So, nachdem das Con-Wochenende überstanden ist, kann ich das hier noch mal in den Ring werfen.
Im verlinkten Thread kam am Rande die Sprache auf zeitgemäße Systeme und da haben wir uns mMn noch nicht ausreichend dran abgearbeitet
Gibts das überhaupt und wenn ja, was macht ein zeitgemäßes System allgemein und im Speziellen heute aus?
Ich hangele mich mal an den Zitaten lang.
Können wir aufhören, Spiele zu empfehlen, die schon alt waren, als wir selbst 15 waren? Es ist ja nicht so als gäbe es keine zeitgemäßen Rollenspiele...
Damit sind wir wie drüben schnell fertig:
Aktuelle Systeme sind etwas anderes als zeitgemäße Systeme.
Natürlich hat es Vorteile, wenn Systeme aktuell bzw. "lebendig" und damit weit(er) verbreitet sind, aber das hat mit dem eigentlichen Spieldesign nicht viel zu tun.
Denn:
Laut Duden bedeutet das Wort "den erfordernissen der jeweiligen Gegenwart entsprechend". Das kann auf Rollenspiele im engeren Sinn nicht zutreffen, weil es keine Erfordernisse für Rollenspiel gibt.
Für Rollenspiel an sich mag es keine allgemein feststellbaren Erfordernisse/Ansprüche geben, aber für bestimmte Spielstile kann man jeweils schon recht konkrete Anforderungen formulieren. Da ist der Knackpunkt mMn ein anderer: Diese Anforderungen sind a) weitgehend
zeitlos und stehen damit gerade nicht im Kontext der jeweiligen Gegenwart und b) massiv von der jeweiligen Ziel- bzw. Nutzergruppe abhängig und damit auch in dieser Hinsicht nicht verallgemeinerbar.
Was es gibt sind ein paar
best practices, die sich über kurz oder lang in fast jedem (flächendeckend) erfolgreichen System einer bestimmten Strömung finden lassen.
Aber wenn man sich da die Beispiele aus grauer Vorzeit anschaut, wirds schon wieder wacklig:
Ein WEG Star Wars hat heute noch mal gelesen eine ziemlich "moderne" Perspektive auf Pacing, Plotaufbau und ganz generell darauf, was für das Spiel wirklich wichtig ist und was nicht (und zieht daraus sehr deutliche spielmechanische Konsequenzen).
Ist das jetzt deswegen immer noch oder wieder zeitgemäß?
Ich kann mich an genau eine Gelegenheit erinnern, bei der ich dachte: "Endlich mal ein zeitgemäßes Spieldesign". Das war bei der Ankündigung von DSA4, als u.A. eine teilweise Abkehr von Stufen und eskalierenden Hitpoints und ein komplettes Entfernen der zufallsbasierten Charaktererschaffung präsentiert wurde.
Da dachte ich tatsächlich, dass man so "heute" (also damals
) Systeme für solche Zwecke entwirft.
Mit etwas zeitlichem Abstand muss ich aber feststellen, dass das erstens nur ein Designtrend und keine echte "technische" Weiterentwicklung war und - viel wichtiger - dass der Anreiz für die Verwendung dieses Designs die mangelhafte
Umsetzung einiger Elemente des Vorgängers waren; in Abgrenzung von grundsätzlich mangelhaften oder zumindest überholten Designelementen.
Lies: man kann zufällige Charaktererschaffung ebenso interessant und spaßig machen wie eskalierende Hitpoints usw. Hat DSA3 mMn nicht gemacht, andere Systeme aber damals wie heute durchaus.
Damit wäre ich bei:
Aber in punkto Game Design hat sich in so ziemlich allen Spielstilen in den letzten Jahren einfach sauviel getan.
Gibt es irgendwo die o.g. ziemlich flächendeckende technische Weiterentwicklung?
Ich sehe auch da wieder nur Trends, die noch dazu heute wesentlich weiter auffächern als früher, weil es insgesamt mehr Material gibt (das dann irgendeine Nische finden muss) und weil ältere Strömungen nie ganz verschwinden.
Ja, neue Systeme für einen Spielstil X sind heute anders als ihre direkten oder weitläufigeren Vorgänger von vor 10, 20 oder 30 Jahren.
Aber eine breite Weiterentwicklung sehe ich da nicht. Manche arbeiten sich in irgendeiner Form an ihren Vorläufern ab, indem sie gezielt deren wenige Probleme beseitigen wollen (mMn eine sehr dankbare Herangehensweise), andere setzen umgekehrt auf weitgehende Abkehr vom Vorgänger, die nächsten treten auf der Stelle oder schauen gar nicht, was gerade insgesamt so abgeht und wursteln mit mehr oder weniger großem Erfolg vor sich hin.
Vieles ist heute anders, weniges ist wirklich rundum besser und so manches, was wieder oder immer noch erfolgreich ist, ist das genau deswegen, weil es mit kleinen Änderungen so ist wie früher.
Ist z.B. ein Shadow of the Demon Lord oder ein Zweihänder zeitgemäß, nur weil sie einige Macken der Vorgänger/Vorbilder beseitigen und das auch noch mit Änderungen in einer Art und einem Umfang, dass diese nicht nur jederzeit bei den Vorlagen hätten stattfinden können, sondern das sogar früher schon passiert ist - nur eben als dezentrale Hausregel und nicht in offiziell abgedruckter Form?
Ist ein Warhammer 4 zeitgemäß (und sogar eher zeitgemäß als Zweihänder) bzw. "technisch" weiterentwickelt, wenn es manche Sachen sehr "modern" abhandelt, aber dafür hier und da bei Basics patzt, von denen man im Rollenspielsektor allerspätestens seit den 90ern und in der Brettspielverwandtschaft schon ein paar Jahrzehnte früher genau wusste, wie man sie sinnvollerweise umsetzt?