere Body-Horror-Umsetzung) oder "The Thing" (was im Grunde eine Kombination aus den ersten beiden ist). Alles Horror der sehr wenig mit Unwissenheit arbeitet, ziemlich in der Popkultur verankert ist und trotzdem noch Schrecken auslöst (auch wenn es Ingame bekannt wäre).