Autor Thema: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?  (Gelesen 6140 mal)

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Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« am: 1.02.2019 | 19:27 »
Aus aktuellen Anlässen...

Althergebrachten CP-Settings wird gerne spöttisch vorgeworfen, wie überholt sie doch wären - ohne eine umfassende Modernisierung ist da angeblich nichts mehr zu holen.

Mein Lieblingsbeispiel ist das altbekannte 1 kg-Telefon aus SR1. Hihi, wie blöd ist das denn?
Wenn man sich aber mal die Mühe machen würde, ins Buch zu schauen, würde man feststellen, dass sowohl die Kopfhörerversion als auch das Handgelenksmodell mit Aufklappbildschirm völlig gewichtslos sind. Soll ich da jetzt den gleichen Maßstab anlegen und postulieren, dass das ja die absolute Wundertechnologie sein muss oder merke ich an der Stelle vielleicht, dass die überflüssige Gewichtsangabe für ein völlig triviales, unbedeutendes Gerät mal eben in die Liste gerotzt wurde, anstatt eine durchdachte futurologische Aussage zu sein? ::)

Auch sonst sind die üblichen Kritikpunkte vorhersehbar: Cyberaugen, -gliedmaßen, Riggersteuerung - gibts ja alles heute schon. Klar. In den allerkleinsten Kinderschuhen und auf einem Niveau, dass es genau besser ist als nichts. Aber bestimmt nicht in einer Form, dass man sich freiwillig funktionierende Körperteile ersetzen ließe, was nach offizieller CP-Linie übrigens oft völlig triviale Eingriffe sind, die man mal eben machen lässt (was schon nicht mehr SF, sondern eher reine Fantasy ist).

Datenvolumen und Speicherkapazitäten sind natürlich auch lächerlich und müssen an moderne Verhältnisse angepasst werden, wobei man gleichzeitig unterschlägt, dass man da von Hardware und Anwendungen spricht, über die man schlicht keine sinnvolle Aussage machen kann und deshalb lieber komplett die Finger von konkreten Angaben lassen sollte, wenn einem an der Stelle Glaubwürdigkeit wichtig ist ;)

Gleichzeitig ist ein Grafikbrecher (-blender?) wie CP2077 dann doch gefühlt topaktuell und cutting edge, obwohl da im Grunde nur die Jahreszahl geändert ist und ansonsten fast alles 1:1 aus CP2020 stammt...


Politisch und sozial ist es genau das Gleiche. Statt sich die kritisierten Settings tatsächlich mal näher anzuschauen, wird einfach unreflektiert behauptet, dass es heute ja schon viel, viel schlimmer ist, als sich diverse CP-Autoren jemals ausdenken konnten (in Verkennung z.B. des Umstandes, dass das eine oder andere Element klassischen CP-Konzernverhaltens im 19. und frühen 20. Jahrhundert deutlich weiter ausgeprägt war als heute). Allgemeine Zustimmung reihum, da muss unbedingt die Schraube weiter aufgedreht werden...mit dem Ergebnis, dass dann solche Fluff-Texte und Teaser rauskommen:


Interface Zero 3.0

If you don’t keep your filters updated hyper real can stop your heart. If you’re lucky. My sister got spammed so hard she joined a cult. Something about Nigerians. She didn’t make a lot of sense before she disappeared.

Want to get out? Sell yourself to a corp. Debt. Wage slave. Just remember, those nanos that keep you healthy? Once you sign on the dotted line they get control of them. Miss a payment and cancer eats your guts out. Painful but slow enough for you to get caught up; hopefully. The bottom line is all about percentages so not everyone makes it. And if you mess up at work they call you in sick. A week wishing you were dead is a pretty good teacher.


 :bang:

Carbon 2185

The 0.5% of the world control everything, with the majority of the population in constant never ending debt. You are expected to work 10 hours a day, 30 days a month in 2185.
You sign up for a job with a standard five year contract, and get paid at the end of it. Most people run a five year line of credit during this time, hoping their paycheck is enough at the end of it to clear their debts.
If you do not complete your contract in its entirety, you do not get paid anything.


 :puke:

Ja, CP ist Dystopie und darf hier und da gerne mal was überzeichnen. Aber wenn man sich in so absurde Höhen aufschwingt, funktioniert das nicht als glaubwürdiges Setting, in dem "echte" Personen handeln (sollen). Das geht dann nur noch als kleiner Fluff-Brocken oder als Kurzgeschichte, aber ein schlüssiges Gesamtbild wird das so nichts :gaga:


Der komplette "Die Konzerne sind böse"-Blickwinkel ist eine Außenperspektive derer, die keinen Platz am Futtertrog bekommen haben. Aus der Innenperspektive ist ein Konzern eher das ultimative Helikopter-Elter und betreibt zwar love bombing und sonstige emotionale Manipulation, aber grundsätzlich muss es den Betroffenen relativ gut gehen, sonst ist das ganze Konstrukt bis weit in die Unglaubwürdigkeit hinein überzeichnet.
Da könnte man sich vielleicht mal entscheiden, ob man hire&fire bis ins Extrem denkt (was nicht funktioniert) oder die japanische Unternehmenskultur wie in klassischem CP (was sehr gut funktioniert). Beides zusammen geht nicht und mit Ersterem brechen andere Kernelemente des Settings weg.


Genau so daneben ist der Gedanke, dass die Konzerne die Regierungen "übernommen" hätten. Richtig ist: Die Regierungen sind zahnlos und handlungsunfähig geworden und die Konzerne haben gar kein Interesse daran, sich deren althergebrachte Aufgaben anzueignen (!) - jedenfalls nicht für die Allgemeinheit.
Die Folge ist eine Aushöhlung von Rechtsstaatlichkeit und generell "rule of law", ein verstärktes Aufkommen nichtstaatlicher Akteure und eine allgemeine Balkanisierung auf lokaler Ebene bei gleichzeitig um sich greifender Globalisierung in größeren Zusammenhängen.

Diese Form der Dystopie muss man also deutlich von diversen (natürlich grundsätzlich nicht weniger dystopischen) Weltregierungskonzepten abgrenzen. Das geht - auch beim Thema "totale" Überwachung* - höchstens zusammen, indem der Anspruch zwar von Regierungsseite formuliert wird, aber keine realistische Umsetzungsmöglichkeit besteht.

*wo auch gerne mal z.B. behauptet wird, dass wir etwa Orwells 1984 längst überholt hätten und ähnlicher Kappes, obwohl ich jetzt niemanden wüsste, der vom schwarzen Google-Lieferwagen abgeholt wurde.
Da werden Anfänge, eher theoretische oder größtenteils aufs Virtuelle beschränkte Gefahrenpotentiale (unter völliger Missachtung des Umstandes, dass es durchaus Gegenmaßnahmen gäbe, die man in der eigenen Lebensführung aber geflissentlich ignoriert, weil sie einem dann doch zu unbequem sind :P) mit den denkbar schlimmsten und effektivsten Diktaturen gleichgesetzt - mit der selben verqueren Schlussfolgerung, dass da für "modernen" Cyberpunk noch zwei bis achtzehn Schippen drauf müssen.

Nebenher werden noch zeitgenössische Randerscheinungen wie Flash Mobs und ähnliches social media-Gedöns völlig übersteigert, wobei gerne mal vergessen wird, dass man sich bei CP-typischer massiver Aufweichung des Gewaltmonopols zwei mal überlegt, ob man jeden x-beliebigen Aufruf mitmacht...

Vom Großthema Kriminalität gar nicht angefangen - wer da als Mitteleuropäer echte Parallelen erkennt oder CP gar von der Realität überholt sieht, dem ist echt nicht mehr zu helfen.

Man verschlimmbessert also für "moderne" CP-Settings ohne Notwendigkeit an politischen und sozialen Aspekten herum, weil man nicht weiß, was man an der alten Darstellung überhaupt hatte bzw. diese nicht richtig überblickt und aktuelle Randaspekte und Luxusproblemchen total überbewertet. 


Bei der Technologie ist es ähnlich.
Man "muss" unbedingt jedes noch so unpassende SF-Konzept verwursten, weil das eben der aktuelle Stand der SF ist. Das betrifft insbesondere Upload- und Backup-Technologie, 3d-Drucker-Gewichse und anderen "singularitätsnahen" Kram , der für mich unverständlicherweise anscheinend recht flächendeckend als plausible und recht unmittelbar bevorstehende Entwicklung bewertet wird. "Muss" ein Near-Future-Setting also unbedingt haben (vom allgemeinen kitchensink-Faktor mal ganz abgesehen).

Dabei verkennt man unabhängig von einer technischen Machbarkeitsbewertung, dass spätestens der nächste Schritt dieser Elemente recht zwingend von CP wegführt und insbesondere für das CP-Rollenspiel Gift ist:
Post scarcity-Konzepte, funktionierende Sousveillance inklusive zugehöriger politischer Gestaltungskonzepte u.Ä. sägen schnell an den dystopischen Grundvoraussetzungen des Settings und das Großthema Singularität mit seinen Folgen reißt entweder den Spielfokus an sich oder ist verzichtbar.

CP-RPGs funktionieren definitionsgemäß nur bis unmittelbar vor dem Eintritt solcher Entwicklungen - danach spielt man schlicht ein völlig anderes Spiel.
Dazu gehört auch der Umstand, dass im Rollenspielkontext die faktische CP-Kernbeschäftigung* i.d.R. ist, Leuten für Geld (oder aus ähnlich guten Gründen) ins Gesicht zu schießen.
Überspitzt: Wenn es kein Geld mehr gibt und das Gesicht inklusive dahinterliegendem Hirn 100% ersetzbar ist, entfällt das ersatzlos oder man schafft unter mehr oder weniger großen Verrenkungen Umstände, mit denen das doch wieder möglich und sinnvoll wird (siehe Eclipse Phase). Das könnte man sich aber auch einfach sparen und wäre für Spielzwecke genau so weit.

Vielleicht könnte man ja zuerst überlegen, was man für ein Spiel machen will und dann die Technik passend postulieren, anstatt einfach alles auf einen großen, unsortieren Haufen zu kippen?  :P


*Das, was CP (mMn übertriebenerweise) so an großartigem Tiefgang zugeschrieben wird, trägt nur einzelne One-Shots, aber kein längeres Spiel. Also die Fragen nach der Natur des Menschen oder bewusster Wesen an sich, mehr oder weniger clevere Sozialkritik und sonstige moralische Betrachtungen, die man mit CP fokussiert(er) aufwerfen kann.

Aus genau dieser Ecke kommt eine gefühlt recht große Zahl von CP-Rollenspielen der jüngeren Zeit: Erzählspiele, die den Schwerpunkt auf eben diese Gedanken legen. Die kommen dann aber offensichtlich ohne kleinteilige Technik- oder Sozialbetrachtung, oft sogar ganz ohne konkretes Setting aus, weil sie das ohnehin mit dem großen Hammer bearbeiten (und/oder das Nötigste an Setting on the fly erstellen).

Ein längerfristiges, weniger überfokussiertes Spiel kann diese Aspekte nur als Hintergrundrauschen oder als Nebenthema haben, sie aber nicht zum ständigen Kerninhalt machen - daher dann auch das, was salopp (und zu weit verkürzt) "D&D with guns" genannt wird.

Grundsätzlich ist es mir ganz recht, dass wieder einige klassische, herausforderungsorientierte CP-Vertreter jenseits des Platzhirsches SR an den Start gehen. Die sind aber in Sachen Setting im Hinblick auf o.g. Faktoren meist noch verstrahlter als eben dieser Platzhirsch (der z.B. beim Thema totale Überwachung speziell in der jüngsten Edition komplett ins Klo gegriffen hat).


Tl;dr:
Ja, die Japaner haben nicht die ganze Welt aufgekauft und der saure Regen hat uns nicht alle fortgespült.
Trotzdem sind viele alte CP-Settings bzw. -Ansätze weiterhin als Spielfläche geeignet und müssen nicht ohne jedes Augenmaß und jeden Überblick "modernisiert" werden, indem man abstruse Zerrbilder aus irgendwelchem neumodischen Firlefanz konstruiert, sei das nun das, was in der zeitgenössischen SF grad so gemacht wird oder bis ins Extrem übersteigerte Fortführungen von zeitgenössischen (gefühlten) Problemen, die a) bereits in angemessener Form in CP angelegt sind und b) in der gedachten extremen Form längst ausgeprägte Gegenreaktionen erzeugt haben müss(t)en.
Viele CP-Elemente sind im Grunde eh zeitlos und nutzen technische oder politische und soziale Kontexte nur als Linse; da muss man nicht ständig ins absolute Extrem gehen - erst recht nicht, wenn das als nicht-parodistisches Spiel noch funktionieren soll.
Und andersrum kann man CP-Settings nicht organisch in deren Zukunft weiterdenken, ohne relativ schnell den ursprünglichen Fokus über Bord zu werfen und sich in Trans- bzw. Posthumanismus und Singularitätskram zu verlieren - an dem Punkt können viele Fragestellungen von CP gar nicht mehr relevant sein, weil sie schlicht von der Entwicklung überrollt worden sind.   


Auch wenn man sich die Fragen wohl schon denken konnte:

Wo kann CP-Rollenspiel eurer Meinung nach noch groß hin gehen - sowohl in Sachen Setting (und da speziell in Sachen Technik) als auch in Sachen Regelwerk?
Müssen/sollten die Settings auf der Stelle treten? Wo seht ihr eure persönliche Abrisskante, d.h. bis wohin ist es für euch noch CP und wann wird es etwas anderes?

Ist das Feld mit den alten Klassikern und den neueren Erzählspielen nicht weitgehend abgearbeitet?
Sollten neue CP-Spiele nicht zusehen, in ihrer Untersparte die bekannten Macken loszuwerden, anstatt ständig den Versuch zu unternehmen, das Genre in "moderner" Form neu zu erfinden?
« Letzte Änderung: 3.03.2019 | 12:01 von YY »
"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
- Pyromancer

Spidey

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #1 am: 1.02.2019 | 19:50 »
Erstmal, von mir größtenteils volle Zustimmung :d

Ja, CP ist Dystopie und darf hier und da gerne mal was überzeichnen. Aber wenn man sich in so absurde Höhen aufschwingt, funktioniert das nicht als glaubwürdiges Setting, in dem "echte" Personen handeln (sollen). Das geht dann nur noch als kleiner Fluff-Brocken oder als Kurzgeschichte, aber ein schlüssiges Gesamtbild wird das so nicht :gaga:

Seh ich genauso, zumal auch schon die "Vorlagen", z. B. Bladerunner, nicht einfach nur die bereits bestehenden Probleme stumpf extrapoliert und eskaliert, sondern sich Gedanken zu möglichen Vorkommnissen und Problemen der Zukunft gemacht und darauf aufbauend die Gesellschaft verändert haben. Eben nicht einfach nur "es gibt Klone und *clutching pearls* oh ma morals!", sondern "es gibt kurzlebige Arbeitersklavenklone, die rebelliert haben und eine Organisation die die finden und unschädlich machen soll - das sind ihre Geschichten *Law&Order DUM DUM*"

Ich finde dieses überdrehte An-der-Schraube-Ziehen wie du es geschildert hast auch wirklich überzeichnet. Das ist zum Teil einfach reine, gesellschaftskritische Dystopie und lässt einen ganzen Teil des phantastisch-invokativen Charakters der Sci-Fi-dystopischen Noir-bis-Anarch-Atmo vermissen, die ich mit Cyberpunk verbinde.

Zitat
Wo kann CP-Rollenspiel eurer Meinung nach noch groß hin gehen - sowohl in Sachen Setting (und da speziell in Sachen Technik) als auch in Sachen Regelwerk?
Müssen/sollten die Settings auf der Stelle treten? Wo seht ihr eure persönliche Abrisskante, d.h. bis wohin ist es für euch noch CP und wann wird es etwas anderes?

Ich bin wahrscheinlich ein bisschen sowas wie ein Purist - wir spielen immer noch mit Cyberpunk 2020 2.1 - aber ich muss sagen, dass zum Beispiel Blade Runner 2049 da ganz gute Wege gegangen ist, auf dem bestehenden CP-Mythos aufzubauen. Die Implementierung von der Problematik zwischenmenschlicher Beziehungen und künstlicher Intelligenz bzw. erwerbbare Affektion, Genmodifizierung usw. Das fühlte sich immer noch nach einer fast fremden Welt und Realität an, die sich in halbferner Zukunft aus unserer entwickeln könnte und nicht wie die aktuellen Nachrichten auf Acid.

CP 2077 wirkt da auf mich eigentlich schon eher wie Industrialpunk mit überzeichneter Cyberpunk-Ästhetik. Mir fehlt da etwas die Atmosphäre, das Bedrückende.. vielleicht auch das Anarchische Element des "gegen die da oben" kämpfens.

Zitat
Ist das Feld mit den alten Klassikern und den neueren Erzählspielen nicht weitgehend abgearbeitet?
Sollten neue CP-Spiele nicht zusehen, in ihrer Untersparte die bekannten Macken loszuwerden, anstatt ständig den Versuch zu unternehmen, das Genre in "moderner" Form neu zu erfinden?

Wie vielleicht zu erwarten lautet meine Antwort darauf: ja. Auf jeden Fall.
« Letzte Änderung: 1.02.2019 | 19:51 von Spidey »

Offline Aedin Madasohn

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #2 am: 1.02.2019 | 20:33 »
erstmal  :d an YY für seine Analyse

Wo kann CP-Rollenspiel eurer Meinung nach noch groß hin gehen - sowohl in Sachen Setting (und da speziell in Sachen Technik)

aufbauend auf meiner SR Erfahrung mit Cyber: Cyber muss wieder ein identitätsstifetender Bringer im Setting und damit im Spiel sein!

in einem near dark future Setting wie SR 5 mit seinem Bioware/Genware und Zaubereiüberhang kommt für mich kein Cyberpunk feeling mehr auf.
Außerdem ist es noch immer möglich, ohne größeres naturwissenschaftliches Gedöns Cyber als Leistungsfähiger als Biowar darzustellen. Deine Biowaremuskeln hängen ja schlicht an deinem Sauerstoffnetz, deinem Kohlenhydratzyklus, Abwärme etc. pp. mit dran und dein synthetischer Myomer "ist da halt effizenter und daher sind höhere Attribute in Stärke drin".
Gewandheitssteigerung (in SR 5 gehen die ja auch in den Schießpool) kann ich in Cyber über die "Feinsensorische Ansteuerung(=Ausrichtung der Hand ) der synthetischen Myomere" begründen und aus die Maus.

es fühlt sich halt schon anders an, wenn man einen vercyberten Streetsam spielt und der dann auch noch leistungsfähig ist

für das Spiel mit seinem regelmäßigen Konflikt mit den Sicherheitskräften würde ich mir eine bessere Ausarbeitung der Balkanisierung der Sicherheit wünschen.

Konzerne, Einrichtungen und Stadtviertel, die halt nicht das Geld für einen Sicherheistdienstleister im Vollservice haben, kaufen sich halt "weniger" ein, wodurch man als Runner aber auch besser "davonkommen" kann.

Hier prallen halt gerne Allmachtsphantasien von (Gelegenheits)Autoren ungebremst auf das Spiel.

Allein bei der Frage nach den Kosten für die NSA-Vollüberwachung mit ihren mehr an Milliarden, als in der BRD Bundeswehr, Verfassungsschutz und BND zusammen als Buget haben, platzt doch jedes CP Setting mit seinen "also, jetzt stemmen diese 50 Milliarden jeder für sich zwölfdreißig Konzerne, und mein geliebter Superstaat und die Foundantion der irre kichernden Bruderschaft und..."

da kann ich sogar für weniger Bigbrother in der Tiefe des Sprawls argumentieren, als für ein mehr  ;)

   
       

Offline Haukrinn

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #3 am: 1.02.2019 | 20:48 »
Ich habe schon in den Neunzigern nicht verstanden wie jemand Cyberpunk nach als "realitätsnahes" Near-Future-SF-Genre ansehen konnte. Das macht auf so ziemlich jeder Ebene keinen Sinn. Ich finde eine derartige Einordnung aber auch vollkommen überflüssig, den selbst so alte Schinken wie CP2020 oder Shadowrun1/2 haben wenig von ihrem Reiz verloren, wenn man sie einfach als "alternative Realität" betrachtet.

Wer was "realistisches" spielen möchte, der ist mit Sicherheit bei Spielen, die in der Jetztzeit spielen, besser aufgehoben.
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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #4 am: 1.02.2019 | 21:09 »
Wer was "realistisches" spielen möchte, der ist mit Sicherheit bei Spielen, die in der Jetztzeit spielen, besser aufgehoben.

Also bitte, ja? Ich will mit ein paar Leuten zusammensitzen und anständige imaginäre Abenteuer erleben, das hat mit Realität nichts zu tun! :korvin: ;D

Insofern stimmt's schon; für spielbaren Cyberpunk muß insbesondere die technische Entwicklung gar nicht großartig weitergedreht werden, da sind genug "klassische" Spielsachen auch heute noch Science Fiction oder bestenfalls in Einzelstücken in der einen oder anderen Ideenwerkstatt in Arbeit. Und wer sich keine dystopische Zukunft ausmalen kann, braucht auch nur eine Weile lang die aktuellen Nachrichten zu verfolgen und die eine oder andere Entwicklung vielleicht ein bißchen zusätzlich zu dramatisieren...oder man kann natürlich auch immer, wie von Haukrinn gerade angesprochen, einfach eine passende Alternativwelt postulieren. Stört uns ja bei vielen anderen Genres auch nicht wirklich.

Scurlock

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #5 am: 1.02.2019 | 21:59 »
Interessante Gedanken. Ich kann die Bauchschmerzen hinsichtlich des härter/böser/düsterer der CyberPunk Settings nachvollziehen, sehe dies aber als lösbar an. Es sind halt die Werbeslogans der Publisher, um eben zu zeigen, dass sie noch härter/böser/düsterer können. Für das eigene Spiel kann man mit wenig Aufwand auf diese Spirale verzichten, sich die Dinge rauspicken, die passen oder das Altbewährte leicht modernisieren oder gar mit 1kg schweren Telefonen weiterspielen.
Ich habe zumindest für mich die Erfahrung gemacht, das eigentlich keine Welt, kein Setting und kein Rollenspiel für mich ohne Anpassung funktioniert. Ich habe mich also mittlerweile daran gewöhnt, dass ich Anpassungen vornehmen muss. Mal mehr, mal weniger.
Wenn ich also die Passage bei Interface Zero 3.0 nehme, dann sind das übertragen in mein CP-Setting extreme Auswüchse in Teilen der Welt, die meine Spieler nicht unbedingt oder eben gerade kennen lernen werden. Ich achte aber bei diesen Auswüchsen darauf, dass der Hintergrund irgendwie noch Sinn ergibt.
Ich sehe also diese Settings als Inspirationsquelle und nehme mir immer die Freiheit, sie bei Nichtgefallen auch anzupassen.
   

Offline YY

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #6 am: 1.02.2019 | 23:52 »
(Kleinkram/Randgelaber)
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Wer was "realistisches" spielen möchte, der ist mit Sicherheit bei Spielen, die in der Jetztzeit spielen, besser aufgehoben.

Richtig paradox wird das da, wo CP als überholt/veraltet und damit unglaubwürdig eingeordnet wird, aber im nächsten Schritt ein Setting hingestellt wird, dem man sein "Verfallsdatum" noch viel deutlicher ansieht oder das völlig absurd ist. Oder beides gleichzeitig.

Ich sehe also diese Settings als Inspirationsquelle und nehme mir immer die Freiheit, sie bei Nichtgefallen auch anzupassen.

In dem Zusammenhang habe ich die Erfahrung gemacht, dass zumindest mit Spielern, die aus "klassischen" CP-Systemen kommen, die Methode der erzählerischen Systeme hervorragend funktioniert.
Da wird das Setting oft nur ganz grob angerissen oder es wird ein Baukasten geliefert, mit dem man sich mal eben was Spielfertiges zusammenstellen kann - wenn alle atmosphärisch auf einer Linie sind, klappt das wunderbar.

Aber bei neuen, klassisch/konventionell ausgerichteten CP-Systemen ist wohl die vermutete Erwartungshaltung der Zielgruppe eine andere und die kommen ausnahmslos mit ziemlich dicken Setting-Brocken mit dem angesprochenen härter/böser/düsterer-Faktor daher, wo man an der einen oder anderen Stelle entsprechend nur noch den Kopf schütteln kann. 

The Sprawl krankt in der Hinsicht für mich nur an der Regel-Engine, aber an vielen anderen Stellen ist es auf dem richtigen Weg.
So ein Hybrid aus klassischem Regelwerk und modern-narrativem Settingbaukasten...das wär was. Macht aber keine Sau :-\
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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #7 am: 2.02.2019 | 00:12 »
Cyberpunk ist doch vom Konzept her schon ein recht fixes Setting, was sich garnicht weiterentwickeln muss.

Dieser Wunsch kommt ja eigentlich nur daher, dass jeder Verlag natürlich versucht, da etwas eigenes oder besonderes reinzubringen.

Cyberpunk ist nunmal Neuromancer (und die ganzen anderen Geschichten aus den 80ern, die dieses Genre geschaffen haben; aber William Gibson ist da sicherlich der bekannteste und auch einflussreichste Vertreter, wenn auch nicht der erste).

Eine alternative Realität, wo die Entwicklung eben noch nicht so weit fortgeschritten ist, wo ein Fernsehgerät noch rauschen darf, wenn man einen toten Kanal anwählt, geht zwar, aber irgendwie ist im Hinterkopf dann doch der Gedanke da, dass das irgendwie nicht so ganz richtig ist, wenn es doch heutzutage alles schon besser geht. Also, alles natürlich nicht (die im CP Genre nicht ganz unwichtige Cyberware z.B.), aber eben doch einiges.

Grundsätzlich finde ich den Weg, den man bei Shadowrun (auch wenn das natürlich kein reines Cyberpunk RPG ist, sondern eher ein Hybrid mit Cyberpunk-Elementen) seit diversen Editionen geht, aber auch nicht vollkommen verkehrt, also dass man eben die aktuellen Entwicklungen mit einbezieht. Das fördert auf jeden Fall einen gewissen Pseudo-Realismus, der es wiederum einfacher macht, sich in einem solchen Setting wiederzufinden. Es wirkt halt schon etwas lächerlich, wenn das "Near Future" RPG in manchen Aspekten vollkommen veraltet und von der Realität überholt worden ist. Und da man sich nunmal zwangsläufig recht nah an der echten Realität bewegt, darf man diesen Vergleich auch nicht scheuen. Dass das nicht alles immer auf dem besten Wege geschieht, ist auch klar. Und gerade die SR-Publikationen aus der jüngeren Zeit sind größtenteils schon ziemlicher Humbug.

Wichtig ist aber doch vor allem, dass die Kernaspekte eines Genres erhalten bleiben. Wieviel ein Telefon wiegt, ist da im Grunde doch ziemlich egal.

Die wesentliche Frage ist dann: Was sind die Kernaspekte von Cyberpunk? Welche Aspekte kann man nicht verändern, wenn man sich weiterhin in dem Genre bewegen will?

Offline Der Oger (Im Exil)

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #8 am: 2.02.2019 | 00:16 »
Erst mal Danke, der Faden hier könnte wichtig werden.

Aus aktuellen Anlässen...

Althergebrachten CP-Settings wird gerne spöttisch vorgeworfen, wie überholt sie doch wären - ohne eine umfassende Modernisierung ist da angeblich nichts mehr zu holen.
Nuja.
Einige stilistische Elemente des Cyberpunk - Genres wie die Nipponisierung waren in den späten Achtzigern / frühen Neunzigern popkulturell stärker vertreten und hatten einen größeren Einfluss, als Beispiel seien Black Rain und der erste Stirb-Langsam-Film genannt. Auch die sozialen Einschnitte in der Reagan -Ära und das Wettrüsten spiegeln sich wieder.
Der Bezug zur damaligen Zeit war also schon da,  und es ist für mich jetzt nicht so verwunderlich,  dass das heute nicht mehr so passt.
(Wenn ich Cp heute schreiben würde,  nähme ich vermutlich einen ähnlichen Weg. Ich würde Japan durch China ersetzen, allerdings auch einen Zeitraum wählen,  indem das Imperium der Seidenstraße im Niedergang begriffen ist.)

Zitat
Auch sonst sind die üblichen Kritikpunkte vorhersehbar: Cyberaugen, -gliedmaßen, Riggersteuerung - gibts ja alles heute schon. Klar. In den allerkleinsten Kinderschuhen und auf einem Niveau, dass es genau besser ist als nichts. Aber bestimmt nicht in einer Form, dass man sich freiwillig funktionierende Körperteile ersetzen ließe, was nach offizieller CP-Linie übrigens oft völlig triviale Eingriffe sind, die man mal eben machen lässt (was schon nicht mehr SF, sondern eher reine Fantasy ist).
Mein Ansatz war und wäre da ein anderer. Ich würde schon den Unterschied zwischen kleiner Arztpraxis im schmierigen Hinterhof und hypermoderner Privatklinik haben wollen,  mit den jeweiligen Risiken, Kosten und Nebenwirkungen.

Zitat
Datenvolumen und Speicherkapazitäten sind natürlich auch lächerlich und müssen an moderne Verhältnisse angepasst werden, wobei man gleichzeitig unterschlägt, dass man da von Hardware und Anwendungen spricht, über die man schlicht keine sinnvolle Aussage machen kann und deshalb lieber komplett die Finger von konkreten Angaben lassen sollte, wenn einem an der Stelle Glaubwürdigkeit wichtig ist ;)
Geht es da wirklich um Realismus oder um Balancing?  Gerade bei Sr V mit den eingeschränkten Programmplätzen denke ich eher an letzteres.

Zitat
Gleichzeitig ist ein Grafikbrecher (-blender?) wie CP2077 dann doch gefühlt topaktuell und cutting edge, obwohl da im Grunde nur die Jahreszahl geändert ist und ansonsten fast alles 1:1 aus CP2020 stammt...

Wenn es denn mal tatsächlich irgendwann rauskommt.

Zitat
Politisch und sozial ist es genau das Gleiche. Statt sich die kritisierten Settings tatsächlich mal näher anzuschauen, wird einfach unreflektiert behauptet, dass es heute ja schon viel, viel schlimmer ist, als sich diverse CP-Autoren jemals ausdenken konnten (in Verkennung z.B. des Umstandes, dass das eine oder andere Element klassischen CP-Konzernverhaltens im 19. und frühen 20. Jahrhundert deutlich weiter ausgeprägt war als heute).

Kleiner Diskurs:
Es wird ja immer Kapitalismus vs. Anarchosozialismus gestellt. Dabei wird nicht differenziert zwischen der Amerikanischen,  Rheinischen und Chinesischen Spielart...oder den Myriaden von anarchistischen Gesellschaftssystemen.
Ich muss darüber noch nachdenken.

Zitat
Allgemeine Zustimmung reihum, da muss unbedingt die Schraube weiter aufgedreht werden...mit dem Ergebnis, dass dann solche Fluff-Texte und Teaser rauskommen [...]

Etwas meta,  aber: Ist diese "schneller,  härter,  bunter" - Attitüde nicht auch ein Cyberpunk - Merkmal ( und ein Zeichen,  daß wir uns auf auf solche Zeiten zu bewegen?)

Davon mal ganz abgesehen,  dass mir Artwork seit spätestens Pathfinder auf den Sack geht. Mit wenigen Ausnahmen.


Zitat
Vielleicht könnte man ja zuerst überlegen, was man für ein Spiel machen will und dann die Technik passend postulieren, anstatt einfach alles auf einen großen, unsortieren Haufen zu kippen?  :P
Die Frage für mich ist: Ist das eine Entscheidung aus der Abteilung Design oder Vertrieb?  Will man sein eigenes,  in sich geschlossenes Ding machen oder möglichst viele Käufer abholen?

Zitat
Auch wenn man sich die Fragen wohl schon denken konnte:

Wo kann CP-Rollenspiel eurer Meinung nach noch groß hin gehen - sowohl in Sachen Setting (und da speziell in Sachen Technik) als auch in Sachen Regelwerk?
Müssen/sollten die Settings auf der Stelle treten? Wo seht ihr eure persönliche Abrisskante, d.h. bis wohin ist es für euch noch CP und wann wird es etwas anderes?

Ist das Feld mit den alten Klassikern und den neueren Erzählspielen nicht weitgehend abgearbeitet?
Sollten neue CP-Spiele nicht zusehen, in ihrer Untersparte die bekannten Macken loszuwerden, anstatt ständig den Versuch zu unternehmen, das Genre in "moderner" Form neu zu erfinden?

Dazu mache ich mir später noch mal ausführlicher Gedanken :-)

Nur soviel: Man kann mit den innewohnenden Kernkonflikten arbeiten. Reich gegen Arm, Ordnung gegen Chaos,  Transhumanisten gegen Cyberware - Gegner usw usf
Und das dann neu zusammenwürfeln.

Oger ist jetzt nicht mehr traurig. Oger darf jetzt seinen Blog in die Signatur aufnehmen: www.ogerhoehlen.blogspot.com


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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #9 am: 2.02.2019 | 01:00 »
Nebenbei (und als Schlußpunkt für heute nacht) denke ich auch noch, daß es sich natürlich lohnen dürfte, mal ein paar der gängigsten Cyberpunkklischees noch mal auf den Prüfstand zu stellen und zu hinterfragen. Wir leben nicht mehr in der Welt der Achtziger und Neunziger, aber die Allmacht der Megakonzerne hält sich trotzdem immer noch in Grenzen, und ob sich daran in den nächsten Jahrzehnten drastisch was ändern wird, bezweifle ich mittlerweise auch leise. :) Statt dessen gibt's dieser Tage ganz andere Probleme und Problemchen...wie wahrscheinlich klingt es also beispielsweise tatsächlich noch, daß der "Durchschnittscyberpunk" unserer hypothetischen Zukunft durch jemanden verkörpert wird, der sich regelmäßig von dem einen oder anderen Mr. Johnson als Handlanger anheuern läßt, um gegen Bezahlung schwerbewaffnet und -vercybert aufzubrechen und einfach nur glorifizierte Wirtschaftsspionage oder -sabotage zu betreiben? Nee, ich denke, der "moderne Punk" aufbauend auf der Gegenwart der ausgehenden 2010er hätte wohl doch eher andere Prioritäten...

Offline YY

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #10 am: 2.02.2019 | 01:12 »
Grundsätzlich finde ich den Weg, den man bei Shadowrun (auch wenn das natürlich kein reines Cyberpunk RPG ist, sondern eher ein Hybrid mit Cyberpunk-Elementen) seit diversen Editionen geht, aber auch nicht vollkommen verkehrt, also dass man eben die aktuellen Entwicklungen mit einbezieht. Das fördert auf jeden Fall einen gewissen Pseudo-Realismus, der es wiederum einfacher macht, sich in einem solchen Setting wiederzufinden. Es wirkt halt schon etwas lächerlich, wenn das "Near Future" RPG in manchen Aspekten vollkommen veraltet und von der Realität überholt worden ist.

SR macht es in meinen Augen genau falsch. Da hat man sich von den beiden Möglichkeiten, ein CP-Setting (bzw. die längst etablierte eigenständige CP-Fantasy-Variante) zu bleiben oder schrittweise in die Zukunft zu gehen, welche die zeitgenössische SF vorgibt, für keine entschieden, eiert seitdem herum und kippt wahllos Zeug aus allen möglichen Ecken auf einen riesengroßen Haufen. Das ist eben nur Pseudo-Realismus, zumal man ganz eng zeitgenössischen Entwicklungen (also Dingen, die im Rahmen weniger Jahre aufgekommen sind) folgt und sich damit den Riesenbruch einhandelt, dass man doch eigentlich 50+ Jahre in der Zukunft agiert und große Teile der Setting-Zeitlinie damit übergeht.
Damit bedient man genau jene, die sich SR als unsere Welt + X Jahre vorstellen wollen und nicht als getrennte Welt sehen - das kann ich genau so wenig nachvollziehen wie Haukrinn und entsprechend geht mir das ab SR4 massiv auf den Keks.
Bei Steampunk oder Golden Age-Space Opera heult doch auch keiner, (gefühlt) nur bei CP gibts diese Klientel.

Dazu auch die Frage: Was ist denn konkret vollkommen veraltet und von der Realität überholt?
Außer der Timeline nicht viel und gerade die darf bzw. muss für sich stehen.
Ich frage an der Stelle ständig nach und es stellt sich meist ziemlich flott heraus, dass das ganz viel gefühltes "Veralten" ist, aber dieses Gefühl einer näheren Betrachtung nicht standhält.
Deswegen ärgert es mich ja so, dass SR diesem Fehleindruck auch noch nachrennt.

Mein Ansatz war und wäre da ein anderer. Ich würde schon den Unterschied zwischen kleiner Arztpraxis im schmierigen Hinterhof und hypermoderner Privatklinik haben wollen,  mit den jeweiligen Risiken, Kosten und Nebenwirkungen.

Ja, da sind wir deutlich unterschiedlicher Ansicht. Zum Einen ist mir das als Spielelement ziemlich egal und zum Anderen ist es geradezu erschreckend, was mit einem recht spartanisch ausgestatteten Feldlazarett-Verschnitt alles geht, wenn die fachliche Expertise und eine Handvoll unverzichtbarer Geräte vorhanden sind.

Etwas meta,  aber: Ist diese "schneller,  härter,  bunter" - Attitüde nicht auch ein Cyberpunk - Merkmal ( und ein Zeichen,  daß wir uns auf auf solche Zeiten zu bewegen?)

Hmm - soll eine settinginterne Perspektive die OOC-Entwicklung dieses Settings prägen (dürfen)?
Eher nicht, weil das auf dieser Ebene noch schneller überhitzt und auseinanderfällt als in der Innenperspektive (und wenn man den Gedanken auf andere Settings überträgt, zeigt sich deutlich, wie wenig zielführend das Konzept ist).

Ich plädiere hier ja mehr oder weniger für "bodenständigen" Cyberpunk, so paradox das erstmal klingen mag - und "style over substance" ist für mich eine ziemlich inhaltsleere Phrase.

Die Frage für mich ist: Ist das eine Entscheidung aus der Abteilung Design oder Vertrieb?  Will man sein eigenes,  in sich geschlossenes Ding machen oder möglichst viele Käufer abholen?

Wir haben hier im Thread den Vorteil, dass wir nichts verkaufen müssen. Da darf es uns eher um Idealvorstellungen gehen als einem, der davon lebt und sich im Zweifelsfall auf den kleinsten gemeinsamen Nenner beruft, Material raushaut ohne Ende und diese Methode höchstens noch mit einem Feigenblatt-Text der Art "Schaut mal, was hier alles möglich ist und wie sehr ihr da euer ganz eigenes Ding draus machen könnt" zu legitimieren versucht. 

Der zeitliche Abstand und inhaltliche Überblick wäre längst da, um auch abseits der narrativen Ansätze etwas zu basteln, was das Genre aus einem halben Schritt mehr Distanz beleuchtet. Aber man verliert sich da gefühlt immer noch in den genannten Superlativen und wüsten Materialanhäufungen.
Wie gesagt: Ich vermute tatsächlich, dass für so einen reflektierten Hybrid-Ansatz kein echter Markt da ist. Das wäre ja auch ein kompakter Baukasten und dann könnte/dürfte dem Prinzip nach schon gar kein weiteres offizielles Material mehr folgen.

Und wie die vertriebsorientierte Variante aussieht, kann man sich ja am Markt anschauen. Nur über die andere Variante muss man reden, weil es die höchstens bedingt gibt.

wie wahrscheinlich klingt es also beispielsweise tatsächlich noch, daß der "Durchschnittscyberpunk" unserer hypothetischen Zukunft durch jemanden verkörpert wird, der sich regelmäßig von dem einen oder anderen Mr. Johnson als Handlanger anheuern läßt, um gegen Bezahlung schwerbewaffnet und -vercybert aufzubrechen und einfach nur glorifizierte Wirtschaftsspionage oder -sabotage zu betreiben?

Hypothetische Zukunft ist da mMn schon ganz entschieden die falsche Baustelle.
Futurologisch stringente Dark Future sähe heute natürlich anders aus als vor 30 Jahren. Aber das war CP sowieso nie, auch wenn diese fälschliche Zuschreibung nicht totzukriegen ist.

Bei Licht betrachtet war gerade der Wirtschaftsspionage-Aspekt und anderes zum Themenkomplex Runner früher schon ziemlicher Kappes, aber als Spielkern funktioniert dieses eigenwillige Gangster-Söldner-Heist-Robin Hood-Gemisch eben unheimlich gut.
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Offline Alexander Kalinowski

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #11 am: 2.02.2019 | 09:11 »
Eigentlich braucht es nur mal ein vernünftiges Cyberpunk-Regelwerk. Und damit meine ich nicht das Genre, sondern die IP.
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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #12 am: 2.02.2019 | 09:21 »
Eigentlich braucht es nur mal ein vernünftiges Cyberpunk-Regelwerk. Und damit meine ich nicht das Genre, sondern die IP.

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Offline TEW

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #13 am: 2.02.2019 | 10:20 »
IP-Adresse. :D

Naja, vielleicht doch eher Intellectual Property.

Offline TEW

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #14 am: 2.02.2019 | 10:20 »
Dazu auch die Frage: Was ist denn konkret vollkommen veraltet und von der Realität überholt?

Ein ziemlich konkretes Beispiel dazu wäre "wireless".

Offline YY

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #15 am: 2.02.2019 | 15:13 »
Ein ziemlich konkretes Beispiel dazu wäre "wireless".

Das ist mMn gerade bei SR das Paradebeispiel, wie man es nicht macht:

In der Spielpraxis hat das effektiv keinerlei relevante Auswirkungen, weil a) Sicherheitsbereiche und Netzwerke abgeschirmt sind und man trotzdem physisch hin und rein muss und b) das Hacken von Einzelgeräten dermaßen umständlich ist, dass es keiner macht.
Obendrauf ergibt es schlicht bei vielen Geräten keinen Sinn, die in irgendeiner Form an die Matrix zu hängen und damit verwundbar zu machen (von den unsagbar bekloppten Wireless-Boni gar nicht angefangen).

Da hat man genau auf die falschen gehört, die gequengelt haben, dass alles wireless sein muss, weil sie ja zu Hause auch WLAN statt Kabel haben.
Für viele Geräte ist das aber gerade im Sicherheits- oder im taktischen Kontext völlig bescheuert und - viel wichtiger - man ersetzt damit das Glasfaserkabel eines optischen (!) Computers, den man sich direkt ins Hirn stöpselt (!!), durch eine Funkverbindung, weil die ja rundum besser ist...finde den bzw. die Fehler. Da wussten die SR-Autoren selbst nicht mehr, was warum im Setting festgelegt ist und sind auf das Gejammer reingefallen.

Dass irgendwelche elektronischen Spielereien und Alltagsgerempel schon immer wireless gewesen sein muss und nur nie explizit genannt wurde, weil es für das Spiel nicht relevant ist, hat da auch keiner geschnallt.

Und wenn man das schon macht, hätte man es auch richtig machen können und mal ordentlich aufschlüsseln, was wie wo aufgeschaltet wird* und was man wie stören kann. Das gesamte ECM-/ECCM-Minispiel, das da dran hängt, hat man komplett verschenkt.

*Es steht ja noch nicht mal eindeutig irgendwo, welche Verbindungsoptionen ein Commlink hat - nur über Funkmast oder auch Gerät zu Gerät etc. pp.
Alles nur Geschwampfe und halbherzige Umsetzung.
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Offline TEW

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #16 am: 2.02.2019 | 15:54 »
Ich meinte dabei allerdings auch eher den großen Sprung von SR3 auf SR4, wo die Matrix eben kabellos wurde. Das macht halt schon Sinn.

Dass da nicht alles im Detail wirklich sinnvoll ist (gerade bei den SR5 Wifi Boni gibt es da schon sehr obskure Sachen), da stimme ich Dir absolut zu.

Aber das ist eben so ein Beispiel dafür, dass die heutige Technik den Stand von "Cyberpunk" überholt hat.

Offline Aedin Madasohn

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #17 am: 2.02.2019 | 16:26 »

*Es steht ja noch nicht mal eindeutig irgendwo, welche Verbindungsoptionen ein Commlink hat - nur über Funkmast oder auch Gerät zu Gerät etc. pp.
Alles nur Geschwampfe und halbherzige Umsetzung.

laut Fluff ist die SR 5 Matrix ein unabschaltbares Netzwerk der Geräte. Alle Mikrowellen und Radiowecker im Umfeld freuen sich darauf, für deinen Traffic die Relaisestation zu geben. Wieviel Strom verballert dieses senden/empfangen (und ablegen der Daten  >;D) überhaupt?

ach ja! der SR Strom im Kabel wird bei Unterschicht schon mal abgeschaltet, kommt aber als Welle für lau (!!!) in dein Kommlink.
wieviele Frequenzen wollen den die dafür reservieren, dass das klappt? und wer speist das ein? sind da jetzt vom Sender ausgehende Wellen(berge), die kurz vor dem Mast Menschen mikrowellen?

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #18 am: 2.02.2019 | 16:27 »
Obendrauf ergibt es schlicht bei vielen Geräten keinen Sinn, die in irgendeiner Form an die Matrix zu hängen und damit verwundbar zu machen

Wir müssen nochmal über meine Arbeit reden, oder?  ~;D
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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #19 am: 2.02.2019 | 17:54 »
Ich meinte dabei allerdings auch eher den großen Sprung von SR3 auf SR4, wo die Matrix eben kabellos wurde. Das macht halt schon Sinn.

Auch wenn wir da wohl nicht überein kommen: Nö.

Taschensekretär und Telekom waren in SR1 schon ziemlich genau das, was heute ein Smartphone ist - das unterscheidet sich im Grunde nur in den Begriffen und im Miniaturisierungsgrad mancher Randfunktionen, der aber mit einem Federstrich angepasst ist. Fast alle "zivilen" Anwendungen eines zeitgenössischen Smartphones konnten die aber genau so.

Der Knackpunkt ist der "richtige" Matrix-Zugang, sprich Decking. Da habe ich wohl verpasst, dass unsere heutigen optischen Computer, die sich ein einzelner ans Gehirn hängen und damit komplette Firmennetzwerke in Sekunden bis Minuten übernehmen kann, auch schon bessere Funkverbindungen haben als es ein Glasfaserkabel könnte.
Wir haben diese Anwendung schlicht nicht (u.A., weil sie reine Fantasterei ist  ;)) und allein deswegen kann da schon nichts überholt werden.
Da passiert ja schon ein bisschen mehr als etwas schickere VR*, aber die Generation Smartphone sagt da halt nur "Hihi, Computer mit Kabel, wie doof" und damit die auch ja keinen Zentimeter aus ihrer Alltagserfahrung raus müssen und als Käufer erhalten bleiben, ist man dieser Fehlbewertung nachgerannt - mMn auch abseits der missratenen Umsetzung kein sonderlich cleverer Zug.

Und ich bin da zwar fein raus, weil ich den Kram nicht verkaufen will/muss, aber spielen würde ich dann doch gern etwas, was nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert ist.


*die übrigens heute aus gutem Grund noch nicht wireless ist...aber wir haben ja längst nirgends mehr Kabel.


Wir müssen nochmal über meine Arbeit reden, oder?  ~;D

Blinde Großorganisationen ohne absolutes/übersteigertes Sicherheitsbedürfnis sind eins, aber Einzelne und kleine Gruppen sind was anderes. Wenn es denen wichtig genug ist, finden sie immer Alternativen.
Man schaue sich nur mal an, mit welcher Selbstverständlichkeit in SR "unhackbare" NSCs rumrennen, wo zwischen den Zeilen oder sogar explizit dran steht: Die wären ja schön blöd, sich diese Blöße zu geben. Warum ist es dann als angeblich so zentraler Spielbestandteil angelegt? ::)
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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #20 am: 2.02.2019 | 18:09 »
aber die Generation Smartphone sagt da halt nur "Hihi, Computer mit Kabel, wie doof" und damit die auch ja keinen Zentimeter aus ihrer Alltagserfahrung raus müssen und als Käufer erhalten bleiben, ist man dieser Fehlbewertung nachgerannt - mMn auch abseits der missratenen Umsetzung kein sonderlich cleverer Zug.

Ich glaube irgendwie weniger, dass das die Generation Smartphone ist, wenn damit vor allem jüngere Leute und die digital natives der letzten Generationen gemeint sind. Ich hab eher das Gefühl, dass Computer mit Kabel = überholt eher eingestandene Semester mit einer verwirrten Auffassung davon sind, wie ein Setting angepasst werden muss um "up to date" gehalten zu werden.

Ich würde behaupten: gerade wenn man mit unserer heutigen Alltagstechnik aufwächst, sind die klassischen Cyberpunk-Spielereien interessant, weil fremdartig und retro-chique.

Offline YY

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #21 am: 2.02.2019 | 18:22 »
Das betrifft beide Altersgruppen und bezieht sich hauptsächlich darauf, dass viele nicht über ihren Tellerrand gucken können oder wollen.

Ich halte aber davon ab den Gedanken vom "digital native" für eine Luftnummer.
Wenn ich mir die jungen Leute anschaue, mit denen ich so zu tun habe, dann ist da eher weniger Medienkompetenz und Technikverständnis gegeben als flächendeckend und biographisch "erwartungsgemäß" mehr.
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Offline Aedin Madasohn

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #22 am: 2.02.2019 | 18:58 »
um zum Thema zurück zu kommen,

ein "Wünschdirwas" CP müsste für mich im Sicherheitsbereich wieder stark auf verkabelt und geschlossene Systeme umschwenken.
das sich ein Lohnsklave seine Abendunterhaltung kabellos auf sein Com holt, geschenkt

aber dass die (verboten "militärische") Cyberware wifi on sein soll? Überwachungskamera, Sensoren, Zugangserfassungsterminals?
halte ich nichts von.
SR 5 macht das alles wifi on und haut dann (damit der Hacker dem Magier nicht die show stiehlt) mit einer omnipotenten Matrixüberwachung (GOD) drauf.

um einen Mehrwert für das Spiel zu haben, wäre es hier jetzt interessant, das "Einklinken" (mit physischer Komponente) in den Sicherheitsbereich durch einen Vorort-Hacker aufzunehmen.
dann kann man Beinarbeit (in welchem Schaltschrank/Kabelkanal läuft was mit durch, kann man was auf dem Schwarzmarkt kaufen? etc.pp.) bzw. der Johnson liefert so welches Interna (da er eine Quelle im Zielkonzern hat) mit ins Spiel nehmen.

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #23 am: 2.02.2019 | 22:09 »
Also zunächst mal: sehr schöner Rant :d ... trifft mein Empfinden in vielerlei Hinsicht sehr genau.

Aber mal im Einzelnen:
Ich fokussiere mich hier mal auf Weltenbau und Hintergrundkonzeption - dass bei den Regeln auch viel verschlimmbessert wurde hatten wir ja in Deinem SR Reboot-Thread schon ausgebieger.

Zunächst mal:
Ich bin der Meinung, dass Cyberpunk-Spiele extrem davon profitieren würden, wenn die Designer sich zunächst mal sehr grundsätzlich Gedanken machen würden, welches Spielgefühl und -ziel gewünscht ist; und anschließend darüber, wie die Welt eine passende ökologische Nische erlaubt. Wie schon von Dir erwähnt: wenn man die Schrauben zu fest anzieht, die Konzerne zu mächtig macht, die Überwachung praktisch total, dann ergibt das ein System, wo eine Gruppe von Typen, die halb- bis illegale Aufträge erledigt, nicht so richtig Sinn. Vor allem müsste unter diesen Umständen vermutlich jeder Fehlschlag letal sein, da es kaum möglich sein dürfte den Konzern oder der überwachenden Staatsmacht zu entkommen - vielleicht nicht das, was man sich als Spieler wünscht.
Man kann so ein Szenario schon bespielen, aber dann vielleicht eher als Widerstandsgruppe, die versucht sich dem Zugriff der Mächtigen zu entziehen (so ein wenig Half Life 2-mäßig). Man kann sich auch ein transhumanistisches Szenario mit alles durchdringendem Augmented Reality-Netz vorstellen und sich dann die Frage nach Identität und Menschlichkeit unter diesen Umständen stellen (bzw. kann so etwas konkret mit The Veil bespielen). Gerade Letzteres ist aber etwas, das m.E. nur für eine begrenzte Zeit reizvoll ist (ist aber vielleicht auch nur persönlicher Geschmack).
Ich persönlich halte das angesprochene Zwischending aus Punk Lifestyle, Heist-Action und Gratwanderung zwischen Kriminalität und Robin-Hood-Allüren für sehr spieletauglich, weil es
a) gruppenabhängig ermöglicht, recht flexibel zwischen herausforderungsorientiertem und charakter-/dramalastigem Spiel zu variieren
b) eine Progression ermöglicht von den Typen in Lederjacken, die mal ein kleines Ding rund um ihren Kiez drehen zu den (Unterwelt-)bekannten Söldnern, die man gerne anheuert, wenn es darum geht, relativ geräuschlos ein paar Forschungsunterlagen aus der gegnerischen Konzernzentrale zu hole
Ein Stück könnte man sagen, dass es sich damit um das Cyberpunk-Äquivalent zu (recht populären) Fantasy-Murder-Hobo-Truppe handelt, die durch die Lande zieht, alte Gemäuer plündert und nach eigenem Ermessen böse Typen verkloppt.

Durch diesen Spielstil ergeben sich dann aber auch Konsequenzen:
1) Eine Balkanisierung wie in Shadowrun (zumindest den ersten beiden Versionen, ab SR 3 nimmt mein Wissen ab) hilft, dass die Charaktere auch mal untertauchen können, indem sie sich in eine andere Jurisdiktion verkrümeln
2) Überwachung und Zugriff durch die Staatsmacht dürfen allenfalls lokal eine dystopische Totalität erreichen, ansonsten wären die Charaktere einfach zu schnell hin/hinter Gittern (s.o.)

Wenn es dann um das konkrete Technologielevel geht, würde ich ebenfalls zustimmen, dass man sich man sich einen Gefallen tut, wenn man Cyberpunk nicht als bloße Fortschreibung der heutigen Situation versteht, sondern als Überspitzung bestimmter Aspekte und Realisierung gängiger Themen durch bestimmte behauptete technologische Durchbrüche. Dann vermeidet man auch, dass man immer weitere neue Technologie draufwerfen muss, um ein Gefühl von Aktualität zu erhalten.

Wo ich umgekehrt aber Verbesserungsbedarf an existierenden Settings sehe:
1) Gerade was cybernetische Gliedmaße und Verbesserungen angeht, ist das m.E. oft nicht sauber durchdekliniert. Es wäre schön, wenn mehr Gedanken in die Frage flössen, welcher technologische Durchbruch es ermöglicht hat, dass solche, teilweise deutlich gegenüber den biologischen "Standardbauteilen" verbesserten Gerätschaften relativ verbreitet sind. Insbesondere stelle sich m.E. die Frage danach, wie die Energieversorgung passiert - wenn ich bspw. annehme, dass es Mini-Fusionsreaktoren gibt, ist umgekehrt eine regelmäßige Energieknappheit eher unwahrscheinlich; wenn ich dagegen postuliere, dass die Energie irgendwie aus dem Körper kommt, stellt sich die Frage, ob der voll-vercyberte Straßensamurai jetzt die ganze Zeit Protein-Riegel futtert, damit ihm nicht die Puste ausgeht, o.ä.
2) Mal grundsätzlich überlegen, welche Art von Sicherheitskonzepten, vor allem, was IT-Sicherheit man vernünftigerweise postuliert, so dass einerseits ein gewisser Schutz da ist, andererseits aber eine realistische Chance zur Überwindung durch die SCs besteht. Im Zweifelsfall auch nicht überkonkret werden, sondern sich einfach überlegen, was man für ein Netzkonzept hat, welche Bandbreite man dafür braucht und welche Schutzmaßnahmen man den Gegenspielern der SCs grob zugesteht.
3) Man auch mal überlegt, wie viel übernatürlichen Kram man gern im Setting hätte, um es spannend zu halten, es dann aber nicht übertreibt - ich mag ja z.B. die schamanistische Magie in Shadowrun und das Vorhandensein von übernatürlichen Gegnern (Ghoule, Wendigos, Insektengeister, etc.), aber da wird das Rad schon fast zu weit gedreht; bei CP2020 gibt's dagegen m.W. nur das Vampire in Chrom-Supplement, aber Elfen, Zwerge und alles Andere magische Kroppzeug muss halt draußen bleiben.

Im Endeffekt:
Ich bin der Meinung, dass der Prozess zu einem guten/besseren CP-RPG grundsätzlich einfach wäre: gewünschten Spielstil wählen, Technologiegrundpfeiler einziehen, nach persönlichem Geschmack Übernatürliches hinzufügen. Die eigentliche Herausforderung ist: man muss das dann auch mal wirklich mal zu Ende denken und solange über das Setting iterieren, bis man nicht an jeder zweiten Ecke auf Widersprüche stößt.

Jetzt müssen wir das Ganze hier ja nicht kommerziell betreiben, aber was mir vorschwebt wäre ein System mit kompakten Regeln auf mittlerem bis hohem Abstraktionsgrad. Neben dem Grundregelbuch, das eben diese Regeln wie auch einen Grundstock an Ausrüstung enthält, wäre denkbar: ein Weltenband, der die Eckpfeiler der Welt beschreibt und ein Gefühl für die Situation verschiedener Bevölkerungsgruppen und die Interessen zentraler Figuren/Konzerne gibt, ein Spielleiterhandbuch, das Unterstützung bei der Gestaltung von Abenteuern und der Anpassung der Welt an eigene Bedürfnisse gibt (v.a. diverse Zufallstabellen, die dem SL das Leben leichter machen; außerdem vielleicht eine Stange nützlicher generische NSCs o.ä.). Für mein Wunschsystem kämen außerdem semi-regelmäßig Abenteuer/Kampagnen raus, die auch tatsächlich auf's Spielen und nicht auf's Lesen optimiert sind.

So, das soll's erstmal gewesen sein.
Brothers of the mine rejoice!
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Raise your pick and raise your voice!
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Offline TEW

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Re: Quo vadis, Cyberpunk-RPG?
« Antwort #24 am: 3.02.2019 | 10:17 »
Der Knackpunkt ist der "richtige" Matrix-Zugang, sprich Decking.

Es gibt in SR allerdings auch nur das eine Computernetz (eben die Matrix).

Zitat
Da habe ich wohl verpasst, dass unsere heutigen optischen Computer, die sich ein einzelner ans Gehirn hängen und damit komplette Firmennetzwerke in Sekunden bis Minuten übernehmen kann, auch schon bessere Funkverbindungen haben als es ein Glasfaserkabel könnte.

Komplette Firmennetzwerke übernehmen ist wohl schon etwas fern der ingame-Realität. Eigentlich ist es doch eher so, dass man sich hineinschleicht und versucht unentdeckt zu bleiben, weil man eben nicht in der Lage ist komplette Netzwerke mal eben zu übernehmen. Also, im Prinzip auch nicht so fern von dem was RL-Hacker machen. Sich irgendwo reinschleichen und Daten stehlen oder manipulieren.

Und wer sagt denn etwas davon, dass die Funkverbindung schneller/besser oder sonstwas ist? Klar, die SR5 Wifi Boni wollen das irgendwo (jedenfalls teilweise, eigentlich ist der Grundgedanke ja ein anderer und hat nichts mit Geschwindigkeit zu tun), aber um die geht es ja auch garnicht. Geschwindigkeit ist in keinster Weise das Thema, warum es Sinn macht, dass die Matrix kabellos ist.

Eine Welt ohne "wireless" ist nach heutigem Stand undenkbar. Und das wegzunehmen ist schlichtweg ein Rückschritt, den es bei "Near Future" nicht geben sollte.

Zitat
Wir haben diese Anwendung schlicht nicht (u.A., weil sie reine Fantasterei ist  ;)) und allein deswegen kann da schon nichts überholt werden.

Natürlich gibt es die Matrix inkl. Direktinterface so nicht, aber es ist im Endeffekt auch nur eine Cyberpunk-Weiterentwicklung des heutigen Standards (Internet). Also, dass es das garnicht gibt, ist auch nicht so wirklich richtig. Es unterscheidet sich nur in Details. Und auch die kriminellen Anwendungen (s.o.) sind nicht so weit voneinander entfernt.

Und auch die Geschichte mit "Computer mit sensitiven Daten hängt nicht an der Matrix / am Netz" ist keine Erfindung von SR / Cyberpunk. Das gibt es heute ganz genauso (von der kleinen Steuerberaterkanzlei bis zum Pentagon).

Zitat
Da passiert ja schon ein bisschen mehr als etwas schickere VR*, ...

*die übrigens heute aus gutem Grund noch nicht wireless ist...

Uhm... Oculus Go?

Allerdings ist das "heutige VR" ja auch nicht wirklich das, was man in SR / Cyberpunk unter VR versteht...