Autor Thema: Charlie und die Scheuklappenfabrik  (Gelesen 8623 mal)

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Offline Lichtbringer

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Charlie und die Scheuklappenfabrik
« am: 22.08.2020 | 07:58 »
Charlie und die Scheuklappenfabrik
eine Geschichte mit n Moralen (n ist Element der natürlichen Zahlen inkl. 0)

Ich möchte eine kurze Geschichte mit euch teilen, die ich in letzter Zeit öfter als Beispiel verwende. Vielleicht gefällt sie euch ja.
Diese Parabel verwendet D&D, weil es ein sehr klares Beispiel liefert – und aus anderen Gründen, die unten noch klarer werden. Das sollte aber nicht als Kritik an oder Beschränkung auf D&D gesehen werden. Es ist bloß ein opportunes Beispiel für etwas, das ähnlich in fast allen Rollenspielen auftritt.

Stellen wir uns drei Rollenspieler*innen vor, nennen wir sie ganz traditionell Alice, Bob und Charlie. Die drei stiegen mit Dungeons & Dragons ein und spielten es nun schon eine Weile. Sie sind richtige Fans des Rollenspiels geworden und wollen jetzt möglichst vielfältige Spielerfahrungen machen. Sie möchten erleben, was ihr neues Hobby noch alles für sie bereithält.

Sie sitzen zusammen und besprechen, wie sie dieses Ziel angehen wollen.

Alice beschließt: „Ich mag Magier und möchte jeden Spruch im Spielerhandbuch mindestens einmal zaubern.“

Bob dagegen will mehr: „Ich möchte jedes Volk und jede Klasse im Spielerhandbuch mindestens einmal spielen. Nicht jede Kombination, das wäre ja unmöglich, aber jedes Einzelteil.“

Charlie dagegen geht die Sache ganz anders an. Ihr Plan lautet: „Ich möchte auf jeder Stufe des klassischen Lebensweges einmal eine Figur verkörpert haben: ein Kind, einen Jugendlichen, einen jungen Erwachsenen, jemand Verliebtes, einen Ehepartner, einen Elternteil, einen Großelternteil, einen Rentner und einen Sterbenden. Vielleicht erweitere ich es noch etwas – zum Beispiel ein Adoptivkind oder jemanden, der nicht an Altersschwäche, sondern an Krankheit stirbt.“

Man mag unterschiedlicher Meinung sein, welche dieser Optionen einem mehr zusagt. Das ist Geschmackssache. Vielleicht findet man die Idee absurd, einen Elternteil zu spielen. Aber es scheint mir schwer abzustreiten, dass Charlie vielfältigere Rollenspielerfahrungen machen wird als ihre Mitspieler*innen.

Die Moral(en) von der Geschicht’
Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Geschichte eine Moral hat. Ich verwende sie bloß gerne als Beispiel, um zu verdeutlichen:

(a) Die Erwartungen, die ein Rollenspiel durch seine Optionen und Vokabeln erzeugt, sind oft viel wichtiger für die Spielentscheidungen als die harten Regeln, weil sie bestimmen, in welche Richtungen wir überhaupt losdenken, bevor wir uns fragen, ob oder wie die Regeln das abbilden können. Es gibt nichts in den D&D-Regeln, was das Spielen von Greisen verbieten würde. In manchen Editionen gibt es dafür sogar Regeln im Grundbuch. Aber die erzeugten Erwartungen passen wenig hierzu.

(b) Deshalb können ganz weiche Anstöße sehr viel bewirken. Hätte das Charakterblatt direkt auf der ersten Seite ein Feld zu den Familienangehörigen (was in mittelalterlichen Großfamilien eigentlich Sinn ergäbe), dann hätte Charlies Wahl wenige überrascht. (Aus ähnlichen Gründen spielen viele Leute die WoD ganz anders, als die harten Regeln andeuten mögen, weil sie sich nach der Verpackung der Regeln richten.)

(c) Ein System oder einige wenige Systeme als Platzhirsch(e) zu haben, beschränkt die Vielfalt im Rollenspiel, weil dadurch die Scheuklappen regieren. Den meisten Spielern bleiben dann viele Möglichkeiten verwehrt, nicht weil das System oder die Spielleitung sie verböte, sondern weil die Spieler selbst gar nicht erst an sie denken.

(d) Ich spiele bei D&D fast immer Menschen und finde andere Völker ziemlich egal. Das verwundert viele Rollenspieler, aber wenn man einmal angefangen hat, auf Charlies Ebene über Rollenspiel nachzudenken, dann kümmert einen dieses Element einfach wenig. Ob ein Charakter Kinder hat, ist erheblich bedeutender als, ob er Nachtsicht hat. Das ist mir doch egal.

(e) Ich bin sicher, euch fallen noch mehr ein…

Offline ArneBab

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #1 am: 22.08.2020 | 08:18 »
Charlie dagegen geht die Sache ganz anders an. Ihr Plan lautet: „Ich möchte auf jeder Stufe des klassischen Lebensweges einmal eine Figur verkörpert haben: ein Kind, einen Jugendlichen, einen jungen Erwachsenen, jemand Verliebtes, einen Ehepartner, einen Elternteil, einen Großelternteil, einen Rentner und einen Sterbenden. Vielleicht erweitere ich es noch etwas – zum Beispiel ein Adoptivkind oder jemanden, der nicht an Altersschwäche, sondern an Krankheit stirbt.“
Plot Twist: Jeder einzelne ist ein Ninja mit genau den gleichen Fähigkeiten und verhält sich 80% der Zeit genau gleich.

Das ist, was du mit den anderen Punkten implizierst (als Scheuklappen außerhalb der Regeln), daher habe ich das einfach mal als Regelscheuklappen übersetzt :-)

Weswegen ich denke, dass du trotzdem Recht haben kannst: Charlie denkt bewusst außerhalb des Kontexts, den man mit DnD kaum ignorieren kann, wir können also davon ausgehen, dass er den Kontext trotzdem nutzen wird (weil man ihn kaum ignorieren kann).

Da er allerdings den ganzen Regelkontext ignoriert, kann es sein, dass er das eben doch nicht tut. Und dass er die Erfahrungen verpasst, die mit den Regeln am leichtesten sind. Und in einem kampflastigen Spiel können die Regeln 80% des Spiels dominieren.
1w6 – Ein-Würfel-System — konkret und direkt, einfach saubere Regeln.
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Offline KhornedBeef

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #2 am: 22.08.2020 | 09:12 »
Jo, stimmt wohl: die Regeln lenken den Fokus der Spieler auf verschiedene Spielinhalte. Nicht nur bezüglich der Figur, sondern auch was sie tut, wen sie trifft. Bei sehr vielen Regeln in einem Bereich tun sie das sehr stark. Sind die Regeln eher weniger konkret, dominiert vielleicht die übrige Beschreibung des Spiels.

Ob jemand jetzt reichhaltigere Erfahrungen macht, wenn er den Opa aus Tumbingen spielt, oder eine Essenzheilerin, die die Träume verängstigter Menschen in Tonwaren bindet, sei dahingestellt. Wenn aber jede Klasse nur eine Variante von "kämpft so und so" ist, kann es tatsächlich sein, dass man hauptsächlich Kämpfe erlebt. Das wird aber ja durch den Spielstil der ganzen Gruppe bestimmt. Bauerngaming mit D&D4 ignoriert quasi alle Regeln, aber wer hält dich ab?
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Wer Fehler findet...soll sie verdammt nochmal nicht behalten, sondern mir Bescheid sagen, damit ich lernen und es besser machen kann.

Offline Lichtbringer

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #3 am: 22.08.2020 | 09:43 »
Plot Twist: Jeder einzelne ist ein Ninja mit genau den gleichen Fähigkeiten und verhält sich 80% der Zeit genau gleich.

  ;D ;D ;D

Großartig. Vielleicht ist D&D einfach nicht das richtige Spiel für Charlie.


Bauerngaming mit D&D4 ignoriert quasi alle Regeln, aber wer hält dich ab?

Die eigenen Scheuklappen.

Ich bin aber auch aus weiteren Gründen skeptisch gegenüber dem Argument: "Die Regeln verbieten es dir ja nicht."
Ich kann auch Monopoly als Rollenspiel spielen. "Oh, werter Herr. Was für eine schöne Straße Sie da haben. Wollen Sie sie mir nicht verkaufen? Ich möchte dort ein Hotel errichten."
Nichts in den Regeln verhindert das. Aber macht das Monopoly wirklich zu einem Rollenspiel? Schließlich fördert auch nichts in den Monopoly-Regeln das Rollenspiel.

Offline takti der blonde?

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #4 am: 22.08.2020 | 10:03 »
Ich bin aber auch aus weiteren Gründen skeptisch gegenüber dem Argument: "Die Regeln verbieten es dir ja nicht."
Ich kann auch Monopoly als Rollenspiel spielen. "Oh, werter Herr. Was für eine schöne Straße Sie da haben. Wollen Sie sie mir nicht verkaufen? Ich möchte dort ein Hotel errichten."
Nichts in den Regeln verhindert das. Aber macht das Monopoly wirklich zu einem Rollenspiel? Schließlich fördert auch nichts in den Monopoly-Regeln das Rollenspiel.

Du vermischt roleplaying und roleplaying games einerseits, andererseits versuchst du RPGs auf ihre Regeln zu reduzieren. Der Witz ist doch, dass RPGs in ihrer Konzeption unendlich sind und die Figuren der Spieler alles versuchen können! Vergleiche auch die vielen dokumentierten Diplomacy Varianten, in denen Spielerinnen immer wieder Dinge unternommen haben, welche von den Regeln erstmal nicht weiter bedacht waren. Der zentrale Punkt: ein referee!

Offline Arkam

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #5 am: 22.08.2020 | 10:05 »
Hallo zusammen,

wegen dieser Scheuklappen gab es in vielen frühen Rollenspielen die "Goldene Regel" - also "Der Spielleiter hat immer Recht". Nicht um tatsächlich Macht zu geben sondern um Regelscheuklappen zu zerstören. Denn wer Spiel hört hat dann meistens ja auch feste Spielregeln im Sinn hat.

Ich habe da inzwischen eher Abenteuer und Kompatibilitäts Scheuklappen auf. Denn mein  Charakter soll ja in einer Geschichte zusammen mit anderen Charakteren von Mitspielern eine Geschichte spielen.
Da versuche ich aus Rücksicht auf die Spielleitung einen Charakter zu erschaffen der an den wahrscheinlichsten Geschichten auch Spaß hat und in ihnen aktiv werden kann.
Zudem habe ich zuviele Spieler erlebt die einen Ziel im Spiel verfolgt haben ohne sich Gedanken über die Ziele Anderer inklusive der Spielleitung zu machen. Das schreckt davor ab sich ein Ziel zusetzen das wahrscheinlich eher selten ist.

Gruß Jochen
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Offline Ainor

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #6 am: 22.08.2020 | 10:40 »
(a) Die Erwartungen, die ein Rollenspiel durch seine Optionen und Vokabeln erzeugt, sind oft viel wichtiger für die Spielentscheidungen als die harten Regeln, weil sie bestimmen, in welche Richtungen wir überhaupt losdenken,

Das ist sicher Richtig. Aber das hat auch sinen Grund. Wir spielen ja in einer fremden Welt, und irgendwie muss ja kommuniziert werden wass den überhaupt dankbare Rollen in dieser Welt sind. Ohne das wird es schwer eine Vorstellungswelt zu teilen.

Was Greise angeht: bei D&D startet man auf Sufe 1, was bedeutet das man sein (Abenteurer)leben noch vor sich hat.
Damit ist man quasi notwendigerweise jung. Aber falls eine Kampagne auf Stufe 20 anfangen würde sähe mein Erzmagier sicher so aus wie Gandalf.

(b) Deshalb können ganz weiche Anstöße sehr viel bewirken. Hätte das Charakterblatt direkt auf der ersten Seite ein Feld zu den Familienangehörigen (was in mittelalterlichen Großfamilien eigentlich Sinn ergäbe), dann hätte Charlies Wahl wenige überrascht.

Das ist ein guter Punkt. Ich leite Birthright D&D wo Ehen und Familien eine große Rolle spielen, und das funktioniert hervorragend.
Aber ich bilde mir ein das das deshalb funktioniert weil diese Dinge eine große Auswirkung auf das Spiel haben. Wenn man dagegen nur Dungeons plündert ist es vermutlich nicht mehr als eine lästige Pflichtübung.


(c) Ein System oder einige wenige Systeme als Platzhirsch(e) zu haben, beschränkt die Vielfalt im Rollenspiel, weil dadurch die Scheuklappen regieren. Den meisten Spielern bleiben dann viele Möglichkeiten verwehrt, nicht weil das System oder die Spielleitung sie verböte, sondern weil die Spieler selbst gar nicht erst an sie denken.

Es ist falsch das am System festzumachen. Was zählt ist die Core Story. Die ist z.B. bei Dungeonslayers dieselbe wie bei D&D.
Andererseits kann man auch in D&D modifizierte Core Stories haben (z.B. Birthright) und so einen Kompromiss zwischen vershiedenen Spielerinteressen schaffen.

Generell halte ich den Begriff Scheuklappen für falsch denn die Thematisch Festlegung eröffnet erst viele Möglichkeiten.


(d) Ich spiele bei D&D fast immer Menschen und finde andere Völker ziemlich egal. Das verwundert viele Rollenspieler, aber wenn man einmal angefangen hat, auf Charlies Ebene über Rollenspiel nachzudenken, dann kümmert einen dieses Element einfach wenig. Ob ein Charakter Kinder hat, ist erheblich bedeutender als, ob er Nachtsicht hat. Das ist mir doch egal.

Wenn du Rassen auf einfache Spielmechanik beschränkst kannst du auch sagen: Kinder kosten Zeit und Geld. Lohnt sich für meinen Charakter nicht. Der Reiz des Fantasy Rollenspiels ist doch jemand seien zu können der du im wirklichen Leben nicht seien kannst. Du könntest zum beispiel das Alter als Elf erleben, was bedeutet dass man alle menschlichen Freunde sterben sieht.


Generell muss man die Frage stellen: warum will ich etwas was ich auch in der Realität haben kann im Rollenspiel nachspielen.
Vielleicht ist es besser einfach rauszugehen ? Weiterhin ist es nicht gesagt ob sich alles im Leben für das Rollenspiel eignet.
Verliebt sein ist schön und gut, aber es ist tendentiell eine Sache zwischen zwei Personen. Selbst wenn es zwischen Spieler und SL
keine Unfälle gibt, ist das ganze für die anderen Spieler wirklich so spannend ?
Es wird zu viel darüber geredet wie gewürfelt werden soll, und zu wenig darüber wie oft.
Im Rollenspiel ist auch hinreichend fortschrittliche Technologie von Magie zu unterscheiden.
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Offline Arkam

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #7 am: 22.08.2020 | 10:55 »
Hallo Ainor,

ich habe die Erfahrung gemacht das einige Sachen von denen man es nicht vermutet für interessante Szenen sorgen kann.

In unserer Runde haben zwei Charaktere, nicht die Spieler, miteinander angebundelt. Die beiden suchten jetzt erst Mal ein ungestörtes Plätzchen und dann noch einen Babysitter für das gemeinsame Baby.
Es ist erstaunlich was zwei Charaktere mitbekommen wenn sie einen ungestörten Platz suchen und die Spielleitung kreativ nicht etwa böse kreativ ist.
Auch die Heldengruppe die das Kind der beiden vermisstem, eine Spur zu einer Scheune aufnahm und dann in voller Kampfmontur die spielenden Kinder erschreckte ist bei uns bis Heute ein Klassiker.

Ganz wichtig ist dabei das man für solche Szenen auch Zeit hat. Denn bei knapper Spielzeit tendiert man eher dazu am Abenteuer zu ziehen um fertig zu werden.

Gruß Jochen
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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #8 am: 22.08.2020 | 11:18 »
Was Greise angeht: bei D&D startet man auf Sufe 1, was bedeutet das man sein (Abenteurer)leben noch vor sich hat.
Damit ist man quasi notwendigerweise jung.

Vorsicht: der zweite Satz folgt logisch nicht automatisch aus dem ersten (und mag damit selbst als ein Beispiel für eine Scheuklappe dienen). ;) Ich könnte ja zumindest im Prinzip durchaus auch mal einen Greis spielen wollen, der mit einem Fuß schon im Grab steht, unzufrieden auf sein bisheriges "langweiliges" Leben zurückblickt, und sich jetzt noch mal richtig ins Abenteuer stürzen will, bevor auch die allerletzte Chance dazu endgültig verstreicht...

Offline Arkam

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #9 am: 22.08.2020 | 12:18 »
Hallo nobody@home,

du hast recht das sind Regelscheuklappen und die kann man beseitigen.
Aber vielleicht kannst du mir ja erklären was einem an einem solchen Konzept reizt.

Gibt es also Regelungen die einen Greisencharakter besonders machen?
Denn als Krankenpfleger in der Altenpflege fallen mir da vor allen Verschlechterungen ein, ausgefallene Zähne, Gangunsicherheiten, chronische Erkrankungen, Inkontinenz und eher geringere Belastbarkeit sowohl physisch als auch psychisch.
Oder was macht für dich das Konzept Greis aus? Interessant könnte eventuell sein wie der Hintergrund auf den Greis reagiert. Das bringt aber für den Spieler und die Spielleitung einen Zusatzinhalt hinein um den sie sich kümmern müssen.
Die lieben Mitspieler müssen auch mitspielen. Denn ich habe zwar keinen Greis erlebt aber eben einen naturverbundenen Elfen der in einer zivilisierten Gegend zurecht kommen musste. Nach einer gewissen Zeit waren die Mitspieler kaum mehr bereit das Konzept anzuzspielen und die entsprechenden Probleme, hey der Typ will nicht zahlen oder wer baut da auf meinem Apfelbaum ein Schlafnest, zu lösen.
In Star Wars spielt eine Mitspielerin ein Kind. Wenn man als Mitspieler die Rolle ernst nehmen würde wäre die gleichzeitige Rolle unserer Mechanikerin eher nicht drinn.Warum hat das Kind wie selbstverständlich auch eine Waffe und ein eigenes Transportmittel? Weil der Charakter ansonsten nicht bei der Haupthandlung mitmachen könnte! Was macht dann dieses Konzept aus?

Solche Nichtscheuklappen Charaktere werden meiner Erfahrung nach gerne schon Mal zu Hindernissen, Herausforderungen sagen wir Mal Stolpersteinen in der Gruppe. Das kann sowohl auf Charakter als auch auf Spieler Ebene oder sogar auf beiden gleichzeitig der Fall sein.
Deshalb bin ich als Spielleiter und Spieler bei solchen Charakteren schon Mal etwas mißtrauisch. Das gilt übrigens auch für Krieger mit der niedrigstmöglichen Stärke, ungeschickten Bogenschützen, Diplomaten mit niedrigst möglichen Charisma, Meerjungfrauen in Wüstenabenteuern und Anhängern eher seltener oder wenig angesehener Religionen.

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Offline Lichtbringer

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #10 am: 22.08.2020 | 12:21 »
Du vermischt roleplaying und roleplaying games einerseits, andererseits versuchst du RPGs auf ihre Regeln zu reduzieren. Der Witz ist doch, dass RPGs in ihrer Konzeption unendlich sind und die Figuren der Spieler alles versuchen können! Vergleiche auch die vielen dokumentierten Diplomacy Varianten, in denen Spielerinnen immer wieder Dinge unternommen haben, welche von den Regeln erstmal nicht weiter bedacht waren. Der zentrale Punkt: ein referee!

Das Argument verstehe ich jetzt ehrlich nicht. Es gibt Rollenspiele ohne Spielleitung.
Und ich sehe auch nicht den logischen Schritt von: "Es gibt eine SL, also kann man alles versuchen." zu "Die Abwesenheit von Regeln ist gut für X."
A priori hätte ich jetzt erst einmal erwartet, von nichts komme nichts.

Ich sehe auch nicht, wie ich RSPs angeblich auf ihre Regeln reduziere, wenn das gesamte Einstiegsbeispiel sich darum dreht, was durch die Regeln eben nicht festgelegt wird.



Wenn du Rassen auf einfache Spielmechanik beschränkst kannst du auch sagen: Kinder kosten Zeit und Geld. Lohnt sich für meinen Charakter nicht. Der Reiz des Fantasy Rollenspiels ist doch jemand seien zu können der du im wirklichen Leben nicht seien kannst. Du könntest zum beispiel das Alter als Elf erleben, was bedeutet dass man alle menschlichen Freunde sterben sieht.

Nein, das Beispiel hatte ich absichtlich so gewählt, dass es keine reine Mechanik ist. Ob eine Figur Dunkelsicht hat, kommt ja auch in der Weltbeschreibung  usw. vor.
Ich unterstelle, dass die tatsächlich spielbaren Unterschiede zwischen den Rassen praktisch immer viel kleiner sind, als die Frage der Elternschaft. In der Praxis spielen wir, weil wir Menschen sind, immer (Mensch + irgendeine Abwandlung). Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Einfluss des ersten Summanden der sehr viel größere ist.


Was Greise angeht: bei D&D startet man auf Sufe 1, was bedeutet das man sein (Abenteurer)leben noch vor sich hat.
Damit ist man quasi notwendigerweise jung. Aber falls eine Kampagne auf Stufe 20 anfangen würde sähe mein Erzmagier sicher so aus wie Gandalf.

Wie viel Zeit vergeht denn in der Spielwelt auf diesem Weg? Sind das wirklich mehr als ein paar Jahre?


Solche Nichtscheuklappen Charaktere werden meiner Erfahrung nach gerne schon Mal zu Hindernissen, Herausforderungen sagen wir Mal Stolpersteinen in der Gruppe. Das kann sowohl auf Charakter als auch auf Spieler Ebene oder sogar auf beiden gleichzeitig der Fall sein.
Deshalb bin ich als Spielleiter und Spieler bei solchen Charakteren schon Mal etwas mißtrauisch. Das gilt übrigens auch für Krieger mit der niedrigstmöglichen Stärke, ungeschickten Bogenschützen, Diplomaten mit niedrigst möglichen Charisma, Meerjungfrauen in Wüstenabenteuern und Anhängern eher seltener oder wenig angesehener Religionen.

Dann hast du als SL aber offenbar auch ein klares Bild, in welche Richtung die spielen möchtest. Das ist ja völlig in Ordnung. Worum es in der Parabel geht, war ja explizit nicht, Charlies Weg sei der bessere. Es geht darum, dass Alice und Bob die Frage, was für sie besser sei, gar nicht erst stellen können, wenn sie diese Möglichkeiten nicht wahrnehmen.

Offline ArneBab

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #11 am: 22.08.2020 | 12:24 »
Das ist ein guter Punkt. Ich leite Birthright D&D wo Ehen und Familien eine große Rolle spielen, und das funktioniert hervorragend.
Aber ich bilde mir ein das das deshalb funktioniert weil diese Dinge eine große Auswirkung auf das Spiel haben. Wenn man dagegen nur Dungeons plündert ist es vermutlich nicht mehr als eine lästige Pflichtübung.
In Medien ist es oft ähnlich. Schau dir die vielen "wir sind Supercops"-Serien an. Da ist kaum jemand verheiratet. Wer regelmäßig reisen muss und zur gleichen Zeit da sein muss wie die 5 anderen Leute in der Gruppe, kann sich eine Familie kaum leisten. Daher sind Helden eher ledig — oder miteinander verheiratet.
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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #12 am: 22.08.2020 | 12:48 »
@Arkham:

Daß die Mitspieler da mitmachen wollen müssen, ist wie bei jedem anderen Charakter auch klar. Das hat nichts speziell mit dem Alter zu tun, sondern ist einfach nur eine Frage von gegenseitiger Rücksichtnahme. Andererseits, wer weiß? Vielleich wollen die anderen Spieler ja auch mal alte Knacker (und Knackerinnen) anstelle irgendwelcher grüner Jüngelchen und Mädels spielen und wir kriegen so doch wieder eine ganze Gruppe ungefähr Gleichaltriger zusammen...wäre doch auch mal eine Kampagne. ;)

Was das Konzept "Greis" angeht, würde ich sagen, daß mich wohl am ehesten tatsächlich reizen würde, mal anzuspielen, wie die Umgebung den Charakter regelmäßig wahlweise unter- ("Was kann so'n alter Opa schon noch ausrichten?") und/oder überschätzt ("So alt und immer noch Abenteurer? Achtung, Leute, paßt auf -- wir wissen nicht, was der alles auf Lager haben könnte!"). Inwieweit körperliche und geistige Einschränkungen zum Tragen kämen, wäre mit eine Frage des Systems; manche wie z.B. D&D haben da ja eigentlich so gut wie gar nichts, andere wieder mögen Dinge bieten, die durchaus ihrerseits auch mal interessant auszuspielen sein könnten. Und dann gibt's natürlich auch immer mal wieder die Greise, die eigentlich noch recht rüstig sind (vielleicht, weil sie in ihrer Jugend ihre Gesundheit nicht schon frühzeitig mit leichtsinniger Abenteurerei ruiniert haben?)...die sollten auf jeden Fall auch noch entsprechend spielbar sein.

Abschließend wäre vielleicht noch zu sagen, daß ich die Idee, daß Spielercharaktere auf jeden Fall immer und überall für Standardabenteuer nach Schema F und Deutscher Abenteuer-Norm zu taugen haben, mit für eine der dicksten Scheuklappen überhaupt halte. Klar, man kann locker auch "typische" Abenteurer/Investigatoren/etc. spielen, und ich werde bei solchen Gruppen bestimmt nicht mit zutiefst mißbilligendem Gesichtsausdruck an der Tür klopfen und ein "BEREUET, ROLLENSPIEL-SÜNDER!!!"-Schild hochhalten; aber ich sag' auch niemandem, daß er sich zwanghaft darauf beschränken muß. Gegebenenfalls kriegen dann die untypischen Charaktere eben auch eher untypische Szenarien vorgesetzt, die besser zu ihnen passen.

Offline takti der blonde?

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #13 am: 22.08.2020 | 13:44 »
Das Argument verstehe ich jetzt ehrlich nicht. Es gibt Rollenspiele ohne Spielleitung.
Und ich sehe auch nicht den logischen Schritt von: "Es gibt eine SL, also kann man alles versuchen." zu "Die Abwesenheit von Regeln ist gut für X."
A priori hätte ich jetzt erst einmal erwartet, von nichts komme nichts.


A posteriori sehen wir aber immer wieder über verachiedene Epochen belegt, dass aus "nichts" ganz oft "vieles" folgt. Diplomacy Regeln sind fast schon trivial und regeln nur einen sehr kleinen Teil der Welt, aber (trotzdem? gerade deshalb?), ist das Spiel, das daraufhin folgt sehr komplex. Eben weil es eine Spielleitung gibt. Sog. Spielleiterlose RPGs verteilen diese Verantwortung nur anders, entscheidend ist, es gibt Möglichkeiten Dinge zu entscheiden, die nicht Teil des Textes sind.

Zitat
Ich sehe auch nicht, wie ich RSPs angeblich auf ihre Regeln reduziere, wenn das gesamte Einstiegsbeispiel sich darum dreht, was durch die Regeln eben nicht festgelegt wird.

Da bin ich gedanklich schon zu weit gesprungen. Du schreibst:

"Die Erwartungen, die ein Rollenspiel durch seine Optionen und Vokabeln erzeugt, sind oft viel wichtiger für die Spielentscheidungen als die harten Regeln, weil sie bestimmen, in welche Richtungen wir überhaupt losdenken, bevor wir uns fragen, ob oder wie die Regeln das abbilden können. Es gibt nichts in den D&D-Regeln, was das Spielen von Greisen verbieten würde. In manchen Editionen gibt es dafür sogar Regeln im Grundbuch. Aber die erzeugten Erwartungen passen wenig hierzu."

Du stellst" Optionen und Vokabeln" den sog. "harten Regeln" entgegen. Wenn ich dich richtig verstehe, sind aber beides Teile der "Verschriftlichung". Mit D&D gesprochen: Optionen sind Z.B. Klassen und "harte Regeln" sind THAC0?
Habe ich das richtig verstanden?

Offline Ainor

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #14 am: 22.08.2020 | 13:55 »
Nein, das Beispiel hatte ich absichtlich so gewählt, dass es keine reine Mechanik ist. Ob eine Figur Dunkelsicht hat, kommt ja auch in der Weltbeschreibung  usw. vor.

Ja, aber du greift ein spielmechanisch relevantes Detail raus. Wenn du andere Rassen vor allem als Mensch+x siehst dann
sind sie in der Tat nicht so interessant. Aber man kann auch die Unterschiede statt der gemeinsamkeiten anspielen.

Ich unterstelle, dass die tatsächlich spielbaren Unterschiede zwischen den Rassen praktisch immer viel kleiner sind, als die Frage der Elternschaft. In der Praxis spielen wir, weil wir Menschen sind, immer (Mensch + irgendeine Abwandlung). Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Einfluss des ersten Summanden der sehr viel größere ist.

Reine Ansichtssache. Bei D&D Eberron kannst du z.B. einen Warforged spielen, der ganz andere Fragen hat und wohl kaum als Mensch+x durchgeht.

Wie viel Zeit vergeht denn in der Spielwelt auf diesem Weg? Sind das wirklich mehr als ein paar Jahre?

Mag sein das die Charaktere alt werden. Aber dass man mit Jungen SCs anfängt liegt nicht an Scheuklappen sondern daran dass man einen Lebensweg bzw. eine Entwicklung haben möchte.


Worum es in der Parabel geht, war ja explizit nicht, Charlies Weg sei der bessere. Es geht darum, dass Alice und Bob die Frage, was für sie besser sei, gar nicht erst stellen können, wenn sie diese Möglichkeiten nicht wahrnehmen.

Ist das so ? Bei Computerspielen kann ich mich zwischen WoW und Sims entscheiden. Offensichtlich verpasse ich einiges wenn ich WoW wähle. Aber das bedeutet nicht dass ich nicht weiss dass es nichts anderes gibt. Ich würde vermuten dass viele D&D wählen weil sie sich für "Abenteuer" statt "Leben" als Spielinhalt entshieden haben.
Es wird zu viel darüber geredet wie gewürfelt werden soll, und zu wenig darüber wie oft.
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Offline Yney

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #15 am: 22.08.2020 | 14:16 »
Ich denke sowohl die Beschreibungen einer Welt als auch "harte" Regeln haben natürlich die Tendenz, unsere Aufmerksamkeit bei einem Spielsystem auf gewisse Dinge zu lenken. Die Scheuklappen sind wohl unvermeidlich und auch menschlich. An deren Vorhandensein durch einen Text wie deinen erinnert zu werden ist da finde ich eine gute Erinnerung. "To think out of the box" ist immer und für jeden knifflig, denke ich.

Für mich persönlich ist beispielsweise die Wahrnehmungsprobe so eine Scheuklappe, die anscheinend in sehr vielen Rollenspielen systemimmanent ist. Mir selbst ist völlig unverständlich, warum man nicht einfach beschreibt, wohin man guckt und was man tut und daraus folgert der Spielleiter (dem wir vertrauen), was entdeckt wird. Das klingt jetzt vermutlich überheblich, ich meine es aber sicher nicht so - nur meine eigenen Scheuklappen nehme ich ja selbst nicht war ;)

Insofern sehe ich in Lichtbringers Parabel die wie schon gesagt willkommene Erinnerung, mal ab und zu wieder nach links und rechts zu schielen - und wenn es da verdächtig dunkel ist, mal den Kopf zu drehen – danke!

Ich fühlte mich nach dem Eingangsbeitrag spontan an einen TED-Talk erinnert, der vielleicht dazu passen könnte:
https://www.youtube.com/watch?v=VNGFep6rncY

Offline ArneBab

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #16 am: 22.08.2020 | 14:30 »
Wenn du andere Rassen vor allem als Mensch+x siehst dann
sind sie in der Tat nicht so interessant
Regeltechnisch ist das halt oft so. Der Elf ist wie der Mensch mit dem Vorteil Nachtsicht und dem Nachteil "weniger Edge". Da sind dann Fremdspezies wirklich weit weniger fremd als der alleinerziehende Vater. Ich versuche im EWS inzwischen etwas mehr Fremdheit reinzubringen, indem Fremdspezies andere Kernantriebe erhalten (inspiriert von C.J. Cherryhs Chanur und Foreigner: Fremdspezies haben einerseits Antriebe, die wir nachvollziehen können, andererseits aber auch einige, die für Menschen nur abgeleitete Ziele sind. Der Unterschied ist: Um deinem Kernantrieb zu folgen brauchst du keinen tieferliegenden Grund: Der Antrieb ist genug Grund, etwas zu tun).
1w6 – Ein-Würfel-System — konkret und direkt, einfach saubere Regeln.
Zettel-RPG — Ein Kurzregelwerk auf Post-Its — für Runden mit Kindern.
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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #17 am: 22.08.2020 | 14:44 »
Für mich persönlich ist beispielsweise die Wahrnehmungsprobe so eine Scheuklappe, die anscheinend in sehr vielen Rollenspielen systemimmanent ist. Mir selbst ist völlig unverständlich, warum man nicht einfach beschreibt, wohin man guckt und was man tut und daraus folgert der Spielleiter (dem wir vertrauen), was entdeckt wird. Das klingt jetzt vermutlich überheblich, ich meine es aber sicher nicht so - nur meine eigenen Scheuklappen nehme ich ja selbst nicht war ;)

Wahrnehmung als wie auch immer hergeleiteter Spielwert hat schon ihren Nutzen, zumal ja die Spieler gar nicht unbedingt immer genau beschreiben wollen müssen, wie ihr Charakter gerade den Kopf hält. ;) (Klassisches Beispiel: "Bemerkt mein SC die lauernde Gefahr noch rechtzeitig oder doch nur erst, wenn sie schon zuschlägt?" -- in so einer Situation kann man auch schon mal würfeln.)

Daß man's auf der anderen Seite vielleicht nicht übertreiben und Wahrnehmungsproben dafür verlangen sollte, ob der Charakter unter offenem Himmel auch wirklich mitkriegt, ob gerade Tag oder Nacht ist...na ja. ;D

Offline Irian

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #18 am: 22.08.2020 | 15:01 »
Für mich persönlich ist beispielsweise die Wahrnehmungsprobe so eine Scheuklappe, die anscheinend in sehr vielen Rollenspielen systemimmanent ist. Mir selbst ist völlig unverständlich, warum man nicht einfach beschreibt, wohin man guckt und was man tut und daraus folgert der Spielleiter (dem wir vertrauen), was entdeckt wird. Das klingt jetzt vermutlich überheblich, ich meine es aber sicher nicht so - nur meine eigenen Scheuklappen nehme ich ja selbst nicht war ;)

Ich halte Wahrnehmung für etwas, das benutzt wird, um nicht offensichtliches zu "finden". Der Ork der gerade auf dich zuläuft und laut brüllt, braucht keine Wahrnehmungsprobe - der Elf, der sich im Dickicht versteckt, schon. Um zu sehen, dass das ganze Zimmer ein Saustall ist, braucht es keine Wahrnehmungsprobe, um zu bemerken, dass der Saustall scheinbar System hat, schon eher. Um etwas verstecktes zu finden könnte es auch gut sein, wobei das - je nach Situation - einfach auch durch Zeit ersetzbar ist. Wenn diese aber knapp ist - z.B. "finde die Steinplatte die aussieht wie ein Typ auf'm Klo bevor der Raum mit Säure vollgelaufen ist" wäre evlt. Wahrnehmung wieder ne Idee, wenn der ganze Raum mit tausenden Steinplatten mit verschiedenen, sehr ähnlichen Motiven bedeckt ist.

Das "Argument", dass der Spielleiter einfach folgert, was denn passiert, kann man bei JEDEM Würfelwurf anwenden. Wieso Kampffertigkeiten? Man sagt einfach an, in welche Richtung man schlägt und der Spielleiter wird schon entscheiden, was passiert. Aber dafür sind Fertigkeiten ja da, dass eben nicht der Spielleiter nach Gutdünken über Erfolg und Misserfolg entscheidet. (Also, geht auch, kein Problem, wird aber scheinbar nicht oft gewünscht) Kann man es anders machen? Klar. Aber das gilt für fast alles. Ich sehe da keine "Scheuklappe".
« Letzte Änderung: 22.08.2020 | 15:04 von Irian »
Hinweis: Wenn ich schreibe "X ist toll" oder "Y ist Mist", dann ist das meine persönliche Meinung und beinhaltet keinerlei Aufforderung, X zu kaufen oder Y zu boykottieren. Im Zweifelsfall denkt euch einfach vor jeden Satz "Meiner Meinung nach..." dazu. Und nur weil ihr X für schlecht und Y für toll findet, bedeutet das nicht, dass wir uns nun hassen müssen. Jedem das seine. Ansonsten stehe ich für Duell-Forderungen (oder auch "drüber reden") jederzeit per PM zur Verfügung.

Offline Crimson King

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #19 am: 22.08.2020 | 16:05 »
Das Argument verstehe ich jetzt ehrlich nicht. Es gibt Rollenspiele ohne Spielleitung.

Es gibt Rollenspiele ohne dedizierte Spielleitung. Rollenspiele ohne Spielleitung gibt es dagegen nicht. Die Aufgaben, die im klassischen Spiel der dedizierte Spielleiter wahrnimmt, werden in so genannten SL-losen Rollenspielen durch die Regeln situativ auf die Mitspieler verteilt.

Ich glaube davon abgesehen nicht, dass Rumdefiniererei darüber, was Rollenspiel ist, den Thread wirklich weiter bringt. Dass die von hassran proklamierte Nichtabgeschlossenheit konstituierender Faktor von Rollenspielen ist, dürfte aber weitgehender Konsens sein.



Mein Ansatz zum Ausangsproblem: um Zielkonflikte der Spielerinteressen zu vermeiden, sollte vorher klar gemacht werden, was wie gespielt wird. Dazu sollten auch die Autoren von Rollenspielbüchern vermitteln, wie ihr Spiel sinnvollerweise gespielt werden soll. Für unterschiedliche Spielansätze sollte man dann Spiele verwenden, die diese Ansätze bedienen.
« Letzte Änderung: 22.08.2020 | 16:23 von Crimson King »
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

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Offline Arkam

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #20 am: 22.08.2020 | 18:52 »
Hallo nobody@home,

Arkam bitte ohne h auch wenn der Name vom berühmten literarischen Vorbild abgeleitet wurde. ;.)

Du hast ja im Punkt das jeder Charakter in einer Gruppe auch ein mitspielen der anderen Spieler erfordert. Aber was die Charakterkonzepte angeht sind das doch meistens Einzelsituationen, häufig ja der Einstieg und das erste Kennelernen der Charaktere.
Konsequent ausgespielt bleiben die meisten hier diskutierten Konzepte aber ständig erhalten.
Vollständige Konzeptrunden können richtig viel Spaß machen. Ich habe da Mal eine Traveller Runde für zwei greise Admiräle in Antigrav Rollstühlen geleitet.
Bei Spielern bei denen das Konzept auch mit einem Konzept für das Spiel mit diesem Charakter verbunden ist oder die aktiv an einem solchen mithelfen sind Konzepze klasse.
Leider habe ich es zu häufig erlebt das solche Konzepte eigentlich nur ein Sympthom dafür sind das der Mitspieler keinen Spaß am derzeitigen Spiel hat. Das kann sich auf die Art spielen, das Verhalten der Mitspieler oder auch dem bespielten Hintergrund beziehen.
Ich selbst habe auch schon Konzept Charaktere gespielt die eigentlich nur einen Sinn hatten. Sie sollten der Spielleitung ihre Schwächen aufzeigen oder waren gar als "Rache" für Probleme mit Charakteren dieser Spielleitung gedacht waren.

Von da aus schrillen bei mir immer die Alarmglocken wenn ein Mitspieler einen Konzept Charakter spielen möchte ohne vorher einen "normalen" Charakter aufgestellt zu haben.

Gruß Jochen
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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #21 am: 22.08.2020 | 19:13 »
Von da aus schrillen bei mir immer die Alarmglocken wenn ein Mitspieler einen Konzept Charakter spielen möchte ohne vorher einen "normalen" Charakter aufgestellt zu haben.

Gruß Jochen

Soso, konzeptlose Charaktere sind für dich also "normal". Das läßt ja tief blicken. ~;D

Von dem Witz, den ich mir einfach nicht verkneifen konnte, mal abgesehen, scheinen wir ansonsten weitgehend auf einer Linie zu liegen. Ich mache mich vielleicht weniger Sorgen um hypothetische "Spielerrache", aber das war's dann auch schon...und ich würde in dem Fall das Problem auch eher beim Spieler verorten als direkt beim Charakter, d.h., das Charakterkonzept alleine wäre für mich nicht unbedingt gleich eine Warnlampe.

Umgekehrt versuche ich ja auch als Spieler, zumindest etwas flexibel zu sein. Ich schieße mich im Vorfeld selten auf genau ein Charakterkonzept ein und versuche das mit aller Macht durchzudrücken; erst wenn mir eine Gruppe bzw. deren SL wirklich so ziemlich alle Ideen abblocken würde, die mir gerade einfielen und für die ich mich einigermaßen begeistern könnte, wäre das wahrscheinlich ein Grund, noch mal darüber nachzudenken, wie dringend ich nun eigentlich wirklich mit genau diesen Leuten zusammenspielen muß. Ist aber bisher noch nicht vorgekommen.

Offline Maarzan

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #22 am: 22.08.2020 | 19:17 »
Das kann sich auf die Art spielen, das Verhalten der Mitspieler oder auch dem bespielten Hintergrund beziehen.
Ich selbst habe auch schon Konzept Charaktere gespielt die eigentlich nur einen Sinn hatten. Sie sollten der Spielleitung ihre Schwächen aufzeigen oder waren gar als "Rache" für Probleme mit Charakteren dieser Spielleitung gedacht waren.

Von da aus schrillen bei mir immer die Alarmglocken wenn ein Mitspieler einen Konzept Charakter spielen möchte ohne vorher einen "normalen" Charakter aufgestellt zu haben.

Ist der "Konzeptcharakter" dann in dem Zusammenhang nicht die Folge davon, dass der Eindruck entstanden ist, dass der Standardcharakter vom Spielleiter vorher misshandelt worden ist?
Und der Neue nun besser gerüstet diesen Krieg annimmt.
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Online General Kong

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #23 am: 22.08.2020 | 19:33 »
Das Spiel heißt DUNGEONS & DRAGONS, es geht um heroische Action-Abenteuer fantastischen Inhalts mit Monstern, in Höhlen und Kavernen. Drachen kommen auch vor.

Also, Charlie, spiel was anderes! Wer sich einen Charakter für das James Bond-Rollenspiel macht, fängt ja auch nicht an mit:
"Ich bin ein 14jähriges Mädchen im Rollstuhl, adoptiert von einem lesbischen Ehepaar, von der die Transgenderfrau der sechsköpfigen Patchworkfamilie beim MI6 als Putzfrau arbeitet."

Tschuldigung, tolle Hintergrundgeschichte, aber wir jagen heute Dr. No und Goldfinger, und besprechen nicht auf dem Elternabend die schlechten Leistungen deines SC im letzten Mathetest oder den Liebeskummer deiner besten Freundin Svenja.

Das hat nichts mit Scheuklappen zu tun, sondern damit, dass man nicht durch das "Ausspielen" seines Charakters das Spiel und den Spaß aller anderen am Tisch obstruiert.

Das gilt ebenso für
* Bauern in einer Camelot- /Ritter der Tafelrunde-Kampagne
* Wall Street Banker, die Manhattan nicht verlassen, in einer Western-Kampagne in Dodge City
* Parapsychologen und Alchemisten bei Traveller
* Kleine Balrog-Diebe in einer Mittelerde-Kampagen (wir fangen ja in der 1. Stufe an)
* Normalo-Hausfrauen oder Nur-Studenten in einer Superheldenkampagne (Die Fantastischen Drei ... und Joe/Jane!)
* Elfen in einer Nur-Zwergen-Kampagne
* Taschenlampenfallenlasser, In-verfluchte-Häuser-geh-ich-Nichter und Heimlich-Kultisten (ohne Absprache!) in Cthulhu

Ich sage nicht, dass man das alles nicht spielen kann (wir spielen immerhin Rollenspiele, da ist praktisch alles möglich), aber erlaubt sollte es nur sein, wenn alle am Tisch wissen:
Okay, Plattenpanzer +1, Qs neueste Erfindung, Thors Hammer, das Necronomicon, den Einen Ring und die Blasterpistole können wir getrost im Schrank lassen - wir spielen Hintergründe aus.

Fein. Wer es mag.

Wer mich sucht: "I think the adventure is THAT WAY! Those mountains look questworthy!"  ;)
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Offline Maarzan

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Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
« Antwort #24 am: 22.08.2020 | 19:43 »

* Kleine Balrog-Diebe in einer Mittelerde-Kampagen (wir fangen ja in der 1. Stufe an)


Wer Balrogs klaut ist nicht erststüfig - die Dinger sind keine Bananen.

Zur Sache.
Wer Abenteuer spielen will, sollte das als SL auch entsprechend in Sitzung 1 so aufhängen und nicht "Zivilisten" überraschen wollen (ggf. gar generfte Zivilisten, wenn das  ja gerade deshalb Zivilisten sein sollen, weil die Profis beim letzten mal den Plot zernuket haben) und sich dann wundern, wenn die Zivilisten sich wie Zivilisten benehmen.

Ein anständiges Actionabenteuer sollte das auch beim "Casting" klar machen und jede Figur dann neben all ihrer Charakterisierung eindeutig erklären können, warum man genau sie auf eine gefährliche Mission mitnehmen soll.
Und die Antwort heißt dann nicht "Ich bin aber ein SC".
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