Autor Thema: Oldschool: Theoretische Betrachtung  (Gelesen 2575 mal)

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ChristophDolge

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Oldschool: Theoretische Betrachtung
« am: 30.07.2009 | 18:06 »
Mich würde mal interessieren, was die Theoretiker (und auch interessierte Nicht-Theoretiker) zur aktuellen Oldschool-Bewegung sagen. Hat man durch kritischere Betrachtung erkannt, dass viele alte Spiele sehr gut und sturkturiert aufgebaut waren und kehrt daher auch dorthin zurück? Ist es wie die Ostalgie die Sehnsucht nach einer früheren Zeit, die so nie stattgefunden hat? Nebenher würden mich auch GNS-Einordnungen der Oldschool-Schiene interessieren: Gibt es dort Elemente, die eine der drei Richtungen stark unterstützt oder sind die Spieler, die jetzt der Bewegung folgen, einer der drei Richtungen mehr zuzuordnen als einer anderen?

Pyromancer

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #1 am: 30.07.2009 | 18:23 »
Ich selbst hatte ja die Gnade der späten Geburt und dachte lange Zeit, alle "alten" Spiele wären wie Midgard oder Rolemaster (das war doch das mit den Tabellen, oder war das Runequest?) oder DSA3.

Dann hab ich mir Classic Traveller gekauft und gesehen, wie gut manches von dem alten Zeug selbst nach heutigen Maßstäben noch ist.

Und dann hab ich mal CT mit selbsterwürfelten Zufalls-Tabellen geleitet und gesehen, wie viel Spaß das macht.

Und so wie mir geht es sicher einigen. Deshalb muss man nicht zum Oldschool-Jünger mutieren. Kann man aber.

Und schließlich gibt es ja noch die ganze Reenactment-Schiene, wo Leute einfach einen Riesenspaß daran haben, Dinge so zu tun "wie früher".

ChristophDolge

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #2 am: 30.07.2009 | 18:33 »
Neuer Gedanke: Kann es sein, dass viele Rollenspieler Erfahrungen mit komplexeren Regelwerken oder eben auch stilistischen Betrachtungen zum "guten Rollenspiel" haben mussten, ehe sie aus den Oldschool-Dingern das rausholen konnten, was sie möglich machten?

Offline 8t88

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #3 am: 30.07.2009 | 19:24 »
Als das beste Beispiel für kohärentes Design, wie es viele der "neuen Spiele" machen ist Pendragon, das einen sehr strikten ablauf hat, und vor allem immer vom ritter mit Schwert und schild ausgeht, alle anderen haben einen Abzug im Kampf/Alle anderen Waffen und Umstände modifizieren das.
und das Ding ist AFAIK aus den 80ern oder 90ern. Und total klasse, was das angeht.

Zunächst kann man GNS bekanntermaßen in die Ecke treten. Das gibt es, und mehr muss man dazu nich wissen ;)

Die Oldschool Sachen haben ne nette Zielvorgabe, die in den 90ern durch Vampire und Shadowrun zB. zu Gunsten von mehr Sandboxing ein bisschen verwaschen wurde. Aber auch diese Spiele (WoD und SR) haben ne meeeenge guter neuer Sachen gelernt. In der WoD gibts mittlerweile keine Endgültigen wahrheiten mehr. sondenr mögliche Ausgänge zum Aussuchen.
Ich hab OldSchoolprodukte im Vergleich mit D&D 4 noch nicht so betrachtet, aber ich weiss von einigen Netten dingen die Iron Heroes und DSA 1 recht schick in Kontrast zueinander setzen.
Das nur kurz von mir.
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Offline Zornhau

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #4 am: 30.07.2009 | 19:28 »
Seit wann ist "Old School" denn am SPIEL selbst festgemacht?

Old School ist, WIE man das Spiel spielt. Daß dazu dann bestimmte Regelsystemeigenschaften solch eine Spielweise erleichtern, ist zwar feststellbar, aber ein Spiel kann "old school"-ig gespielt werden, auch wenn das zugehörige Regelwerk neuesten Datums ist und erkennbar neuere Regelentwurfsversatzstücke verwendet.

Offline carthinius

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #5 am: 30.07.2009 | 19:48 »
Old School ist, WIE man das Spiel spielt.

Wenn dem so ist: Warum brauche ich dann Retro-Klone, um dieses Feeling zu erzeugen bzw. warum glauben offenbar nicht wenige, dass man dafür auch "alte Regeln" braucht?
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Offline Zornhau

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #6 am: 30.07.2009 | 19:54 »
Warum brauche ich dann Retro-Klone, um dieses Feeling zu erzeugen
Braucht man NICHT.

bzw. warum glauben offenbar nicht wenige, dass man dafür auch "alte Regeln" braucht?
Nostalgie, Romantik und Unverständnis - in einer gefährlichen Mischung.

Offline carthinius

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #7 am: 30.07.2009 | 20:03 »
Nostalgie, Romantik und Unverständnis - in einer gefährlichen Mischung.
Das war meine Befürchtung - das heißt, man erhofft sich die Goldenen Zeiten zurück, ohne wirklich zu wissen, was man eigentlich haben will. Vermutlich könnte man das jeweils Erhoffte heutzutage auch anders (besser?) erzeugen, aber das Moderne kann ja aus dieser Perspektive nicht als Option wahrgenommen werden.  :-\

Hat man durch kritischere Betrachtung erkannt, dass viele alte Spiele sehr gut und sturkturiert aufgebaut waren und kehrt daher auch dorthin zurück? Ist es wie die Ostalgie die Sehnsucht nach einer früheren Zeit, die so nie stattgefunden hat?
Ich denke nicht, dass dieses "back to the roots" auf theoretischen Überlegungen beruht, sondern eher durch "früher war alles besser" bedingt ist. Sonst würde man doch eher versuchen, klassische Inhalte vernünftig neu aufzubereiten und nicht einfach wiederzukäuen, was früher (angeblich besser) da war!

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Offline Beral

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #8 am: 30.07.2009 | 20:10 »
Haben wir es möglicherweise mit einer Modeerscheinung zu tun?

Ich habe von Mode leider keine Ahnung, aber sie gehorcht auch irgendwelchen komischen Gesetzmäßigkeiten und wiederholt sich zyklisch.

Was unterscheidet den Mode-Aspekt von z.B. dem Regelaspekt? Nun, Mode ist funktionsfrei im Sinne der eigentlichen Funktion des Gegenstands.
Spielertyp: Modellbauer. "Ich habe das Rollenspiel transzendiert."

"Wir führen keinen Krieg...sind aber aufgerufen eine friedliche Lösung auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen." Gerhard Schröder.

ChristophDolge

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #9 am: 30.07.2009 | 20:19 »
Naja, jetzt von einer Modeerscheinung zu sprechen, weils in anderer Form z.T. schonmal da war, halte ich für übertrieben. Aber fängt die heutige Oldschool-Bewegung wirklich den Gedanken der ersten Rollenspiele ein oder erliegt sie einer Täuschung und fängt nur das ein, wovon sie gerne hätte, dass es dieser Gedanke wäre?

Offline Zornhau

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #10 am: 30.07.2009 | 20:29 »
Aber fängt die heutige Oldschool-Bewegung wirklich den Gedanken der ersten Rollenspiele ein oder erliegt sie einer Täuschung und fängt nur das ein, wovon sie gerne hätte, dass es dieser Gedanke wäre?
Beides! Und anderes!

Es gibt nämlich "DIE Old-School-Bewegung" NICHT.

Es gibt eine ganze Reihe an INDIVIDUEN, die sich aus dem einen oder anderen Grund das Old-School-Rollenspiel gut finden, und darüber reden. - Es gibt dabei ein paar, die sich gerne als die Meinungsführer einer "organisierten Old-School-Bewegung" etablieren möchten, und entsprechend Internet-Flak großen Kalibers kassieren.

Daher muß man zwangsläufig JEDEN EINZELNEN Old-Schooler anschauen, und prüfen, was er jetzt unter Old School verstehen mag, und wie er das dann in seinem Spiel praktiziert. - Bisweilen entdeckt man dann Elemente, die man auch vor 30 und mehr Jahren so gemacht hat, oder auch Dinge, die man damals nie gemacht hätte, die aber trotzdem Old School sind.

Man kann sich in Definitionsversuchen und Abgrenzungsbemühungen zum Thema Old School wirklich verlieren. Daher hier die eine Abgrenzung und Definition, von der ich SICHER WEISS, daß sie absolut zweifelsfrei KORREKT ist:

Old School ist wie ICH spiele.

Offline Dr.Boomslang

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #11 am: 30.07.2009 | 21:18 »
Oldschool ist sicher eine aktuelle Mode. Woher sie kommt weiß ich nicht so recht, ich schätze mal es hat ein bisschen was mit "Früher war alles besser" zu tun, es wird aber auch etwas mit Generationen zu tun haben. Diejenigen die damals noch oder gerade nicht mehr bestimmte Systeme gespielt haben sind jetzt an einem Punkt in ihrer Rollenspielkarriere angekommen an dem sie zu ihren Ursprüngen zurück kehren um diese mit all dem zu vergleichen was sie zwischen drin kennen gelernt haben.

Oldschool kann man einerseits unter dem Gesichtspunkt des Stils (also unabhängig vom System) und andererseits unter dem Gesichtspunkt der Regeln, Mechaniken und anderen technischen Details betrachten.
Für mich überwiegt als außen stehender Betrachter ganz klar die Seite die Zornhau hier auch angesprochen hat, die kultartige Verehrung bestimmter simpelster Regelmechanismen und Abenteuerstrukturen. Was also die technische Seite angeht kann man ohne weiteres sagen Oldschool = D&D in seinen frühen Inkarnationen.

Das Oldschool Regelprinzip geht ungefähr so: Das System ist im wesentlichen ein rudimentäres Kampfsystem, das ansonsten nach belieben von den Benutzern erweitert werden soll. Alles was nicht Kampf ist wird unter "Schiedsrichterentscheid" mit Hilfe der fiktionalen Situation geklärt. Eventuell kommen noch Würfel zum Einsatz um Entscheidungshilfe für den SL zu spielen und etwas Variation zu bringen. Tabellen sind auch ganz groß.

Bei der konkreten Umsetzung hält man sich in der Praxis immer an die Urväter (also D&D). Wie sollte auch jemand Oldschool erkennen, wenn es nicht die Nachahmung von etwas Altem wäre?

Man kann sich auch über Oldschool als Stil unterhalten. Ein Stilbegriff muss dabei natürlich zwangsläufig etwas konstruiert und künstlich wirken, da man ja nur von konkreten Techniken abstrahiert und so nichts wirklich konkretes beschreibt, das wirklich existiert (hat). Einheitliche Stile gibt es ja auch gar nicht, es gibt eben nur Leute die mit bestimmten Systemen in einer bestimmten Art spielen. Genauso ist es mit Oldschool und dementsprechend kann es hier sehr unterschiedliche Ansichten geben.
Aus meiner Sicht ist das was ich oben zum System geschrieben habe auch für Oldschool allgemein prägend. Das System besteht aus Kampfsystem + X, wobei X ein Haufen Do-it-Yourself-Kram ist den meist der SL ad hoc oder in Heimarbeit entwickelt. Es wird viel Wert gelegt auf die Kreativität des einzelnen, sowohl beim Lösen von Problemen innerhalb des Spiels, als auch beim Weiterentwickeln der Welt und des Systems selbst.
Ich habe woanders schonmal gesagt bei Oldschool ginge es darum die Anwendung des Systems (z.B. Würfeln) zu vermeiden indem man seine Fantasie benutzt. Das mag nicht ganz richtig sein, beschriebt aber ganz gut eine gewisse Geisteshaltung.

Man kann nun diesen Stil sehr kultisch verehren, und man kann leicht falsch beurteilen woher das tatsächlich kam. Ich habe nie wirklich selbst Oldschool gespielt und auch keines der alten Systeme. Ich glaube trotzdem nicht dass dieser Stil damals bewusst so verstanden wurde. Das Verständnis von einem Oldschool-Stil ist nur rückblickend mit heutigen Wissen denkbar und beschreibt den Unterschied zu heute gängigen Konzepten.
Man muss immer bedenken dass dieser Stil erst ein Querschnitt von Traditionen darstellt die ihrerseits aus Notwendigkeit im Umgang mit den damaligen Systemen entstanden.
Ich halte einen entscheidenden Teil von Oldschool in Wirklichkeit für sehr modern, nämlich den die Spielgruppe als Keimzelle des gesamten Spielgeschehens zu sehen und zwar ausdrücklich inklusive (Weiter-)Entwicklung von Welt und System. Bei dieser Erkenntnis kommen letztlich alle an. Ein weiterer wichtiger Punkt ist es Spielentwicklung und Spiel miteinander zu verbinden. Entwicklung entlang der konkreten Notwendigkeiten der einzelnen Gruppe.
Was ich allerdings auch für seltsam bis schädlich halte ist das Festhalten an den überlieferten, altehrwürdigen Techniken, Mechanismen, Regeln etc. Einerseits ist das nur zu verständlich, denn wie kann man leichter alte Emotionen wieder hervor holen als durch alte Erinnerungsstücke? Andererseits ist das natürlich im besten Fall eine Sackgasse was die Entwicklung betrifft, im schlechtesten Falle führt es zur Verwechslung von Inhalt und Form, bzw. Verwechslung von tradierter, funktionaler Spielweise mit den verwendeten Mechanismen, die in Wirklichkeit nichts weiter sind als antike Werkzeuge.

alexandro

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Re: Oldschool: Theoretische Betrachtung
« Antwort #12 am: 30.07.2009 | 21:32 »
Old-School Community (aus meinem persönlichen Internet-Lexikon): Leute die Spielberichte über ihre Sandboxes schreiben, damit andere Leute auch Sandboxes spielen (und Spielberichte darüber schreiben). Jede dieser Sandboxes hat nur Wert für die Gruppe allein (wer will schon Cinder spielen, wenn Jeff Rients nicht spielleitet?), daher kann man nicht von einer wirklichen gegenseitigen Beeinflussung sprechen, es ist ein bißchen wie ein 60er-Happening, bei der einer abstrakte Kunst zu der Jazzmusik des anderen malt. Kann gut werden, muss es aber nicht.