Autor Thema: Erkennbarkeit und Definitionsgrundlagen von CAs  (Gelesen 9088 mal)

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Offline Fredi der Elch

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Re: Erkennbarkeit und Definitionsgrundlagen von CAs
« Antwort #25 am: 23.01.2006 | 19:56 »
Hey Boomslang,

wenn man jemanden, der nur zwei Zustände kennt, auf die echte Welt loslässt, entstehen nur Probleme... ;) Du machst es dir mit der Informatiker-Logik eifach zu leicht

Ich empfehle dir mal solche Definitionen von Kategorien aus der echten (Psychologen-) Welt wie den DSM IV (klinisches Inventar). Das sind schwammige Monster-Definitionen, die nur durch Experten (also Leuten mit Erfahrung mit echten Fällen ;) ) halbwegs zu brauchbaren Ergebnissen zu bewegen sind. Deswegen kann ich Vermi sehr gut verstehen: es geht nur mit dem Studium von Fällen. Willkommen in der echten Welt, Informatiker. ;)

Wenn ich die ganze Sache richtig verstanden habe: Aufgrund der Tatsache, dass Menschen nicht immer das tun, was sie gerne wollen, und das auch nicht auf Nachfrage verraten, ist es praktisch unmöglich den "wahren Antrieb" an bestimmten Handlungen oder einem Fragebogen o.ä. festzumachen.
Der Punkt von Dom ist sehr gut:
1. Leute wissen oft gar nicht, was sie wollen.
2. Sie können oder wollen es nicht verbalisieren. Gerade der Spielstil ist mit vielen Selbstbildgeschichten verbunden (man will kein "böser Powergamer" sein usw.)
3. Selbst wenn sie beschreiben können, was sie wollten, müssen sie sich noch lange nicht so verhalten. Absicht und Verhalten liegen oft sehr weit auseinander. Aus Gewohnheit oder anderen Gründen bleiben Leute bei Verhaltensmustern, auch wenn sie was anderes vorhatten.
4. Selbst wenn eine Person ihr Verhalten umsetzt gibt es immer noch kein entsprechendes Feedback der anderen Personen. Es entsteht also noch keine kohärente CA.

Das ist der Grund, warum ich immer so auf die Verhaltensdaten poche: die reine Selbstauskunft (mit hypothetischen Situationen) ist einfach ungeeignet für die Analyse der CA.
Where is the fun at? - The rules should tell me clearly - And how to get there
- Don't try to make me feel like I live there, make me care about it. -

Zitat von: 1of3
D&D kann immerhin eine Sache gut, auch wenn es ganz viel Ablenkendes enthält: Monster töten. Vampire kann gar nichts.

Offline Arkam

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Re: Erkennbarkeit und Definitionsgrundlagen von CAs
« Antwort #26 am: 24.03.2006 | 14:24 »
Hallo zusammen,

also wenn mich die CA einer Gruppe interessiert und ich als Beobachter etwas darüber erfahren möchte würde ich folgendes machen.

1) Die Regeln lernen. Wobei ich hier Mal den offiziellen Hintergrund, soweit vorhanden, ebenfalls als Regel sehe. Denn genauso wie aus den Regeln das System wird wird aus dem Hintergrund die Welt. Ich versuche mich Mal an einer Definition. Die Welt einer Gruppe besteht aus den Teilen des Hintergrunds den die Gruppe nutzt und beeinflußt. Hinzukommen Ergänzungen oder Reduzierungen die die Gruppe am Hintergrund vorgenommen hat.

2) Die Belohnungsmechanismen der Regeln herausarbeiten und die sozialen Belohnungsmechanismen mit einbeziehen. Neben Belohnungen wie Erfahrungspunkte, Steigerungswürfe, besserer Ausrüstung etc. gibt es ja auch noch die Möglichkeiten Hintergrund des Charakters kommt in den Vordergrund, Spieler koordiniert komplexe Aktionen wie etwa Verhandlungen oder Kämpfe oder der Spieler bekommt einfach mehr Redezeit.
Natürlich werden entsprechend auch die regeltechnischen und sozialen Bestrafungsmechanismen bekannt sein. Die müssen ja nicht immer nur die Abwesenheit von Belohnung sein.

3) Kriterienkatalog aufstellen
Die folgenden Punkte sind Vorschläge damit das ganze nicht in der Luft hängt.
Leistungsrollenspiele / Gamist: Situationen werden nach Regeln abgehandelt, Nachschauen im Regelwerk, Bezug auf Regelgrößen also etwa Lebenspunkte oder Attributs- oder Skillwerte zur Begründung von Spielaktionen
Thematisches Rollenspiel / Narativist: Handlungen werden aus dem Hintergrund des Charakters entwickelt, Ausrüstung wird nicht nach maximalen Vorteil sondern nach der Stimmigkeit für die Rolle oder persönlichem Bezug ausgesucht, ich verzichte also nicht auf das Schwert mit dm ich meinen ersten Drachen erschlagen habe weil eine andere Waffe mehr Boni hat
Erlebnissrollenspiel / Simulation: Regeln werden geändert um sie realistischer zu machen, von den Regeln erlaubte Aktionen werden nicht gestattet weil sie unrealistisch sind, die Welt ändert sich auch ohne die Spieler
Die deutschen Begriffe stammen soweit von mir nachvollziehbar von Lord Verminaard in Thema: [Forge] Vermi erklärt die Forge in einer Nussschale http://tanelorn.net/index.php?topic=25170.from1143202605;topicseen#msg495889 von ihm beschrieben.

4) Beobachten und notieren
Jetzt sollte man für jeden Spieler notieren wann er Punkte aus dem Kriterienkatalog anwendet, ob er belohnt oder ob er bestraft. Bei einem Punkt aus dem Kriteriumskatalog muß noch notiert werden ob dieses Verhalten belohnt oder bestraft wird. Auf diese Art bekomme ich erst Mal eine Basis. Das ganze muß dann natürlich mehrmals wiederholt werden damit man nicht einfach die Gruppe in einem untypischen Moment erfaßt hat.
Optimal ist natürlich wenn man für jedes Gruppenmitglied einen einzelnen Beobachter hat. Denn ansonsten können gerade soziale Belohnungen schnell übersehen werden. Auch eine zeitliche Bestimmung wäre schön erhöht aber den Beobachtungsaufwand.

5) Statistische Auswertung
Ich stelle es mir so vor das man die einzelnen Kriterien des Kriterienkataloges die man beobachtet hat aufführt und dazu ob sie regeltechnisch oder sozial belohnt oder bestraft wurden.

6) Aussagen
Ich denke jetzt kann man Aussagen sowohl über die CA der Gruppe als auch über die Spielprioritäten der Gruppe und je nach beobachtungsaufwand auch über die Tendenzen der einzelnen Gruppenmitglieder machen.

Jau das ganze klingt wie die Vorbetrachtungen zu einem soziologischen Bericht aber das sollte bei theoretischen betrachtungen über die Feststellbarkeit einer sozialen Aktivität ja auch nicht wundern

Gruß Jochen
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Offline 8t88

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Re: Erkennbarkeit und Definitionsgrundlagen von CAs
« Antwort #27 am: 24.03.2006 | 14:27 »
Arkam: AFAIk zählt unter "Belohnung" auch das Positive Feedback der Mitspieler, durch Blicke, Lachen, oder eben keine belohnung durch "nicht schon wieder" oder sowas.
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Offline Dr.Boomslang

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Re: Erkennbarkeit und Definitionsgrundlagen von CAs
« Antwort #28 am: 24.03.2006 | 16:47 »
@ Arkam
Also eigentlich habe ich diese Diskussion ja ruhen lassen, aber egal :)
Deine Punkte sind sicher sehr richtig bis eben auf Punkt 3. Das war u.a. das Problem.

Aus meiner jetztigen Sicht der Dinge gibt es zwei große und ungelöste Probleme:

1. Erkennbarkeit der CA: Hier ist es bis jetzt Konsens anzunehmen dass man eine genaue, unabhängige, mehr oder weniger Fachkundge Beobachtung der konkreten Spielrunde benötigt um Aussagen machen zu können. Man muss die Belohnungsysteme erkennen und die Ziele die dadurch angestrebt und gefördert werden.

2. Definition von G/N/S: Dieses Problem ist das eigentliche und größere. Jeder meint ein Verständnis zu haben, es gibt natürlich auch "offizielle" Artikel zum Thema, doch zu mehr Verständnis hat das nur eingeschränkt geführt. Manche sagen man muss es erfahren um es zu verstehen, manche sagen es ist einfach bisher nur schlecht erklärt manche sagen es muss neu definiert werden.
Die Frage ist nämlich: Angenommen man hätte eindeutige und verlässliche Daten (wie unter 1. genannt) ermittelt. Wie würden diese dann aussehen müssen um sagen zu können: Das ist G/N/S ? Nach welchen merkmalen suche ich überhaupt inhaltlich? Formal suche ich nach der Verstärkunng einer CA im sozialen Kontext. Doch selbst wenn es einfach sein sollte eine Verstärkung bzw Belohnung zu finden und zu erkennen, wie ordne ich das ein was verstärkt wird?

Das ist ein großes Problem, da es sich nicht an Verhalten festmachen lässt, sondern daran worauf die Spieler mit diesem Verhalten hinarbeiten. Doch selbst wenn man das konkret wüsste, so bräuchte man doch Kriterien um dann eine passende Kategorie zuzuordnen und über diese Kriterien herrscht eine gewisse Verwirrung (bzw. die die behaupten es sei doch alles klar, können oder wollen es irgendwie nicht vermitteln).
Der weitestgehende kleinste gemeinsame Nenner ist immer noch Vermis Erklärung. Alles was darüber hinaus geht ist reines Chaos. :o

Daher ist auch dein Versuch CA Zuordnung an Verhalten und Techniken festzumachen mMn nicht richtig. Eigentlich kann ich garnicht wirklich sagen ob du das richtige meinst, weil eben die Definitionen etwas zu wenig für die Praxis hergeben.

Offline Arkam

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Re: Erkennbarkeit und Definitionsgrundlagen von CAs
« Antwort #29 am: 24.03.2006 | 21:50 »
Hallo Dr.Boomslang,

ich hogge man verzeiht mir die Threadnekromantie aber ich mache eben erst die ersten unsicheren Schritte im Theoriebereich da sucht man sich eben Themen zu denen man etwas sagen kann.

Mein Punkt 3) war ja das man einen Kriterienkatalog aufstellen sollte.
Wenn ich dich jetzt richtig verstehe ist das der problematische Punkt da:

1) Das man für diese Aussagen eben einen Beobachter benötigt der auswertbare Fakten beschafft erscheint mir klar. Diesem Konsens verschließe ich mich ja auch garnicht, sie Punkt 4.
Das natürlich die Beobachter selber die Information verändern und eine objektive Beobachtung von sozialen Verhalten selbst auch schwierig ist ist wohl unumstritten. Egal ob es nun ein Beobachter, eine Gruppe von Beobachtern oder Beobachtungsmedien sind aus Fairnissgründen wissen die Beobachtungssubjekte das sie beobachtet werden und werden wahrscheinlich ein geändertes Verhalten zeigen.
Im Rahmen des Studiums habe ich ein Mal eine Schülerbeobachtung gemacht und zwar in einem Fach das mich interessierte. Bei der Beobachtung meines etwas desinteressierten Schülers wuchs der Frust über sein desinteresse deutlich an. Am Ende habe ich sicherlich jedes Gähnen deutlich überinterpretiert. Ähnliches wird ja wahrscheinlich auch jedem sachkundigen Beobachter einer Rollenspielrunde mehr oder weniger stark passieren.
Wenn ich mich noch richtig erinnere ist dieses Thema also "Verändert die Beobachtung das Ergebniss" eben wesentlicher Teil der Interpretation der Untersuchungsergebnisse.
2) Die Definition selber nicht fest geklopft ist sondern soweit überhaupt eine Definition der gewählten Begriffe erfolgt eine Vielzahl von Variationen existieren. Da wird es dann der Rollenspieltheorie selbst wohl nicht anders gehen als einer Vielzahl von soziologischen Theorien. Es werden sich Schulen bilden die sich Teilweise nur in einzelnen Punkten die sie für wesentlich für eine Spielart halten bilden.
Wenn man also eine soziologische Arbeit schreiben wollte müsste man entweder die eigene Auslegung von G/N/S und die zugeordneten Beobachtungen selbst festlegen und begründen oder sich einer existierenden Schule anschließen, Bildung von Unterschulen nicht ausgeschlossen.
Ist das Ziel kleiner und existiert nur darin festzustellen ob einem die existierende Runde persönlich passen würde braucht man ja die theoretische Ausarbeitung nicht sondern muß "nur" entscheiden ob die einzelnen Kriterien in einem persönlich zufriedenstellenden Verhältniss stehen.

Gruß Jochen
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Offline Purzel

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Re: Erkennbarkeit und Definitionsgrundlagen von CAs
« Antwort #30 am: 28.03.2006 | 13:39 »
Schnell ein Gedanke, bevor ich ihn verliere:

Anstatt das allgemeine Verhalten einer Spielrunde über einen langen Zeitraum zu beobachten, um Aussagen über ihre CA machen zu können, sollte man vielleicht lieber genauer betrachten, welche Regeln des geschriebenen Systems eine Spielrunde ändert. Problem hierbei ist nur, dass manche Regeländerungen nur implizit und der Gruppe garnicht bewusst sind.
   Jedenfalls steckt aber in einer Regeländerung (Änderung, Ergänzung, Neuerfindung, Löschung) eine Menge Absicht, die auf die CA Rückschlüsse zulässt.

Wer z.B. bei DSA das Fertigkeitssystem bestehen lässt, tut dies vielleicht nicht, weil er so auf SIM steht, sondern weil er keine bessere Alternative gefunden hat. Ändert er es hingegen, trifft er absichtlich eine Entscheidung zugunsten seiner eigenen Agenda.

Just my two cents...

Offline Dr.Boomslang

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Re: Erkennbarkeit und Definitionsgrundlagen von CAs
« Antwort #31 am: 28.03.2006 | 13:49 »
Wer z.B. bei DSA das Fertigkeitssystem bestehen lässt, tut dies vielleicht nicht, weil er so auf SIM steht, sondern weil er keine bessere Alternative gefunden hat. Ändert er es hingegen, trifft er absichtlich eine Entscheidung zugunsten seiner eigenen Agenda.
Da kommt wieder Problem 1 ins Spiel. Wenn nicht klar ist was mit der Änderung beabsichtig wird, dann ist eine Bewertung schwer.
Es könnte ja sein, dass der Spieler einfach bestimmte Würfel nicht mag oder gehört hat diese und jene Mechanik sei schlecht oder eine andere ganz toll. Meist sind es oberflächliche Technische Agenden die hinter so einer Änderung stehen. Allerdings kann sowas natürlich ein Hinweis darauf sein, wenn der Spieler "weiß was er tut".
Das fällt alles wieder unter das Beobachtungsproblem. Wenn ein fachkundiger Beobachter herausbekommen kann welchen Zwecken die Regeländerung dient, zumindest welche der Spieler damit beabsichtig, denn das ist ja fast wichtiger, sind das sicher gute Hinweise.

PS: Außerdem bin ich im Moment der Ansicht, dass sich CAs besonder gut mit einer Art "Differeanzialdiagnostik" erkennen lassen. Man muss also gezielt versuchen Merkmale zu prüfen die deutlich unterschiedlich bei einzelnen CAs sind um dann langsam über Ausschluss die CA zu finden.
So ähnlich habe ich es oben in diesem Thread glaube ich schonmal angedeutet.
Diese Sache mit den Regeländerungen wäre dazu sicher gut geeignet.
« Letzte Änderung: 28.03.2006 | 13:54 von Dr.Boomslang »