Autor Thema: D&D Gamma World  (Gelesen 1843 mal)

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D&D Gamma World
« am: 19.12.2012 | 18:57 »
D&D Gamma World – ein Review

Als D&D 4 erschien, war ich bitter enttäuscht, dass noch immer alte Zöpfe nicht gekappt wurden, dass das Spiel für mich so umständlich und brettlastig erschien und dass das Buch so unübersichtlich gestaltet wurde. Kurz: ich war kein Fan. Auch konnte mich Gamma World in seinen bisherigen Implementationen nicht begeistern; die Alternity-Version besitze ich schon lange. Was hat mich also bewogen, mir D&D Gamma World anzusehen? Nun, ich habe von verschiedenen Seiten gehört, es soll leicht sein und auf schnellen Spaß ausgerichtet. Außerdem war es gerade recht günstig zu haben und so habe ich zugegriffen. Und nun wird es Zeit, meinen Eindruck zu schildern. Nun denn!

1. Der Rezensent
Es ist immer gut, etwas über den Schreiber der Rezension zu wissen, um das geschriebene auch in den richtigen Kontext setzen und bewerten zu können. Wer bin ich?

Ich bin ein Rollenspieler der alten Schule. Ich spiele schon seit etwa 1986, so genau weiß ich das nicht mehr. Seit dem Einstieg mit DSA (erste Ausgabe) habe ich unzählige Spiele kennenlernen dürfen. Ich mag meine Systeme dezent, klassisch und einfach. Ich bevorzuge Systeme ohne Würfelpool. Mit den meisten Indy-Spielen kann ich wenig anfangen. Ich mag es, Regeln zu lesen. Ich finde auch die Mechaniken hinter so einem Spiel interessant und liebe es, wenn die Mechaniken elegant ineinander greifen. Wenn ein Regelbuch interessant geschrieben ist, finde ich es spannender, als ein Roman. Sowohl wegen der Mechaniken, als auch wegen der inspirierenden Ideen, die dahinter stecken. Soweit zu meiner Perspektive. Aus dieser heraus werde ich nun das Produkt beurteilen.

2. Hardware
Mein erster Eindruck: bunt. Eine große, quietsch-gelbgrüne Packung strahlt mich an, mit einer lila-Tentakelfrau im Comic-Stil auf der Front, die aus einer Strahlenkanone feuert. Jep, das ist ein Versprechen! Die Packung ist sehr stabil und wertig.

Im Inneren findet man ein Regelbuch etwa im DinA5-Format (nicht ganz, ist ja amerikanischer Herkunft), einen Satz Gamma-World-Spielkarten (dazu kommen wir später), Pläne für das beiliegende Abenteuer auf Hochglanzpapier und diverse Token auf stabilem Karton. Alles ist hochwertig gemacht und stiltreu gestaltet. Vermisst habe ich lediglich einen Satz Würfel.

Token, Spielkarten und Pläne sind schön anzusehen. Das Regelbuch im kleinformatigen Softcover ist vollfarbig, reichhaltig illustriert, hat ein verspieltes aber gut lesbares Layout und ist erfreulich frei von Schreibfehlern. Sicher könnten die Pläne auf Karton sein, die Token könnten beschichtet sein und die Bindung des Buches lässt zu wünschen übrig, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Insgesamt ist das eine sehr wertige Box.

Zu bemängeln habe ich allenfalls noch den zu knappen Index des Regelwerkes, wo manch ein wichtiger Begriff fehlt. Die Fans haben dies jedoch behoben. Ein vollständigerer Index, der auch die Ergänzungsboxen einschließt, kann heruntergeladen werden.

Fazit: hochwertig und bunt kommt die Box daher, bei der sich allenfalls die Bindung des Regelwerkes und das Fehlen eines Würfelsatzes bemängeln ließe.

3. Der Hintergrund.
Im Jahr 2012 kommt es zum „großen Fehler“ in Cern und verschiedene Welten und Zeitlinien prallen aufeinander. Was 150 Jahre danach verstrahlt, mutierend und verändert übrig bleibt, ist Gamma Terra, die Welt in der Gamma World spielt. Ein postapokalyptisches Szenario, in dem fast alles möglich ist. Und viel mehr als diese Einleitungsworte sind auch nicht im Regelwerk zu finden. Nein im Ernst: der komplette Hintergrund ist auf vier kleine Absätze (nicht mal eine Seite) reduziert. Es gibt keine Karten, keine Regionenbeschreibung, kein Völker oder einen Kampagnenhintergrund. Es gibt nur einen „Sachstand“, der mit viel Mühe das Wort „Sandbox“ verdient, aber selbst das wäre geprahlt.

Aufgrund der Tatsache, dass diese Prämisse jedoch so abgefahren und daneben ist und weil sich Gamma Terra auch kein Stück weit ernst nimmt, ist dies jedoch erstaunlich unproblematisch. Man darf nur nicht davon ausgehen, dass in jeder Gamma-World-Runde die Welt immer gleich aussieht. Aber auf der anderen Seite widerspräche das ja auch dem Prinzip des Settings  ;-)
 
Fazit: kurz und knapp: Gamma Terra ist was du draus machst! Je abgefahrener desto besser.

4. Die Regeln
Hier hatte ich viele Befürchtungen. Doch der Reihe nach. D&D Gamma World nutzt die Regeln der D&D 4th edition, doch werden diese stark vereinfacht. Zunächst einmal die Basis: die meisten Proben werden mit einem W20 gewürfelt, wobei Zielwerte erreicht oder überschritten werden müssen. Grundsätzlich werden auf jede Probe die Stufe, ein Attributsbonus und eventuelle weitere Boni aus der Herkunft des Charakters addiert. Eventuelle „Powers“, Fähigkeiten, etc. geben alle das benötigte Attribut und die Widerstände an auf die gewürfelt werden muss. Andere Würfel als ein W20 werden im Prinzip nur bei Schadenswürfen oder für Tabellen benötigt.

Der Regelkern ist solide und schon lange erprobt. Hier gibt es keine Überraschungen.

Fazit: im Regelkern keine Überraschungen. Ein solider und schneller Kern. Wer es detailreich mag und z.B. Abstufungen bei den Ergebnissen wünscht, ist hier falsch. Wer schnelle Action mag, wird hier bedient.

5. Die Charaktere.
Mehr Oldschool geht kaum. Der geneigte D&D-Fan erkennt sofort die gewohnten Attribute Stärke, Geschick, Intelligenz, Konstitution, Weisheit und Charisma wieder. Auch die gute alte Rüstungsklasse ist nach wie vor vorhanden, wie auch die Trefferpunkte. Die Fertigkeiten sind breit gefächert, es gibt gerade einmal zehn davon, diese sind allerdings so aufgestellt, dass ich tatsächlich alles mit diesen abdecken kann.

Der Charakterbogen ist ausgesprochen übersichtlich. Auf dem Bogen selbst werden fast alle Berechnungen ausführlich erklärt Ein wenig Verwirrung gibt es bei den Modifikatoren, die inklusive Stufe notiert werden sollen, was dazu führen kann, dass nicht aufmerksame Leser die Stufe z.B. bei der Schadensberechnung doppelt einfließen lassen. Solche Unklarheiten sind aber selten.

Ein Bruch mit D&D 4: es gibt keine Klassen. Stattdessen werden zwei sogenannte „Origins“ ausgesucht, eine Mischung aus Klasse, Rasse, Mutation und vielem mehr. Die Origins sind dem Setting angemessen abgefahren. Wer einen steinernen Rattenschwarm spielen möchte, der wird hier bedient. Jede Kombination legt die möglichen und anfänglichen Powers fest, die Primär- und Sekundärattribute sowie ein paar Stärken und Schwächen. 20 mal 20 Möglichkeiten gibt es in der Grundbox. Das sind gut 400 Varianten. Mit den Erweiterungen sind 48 mal 48 Kombinationen möglich, was sagenhafte 2304 Möglichkeiten eröffnet inklusive eines amöboiden intelligenten Fahrzeugs. Wow!

Diese Vielfalt bei den Origins ist aber dringend nötig, da es sonst kaum Individualisierungsmöglichkeiten gibt. Die Fertigkeiten lassen sich nicht individuell steigern, sie steigen alle gleichmäßig mit der Stufe. Auch die Attribute ändern sich nicht mehr. Spieler, welche die gleiche Origins-Kombination spielen, unterscheiden sich praktisch gar nicht. Angesichts der Vielfalt an Optionen, ist das jedoch nicht so schlimm, wie es hier klingen mag.

Dass sich Charaktere kaum entwickeln lassen, liegt auch an dem Steigerungssystem. Es gibt für jede Origin und Stufe feste Powers – keine Auswahl! Am Ende der zehn möglichen Stufen gibt es hier kaum Raum für Entwicklung. Lediglich die Alpha-Mutations bieten noch Möglichkeiten.

Da ich die Alpha-Mutations schon angesprochen habe, wollen wir sie auch gleich erläutern: je nach Stufe können Charakter eine bis drei Alpha Mutations haben. Das sind Powers, die immer aktiv sind oder als Encounter-Powers ein Mal je Kampf/Szene eingesetzt werden können. Mutations müssen nach jeder Ruhe, nach jeder gewürfelten 1, bei Bestrahlung oder nach einem Kampf neu gezogen werden. „Gezogen“ daher, weil diese durch Sammelkarten repräsentiert werden. Es ist aber bereits in der Grundbox eine ausreichend große Auswahl an Karten vorhanden. Ein Spieler kann einen eigenen Stapel von 7 Karten vorbereiten, oder vom Spielleiterstapel ziehen. Die ständige Mutiererei ginge mir persönlich auf den Keks, weswegen ich das hausregeln würde. Die Mutationen lassen sich auch überladen, was besonders tolle Effekte ermöglicht, aber auch die Chance birgt, dass die Mutation nachteilig wirkt.

Zu guter Letzt gibt es noch die Omega-Tech. Auch diese werden über Karten repräsentiert und sind recht originell und spannend designed. Omega-Tech ist mächtige Technologie, die aber nur begrenzt Energie hat und daher nur ein paar Mal eingesetzt werden kann, bevor sie den Geist aufgibt und neue gefunden werden muss (vom Stapel gezogen). Manches Mal kann die Technik aber umgebaut und dann in schwächerer Form weiterverwendet werden. Eine gute Idee, wie ich finde.

Praktisch die ganze Charaktererstellung ist dazu gedacht, zufällig abzulaufen. Alles, einschließlich der Origins, wird erwürfelt. Lediglich die Primär- und Sekundärattribute werden durch die Origins bestimmt (eine tolle Lösung, wie ich finde).

Fazit: die Charaktererschaffung ist schnell, spaßig und abwechslungsreich. Die Charakterentwicklung gerät leider ein wenig unspannend. Dafür schaffen die Alpha Mutations und Omega-Tech-Cards wieder gute Laune. Das Schöne: alles lässt sich leicht an die eigenen Bedürfnisse anpassen.

5. Der Kampf
Alle Aktionen, außer der Initiative-Ermittlung, werden gegen passive Werte gewürfelt. Das sorgt für Geschwindigkeit. Die Encounter-Powers sorgen leider dafür, dass man sein Pulver verschießen kann oder sich nicht traut es zu verschießen. Aber die Auswahl an Fertigkeiten ist nicht klein und da man immer wieder neue Omega-Tech-Karten oder Alpha-Powers zieht, ist kein Kampf wie der andere.

Manche Zustände und Aktionsmöglichkeiten aus D&D4 wurden gestrichen oder vereinfacht, um einen flüssigeren und einfacheren Ablauf zu gewährleisten. So gibt es (zum Glück) keinen Charge mehr. Alles wirkt übersichtlicher. Sehr schön finde ich das „Save Ends“-Ereignis. Wie sieht der Rettungswurf aus? Würfle einen W20. Bei einer 10 oder mehr hast du es geschafft. Punkt. Einfacher geht es nicht mehr.

Das System erwartet einen Plan mit Kästchensystem und liefert das erforderliche Material mit. Das Spiel mit Brett lässt sich jedoch leicht weglassen. Kämpfe laufen taktisch und dynamisch ab.

Fazit: D&D Gamma World hat D&D4 an den richtigen Stellen abgespeckt, um weiterhin taktisch zu bleiben, aber schneller und viel, viel einfacher ablaufen zu können. Die große Menge an Optionen, die Mutationen und Omegatech erlauben, lässt puren Spielspaß aufkommen.

6. Der Rest
Mit Booster Packs lassen sich weitere Alpha Mutations und Omega Techs kaufen. Leider kostet das Geld und wie bei Sammelkartenspielen üblich, weiß man nicht, was drinnen ist. Ein Komplettset wäre schön gewesen und hier hat sich Wizards of the Coast auch harsche Kritik seitens der Spieler anhören müssen. Zu Recht, wie ich finde. Aber die Karten selbst sind über jeden Zweifel erhaben: sie sind originell und tragen zum wacky-Flair des Spieles bei.

Ansonsten gibt es im Regelbuch noch ein Beispielabenteuer und ein paar Monster, die ausgesprochen fantasievoll gestaltet wurden. Was fehlt ist eine Anleitung, wie Monster Level-gerecht erstellt werden können. Aber hier hilft auch wieder die Community weiter und stellt ein entsprechendes Papier zur Verfügung.

Fazit: mit dem Grundregelwerk kann man, wenn man die Würfel hat, gleich loslegen und Spaß haben. Ein Kartenkomplettset wäre wünschenswert gewesen. Manches wird im Unklaren gelassen. Aber das, was drin ist, ist von hervorragender Qualität.

7. Resümee
Wow! Nach D&D4 habe ich ein umständliches Ding mit hunderten unübersichtlichen Powers und Regeln erwartet. Stattdessen finde ich ein schlankes, originelles Kleinod, bei dem man von Anfang bis Ende merkt, wie viel Spaß die Entwickler bei der Erstellung hatten. Ich bin wirklich begeistert. Die Levelgrenze bekomme ich noch etwas hochgepusht auf 15 oder 20 mit ein paar Hausregeln. Ich denke schon über Konvertierungen anderer Systeme auf D&D-Gamma World nach. Für mich ist das D&D, wie es sein sollte: schnell, actionreich und witzig. Aber: die Erweiterungen sind ein Muss. Je mehr Origins, desto lustiger.

Ich halte Gamma World für eine unterschätzte Perle. Ich werde sicher öfters in Gamma Terra Urlaub machen.

Ich empfehle D&D Gamma World allen, die schnell Spaß haben wollen, die nichts gegen eine durchgedrehte und abgefahrene Welt haben und die den Zufall gewähren lassen möchten.

Ich rate allen ab, die es lieber bierernst mögen (obwohl auch das geht), die großen Wert auf Charakterspiel und –Entwicklung legen oder einen detaillierten Hintergrund suchen.

Offline Deep One

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Re: D&D Gamma World
« Antwort #1 am: 2.01.2013 | 19:31 »
Vielen Dank für Deine Rezension! :)

Ich mag D&D4E Gamma World. Laß' mich deshalb hinzufügen, dass ...

... der Text aller Karten im Wizards-eigenen Forum einsehbar ist, man also nicht gezwungen ist, sich die tatsächlich zu kaufen,

... sich 4E GW für mich in einem Testspiel sehr flüssig leiten ließ und das Balancing der Begegnungen hinhaut; allerdings hatte ich an einer Stelle eine Referenz, die sich nur über das D&D4E GRW klären ließ, aber ich meine, da gibt es ein FAQ zu,

... die beiden Erweiterungsboxen mehr Origins, mehr Tokens, mehr Monster, mehr bunte battlemaps und mehr Spezialfertigkeiten für die SCs bieten

und

... sich das System mit geringem Aufwand für Superhelden und/oder Cyberpunk hacken lassen dürfte (Origins aussuchen statt auswürfeln, Alpha-Mutationen ignorieren oder fest verteilen, OmegaTech-Karten als Gadgets fest verteilen).