Autor Thema: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz  (Gelesen 1655 mal)

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[London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« am: 22.09.2017 | 14:45 »
EDIT: Geschichte ist mittlerweile fertig. Befindet sich in der Finalen Version nun in Post 5&6 Link


Moin!
Ich hoffe hier auf den ein oder anderen geneigten Leser zu treffen. Zu lesen gibt es den Anfang/Auftakt (bisher ca 3.5 Seiten) einer Urban Fantasy Geschichte, mit einem etwas exzentrischen Protagonisten. Ich hoffe das posten motiviert mich zum weiterschreiben. Ideen für den weiteren Handelsverlauf, Kritik, und auch Lob (so es ehrlich ist) sind gerne gesehen.
Doch nun überlasse ich dem Geschichtenerzähler das Feld.


Guten Tag. Mein Name ist Trevor Blumford der Dritte. Ich bin Magier. Nein nicht für Kindergeburtstage. Nein, ich zersäge auch keine Jungfrauen. Mal davon abgesehen, dass es heutzutage sehr schwer ist eine solche im bühnenfähigen Alter zu finden, ist das bestimmt auch eine ziemliche Sauerei. Und ziemlich sicher tödlich. Ich bin kein Las Vegas Unterhalter. Ich bin ein Kundiger in der uralten und ehrenwerten Kunst der Thaumaturgie. Sie kennen mich vielleicht als „Der Exorzist der Stars“ aus diesem unsäglichen Artikel in der Sun im letzten Jahr? Oder dem Auftritt in der Morgensendung bei BBC-3? Nein, das war kein Schwindel. Ja, hinter den Spukerscheinungen in der Umkleide des FC Arsenal steckte wirklich ein Hexenzirkel. Ja, diese netten älteren Damen mit Vorliebe für Silberschmuck und Kristalle haben tatsächlich Aura-Projektionen benutzt, um den ein oder anderen ausgiebigen Blick in die Duschen der Spieler zu riskieren. Das ist eine völlig andere Geschichte, über die ich ein andermal mehr erzählen werde… Hören sie auf zu kichern und kommen sie darüber hinweg!
Unsere kleine Geschichte jedenfalls spielt im vorweihnachtlichen London. Ich war wieder besseren Wissens im typischen Londoner Winterwetter unterwegs. Kennen sie das, wenn sich der Niederschlag nicht so richtig entscheiden kann, ob er nun Schnee oder Regen sein will, und so alles mit einer Schicht aus halbgefrorenen Matsch überzieht? Dieser Matsch, der es schafft, in die kleinste Ritze ihrer Kleidung einzudringen, nur damit sie auch ja keinen angenehmen Tag haben? Ja, es war ein solches Wetter, als ich an den Holzbuden des Weihnachtsmarktes direkt zu Füßen der berühmten London Bridge entlang stapfte. Tweedanzug, der schwere Lodenmantel und die abgewetzte Melone auf dem Kopf konnten mich nur unzureichend vor den Elementen schützen. Ich zog den langen bunten Schal in einer weiteren Schlaufe um meinen Hals. Nicht nur der Doktor wusste so einen Schal zu schätzen. Dass mein Dackel aufgeregt immer wieder die Leine um meine Beine wickelte, tat meiner Laune ein Übriges. Er machte das mit Absicht, um mich zu ärgern. Dabei wusste er genau, dass ich die Leine benutzen musste, um nicht wieder ein Bußgeld zu kassieren.
Sie fragen sich, wieso ich meinem Hund solche kleinlichen Bösartigkeiten unterstelle?
Nun weil er es mir selbst gesagt hat!
Ich sollte vielleicht kurz ein paar erklärende Worte zu Ahtunwhiho verlieren. So heißt der bewusste Dackel nämlich. Ich nenne ihn aber meist nur Ahtu. Das ist nicht nur kürzer, sondern hat den weiteren Vorteil, dass ihn diese Verballhornung seines Namens immer wieder aufs vortrefflichste ärgert. Äußerst befriedigend.
Wie sie vielleicht schon vermutet haben, ist Ahtu kein gewöhnlicher wurstförmiger Vertreter der Gattung Canis Lupus. Vielmehr ist er ein Beratergeist, geankert in der weltlichen Hülle eines gewöhnlichen braunen Kurzhaardackels. Dieser Beratergeist, in eingeweihten Kreisen sprechen wir von einem Familiar, ist schon seit Generationen Teil meiner Familie. Was genau den Geist eines mächtigen Cheyenne-Schamanen in die Dienste einer Londoner Zaubererfamilie gebracht hat, will er mir einfach nicht verraten. Ein weiterer Beweis für seinen niederträchtigen Charakter!
Sie glauben den Geist eines machtvollen Cheyenne-Schamanen der den Körper eines Dackels bewohnt als Familiar zu haben wäre eine gute Sache? Oder irgendwie erstrebenswert? Weit gefehlt! Gilt der Dackel schon als ein eigensinniger Hund, versuchen sie es mal mit einem Medizinmann, der vorgibt ihre Sprache nicht zu verstehen, wenn ihm nicht passt was sie sagen. Was ja noch widersinniger wird, wenn man bedenkt, dass er schon länger in England lebt als die Queen! Wobei „leben“ vielleicht das falsche Wort wäre. Länger in England verweilt. Genau!
Ach, und es mag ja sein, das ihr Hund schon einmal eine Pfütze auf dem Teppich hinterlassen hat, aber mussten sie schon einmal ihr Wohnzimmer sanieren, weil ihr Vierbeiner überprüfen wollte, ob er sich an die richtige Schrittfolge für den Regentanz noch erinnerte?
Doch ich schweife ab. Passiert mir leider häufiger, wie sie noch feststellen werden.
Ich war jedenfalls an diesem grauen Wintertag, bei diesem unerfreulichen Wetter auf diesem enervierenden Weihnachtsmarkt unterwegs, um noch ein paar letzte Geschenke zu erwerben. Warum erledige ich so etwas nur immer erst bei letzter Gelegenheit? Das würde mir nächstes Jahr sicher nicht passieren. Dunkel erinnerte ich mich an ähnliche Gedanken, beim Kampf durch die Menschenmassen bei Harrods im letzten Jahr.
Der Markt war zu meinem wohlwollen ziemlich leer. Die wenigen Leute hatten sich fest in ihren Jacken und Mäntel gewickelt und die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, um sich vor dem Wetter zu schützen. Selbst die sonst allgegenwärtigen Touristen schienen sich heute eher auf Innenraum-Attraktionen verlegt zu haben.
Ich blickte mich nach einem Stand mit originalen Harzer Räuchermännchen um, von denen mein guter Freund und Teilzeit-Mitstreiter wieder der übernatürlichen Gefahren Cyrus so begeistert erzählt hatte. Warum auch immer man sich für solche obskuren bunten Schnitzereien überhaupt begeistern konnte, sollte mir für immer schleierhaft bleiben. Aber wenigstens machten diese Weihnachtsmärkte nach deutschem Vorbild, die seit Jahren immer mehr um sich griffen es relativ einfach, solche Stücke zu erwerben.
Sicher werden sie jetzt einwenden, dass ich sie ja auch einfach über das Internet bestellen könnte, aber da gibt es leider ein kleines Problem. Magie und moderne Technologie verstehen sich nicht besonders. Jeder Computer dem ich zu lange zu nahe komme, verwandelt sich über kurz oder lang in sehr teures, nicht sehr wohlriechendes Räucherwerk. Solange also keine Harzer Holzschnitzer Computergehäuse als neueste Marktlücke entdeckten, wäre mir diese Technik wenig hilfreich in meiner geplanten Akquisition.
Ergo bleibt nur die Stärkung des britischen Einzelhandels mit direkter lokaler Kapitalisierung. Sprich: Aufraffen und einkaufen.
Die allgegenwärtige Weihnachtsmusik, die aus versteckten Lautsprechern dudelte, half mir auch nicht sehr dabei konzentriert zu bleiben. Ich meine, weihnachtliche Kinderchöre sind ja schlimm genug, aber wenn die dann auch noch auf deutsch singen? Verstehen sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen die Deutschen. BMW, Goethe, Neuschwanstein… aber es hatte schon seinen guten Grund, warum die Vorsehung die Nordsee genau dort platziert hat, wo sie nun einmal ist. Der verlockende Duft von Bratwurst ließ meine vierbeinige Stolperfalle eine neue Richtung einschlagen, und da ich nun einmal sehr an meinen Armen hänge, in jedem Sinn dieser Aussage, stolperte ich von der straffen Leine dirigiert hinter ihm her zu einer runden Hütte, in deren Mitte ein gewaltiger runder Schwenkgrill hing, auf dem allerlei Fleisch und Fleischprodukte über glühenden Kohlen brutzelte. Das hieß dann wohl eine Wurst für den Hund, und ein Glühwein für mich. Kopfschüttelnd sah ich zu wie das Tier seine Speise verschlang. Der Kampf zwischen Gier und innewohnender Hitze des Fleischnebenproduktes entbehrte nicht einer gewissen Komik. Zumal es eine nicht zu verleugnende Ähnlichkeit zwischen Wurst und Dackel gab.
Da hielt Ahtunwhiho plötzlich inne und versteifte sich. Die eine Hälfte der Wurst trudelte unbeachtet zu Boden. Ich blickte verdutzt zu dem Tier herab. Diese Ignoranz unvertilgter Nahrung gegenüber schien mir nicht gutes zu bedeuten.
Da bemerkte auch ich es. Ein kalter Hauch zog durch die Budengasse, und ließ den Schneematsch zu Eis gefrieren. Die Musik verlangsamte sich zu einem leiernden Klagen, das die Stimmung der kindlichen Gesänge von besinnlich zu „wir beschwören dunkle Götter aus der 11. Dimension“ transformierte. Lautes Klirren kam aus einem der Stände weiter vorne. Ich sah wie mein Dackel die Lefzen hochzog, um seine kleinen, erstaunlich weißen und erstaunlich spitzen (ich spreche da aus leidvoller Erfahrung), Zähne zu entblößen.
Also einer von diesen Tagen. Nun würde gleich das Schreien los gehen, dachte ich noch.
Und so war es.
Die Leine zischte mir heiß durch die Hand, als Ahtu in Richtung der Gefahr davon preschte. Unglaublich zu was einer Geschwindigkeit diese Kreatur fähig war, verglichen mit dem langsamen tapsigen, geradezu mitleiderregenden humpeln, das er in Gegenwart junger Damen an den Tag legte.
Ich ließ meinen Glühweinbecher fallen, zog  mir die Melone fest auf den Kopf, und nahm die Verfolgung auf.
Der Radau hatte scheinbar seinen Ursprung in einem kleinem Festzelt, das in großen Lettern original bayrische Kost und Unterhaltung versprach. Die füllige Endvierzigerin in dem leider viel zu engen Dirndl, welche mich mit angstverzerrtem Gesicht auf ihrer Flucht aus dem Zelt in einen Haufen braunen Schnees rammte, zeigte jedenfalls recht deutlich was sich der Veranstalter unter original bayrisch vorstellte. Meine Befreiung aus der kaltfeuchten Umklammerung des Schnees wurde noch kurz von den ebenfalls flüchtigen Musikanten gestört. Zumindest nahm ich an, dass die drei älteren Herren in traditionellen krachledernen Trachten die Musiker dieses Etablissement waren. Das einer der drei eine Tuba trug, schien mir eine triftiger Verdachtsmoment.

Schließlich gelangte ich doch ins Innere des Zelts, das inzwischen von allen Besuchern verlassen worden war. Lebenden Besuchern sollte ich wohl präzisieren. Am anderen Ende des Zeltes, nur durch einige Bierzeltgarnituren von mir getrennt, zerlegten ein halbes dutzend durchscheinender, blass-grünlich schimmernder Gestalten im Licht der flackernden Bühnenbeleuchtung eben jene Bühne, und den folkloristisch geschmückten Bierausschank. Holzsplitter, Scherben von Steinkrügen, Bier, Weißwürste und Senfgläser flogen wild durch die Gegend, und verwandelten die Wände des Zeltes in etwas, für das eine dieser schicken Galerien in der City verdammt viel Geld verlangen würde.
Geister! Ich kniff die Augen zusammen, duckte mich unter einem niedrig fliegenden Maßkrug hinweg, und versuchte für den Augenblick den heftig hüpfenden und mit überschlagener Stimme kläffenden Dackel zu ignorieren, dessen bemühen die Waden der schwebenden Gestalten zu malträtieren bisher nicht von Erfolg gekrönt zu sein schien.
Die Geister trugen Uniformen und Tellerhelme wie zu Zeiten des berühmten London Blitzes, als deutsche Bomben auf London niederregneten. Warum bei allen sieben Höllen und ihren Herrschern, sollten die Geister von Soldaten des Weltkrieges ein deutsches Festzelt zerlegen?
Ja, ich sehe förmlich vor mir, wie sie bedauernd seufzen oder mitleidig den Kopf schütteln. Auch mir wurde in dem Moment klar, in dem ich den Gedanken formulierte, warum Männer, die offensichtlich bei der Verteidigung ihrer Heimat gegen den Hunnen verstorben waren, etwas gegen diese Zeichen einer erfolgreichen Invasion haben könnten...Wirklich.  Ahtunwhihos Behauptung, ich hätte dort minutenlang mit offenem Mund staunend das Schauspiel angestarrt ist eine bösartige Lüge, eines gemeinen wurstförmigen Hundes!
Ich weiß natürlich nicht, ob sie schon einmal mit Geistern zu tun hatten. Sollte das der Fall sein, können sie die nächsten Sätze getrost überspringen. Falls nicht, hier ein paar kurze Erläuterungen, ohne zu sehr ins ektoplasmatische Detail zu gehen. Geister entstehen in der Regel, wenn der verstorbene noch etwas wichtiges zu erledigen hat. Je präsenter diese Aufgabe beim versterben im Geiste, sie verzeihen sicher meinen Wortwitz, desto potenter der Spuck. Diese ektoplasmatische Potenz nimmt allerdings im Laufe der Zeit immer weiter ab, sollte ihr nicht durch thaumaturgische Aktivität, z.B. Zauberei oder ein magisches Artefakt, neue Nahrung zugeführt werden. Ein ordentliches Begräbnis der sterblichen Überreste ist eine vergleichsweise zuverlässige mundane Methode einen Geist zu bannen. Kurzfristig lassen sich solche Spukgestalten auch mit Salz oder kaltgeschmiedetem Eisen auflösen. Dies wirkt aber immer nur temporär. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass diese Regeln zwar auf eine Großzahl an Geistern zutreffen, es aber mehr Ausnahmen dazu gibt, als Haare auf dem Rücken eines russischen Gewichthebers. Benutzen sie ihr neu erworbenes Wissen also nur mit äußerster Vorsicht!
Nun wir Briten sind nicht als zögerliche Zauderer bekannt. Diese Ehre gebührt allein den Franzosen. Ich fasste mich also schnell wieder und trat einige Schritte in Richtung der geistreichen Zerstörungswut.Ich räusperte mich hörbar, wich einem ungezielten Teilstück einer Bank aus, und richtete das Wort an die untoten Marodeure: “Meine Herren! Bitte lassen sie doch ab von dieser unwürdigen Zerstörungswut. Ich kann ihnen selbstverständlich die Umstände dieser festivativen Invasion britischen Bodens darlegen. Ihrem Unmut scheint mir ein Missverständnis zu Grunde zu lie...“
Ich verstummte abrupt als sich ein halbes dutzend immer stofflicher erscheinender Karabiner auf meinen Kopf richteten. Zugegebenermaßen mag in der Retrospektive meine Wortwahl vielleicht nicht die allerbeste gewesen sein, in meinem Kopf war die Ansprache jedenfalls besser verlaufen. Ich hob abwehrend die Hände, die Handflächen den Geistern zugewandt. Was ich von ihren flackernden Gesichtern ausmachen konnte, waren unnatürliche, zornige Grimassen, für die ein Horrorfilmregisseur sicher gute Verwendung gehabt hätte. Ihre offensichtliche Rage verlieh ihnen einen immer stärkeren halt in unserer Daseinsebene. Das sah wirklich verdammt mies aus für meine körperliche Unversehrtheit.
Der mitleidige Blick meines mittlerweile verstummten vierbeinigen Kompagnons war in dieser Situation nun wirklich eine unnötige Geste.
Ich kenne mich mit Schusswaffen nicht sonderlich aus, aber das durchladen einen Karabiners, mit dem unverwechselbaren zurückschnappen des Bolzens verhieß auch mir nichts gutes. Ich sprang, alles adäquate Verhalten meines gelehrten Standes vergessend, mit einem  männlichen quieksen in Deckung eines umgestürzten Tisches, der fast im selben Augenblick von mehreren Einschlägen ektoplasmatischer Geschosse erschüttert wurde.
« Letzte Änderung: 23.12.2017 | 12:26 von Orok »
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Re: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« Antwort #1 am: 24.09.2017 | 19:43 »
Wieder ein paar Zeilen geschrieben. Es geht ganz langsam voran. Selbst wenns nur für mich ist, zumindest hab ich es hier dann nochmal außerhalb meiner Festplatte gesichert.

Rasch wog ich meine Optionen ab. Flucht schied aus. Der nächste der in dieses Zelt kam würde wahrscheinlich keine Ahnung haben, womit er oder sie es zu tun hatte, und dadurch Schaden nehmen. Das ich zur Flucht ohne jegliche Deckung das Schussfeld der Geister durchqueren musste, spielte selbstverständlich in meiner heroischen Überlegung überhaupt keine Rolle. Blieb Abwarten oder Kampf. Die Splitter meiner Deckung, die um mich herum durch die Luft flogen, machten mir auch diese Entscheidung leicht. Gut, über welche Offensivmöglichkeiten verfügte ich? Weder schien mir, das die schießwütigen Gespenster einer Feuerpause zwecks Exorzismus-Ritual zustimmen würden, noch hatte ich meine Ritualmaterialien zum einkaufen mitgebracht. Das gleiche galt für den alten Dienstrevolver meines Großvaters, der mir schon so manches mal gute Dienste geleistet hatte. Blieb also elementare Kampfmagie. Ich konnte wahrscheinlich 3 oder 4 der manifestierten Geister mit Feuer ausbrennen, bevor sie mich erwischten. Eventuell schaffte ich es auch bei allen. Ich meine, es sind schließlich schon unglaublichere Dinge passiert. Zum Beispiel hatte man Tut Ench Amun zwar 145 Unterhosen, aber nur 4 Socken für seine Reise ins jenseits eingepackt. Oder das Leute freiwillig Kapern essen...widerlich!
Ich machte mich also bereit, aus meiner Deckung zu springen, um einen heldenhaften letzten Stand auszufechten, wie er einem Sohn des Commonwealth würdig wäre. Dies würde mein Rorke's Drift sein, meine Thermopylen.  Man verzeihe mir meinen Pathos im Angesicht meines sicheren Untergangs.
„Salz!“
Das Wort materialisierte sich wie aus dem Nichts in meinen Kopf und ließ mich aus meinen düsteren Gedankengängen aufschrecken.
Ahtu hatte sich während meiner Überlegungen zu mir in meine Deckung geschlichen und sah mich nun mit schief gelegtem Kopf aus seinen braunen Dackelaugen an.
„Salz, du Sohn eines wurmgeplagten Fuchses!“ erscholl die Gedankenstimme des Schamanen erneut in meinem Kopf.
Ach diese Freude...was wäre der Tod nur, ohne noch die ein oder andere Beleidigung meines alten Partners zu hören.
Ich schnitt dem Hund eine Grimasse, patschte mit übertrieben ausholenden Gesten auf meine Taschen um ihn dann verdutzt anzublicken.
„Oh lieber weiser Ahtunwhiho, ich scheine leider keinen Salzstreuer eingepackt zu haben...hast du vielleicht daran gedacht einen mitzubringen?!“ sagte ich mit aller Häme die ich aufbringen konnte.
Ich schwöre, das er es fertigbrachte mich herablassend anzugrinsen. Ein Dackel! Herablassend!
„Teigknoten, Salz! Du hast Hirn wie debile Wachtel!“
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Offline Conan der Barbier

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Re: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« Antwort #2 am: 25.09.2017 | 11:09 »
[offtopic]

Wieder ein paar Zeilen geschrieben. Es geht ganz langsam voran. Selbst wenns nur für mich ist...
...lohnt es sich. Auf die Weise habe ich schon mehrere Flauten erfolgreich überbrückt :) Abgesehen davon ist es beim Schreiben wie überall: in Übung bleiben, Routine gewinnen - das ist zumindest für den rein handwerklichen Teil immer gut.

[/offtopic]
Furztrocken!

Mein neuer Favorit der Reihe "Freud im Rollenspiel": "Nur ein toter Zombie ist ein guter Zombie!" - "...wart mal. ALLE Zombies sind tot..."

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Re: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« Antwort #3 am: 25.09.2017 | 20:52 »
@ Conan: Danke. Ich hab echte Probleme mit der Selbst-Motivation. Aber zurzeit schaffe ich wenigstens ein paar Sätze jeden Tag :) Langsam aber stetig!

„Was bei den Morgoths blassem Hinterteil meinst du damit du vermaledeite Fellwurst? Ich hätte dich schon längst per Einschreiben an eine hungrige chinesische Großfamilie schicken sol...“
In dem moment blieb mein unruhig umher huschender Blick an etwas auf dem Boden hängen. Teigknoten....ich debiles Wachtelhirn!Das war so verrückt, das es funktionieren könnte. Ich riss den überraschend aufjaulenden Ahtu hoch, drückte ihm einen feuchten Schmatzer auf die Nase, und begann die verstreuten original-bayrischen Brezeln aufzusammeln, die in meiner Reichweite auf dem Boden verteilt waren. Auf jeder Brezel blitzten wie Edelsteine die dicken Brocken Hagelsalz. Nachdem Ahtu seine Nase mehrmals, theatralisch laut niesend, über den Kunstrasen des Bodenbelags gezogen hatte, half er mir, indem er mir ein paar entfernter liegende Brezeln zuschob.
Das ganze Geschehen hatte vielleicht eine Minute gedauert, wenn es mir zu dem Zeitpunkt auch deutlich länger erschien. Meine Deckung hatte jedenfalls in der verstrichenen Zeit deutlich unter dem ektoplasmatischen Feuer der Gespenstersoldaten gelitten, überall waren Risse im Holz, und die Ränder sahen aus als hätten eine Horde Riesenbiber hier ein Picknick veranstaltet. Solange sie aber nicht zum Nahkampf übergingen, hatte ich noch Zeit mich zu sammeln.
In dem Moment erscholl der heulende Ruf: „Pflanzt auf das Bajonett!“

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Re: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« Antwort #4 am: 26.09.2017 | 20:12 »
Und wieder ein paar Sätze geschrieben. langsam aber Beständig. Sei die Schildkröte, wenn du schon nicht der Hase sein kannst. Besser als der Stein :)

Das war nicht vom Regen in die Traufe, sondern vom Unwetter in den Überlaufkanal.
Blind warf ich eine Hand voll bayrischen Traditionsgebäcks mit aller Kraft in Richtung der Befehlsstimme, um dann an einer anderen Stelle meiner Deckung zu spähen. Die Gespenstersoldaten hatten tatsächlich fahl schimmernde Bajonette auf ihre Gewehre gesetzt, und starrten für den Augenblick scheinbar verblüfft (können Geister überhaupt verblüfft sein?!) auf eine leere Stelle in ihrer Mitte. Mein Wurf hatte tatsächlich den Anführer erwischt, und das Brezelsalz hatte seine manifestierte Form für die nächste Zeit aufgelöst. Nimm das Ms. Beefstrangler! Meine alte Sportlehrerin hatte gemeint, aus mir würde nie irgendeine Form von Athlet werden. Sollte sie doch an ihrem Schnurrbart ersticken!
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Re: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« Antwort #5 am: 23.12.2017 | 10:02 »
Ich hatte den Beitrag hier ja ganz vergessen...soviel zur Motivationshilfe ;)

Die Geschichte ist nun aber doch seit circa einem Monat endlich fertig, und ich poste sie hier gerne noch einmal, falls es geneigte Leser gibt. Wegen der leichten Überlänge 24k Zeichen, statt erlaubter 20k) werden es wohl 2 Posts. an die zweite Seite hänge ich nochmal den Text als PDF falls es wer lieber nicht im Forum liest.
Um Meinungen wird ausdrücklich gebeten ;)
Viel Spaß mit Trevor und Athu!


Christmas-Blitzzz

Guten Tag. Mein Name ist Trevor Blumford der Dritte. Ich bin Magier. Nein nicht für Kindergeburtstage. Nein, ich zersäge auch keine Jungfrauen. Mal davon abgesehen, dass es heutzutage sehr schwer ist eine solche im bühnenfähigen Alter zu finden, ist das bestimmt auch eine ziemliche Sauerei. Und ziemlich sicher tödlich. Ich bin kein Las Vegas Unterhalter. Ich bin ein Kundiger in der uralten und ehrenwerten Kunst der Thaumaturgie. Sie kennen mich vielleicht als „Der Exorzist der Stars“ aus diesem unsäglichen Artikel in der Sun im letzten Jahr? Oder dem Auftritt in der Morgensendung bei BBC-3? Nein, das war kein Schwindel. Ja, hinter den Spukerscheinungen in der Umkleide des FC Arsenal steckte wirklich ein Hexenzirkel. Ja, diese netten älteren Damen mit Vorliebe für Silberschmuck und Kristalle haben tatsächlich Aura-Projektionen benutzt, um den ein oder anderen ausgiebigen Blick in die Duschen der Spieler zu riskieren. Das ist eine völlig andere Geschichte, über die ich ein andermal mehr erzählen werde… Hören Sie auf zu kichern und kommen sie darüber hinweg!
Unsere kleine Geschichte jedenfalls spielt im vorweihnachtlichen London. Ich war wieder besseren Wissens im typischen Londoner Winterwetter unterwegs. Kennen Sie das, wenn sich der Niederschlag nicht so richtig entscheiden kann, ob er nun Schnee oder Regen sein will, und so alles mit einer Schicht aus halbgefrorenen Matsch überzieht? Dieser Matsch, der es schafft, in die kleinste Ritze ihrer Kleidung einzudringen, nur damit sie auch ja keinen angenehmen Tag haben? Ja, es war ein solches Wetter, als ich an den Holzbuden des Weihnachtsmarktes direkt zu Füßen der berühmten London Bridge entlang stapfte. Tweedanzug, der schwere Lodenmantel und die abgewetzte Melone auf dem Kopf konnten mich nur unzureichend vor den Elementen schützen. Ich zog den langen bunten Schal in einer weiteren Schlaufe um meinen Hals. Nicht nur Doktor Who wusste so einen Schal zu schätzen. Dass mein Dackel aufgeregt immer wieder die Leine um meine Beine wickelte, tat meiner Laune ein Übriges. Er machte das mit Absicht, um mich zu ärgern. Dabei wusste er genau, dass ich die Leine benutzen musste, um nicht wieder ein Bußgeld zu kassieren.
Sie fragen sich, wieso ich meinem Hund solche kleinlichen Bösartigkeiten unterstelle?
Nun weil er es mir selbst gesagt hat!
Ich sollte vielleicht kurz ein paar erklärende Worte zu Ahtunwhiho verlieren. So heißt der bewusste Dackel nämlich. Ich nenne ihn aber meist nur Ahtu. Das ist nicht nur kürzer, sondern hat den weiteren Vorteil, dass ihn diese Verballhornung seines Namens immer wieder aufs vortrefflichste ärgert. Äußerst befriedigend.
Wie Sie vielleicht schon vermutet haben, ist Ahtu kein gewöhnlicher wurstförmiger Vertreter der Gattung Canis Lupus. Vielmehr ist er ein Beratergeist, geankert in der weltlichen Hülle eines gewöhnlichen braunen Kurzhaardackels. Dieser Beratergeist, in eingeweihten Kreisen sprechen wir von einem Familiar, ist schon seit Generationen Teil meiner Familie. Was genau den Geist eines mächtigen Cheyenne-Schamanen in die Dienste einer Londoner Zaubererfamilie gebracht hat, will er mir einfach nicht verraten. Ein weiterer Beweis für seinen niederträchtigen Charakter!
Sie glauben den Geist eines machtvollen Cheyenne-Schamanen der den Körper eines Dackels bewohnt als Familiar zu haben wäre eine gute Sache? Oder irgendwie erstrebenswert? Weit gefehlt! Gilt der Dackel schon als ein eigensinniger Hund, versuchen Sie es mal mit einem Medizinmann, der vorgibt ihre Sprache nicht zu verstehen, wenn ihm nicht passt was Sie sagen. Was ja noch widersinniger wird, wenn man bedenkt, dass er schon länger in England lebt als die Queen! Wobei „leben“ vielleicht das falsche Wort wäre. Länger in England verweilt. Genau!
Ach, und es mag ja sein, das ihr Hund schon einmal eine Pfütze auf dem Teppich hinterlassen hat, aber mussten Sie schon einmal ihr Wohnzimmer sanieren, weil ihr Vierbeiner überprüfen wollte, ob er sich an die richtige Schrittfolge für den Regentanz noch erinnerte?
Doch ich schweife ab. Passiert mir leider häufiger, wie sie noch feststellen werden.
Ich war jedenfalls an diesem grauen Wintertag, bei diesem unerfreulichen Wetter auf diesem enervierenden Weihnachtsmarkt unterwegs, um noch ein paar letzte Geschenke zu erwerben. Warum erledige ich so etwas nur immer erst bei letzter Gelegenheit? Das würde mir nächstes Jahr sicher nicht passieren. Dunkel erinnerte ich mich an ähnliche Gedanken, beim Kampf durch die Menschenmassen bei Harrods im letzten Jahr.
Der Markt war zu meinem wohl wollen ziemlich leer. Die wenigen Leute hatten sich fest in ihren Jacken und Mäntel gewickelt und die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, um sich vor dem Wetter zu schützen. Selbst die sonst allgegenwärtigen Touristen schienen sich heute eher auf Innenraum-Attraktionen verlegt zu haben.
Ich blickte mich nach einem Stand mit originalen Harzer Räuchermännchen um, von denen mein guter Freund und Teilzeit-Mitstreiter wieder der übernatürlichen Gefahren Cyrus so begeistert erzählt hatte. Warum auch immer man sich für solche obskuren bunten Schnitzereien überhaupt begeistern konnte, sollte mir für immer schleierhaft bleiben. Aber wenigstens machten diese Weihnachtsmärkte nach deutschem Vorbild, die seit Jahren immer mehr um sich griffen es relativ einfach, solche Stücke zu erwerben.
Sicher werden sie jetzt einwenden, dass ich sie ja auch einfach über das Internet bestellen könnte, aber da gibt es leider ein kleines Problem. Magie und moderne Technologie verstehen sich nicht besonders. Jeder Computer dem ich zu lange zu nahe komme, verwandelt sich über kurz oder lang in sehr teures, nicht sehr wohlriechendes Räucherwerk. Solange also keine Harzer Holzschnitzer Computergehäuse als neueste Marktlücke entdeckten, wäre mir diese Technik wenig hilfreich in meiner geplanten Akquisition.
Ergo bleibt nur die Stärkung des britischen Einzelhandels mit direkter lokaler Kapitalisierung. Sprich: Aufraffen und einkaufen.
Die allgegenwärtige Weihnachtsmusik, die aus versteckten Lautsprechern dudelte, half mir auch nicht sehr dabei konzentriert zu bleiben. Ich meine, weihnachtliche Kinderchöre sind ja schlimm genug, aber wenn die dann auch noch auf deutsch singen? Verstehen sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen die Deutschen. BMW, Goethe, Neuschwanstein… aber es hatte schon seinen guten Grund, warum die Vorsehung die Nordsee genau dort platziert hat, wo sie nun einmal ist. Der verlockende Duft von Bratwurst ließ meine vierbeinige Stolperfalle eine neue Richtung einschlagen, und da ich nun einmal sehr an meinen Armen hänge, in jedem Sinn dieser Aussage, stolperte ich von der straffen Leine dirigiert hinter ihm her zu einer runden Hütte, in deren Mitte ein gewaltiger runder Schwenkgrill hing, auf dem allerlei Fleisch und Fleischprodukte über glühenden Kohlen brutzelte. Das hieß dann wohl eine Wurst für den Hund, und ein Glühwein für mich. Kopfschüttelnd sah ich zu wie das Tier seine Speise verschlang. Der Kampf zwischen Gier und innewohnender Hitze des Fleischnebenproduktes entbehrte nicht einer gewissen Komik. Zumal es eine nicht zu verleugnende Ähnlichkeit zwischen Wurst und Dackel gab.
« Letzte Änderung: 23.12.2017 | 10:04 von Orok »
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Re: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« Antwort #6 am: 23.12.2017 | 10:03 »
Da hielt Ahtunwhiho plötzlich inne und versteifte sich. Die eine Hälfte der Wurst trudelte unbeachtet zu Boden. Ich blickte verdutzt zu dem Tier herab. Diese Ignoranz unvertilgter Nahrung gegenüber schien mir nicht gutes zu bedeuten.
Da bemerkte auch ich es. Ein kalter Hauch zog durch die Budengasse, und ließ den Schneematsch zu Eis gefrieren. Die Musik verlangsamte sich zu einem leiernden Klagen, das die Stimmung der kindlichen Gesänge von besinnlich zu „wir beschwören dunkle Götter aus der 11. Dimension“ transformierte. Lautes Klirren kam aus einem der Stände weiter vorne. Ich sah wie mein Dackel die Lefzen hochzog, um seine kleinen, erstaunlich weißen und erstaunlich spitzen (ich spreche da aus leidvoller Erfahrung), Zähne zu entblößen.
Also einer von diesen Tagen. Nun würde gleich das Schreien los gehen, dachte ich noch.
Und so war es.
Die Leine zischte mir heiß durch die Hand, als Ahtu in Richtung der Gefahr davon preschte. Unglaublich zu was einer Geschwindigkeit diese Kreatur fähig war, verglichen mit dem langsamen tapsigen, geradezu mitleiderregenden humpeln, das er in Gegenwart junger Damen, oder auf dem Weg zum Hundefriseur, an den Tag legte.
Ich ließ meinen Glühweinbecher fallen, zog  mir die Melone fest auf den Kopf und nahm die Verfolgung auf.
Der Radau hatte scheinbar seinen Ursprung in einem kleinem Festzelt, welches in großen Lettern original bayrische Kost und Unterhaltung versprach. Die füllige Endvierzigerin in dem leider viel zu engen Dirndl, welche mich mit angstverzerrtem Gesicht auf ihrer Flucht aus dem Zelt in einen Haufen braunen Schnees rammte, zeigte jedenfalls recht deutlich was sich der Veranstalter unter original bayrisch vorstellte. Meine Befreiung aus der kaltfeuchten Umklammerung des Schnees wurde noch kurz von den ebenfalls flüchtigen Musikanten gestört. Zumindest nahm ich an, dass die drei älteren Herren in traditionellen krachledernen Kniebundhosen die Musiker dieses Etablissement waren. Dass einer der drei eine Tuba trug, schien mir eine triftiger Verdachtsmoment.

Schließlich gelangte ich doch ins Innere des Zelts, das inzwischen von allen Besuchern verlassen worden war. Lebenden Besuchern, sollte ich wohl präzisieren. Am anderen Ende des Zeltes, nur durch einige Bierzeltgarnituren von mir getrennt, zerlegten ein halbes dutzend durchscheinender, blass-grünlich schimmernder Gestalten im Licht der flackernden Bühnenbeleuchtung eben jene Bühne, und den folkloristisch geschmückten Bierausschank. Holzsplitter, Scherben von Steinkrügen, Bier, Weißwürste und Senfgläser flogen wild durch die Gegend, und verwandelten die Wände des Zeltes in etwas, für das eine dieser schicken Galerien in der City verdammt viel Geld verlangen würde.
Geister!
Ich kniff die Augen zusammen, duckte mich unter einem niedrig fliegenden Maßkrug hinweg, und versuchte für den Augenblick den heftig hüpfenden und mit überschlagener Stimme kläffenden Dackel zu ignorieren, dessen bemühen die Waden der schwebenden Gestalten zu malträtieren bisher nicht von Erfolg gekrönt zu sein schien.
Die Geister trugen Uniformen und Tellerhelme wie zu Zeiten des berühmten London Blitzes, als deutsche Bomben auf London niederregneten. Warum bei allen sieben Höllen und ihren Herrschern, sollten die Geister von Soldaten des Weltkrieges ein deutsches Festzelt zerlegen?
Ja, ich sehe förmlich vor mir, wie Sie bedauernd seufzen oder mitleidig den Kopf schütteln. Auch mir wurde in dem Moment klar, in dem ich den Gedanken formulierte, warum Männer, die offensichtlich bei der Verteidigung ihrer Heimat gegen den Hunnen verstorben waren, etwas gegen diese Zeichen einer erfolgreichen Invasion haben könnten.
Wirklich. 
Ahtunwhihos Behauptung, ich hätte dort minutenlang mit offenem Mund staunend das Schauspiel angestarrt, ist eine bösartige Lüge, eines gemeinen wurstförmigen Hundes!
Ich weiß natürlich nicht, ob Sie schon einmal mit Geistern zu tun hatten. Sollte das der Fall sein, können sie die nächsten Sätze getrost überspringen. Falls nicht, hier ein paar kurze Erläuterungen, ohne zu sehr ins ektoplasmatische Detail zu gehen. Geister entstehen in der Regel, wenn der verstorbene noch etwas wichtiges zu erledigen hat. Je präsenter diese Aufgabe beim versterben im Geiste -sie verzeihen sicher mein Wortspiel- desto potenter der Spuck. Diese ektoplasmatische Potenz nimmt allerdings im Laufe der Zeit immer weiter ab, sollte ihr nicht durch thaumaturgische Aktivität, z.B. Zauberei oder ein magisches Artefakt, neue Nahrung zugeführt werden. Ein ordentliches Begräbnis der sterblichen Überreste wäre eine vergleichsweise zuverlässige mundane Methode einen Geist zu bannen. Kurzfristig lassen sich solche Spukgestalten auch mit Salz oder kaltgeschmiedetem Eisen auflösen. Dies wirkt aber immer nur temporär. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass diese Regeln zwar auf eine Großzahl an Geistern zutreffen, es aber mehr Ausnahmen dazu gibt, als Haare auf dem Rücken einer russischen Gewichtheberin. Benutzen Sie ihr neu erworbenes Wissen also nur mit äußerster Vorsicht!
Nun wir Briten sind nicht als zögerliche Zauderer bekannt. Diese Ehre gebührt allein den Franzosen. Ich fasste mich also schnell wieder und trat einige Schritte in Richtung des geistreichen Krawalls. Ich räusperte mich hörbar, wich einem ungezielten Teilstück einer Bank aus, und richtete das Wort an die untoten Marodeure: “Meine Herren! Bitte lassen sie doch ab von dieser unwürdigen Zerstörungswut. Ich kann ihnen selbstverständlich die Umstände dieser festivativen Invasion britischen Bodens darlegen. Ihrem Unmut scheint mir ein Missverständnis zu Grunde zu lie...“
Ich verstummte abrupt als sich ein halbes dutzend immer stofflicher erscheinender Karabiner auf meinen Kopf richteten. Zugegebenermaßen mag in der Retrospektive meine Wortwahl vielleicht nicht die allerbeste gewesen sein, in meinem Kopf war die Ansprache jedenfalls besser verlaufen. Ich hob abwehrend die Hände, die Handflächen den Geistern zugewandt. Was ich von ihren flackernden Gesichtern ausmachen konnte, waren unnatürliche, zornige Grimassen, für die ein Horrorfilmregisseur sicher gute Verwendung gehabt hätte. Ihre offensichtliche Rage verlieh ihnen einen immer stärkeren halt in unserer Daseinsebene. Das sah wirklich verdammt mies aus für meine körperliche Unversehrtheit.
Der mitleidige Blick meines mittlerweile verstummten vierbeinigen Kompagnons war in dieser Situation nun wirklich eine unnötige Geste.
Ich kenne mich mit Schusswaffen nicht sonderlich aus, aber das durchladen einen Karabiners, mit dem unverwechselbaren zurückschnappen des Bolzens verhieß auch mir nichts gutes. Ich sprang, alles adäquate Verhalten meines gelehrten Standes vergessend, mit einem  männlichen quieksen in Deckung eines umgestürzten Tisches, der fast im selben Augenblick von mehreren Einschlägen ektoplasmatischer Geschosse erschüttert wurde.
Rasch wog ich meine Optionen ab. Flucht schied aus. Der nächste der in dieses Zelt kam würde wahrscheinlich keine Ahnung haben, womit er oder sie es zu tun hatte, und dadurch letalen Schaden nehmen. Das ich zur Flucht ohne jegliche Deckung das Schussfeld der Geister durchqueren musste, spielte selbstverständlich in meiner heroischen Überlegung überhaupt keine Rolle. Blieb Abwarten oder Kampf. Die Splitter meiner Deckung, die um mich herum durch die Luft flogen, machten mir auch diese Entscheidung leicht. Gut, über welche Offensivmöglichkeiten verfügte ich? Weder schien mir, das die schießwütigen Gespenster einer Feuerpause zwecks Exorzismus-Ritual zustimmen würden, noch hatte ich meine Ritualmaterialien dabei, denn ich wollte ja nur Räuchermännchen einkaufen. Das gleiche galt für den alten Dienstrevolver meines Großvaters, der mir schon so manches mal gute Dienste geleistet hatte. Blieb also elementare Kampfmagie. Ich konnte wahrscheinlich 3 oder 4 der manifestierten Geister mit Feuer ausbrennen, bevor sie mich erwischten. Eventuell schaffte ich es auch bei allen.
Ich meine, es sind schließlich schon unglaublichere Dinge passiert. Zum Beispiel hatte man Tut Ench Amun zwar 145 Unterhosen, aber nur 4 Socken für seine Reise ins jenseits eingepackt. Oder, das Leute freiwillig Kapern essen...wi-der-lich!
Ich machte mich also bereit aus meiner Deckung zu springen, um einen heldenhaften letzten Stand auszufechten, wie er einem Sohn des Commonwealth würdig wäre. Dies würde mein Rorke's Drift sein. Mein Waterloo.  Man verzeihe mir meinen Pathos im Angesicht meines sicheren Untergangs.
„Salz!“
Das Wort materialisierte sich wie aus dem Nichts in meinen Kopf und ließ mich aus meinen düsteren Gedankengängen aufschrecken.
Ahtu hatte sich während meiner Überlegungen zu mir in meine Deckung geschlichen und sah mich nun mit schief gelegtem Kopf aus seinen braunen Dackelaugen an.
„Salz, du Sohn eines wurmgeplagten Fuchses!“ erscholl die nun ungeduldige Gedankenstimme des Schamanen erneut in meinem Kopf.
Ach diese Freude...was wäre der Tod nur, ohne noch die ein oder andere blumige Beleidigung meines alten Partners zu hören.
Ich schnitt dem Hund eine Grimasse, patschte mit übertrieben ausholenden Gesten auf meine Taschen um ihn dann verdutzt anzublicken.
„Oh lieber weiser Ahtunwhiho, ich scheine leider keinen Salzstreuer eingepackt zu haben...hast du vielleicht daran gedacht einen mitzubringen?!“ sagte ich mit aller Häme die ich aufbringen konnte.
Ich schwöre, das er es fertigbrachte mich herablassend anzugrinsen. Ein Dackel! Herablassend!
„Teigknoten, Salz! Du hast Hirn wie debile Wachtel!“
„Was bei Königin Titanias blassem Hinterteil meinst du damit, du vermaledeite Fellwurst? Ich hätte dich schon längst per Einschreiben an eine hungrige chinesische Großfamilie schicken sol...“
In dem Moment blieb mein unruhig umher huschender Blick an etwas auf dem Boden hängen. Teigknoten....ich debiles Wachtelhirn! Das war so verrückt, das es funktionieren könnte.
Ich riss den überraschend aufjaulenden Ahtu hoch, drückte ihm einen feuchten Schmatzer auf die Nase, und begann die verstreuten original-bayrischen Brezeln aufzusammeln, die in meiner Reichweite auf dem Boden verteilt waren. Auf jeder Brezel blitzten wie weiße Edelsteine die dicken Brocken Hagelsalz. Nachdem Ahtu seine Nase mehrmals, theatralisch laut niesend, über den Bodenbelags aus Kunstrasen gezogen hatte, half er, indem er mir ein paar entfernter liegende Brezeln zuschob.
Das ganze Geschehen hatte vielleicht eine Minute gedauert, wenn es mir zu dem Zeitpunkt auch deutlich länger erschien. Meine Deckung hatte jedenfalls in der verstrichenen Zeit deutlich unter dem ektoplasmatischen Feuer der Gespenstersoldaten gelitten, überall waren Risse im Holz, und die Ränder sahen aus als hätten eine Horde Riesenbiber hier ein Picknick veranstaltet. Solange sie aber nicht zum Nahkampf übergingen, hatte ich noch Zeit mich zu sammeln.
Genau in diesem Moment erscholl der heulende Ruf: „Pflanzt auf das Bajonett!“
Das war nicht vom Regen in die Traufe, sondern vom Unwetter in den Überlaufkanal.
Blind warf ich eine Hand voll bayrischen Traditionsgebäcks mit aller Kraft in Richtung der Befehlsstimme, um dann an einer anderen Stelle meiner Deckung zu spähen. Die Gespenstersoldaten hatten tatsächlich fahl schimmernde Bajonette auf ihre Gewehre gesetzt, und starrten für den Augenblick scheinbar verblüfft (können Geister überhaupt verblüfft sein?!) auf eine leere Stelle in ihrer Mitte. Mein Wurf hatte tatsächlich den Anführer erwischt, und das Brezelsalz hatte seine manifestierte Form für die nächste Zeit aufgelöst. Mit einem unartikulierten Siegesschrei pumpte ich meine erhobene Faust in die Luft. Nimm das Ms. Beefstrangler! Meine alte Sportlehrerin hatte einst gemeint, aus mir würde nie irgendeine Form von Athlet werden. Ha! Sollte sie doch an ihrem Schnurrbart ersticken!
Es galt die Gelegenheit zu einem Gegenschlag zu nutzen. Ich zog meinen meinen Zauberstab aus der Innentasche des Mantels. Dieses eineinhalb Fuß lange Stück verdrehten Feenholzes hatte mir schon oft gute Dienste geleistet und war ein starkes Werkzeug um meine arkanen Kräfte zu fokussieren. Ich kann Sie, werte Leser, förmlich denken hören. Ja Zauberstäbe sind Real. Ja wie bei Harry fucking Potter! Aber sonst ist davon verdammt nochmal nichts Real von diesem furchtbaren Verbrechen an meiner Zunft! Und sollten sie einen echten Zauberer jemals nach Quidditsch fragen, machen sie sich darauf gefasst den Rest ihrer kurzen und qualvollen Existenz in einer dunklen Kerkerdimension zuzubringen. Mit ihrer Haut von innen nach außen gedreht! Sie mögen es erraten haben, definitiv kein Fan der Werke von J.K. Rowlings. Verdammte Muggel!
Ich sprang auf, deutete mit dem Stab auf den nächsten Geist und kanalisierte meine Kraft in eine Kugel brennenden Feuers, die brüllend auf ihr Ziel zuraste. Die ektoplasmatische Erscheinung verdampfte im Bruchteil einer Sekunde, und Fragmente weiß glühendes Zaubererfeuers spritzen in dem Zelt umher und entzündeten naheliegende Trümmerstücke. Doch keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Ich schwang den Stab auf den nächsten Soldaten, der nun nicht mehr geistlos, Wortspiel beabsichtigt, auf seinen verschwunden Offizier starrte, sondern auf die brennenden Überreste, die den Platz seines untoten Kameraden nun okkupierten. Eine weitere Willensanstrengung presste neuerliche Energie in die Matrix des Spruches, und ein weiterer Gegner verdampfte zu einer rasch zerkochenden Pfütze Ektoplasmas. Blieben nur noch zwei Gegner über. Siegesgewiss visierte ich den nächsten Soldaten an. Der das gleiche mit mir tat. Oh verdammter dampfender Ogerhaufen! Mit einer Kirsche drauf! Ich sprang zur Seite, und ein Geistergeschoss zerfetzte die Luft, wo kurz zuvor noch meine Brust gewesen war. Ich riss den Stab hoch, und ließ einen gewalttätigen Schwall roher unfokusierter Magie  in meinen Gegner rasen.
Stechender Schmerz, wie von einer Armee mit Nadeln bewaffneter Feen die überall zugleich auf meinen Körper einstachen, schoss mit unglaublicher Agonie durch mich hindurch und kurzzeitig verschwamm alles vor meinen Augen. Rohe Magie auf diese Weise einzusetzen fordert seinen Preis vom Zauberer. Es schädigt den Körper nachhaltig, und kann oftmals sogar tödlich enden. Ich Spuckte einen Brocken aus Schleim und Blut auf den Boden und schüttelte den Kopf um wieder klar sehen zu können. Bei Oberons linker Brustwarze, das hatte weh getan! Aber es hatte auch den Job erledigt. Die Gestalt des Gespenstes war  von der astralen Gewalt förmlich zerfetzt worden. Genau wie die Überreste der Bar hinter ihm. Und die schweren Instrumentenkoffer der Band dahinter. Und die Zeltwand dahinter.
Dann ertönte das gedämpfte grollen Ahtus hinter mir, und ein gleißender Schmerz fuhr über die Rippen an meiner rechten Seite. Die fahl leuchtende Klinge eines Bajonetts ragte unter meiner Achsel hervor, rotes Blut auf der nun fast gänzlich stofflichen Schneide. Ich wirbelte herum, weg von der Waffe, den Stab zum Angriff erhoben. Ich hatte den letzten Geist für einen Augenblick vergessen, und dieser hatte die Chance genutzt um mich von hinten zu attackieren. Zu meinem unglaublichen Glück war Ahtu nicht so abgelenkt gewesen wie ich. Er hatte sich offensichtlich im nunmehr weitestgehend materialisierten Stiefel des Geistes verbissen und so den tödlichen Stich fehlgeleitet, so das die Klinge mich nur gestreift und nicht durchbohrt hatte. Ein hoch auf zylindrisch geformte Familiare mit 4 Pfoten! Ein weiteres hündisches grollen ertönte, als der stumme Geist sein Gewehr mit aufgepflanzter Klinge erhob, um sich des lästigen Anhängsels zu entledigen.
„Klapp den Mund zu und mach was du Büffelfurz!“ertönte die stets nonchalante Stimme meines Begleiters in meinem immer noch brummenden Schädel.
Ich fokussierte eine genau bemessene Menge astraler Kraft, und brannte die letzte Manifestation meiner Gegner aus dieser Existenzebene.
Ahtunwhiho blickte zu mir, ließ seinen Blick durch das Zelt schweifen, blickte vorwurfsvoll wieder zu mir, und ließ ein leises Hundeniesen erschallen. Auch ich blickte durch die Überreste des Zeltes. Die Einrichtung lag komplett in Trümmern. Vereinzelte Brände hatten sogar die schwer entflammbaren Zeltwände und den Bodenbelag an einigen Stellen zum schwelen gebracht. Im großen und ganzen ließ sich wohl nicht mehr viel retten. Aber zumindest war niemand zu körperlichen Schaden gekommen. Außer mir natürlich.
Ich blickte zu meinem Dackel hinab, und zuckte mit den Schultern, was wieder einen heißen Schmerzblitz in meine Seite jagte. Mit verkniffenem Gesicht zog ich meinen nach Rauch stinkenden, durchlöcherten und von langsam verdampfenden Ektoplasma besudelten Mantel fester um mich und humpelte durch das große Loch in der Rückwand des Zeltes hinaus. Weg von den Rufen und Schreien auf dem kleinen Marktplatz.

Heute Nacht würde ich heimlich zurückkommen müssen, um die Geister endgültig zu bannen, damit sie sich nicht erneut manifestieren könnten. Ich brauchte wirklich keinen schulmeisterlichen Schamanengeist der mich daran erinnerte!
Warum die Gespenstersoldaten sich überhaupt manifestieren konnten?
Das ist eine ganz eigene Geschichte für ein anderes mal.

Über mir ragten die Umrisse der Towerbridge in den bleigrauen Londoner Himmel, hinter mir folgte der selbstzufrieden grinsende Dackel.

Nächstes Jahr würde Cyrus einfach einen Gutschein bekommen...

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Offline Conan der Barbier

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Re: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« Antwort #7 am: 23.12.2017 | 11:31 »
Na, es geht doch merklich voran :d
Furztrocken!

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Re: [London Fairy Tales] Christmas Blitzz
« Antwort #8 am: 23.12.2017 | 12:24 »
Na, es geht doch merklich voran :d
Ist sogar fertig :D
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