Autor Thema: Narrativer Ansatz und Spielerschar  (Gelesen 2464 mal)

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Offline JS

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Narrativer Ansatz und Spielerschar
« am: 29.04.2019 | 15:46 »
Aus eigener Erfahrung, von Cons und aus zahlreichen Zuschauerstunden bei YT (Let´s Plays usw.) möchte ich mutmaßen, daß der größere Teil der Spielerschar zwar interessiert, aber am Tisch eher zurückhaltend, reaktiv oder gar recht passiv ist. Sicherlich kennen die meisten Spieler ihre Chars, die Regeln, auch die Welt, und sie machen auch einigermaßen gut mit, wenn der SL ihnen Optionen anbietet usw. Aber lebhafte Aktivitäten und Phantasiefeuerwerke innerhalb oder sogar am Rande der Geschichte habe ich in und bei den meisten Gruppen eher seltener erlebt. (Das ist aber keine Kritik an irgendeinem Spielstil oder Spielerverhalten, sondern nur eine Einführung.)

Das ist für mich sozusagen eine rollenspielerische Normalität, die immerhin ganz gut und im allgemeinen Konsens funktioniert. Nun gibt es aber Settings, die mMn erst richtig gut laufen, wenn auch die Spieler sie besser kennen und ihre Charaktere entsprechend spielen können, z.B. Tribe 8, Mechanical Dream, Judge Dredd. (Wenn man die mitreißenden Schauerberichte über die Z´bri bei Tribe 8 aus den Büchern kennt, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn diese Monstren kurz vom SL erklärt werden.)

Gleichsam lese ich hier immer wieder, daß die narrativen Systeme (oder wie man die genau nennen mag) in vielen Runden Schwierigkeiten bereiten und nicht so gut ankommen, weil "die Spieler dafür irgendwie nicht passen oder sich dafür umstellen wollen/können". Das berichtet z.B. auch der lustige Rezensent von Drunkens & Dragons, der von Dungeon World schwärmt, aber von seiner Gruppe zu D&D 5 gedrängt wird. Hier stellt er dann - zugegeben: etwas betrunken, aber lebhaft - einen Kampf nach seinem Gusto vor:
https://youtu.be/ESdNfWLwyvY?t=2568

Da ich diesen narrativen Ansatz in der Theorie ziemlich spannend bis aufregend finde, frage ich mich aktuell, ob gewisse Systeme, wie FATE, PbtA usw., nur dann rocken und gut laufen, wenn die Mehrheit der Beteiligten am Tisch aus sich herauskommt und permanent auch etwas Erzählerisches, Phantasievolles dazu beiträgt. Bei meinen Leuten z.B. spüre ich immer eine gewisse Zurückhaltung gegenüber diesem Ansatz und den ungewohnten Mechanismen; selbst beim Hybriden Shadowrun Anarchy werden die Plotpunkt eigentlich nie für Fluff genutzt, sondern immer nur für Crunch.

Momentan vermute ich, daß diese Art der lebhafteren und kreativeren Eigenbeteiligung vielen Spielern wenig liegt und sie sich mit dem vertrauten "Magisches Geschoß - Trifft - 4 Punkte Schaden" einfach schon kommunikativ wohler fühlen.
Fehlt es da letztlich allgemein an Hopfen und Malz, so daß diese Systeme immer in ihrer Nische bleiben werden, weil ihnen in der Breite die passenden Spieler fehlen?
Müssen und können die Spieler von sich aus viel Zeit in ein Umdenken und Neulernen stecken?
Oder ist der/die SL in der Pflicht, das Beste aus diesen Systemen herauszuholen und die Spieler mitzureißen? Ist es also nur eine Frage des richtigen Anstoßes, der aus Attacke-Parade-Leuten plötzlich kreative Feuerwerker macht?
« Letzte Änderung: 29.04.2019 | 16:02 von JS »
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Offline schneeland

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #1 am: 29.04.2019 | 15:59 »
Momentan vermute ich, daß diese Art der lebhafteren und kreativeren Eigenbeteiligung vielen Spielern wenig liegt und sie sich mit dem vertrauten "Magisches Geschoß - Trifft - 4 Punkte Schaden" einfach wohler fühlen.

Mein (nicht-repräsentativer) Eindruck ist, dass
  • die Eigenbeteiligung eher den Spielern liegt, die selber auch (zumindest gelegentlich) leiten
  • das gemeinsame Konstruieren einer Geschichte einfach für ein anderes Spielgefühl sorgt, das gar nicht unbedingt gewünscht ist (vgl. auch Diskussion zu Play to Find Out nebenan)

Wobei ich bgzl. Letzterem den Eindruck habe, dass es weniger an einem fixen "das magische Geschoss macht x Punkte Schaden" liegt, sondern an der Frage:
Gibt es hier eine fantastische Welt, in die ich eintauchen kann und in der ich die Rolle von jemand anderem übernehme (der SL ist quasi der Weltsimulator)? Oder geht es darum, gemeinsam eine Geschichte in einer solchen zu konstruieren, von der man rückblickend sagen kann, dass es eine gute Geschichte war?
Meine Hypothese ist, dass die meisten Spieler (und vielleicht auch Spielleiter) eher ersteres wollen und die narrativen System eher deshalb gewählt werden, weil sie die Komplexität auf ein angenehmeres Maß herunterbrechen.
« Letzte Änderung: 29.04.2019 | 16:28 von schneeland »
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Offline JS

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #2 am: 29.04.2019 | 16:03 »
  • das gemeinsame Konstruieren einer Geschichte einfach für ein anderes Spielgefühl sorgt, das gar nicht unbedingt gewünscht ist (vgl. auch Diskussion zu Play to Find Out[url] nebenan

Ja, die verfolge ich auch eifrig, denn aktuell gibt es hier einige spannende Allgemeindiskussionen zu diesem Thema. Das System Frontalmeistern (von Frontalunterricht) scheint viele Spieler stark vereinnahmt zu haben.
« Letzte Änderung: 29.04.2019 | 16:11 von JS »
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Offline Crimson King

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #3 am: 29.04.2019 | 16:08 »
FATE und PDQ lassen sich nach meiner Erfahrung sehr klassisch spielen. Bei PbtA sieht das anders aus, wobei es vermutlich Unterschiede zwischen den Implementierungen gibt. Da braucht es aber Spieler, die zumindest aktiv sind. Der kreative Aufwand für die Story kann allerdings beispielsweise bei Dungeon World weiterhin verstärkt auf die SL abgeladen werden. Wirklich problematisch wird es aber bei typischen Indie-Vertretern von Fiasco bis PTA. Da sind die Spieler notwendigerweise Co-Autoren.

Ich möchte Schneelands Anmerkungen unterstützen. Ich sehe auch einen Unterschied zwischen der aktiv/passiv-Achse und der Actor/Autor-Achse. Es gibt aktive und kreative Spieler, die sich nicht als Co-Autoren sehen und nicht als solche fungieren wollen.
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Offline Eismann

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #4 am: 29.04.2019 | 16:19 »
Ich habe auch schon erlebt, dass Spieler mit dieser Erzähler-Autoren-Position schlicht überfordert sind oder sie gar nicht einnehmen wollten. Dazu kommt, dass man sich bei Spielen mit dieser Zielsetzung deutlich schlechter zurückziehen kann. Bei "traditionellen" Rollenspielen fällt es dagegen nicht großartig auf, wenn ein Spieler mal eine Stunde nicht viel macht, weil er beispielsweise müde oder an der Situation desinteressiert ist oder gerade keine Lust hat.

Offline Isegrim

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #5 am: 29.04.2019 | 16:24 »
Gleichsam lese ich hier immer wieder, daß die narrativen Systeme (oder wie man die genau nennen mag) in vielen Runden Schwierigkeiten bereiten und nicht so gut ankommen, weil "die Spieler dafür irgendwie nicht passen oder sich dafür umstellen wollen/können".
(...)
Da ich diesen narrativen Ansatz in der Theorie ziemlich spannend bis aufregend finde, frage ich mich aktuell, ob gewisse Systeme, wie FATE, PbtA usw., nur dann rocken und gut laufen, wenn die Mehrheit der Beteiligten am Tisch aus sich herauskommt und permanent auch etwas Erzählerisches, Phantasievolles dazu beiträgt.

ME und aus der Erfahrung mit meinen beiden Spielgruppen mit Fate: Es liegt daran, dass die meisten Mitspieler nicht aus der Perspektive ihrer Charaktere in die Rolle des Autors bzw Regisseurs schlüpfen wollen. Die wollen ihre Charaktere spielen (oder auch sich selbst...), aber nicht überlegen, wie "die Geschichte" jetzt weitergehen soll; oder wie man die Handlunge der SCs jetzt regeltechnisch auf der Metaebene umsetzt.

Und nein, das liegt nicht daran, dass die das nicht können. Die Hälfte leitet selbst regelmäßig.
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Offline Sphinx

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #6 am: 29.04.2019 | 16:35 »
Ich würde mal sagen, egal welches System alle profitieren davon wenn die Spieler sich einbringen. Und auch wenn es Systeme gibt die das gemeinsamem Erzählen mehr in den Vordergrund stellen sehe ich nicht wieso man das allein diesen Systemen zugestehen sollte.

Meine persönliche Erfahrung deckt sich aber in sofern das es gar nicht so viele gibt die sich Aktiv beteiligen wollen. Bei mir haben alle Spieler die Freiheit Sachen auszugestalten zu beschreiben und umzusetzen. Davon Gebrauch machen tun sie fast nie. Selbst direkt ansprechen wie : Ihr kommt in die Dorfschenke, Spieler 2 beschrieb doch mal wie es darin aussieht" führten ehr zu unter durchschnittlichen Ergebnissen. Bis zu dem Punkt wo ich dann merke, es hat keiner bock darauf, also mache ich es wieder selber.

Insgesamt, es hängt ehr von den Spielern ab als vom System.

Offline Saffron

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #7 am: 29.04.2019 | 16:44 »
Zitat von: Isegrim
ME und aus der Erfahrung mit meinen beiden Spielgruppen mit Fate: Es liegt daran, dass die meisten Mitspieler nicht aus der Perspektive ihrer Charaktere in die Rolle des Autors bzw Regisseurs schlüpfen wollen. Die wollen ihre Charaktere spielen (oder auch sich selbst...), aber nicht überlegen, wie "die Geschichte" jetzt weitergehen soll; oder wie man die Handlunge der SCs jetzt regeltechnisch auf der Metaebene umsetzt.

Und nein, das liegt nicht daran, dass die das nicht können. Die Hälfte leitet selbst regelmäßig.

In meiner Gruppe habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Wir spielen normalerweise D&D oder nWoD, und wenn ich als Lückenfüller zwischendurch mal ein paar Abende pbtA leite, tun sich die Spieler schwer damit und lassen erkennen, dass sie viel lieber  "klassisch" spielen.

Und obwohl wir schon 4-5 mal Fiasko gespielt haben, geht es immer sehr schleppend mit den Ideen. Außerdem schauen mich jedesmal am Anfang alle mit großen Augen an, weil sie immer noch nicht verinnerlicht haben, warum der Zettel, auf dem die Beziehungen, Antriebe etc. notiert werden, zwischen zwei Spielern liegt. Will sagen: selbst bei komplett SL-losen Systemen wird mir die Rolle des Leiters zugeschoben.

Das habe ich ganz anders erlebt, als ich mal pbtA für eine Gruppe geleitet habe, die sonst oft Primetime und ähnliche Systeme spielt.
Ich leide nicht an Realitätsverlust. Ich genieße ihn.

eldaen

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #8 am: 29.04.2019 | 17:03 »
Mein Eindruck ist, dass die Eigenbeteiligung den Spielern im Grunde schon liegt. Man muss sie nur langsam daran gewöhnen. Vorzugsweise in "konventionellen" Rollenspielen, wo sie sich etwas sicherer fühlen. Der ganze neumodische Kram fällt da viel zu sehr mit der Tür ins Haus und überfordert die Spieler.

Und letztlich bieten diese Spiele doch nichts, was man nicht in konventionellen Spielen außerhalb der Regeln (zumindest gelegentlich) auch machen könnte - sie forcieren das nur mehr. "Sei jetzt verdammt nochmal emanzipierter, kreativer Spieler!" Und ich denke das ist der eigentliche Knackpunkt, wo viele Spieler dann erstmal abschalten.

Offline Isegrim

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #9 am: 29.04.2019 | 17:07 »
Man muss sie nur langsam daran gewöhnen.

Hab ich aufgegeben. Wenn die Mitspieler die Autoren-Rolle nicht haben wollen, muss mans auch nicht erzwingen. Es ist und bleibt nun mal eine andere Art Spiel. Nen Fußball-Fan wird man auch mit viel Überzeugungsarbeit nicht dazu bringen, Handspiel für was Sinnvolles zu halten... ;)
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Offline schneeland

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #10 am: 29.04.2019 | 17:30 »
Hab ich aufgegeben. Wenn die Mitspieler die Autoren-Rolle nicht haben wollen, muss mans auch nicht erzwingen. Es ist und bleibt nun mal eine andere Art Spiel. Nen Fußball-Fan wird man auch mit viel Überzeugungsarbeit nicht dazu bringen, Handspiel für was Sinnvolles zu halten... ;)

Sehe ich ähnlich.
Wobei ich an dieser Stelle einwerfen möchte: es gibt eine Ecke, bei der zumindest aktive Spieler sehr gern kreativ werden und auch keine Probleme haben, implizit Fakten über die Welt zu etablieren, nämlich bei allem, was ihren Charakter betrifft. Das nimmt zwar typischerweise die Form von Vorschlägen an den SL an, aber sowas wie "die Barbaren der nördlichen Steppe haben Ritual X, bei dem Jungen zu Männern werden - mein Charakter hat dabei allerdings versagt und hat sich aus dem Staub gemacht" oder "mein Barde war in Hafenstadt Y und hat sich dort mit den Frauen der Fürsten vergnügt" kommt schon vor und beißt sich für mich auch nicht mit dem klassischen Rollenspielgefühl.
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Offline tartex

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #11 am: 29.04.2019 | 17:38 »
Wenn wir in irgendeiner Runde Kaufabenteuer spielen, werde ich auch eher passiv, weil ich durch meine eigenen Ideen die anderen Spieler nicht vom Plot drängen will.

Gleichzeitig langweilige ich mich aber auch ein wenig. Ist halt nicht so meines. Wenn wir eher frei spielen und ich merke, dass der Spielleiter improvisiert, dann lasse ich auch gleich viel mehr Ideen einfließen und bin mit mehr Begeisterung dabei.
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Offline Chiarina

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #12 am: 29.04.2019 | 17:39 »
Ich muss für solche Spiele oft Leute neu zusammentrommeln.
Das geht aber.
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Offline Maarzan

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #13 am: 29.04.2019 | 17:43 »
Abgesehen von dem "Wollen"-Aspekt sehe ich aber auch noch ein generelles, grundsätzliches Problem auf der Spielerebene.

Das "Fremdeln" mit der Beteiligung an solchen Spielen liegt an der unklaren Erwartungshaltung, wie auch unklaren Resolution in solchen Hybriden.
In Erzählspielen, welche klar auf der Metaebene angesiedelt sind und per Runden und Ressourcen klarere Aussage dazu treffen, wie was und wann an der Spielwelt beeinflusst werden kann, habe ich als deutlich weniger von solchen Unsicherheiten geprägt erlebt als so halbgares Storytelling, wo Figurenführen und Metaagieren im Vaagen zusammengeworfen wurden. (Das ist jetzt kein Alleinstellungsmerkmal von Storygames solche hemmenden Leerräume zu schaffen, die Sandbox kann das auch sehr gut)

In so einer unklaren Situation zwischen nominell alles machen zu können bis auf "Veto", kein klares Gestaltungsziel und Budget zu haben sowie irgendwo das in einem Kollektiv mit den Mitspielern einbringen zu sollen, wo wieder nicht klar ist, wo man da ggf anderen auf die Füße tritt oder aber auch persönlich sich ins schlechte Licht setzt udn irgendwelche ungeschriebenen Gesetze verletzt, wird bei der Mehrheit der Leute eben erst einmal zu Vorsicht und Zurückhaltung führen.

Mehr und souveräneres Auftreten und Handeln erfolgt dann wenn man vorher schon positive Erlebnisse damit selbst gemacht  oder bei Dritten erlebt hat (und nun annimmt "so und so" funktioniert das generell) oder von vorneherein keine Hemmungen beim Umgang mit den Belangen der Mitspieler haben. 

In einer Sandbox kann man (mit entsprechendem Aufwand) die entsprechenden Informationen vorfüttern oder bewußt jemanden mit einem Mentor ins Spiel einführen, weil die entsprechenden Informationen primär auf der Setting- und Regelfaktenseite angelegt sind.

Die Storygames scheinen mir aber genau davon ihren gemeinhin Reiz zu ziehen solche Sachen frei zu halten und am Spieltisch ausboxen zu lassen und damit den Neuling im Regen stehen zu lassen.
Storytellertraumatisiert und auf der Suche nach einer kuscheligen Selbsthilferunde ...

Offline Chiarina

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #14 am: 29.04.2019 | 18:22 »
...auch nur eine Erfahrung von vielen, würde ich sagen.

Bei meinen Bekannten geht Fiasko immer. Und das hält nun wirklich fast alles frei...
Fate hat weniger gut funktioniert.
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Offline tanolov

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #15 am: 29.04.2019 | 19:11 »
Ein Problem hier ist auch das die meisten Rollenspiele irgendwo immer den Spieler challengen und überall da wo es Herausforderungen gibt kann man falsche Entscheidungen treffen und Fehler machen. Das ist etwas womit ganz viele Menschen Probleme haben und lieber in Schockstarre verfallen und gar nichts sagen, als etwas Falsches zu sagen. Selbst (oder grade) in dem größten "Stimmungsspiel wir machen nur Rollenspiel und benutzen nie die Regeln"-oWoD Spiel können sich die Spieler mit falschen Entscheidungen in missliche Lagen bringen.
Deswegen ist es bei der standard Gruppe auch so das man ein oder zwei Leitwölfe hat und der Rest mehr oder weniger Passiv mit läuft.

In narrativen Spielen wie PbtA, Blades in the Dark oder mit Abstrichen (großen Abstrichen) Fate wird die Entscheidung, ob eine Aktion gut oder schlecht war, vom Regelsystem und nicht vom GM getroffen. Um ein Beispiel zu geben:

oWoD:
Spieler: "Ich trete vor den Prinzen, sage ich hätte die Unterstützung von 20 Vampiren in der Stadt und wenn er mich nicht zum McGuffin durchlässt gibt es Bürgerkrieg"
GM: "Der Prinz ist nicht beeindruckt und schickt seinem mächtigen Sheriff auf dich"
Spieler: "Fuck"

Urban Shadows:
Spieler:  "Ich trete vor den Prinzen, sage ich hätte die Unterstützung von 20 Vampiren in der Stadt und wenn er mich nicht zum McGuffin durchlässt gibt es Bürgerkrieg"
GM: klingt nach "Persuade an NPC". Würfel, mal gucken wie der Prinz reagiert.


Man sieht hier das falsche Entscheidungen gar nicht so ohne weiteres sichtbar sind. Grade Spieler die sonst aber eher traditionelle Rollenspiel spielen ist das in narrativen Spielen gar nicht bewusst das sie quasi gefahrlos die Richtung vorgeben können. Weil egal was sie machen, es kann immer ein gutes oder ein böses Ende nehmen. Je nachdem was gewürfelt wird.

Nach meiner Erfahrung sind Spieler die noch nie oder nur sehr selten Rollenspiel gespielt haben deutlich offener für narrative Spieler, als Spieler die seit 20 Jahren DnD oder DSA spielen.

Offline Crimson King

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #16 am: 29.04.2019 | 19:24 »
...auch nur eine Erfahrung von vielen, würde ich sagen.

Bei meinen Bekannten geht Fiasko immer. Und das hält nun wirklich fast alles frei...
Fate hat weniger gut funktioniert.

Zumindest in der Flyover-Runde damals war ein Spieler, der Fiasco nicht so richtig begriffen hatte. Während ich diese Erfahrung, dass Spieler nicht aus ihrem klassischen Ich bin mein Charakter-Denken raus gekommen sind, auch woanders gemacht habe, ist meine persönliche Erfahrung, dass gerade SL-lose Spiele oder solche mit sehr abstrakten Erzählmechanismen wie Polaris es mir viel einfacher machen als Hybriden und selbst PTA.
« Letzte Änderung: 29.04.2019 | 19:36 von Crimson King »
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J.W. von Goethe

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #17 am: 29.04.2019 | 19:28 »
Crimson King, fehlt da ´was in deinem Satz?
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Offline Crimson King

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #18 am: 29.04.2019 | 19:36 »
Crimson King, fehlt da ´was in deinem Satz?

Kann gar nicht sein.  ;)
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J.W. von Goethe

lilith

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Re: Narrativer Ansatz und Spielerschar
« Antwort #19 am: 29.04.2019 | 21:13 »
Gleichsam lese ich hier immer wieder, daß die narrativen Systeme (oder wie man die genau nennen mag) in vielen Runden Schwierigkeiten bereiten und nicht so gut ankommen, weil "die Spieler dafür irgendwie nicht passen oder sich dafür umstellen wollen/können".

Die Gründe warum das eine funktioniert, das andere nicht, sind vermutlich vielfältig:

* Sozialisierung (mit dem einen Ansatz mehr Zeit verbracht als mit dem anderen)

* Erwartungshaltung (funktioniert wie das, was ich kenne, funktioniert wie im Stream ...)

* Überforderung (zu viele Regeln, zu viel Eigeninitiative)

Zitat
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Etwas schlichter formuliert: Die narrativen Spiele leben von der Initiative und den Ideen der Spieler.  Ob das immer so phantasievoll - im Sinne von noch nie dagewesener Qualität - ist, ist nicht gesagt; sind schließlich auch nur Menschen :]
Aber es macht Spaß!

Zitat
Bei meinen Leuten z.B. spüre ich immer eine gewisse Zurückhaltung gegenüber diesem Ansatz und den ungewohnten Mechanismen

Ist doch okay, oder?

Zitat
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Ich denke, das funktioniert nur, aus eigenem Antrieb heraus. Wenn die Spieler mehr Epik und Dramatik wollen, werden sie es (hoffentlich) sagen.
Eine Schwierigkeit liegt vermutlich darin, dass einer in der Gruppe Lust auf Abwechslung hat und sich mit der Aufgabe konfrontiert sieht, andere mitziehen zu müssen. Das wird schwierig.

Ein Bekannter von mir ist bspw. "verbrannt", weil in seiner Gruppe unbedingt jemand "The Sprawl" ausprobieren wollte - obwohl die Spieler nur mäßig daran interessiert waren. Darüberhinaus hat der Spieler auch fragwürdig geleitet.

Fazit der Aktion: Niemand interessierte sich vorher für "The Sprawl". Und jetzt wird es vermutlich so schnell auch niemand wieder versuchen.

Aber warum nicht neben der "regulären Runde", regelmäßige Online-Runden mit Gleichgesinnten besuchen?
Dort sind die Voraussetzungen ganz andere: Man kommt zusammen, weil man vermutlich Interessen teilt, statt nur die geographischen Nähe gemeinsam zu haben.
« Letzte Änderung: 29.04.2019 | 21:16 von lilith »