Autor Thema: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen  (Gelesen 8612 mal)

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Offline Bombshell

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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #75 am: 29.04.2017 | 10:07 »
Ich habe von dem Begriff "Powertelling" zum ersten mal im Zusammenhang mit dem System "Wushu" gehört, bei dem es ja für jedes erzählte Detail spieltechnische Vorteile gibt. Nun kann man diesen Begriff ja auch auf andere Spiele übertragen, weil ja jedes erzählte und nicht widersprochenes Detail ein etablierter Fakt ist. Auf diese Fakten kann man sich ja später wieder berufen.
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Offline Archoangel

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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #76 am: 29.04.2017 | 10:37 »
Nur mal so als Einwurf: mE lautet die Grundregel des Rollenspiels:
"Wir erzählen eine Geschichte. Wenn meine Meinung vom Verlauf der Realität der Geschichte von deiner Meinung des Verlaufes abweicht, wird ein Würfel geworfen [ein Zufallsmechanismus verwendet]. Gewinne ich gilt meine Realität, gewinnst du gilt Deine."

Weitere, komplexere Regeln dienen letztlich immer nur dieser einen Regel und spezifizieren eben bestimmte, widerkehrende Aspekte der Spielwelt/Geschichten, die ja - je nachdem was bespielt wird, immer die eigene Spielweltrealität unterstützen sollen. In einer Geschichte, die unserer Welt sehr ähnelt ist es unmöglich 200m weit zu springen; in einer Superheldengeschichte ist es zumindest für manche Bewohner möglich; in FLUMPS, der Geschichte der Flug-Gummis, ist es normal. Wird oft gesprungen bietet sich auf jeden Fall eine bestimmte Regel zum Springen an, die - je nach Detailliebe - Anlauf, Können, Windwiderstand oder was auch immer berücksichtigen kann, so die Spielgruppe dies möchte.

Wenn ein Erzählspiel also ein Spiel ist, dass diese Grundregel-Annahme bestätigt, so bin ich offensichtlich ein Erzählspieler. Wenn nicht, dann offensichtlich nicht - und: dann ist ein Erzählspiel (in meinem Sinne) kein Rollenspiel mehr.

Ich hatte gestern einen Abened V:tM. Wir haben kein einziges Mal gewürfelt, da sich die gesammte Geschichte des Abends in Gruppenkonsens entwickelte. Meine GM-Entscheidungen wurden nie in Frage gestellt und ich wiederum (sowie sie untereinander) habe keine Spielerentscheidungen in Frage gestellt. Es gab allerdings auch keinen Kampf, eine Situation, bei der ich IMMER zu Würfeln greifen werde, da der Ausgang immer ungewiss ist und meine Meinung über den Ausgang (meine NSCs wollen gerne überleben/gewinnen) von der meiner Spieler (die auch gerne überleben/gewinnen möchten) nahezu IMMER abweichen wird.

Was habe ich jetzt gespielt? Ein Rollenspiel? Ein Erzählspiel? Ein Erzählspiel, dass ein Rollenspiel ist? Ein Rollenspiel, dass ein Erzählspiel ist?

Ich denke die Antwort dürfte niemandem leicht fallen.

Stellt sich mir also die Frage: was wollen "Erzählspieler" eigentlich mit ihrem "Erzählspiel" als Definition erreichen? Eine Abgrenzung zu Spielen anderer Art? Zu Spielern anderer Art? Sich selbst als etwas "besseres" definieren? Ihren Spielstil als etwas "besseres" definieren? Was genau ist also der Zweck des Erzählspiels?

Ich hätte da so eine Theorie, aber dazu später mehr: die Natur ruft ... ;)
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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #77 am: 29.04.2017 | 10:59 »
[OT]
Nur mal so als Einwurf: mE lautet die Grundregel des Rollenspiels:
"Wir erzählen eine Geschichte. Wenn meine Meinung vom Verlauf der Realität der Geschichte von deiner Meinung des Verlaufes abweicht, wird ein Würfel geworfen [ein Zufallsmechanismus verwendet]. Gewinne ich gilt meine Realität, gewinnst du gilt Deine."
Wirklich?

Mach mal folgendes Gedankenexperiment:
Ich als Spieler sage, dass mein Charakter diese Wand hochklettern will. Wann lässt Du als SL mich auf Klettern würfeln? Dann, wenn Du der Meinung bist, dass das Überklettern den Verlauf der Geschichte stört oder doch eher, weil Du der Meinung bist, dass die Wand so steil und schwer zu erklettern ist, dass ein Scheitern möglich ist?
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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #78 am: 29.04.2017 | 11:03 »
Wenn meine Realität lautet: "Die Wand ist zu steil.", verbirgt sich dahinter ja eine Annahme zur Geschichte, nämlich oft => das geht mir zu schnell, sie sollen einen anderen Weg wählen. Oder: hier ist es möglich zu scheitern und zu sterben. Also ja: es bleibt bei der Grundannahme der konkurrierenden Realitäten. Wirklich.
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Offline TaintedMirror

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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #79 am: 29.04.2017 | 11:10 »
Wenn meine Realität lautet: "Die Wand ist zu steil.", verbirgt sich dahinter ja eine Annahme zur Geschichte, nämlich oft => das geht mir zu schnell, sie sollen einen anderen Weg wählen. Oder: hier ist es möglich zu scheitern und zu sterben. Also ja: es bleibt bei der Grundannahme der konkurrierenden Realitäten. Wirklich.

Da sehen wirr halt den Unterschied in der Herangehensweise. So würde ich zum Beispiel nicht entscheiden. Ich habe in der Regel eine ziemlich gut Vorstellung meiner Welt und deren Beschaffenheit. Eine Wand steiler oder unsteiler zu machen, weil ich irgendwie die Geschichte vorantreiben oder bremsen will, käme bei mir nicht in Frage. Zumal ich oft gar nicht vorher weiß, ob die Gruppe überhaupt die Wand hoch klettern will.

Offline KhornedBeef

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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #80 am: 29.04.2017 | 11:17 »
Ist keine schlechte Definition. Ich könnte jetzt sagen, eine lange Historie kampfbetonter Systeme hat zu einer verbreiteten Kultur geführt, in der beide Seiten ihrw Meinung über den Ausgang aufgegeben haben zugunsten von "Das wird so gespielt, wie es die Regeln  sagen" aber das könnte man auch so umformulieren dass die Regeln die Realitätswahrnehmung geändert haben.

Was die Motive für einen Begriff "Erzählspiel" angeht:
Wie wäre es mit "Ich möchte öfter Situationen im Rollenspiel haben, die mir Spaß machen, wie tausche ich mich darüber aus wie man das erreicht? Wie identifiziere ich Leute die an den gleichen Sachen Spaß haben? "
Da gibt es ja schon mehr als "Besserspieler" 
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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #81 am: 29.04.2017 | 11:19 »
Wenn meine Realität lautet: "Die Wand ist zu steil.", verbirgt sich dahinter ja eine Annahme zur Geschichte, nämlich oft => das geht mir zu schnell, sie sollen einen anderen Weg wählen. Oder: hier ist es möglich zu scheitern und zu sterben. Also ja: es bleibt bei der Grundannahme der konkurrierenden Realitäten. Wirklich.
Also Würfe und deren Schwierigkeitswerte auf Grund der Plotrelevanz. Das ist eigentlich genau die Prämisse einiger Erzählspielarten.
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Ucalegon

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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #82 am: 29.04.2017 | 16:22 »
Powertelling bedeutet: Da gerät jemand in Fahrt und engagiert sich. Ist doch erstmal gut! Ich lehne mich zurück, schaue ihm zu und freue mich. Wenn das ununterbrochen passiert, mache ich den Mund auf und sage: "He, die andern sind auch mal dran!" Hat bisher immer sofortige Wirkung gezeigt.

Das habe ich mir auch gedacht. Ich finde es selbstverständlich, dass man mit seinen Beiträgen nicht nur sich selbst, sondern auch den Mitspieler(innen) gefallen möchte. Unabhängig davon, ob man jetzt ein traditionelles oder ein Indie-Rollenspiel spielt.

Ich hatte aber auch gute Fiascorunden. Da gibt´s ja keinen Spielleiter und kein vorbereitetes Abenteuer. Die besondere Qualität, die ich in diesen Runden erlebt habe, bestand für mich (mal abgesehen von der üblichen Freude über treffliches Charakterspiel) eher darin, dass durch das gemeinsame Spiel Fäden überraschend weitergesponnen und erzählerische Lücken auf eine Art und Weise geschlossen werden, mit der niemand gerechnet hätte.

In den letzten Jahren waren meine denkwürdigsten Runden eigentlich meistens unvorbereitet (und SL-los). Das Dilemma der Vorbereitung ist für mich, dass eine interessante Geschichte im traditionellen Modus entweder bis zu einem gewissen Grad vor-erzählt ist oder ich mich darauf verlassen muss, dass sie einfach so, sponte sua, entsteht. Strukturalistische Rollenspiele lösen dieses Problem sehr elegant.

Stellt sich mir also die Frage: was wollen "Erzählspieler" eigentlich mit ihrem "Erzählspiel" als Definition erreichen? Eine Abgrenzung zu Spielen anderer Art? Zu Spielern anderer Art? Sich selbst als etwas "besseres" definieren? Ihren Spielstil als etwas "besseres" definieren? Was genau ist also der Zweck des Erzählspiels?

Ich glaube nicht, dass der Begriff viel als Selbstbezeichnung benutzt wird.

Offline ArneBab

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Re: Erfahrungen mit Erzählrollenspielen
« Antwort #83 am: 29.04.2017 | 20:36 »
Ich als Spieler sage, dass mein Charakter diese Wand hochklettern will. Wann lässt Du als SL mich auf Klettern würfeln? Dann, wenn Du der Meinung bist, dass das Überklettern den Verlauf der Geschichte stört oder doch eher, weil Du der Meinung bist, dass die Wand so steil und schwer zu erklettern ist, dass ein Scheitern möglich ist?
Ich lasse würfeln, wenn ich denke, dass sich sowohl aus Scheitern als auch aus Erfolg eine spannende Situation ergeben würde. Oder ich einfach nicht entscheiden kann/will, was spannender wäre :)
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