Da ich hier noch Nichts davon gelesen habe und jüngst die zweite Runde spielen konnte, möchte ich nochmal kurz die Herangehensweise von
Brindlewood Bay vorstellen:
Ein Fall (Szenario) enthält im Wesentlichen eine Reihe von Hinweisen (und noch ein paar andere Dinge), welche die SL nach und nach einstreut. Ein Fall hat eine bestimme Schwierigkeit (zBsp 7) und es gibt einen Spielzug (ja, PbtA-like) namens "Theorie aufstellen", welcher gegen die Schwierigkeit des Falls gewürfel wird. 2W6 gegen 7 ist nun recht happig, also muss man die Wahrscheinlichkeit erhöhen - da kommen die
Hinweise ja gerade recht! Jeder gefundene Hinweis
welchen die Gruppe schlüssig in die Theorie einweben kann wirkt als Bonus dagegen - also 8 Hinweise wäre eine Probe mit 2W6+1.
Wenn die Kennerinnen in einer offenen und zwanglosen Unterhaltung über die Lösung des Falls die
entdeckten Hinweise berücksichtigen – und sich einigen können – würfle plus die Anzahl der Hinweise, die Ihr in die Lösung integriert bzw. für die Ihr eine plausible Erklärung gefunden habt, minus die
Komplexität des Falles. Dieser Spielzug kann frühestens dann ausgelöst werden, wenn die Anzahl der
gesammelten Hinweise der halben Komplexität des jeweiligen Falles entspricht (aufgerundet).
- Bei 10+ ist die Lösung korrekt. Die SL gibt Euch Gelegenheit, die schuldige Person zur Strecke zu bringen und die Situation zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
- Bei 7–9 ist es die richtige Lösung, aber die SL wird ihr entweder eine unerwünschte Komplikation
hinzufügen oder es kompliziert oder gefährlich machen, die schuldige Person zur Strecke zu bringen
bzw. die Situation zu retten. - Bei 6− war es die falsche Lösung und die SL wird entsprechend reagieren.
- Bei 12+ wird sich den Kennerinnen zudem eine mit der Finsteren Verschwörung von Brindlewood
Bay in Verbindung stehende Person offenbaren.
"Voll doof! Das ist ja TOTAL Spielleitungswillkühr " - Gemach, gemach! Natürlich gibt es auch einen Spielzug, um Hinweise zu erlangen - "Herumschnüffeln" - und natürlich treten hier dann Komplikationen auf... woraus sich das Spiel ergibt. Je öfter man schnüffelt, desto mehr Hinweise und desto mehr Komplikationen... und am Ende rätselt die Gruppe gemeinsam um einen bunten Strauß von Hinweisen und versucht diese irgendwie miteinander in Einklang zu bekommen... also genau das Gefühl, was man mit Murder Mystery erhalten will! Die SL kann ein Veto einlegen, wenn es ZU abstrus wird, aber meiner Erfahrung und der der SL entsprechend kontrollieren sich die Spielenden da schon sehr gut selbst.
Diese Vorgehensweise löst für mich einfach
alle Probleme von Murder Mystery - und sogar die besonders schlau
TM deduzierende Spieler·in kann die eigene Fertigkeit einbringen, indem man glasklar erläutert, warum dieser und jene Hinweise gar nicht zur Theorie passen KANN - natürlich mit der Konsequenz, dass der Wurf schwerer wird oder man noch mehr herumschnüffeln muss.
Einziger "Haken": Der Wurf kann auf mehrere Arten scheitern und je nachdem, wie durchdacht und logisch die Theorie ist, kann es für die SL schon anstrengend werden sich zu überlegen, warum sie denn falsch ist.
Für mich wiegt das aber viel leichter, als die möglichen (und in einer Form von mir oder Mitspielenden erlebte - wir haben später drüber diskutiert) Probleme klassischer Murder Mystery - Szenarien im Rollenspiel - Achtung, kann
leichte Spuren von Überzeichung enthalten!

(aber wirklich nur leicht)
- Genrekenner
SL nutzt ein Fertigszenario, was komplette Klischees bedient und ein Spieler·in ist totaler Krimifan und löst den Fall in extrem kurzer Zeit einfach durch das Erkennen und Ausnutzen der Tropes
- Viele Köche kochen schneller
Die SL ist nicht schlauer als die ganze Gruppe zusammen und was für einen Abend gedacht war, wird durch saubere Kombination, Anwendung von Logik und guten Ideen innerhalb von 2h gelöst ohne jegliche Spannungskurve aber mit dem guten Gefühl der Gruppe, cleverer als die SL zu sein. Man einigt sich darauf, den Rest des Abends einen Krimiklassiker zu gucken und die eine Hälfte versaut den Film für die andere Hälfte, indem sie den Mörder schon vorher entlarven, haben am Ende aber unrecht, weil die Hinweise aufgrund eines menschlichen Fehlers des Protagonisten nicht zusammenpassen und der Zufall zur Hilfe kommt, den eigentlichen Mörder zu schnappen.
- Falsche Spur
Die SL hat einen kleinen Fehler gemacht und ein Hinweis passt nicht genau zu Rest, ja schließt sogar eine Herleitung komplett aus. Genau diese Abweichung stürzt die Gruppe kurz in eine Kriese, bis man eine neue Theorie entwickelt und herauskommt, dass es ein ganz andere Täter gewesen sein muss - was tatsächlich auch logischer ist, als der eigentliche Täter. Aber man muss ja konsequent bleiben, also scheitert der Fall und die Gruppe ist frustriert
- Fertigkeitsbarriere
Ein Wurf bei einer der vielen, das Nachforschen sauber simulierenden Skills, schlägt fehl und die Gruppe erhält den (oder die) Hinweis(e) nicht "Da ist nix mehr". Damit bleibt die Hinweiskette lückenhaft und die entscheidende Erkenntnis bleibt der Gruppe versagt, man forscht weiter, gräbt nach und nach befragte Zeugen ab, guckt sich die Tatorte an, an denen man übersehen haben glaubt (nur nicht den, wo wirklich was fehlt) und morgens um 1:30 gibt die Gruppe entnervt auf bzw die SL handwedelt den Hinweise noch kurz hin.
- Smarter than thou
Die SL ist tatsächlich ein sehr viel cleveres Köpfchen als die Gruppe und präsentiert den perfekten Mord! Leider ist er tatsächlich (fast) perfekt, die Lösung des Falls hängt am seidenen Faden eines einzelnen, kleinen Zusammenhangs den die Gruppe trotz Vorliegen aller Hinweise nicht herausfindet und stattdessen Theorie um Theorie bemüht mit immer verzweifelten Herleitungen, die SL ist aber zu stolz und zieht den Fall durch, die Gruppe scheitert und kapiert den Zusammenhang selbst dann nicht, als die SL die eigene R-Map auf dem Whiteboard erklärt.
- Deine Logik ist nicht meine Logik
Die SL ist sehr intelligent, versteht aber nicht, wie Menschen ticken. Der gesamte Fall basiert darauf, dass alle Beteiligten wie perfekte Maschinen ohne Emotionen handeln. Das Bild, welches für die Gruppe entsteht zeigt eine verschworene Gemeinschaft voller Psychopathen und verstört sie nachhaltig, da offensichtlich ist, dass SO eine Tat diverse emotionale Reaktionen hervorgerufen haben müsste...
Ihr kennt keines dieser Probleme? Ihr hab schon viele Murder Mysteries gespielt/geleitet und alle waren spannend, in sich logisch, zeitlich ausreichend bemessen, für die Gruppe gut lösbar und man hat das Mysterium ohne offene Fragen und logische Fallstricke erfolgreich aufgelöst, die SL musste nicht helfen oder irgendwas im Hintergrund switchen, Hinweise nochmal zu spielen oder was offgame nochmal klären? Herzlichen Glückwunsch! War bisher nicht teil meiner Rollenspielrealtität - vielleicht hat deshalb Brindlewood Bay für mich auch so gut funktioniert und ich hatte nur die falschen und zu dummen Leute dabei - ja, das wirds gewesen sein
